Verlängerung 2

Ich habe Post bekommen. Vom LABO. Der Inhalt überrascht wenig, die Tatsache, dass das Ding schon vor drei Tagen in meinem Briefkasten lag, schon eher:

Auf die nächsten 5 Jahre! \o/ Quelle: Sash

Auf die nächsten 5 Jahre! \o/ Quelle: Sash

Und das meine ich ernst: Mein augenärztliches Gutachten hab ich erst am 12. oder 13. September abgeschickt und dieser Brief trägt als Ausgangsdatum den 19. September. Natürlich hab ich in Anbetracht meines durch die Sehtestwiederholung durcheinandergewürfelten Zeitplans höflich angefragt, ob eine schnelle Bearbeitung möglich wäre. Aber eine Woche? Wow! Ich meine, mein bisheriger P-Schein gilt noch bis zum 17. Oktober, so viel Eile wollte ich dem LABO gar nicht abverlangen, ich hatte nur Sorge, weil die offizielle Bearbeitungszeit gerade bei fünf Wochen liegen soll.

Insofern und gerade in Anbetracht aller Skandale, die die Wartezeit in Berliner Ämtern betreffen: Vielen vielen Dank, LABO!

Dringende Dates

Am Ostbahnhof nach ein paar Minuten einen Kunden kriegen, der wirklich zum völlig anderen Ende der Stadt will, ist ja schon mal schön. Der Nebenaspekt war leider:

„Machen Sie bitte so schnell wie möglich!“

Ich hab den potenziellen Zeithorizont abgefragt und „in time“ war keine Option. Das hinzugezogene Navi (Einkaufszentren in Spandau sind nicht wirklich mein Steckenpferd, ich geb’s ja zu!) vermeldete satte 20 Kilometer Anfahrt und die gewünschte Ankunftszeit lag nur 20 Minuten entfernt. Durch die im gesamten politischen Berlin stark vernachlässigten Autobahnpläne zwischen dem Ostbahnhof und Spandau sind 60 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit einfach immer utopisch, da kann man noch so guten Willen zeigen als aufgeschlossener und kundenorientierter Taxifahrer.

Nun muss ich aber gestehen, dass mein Fahrgast es zwar eilig hatte, mich aber keinesfalls irgendwie zu Regelverstößen angestachelt hat. Er war nett und lachte notgedrungen aber ehrlich über meine Anmerkungen zum stockenden Verkehrsfluss. Ich auf der anderen Seite hab an den Stellen, an denen es mir persönlich machbar erschien, durchaus erkennen lassen, dass im Falle eines Falles die StVO ohne Dehnungsstreifen nicht das wäre, was sie heute ist.

Warum das alles? Ich hatte lange keine Ahnung. Jemanden abholen. OK. Mit der Zeit wurde dann immer mehr bekannt. Es ging um eine Sie, sie hatte jetzt Feierabend, sie erwartete ihn eigentlich nicht und könnte einfach weg sein, wenn wir zu spät kämen. So ganz geschäftlich klang das jedenfalls nicht. 😉

Ich hatte seit Beginn der Fahrt gesagt, dass wir mindestens 10 Minuten zu spät kommen würden, später hab ich ihn dann darin bekräftigt, sie wenigstens zu erreichen zu versuchen.

Und dann wurde ich Zeuge eines Telefongesprächs, bei dem er in der Verwaltung eines Einkaufscenters anrief und bat, in Laden XY doch die Zeitarbeiterin aus Land ABC, deren Nachnamen er leider nicht so genau wisse, zu informieren, er würde sie abholen. Also so frisch in der Mache erlebt man Beziehungen dann ja auch selten. 😀

Ich habe die nur 10 Minuten Verspätung am Ende eingehalten. Trotz teilweise beschissenster Ampelphasen. Was für ein Opfer ich der StVO dafür beizeiten bringen werde, muss ich mal sehen. Ein unfreiwilliges habe ich wohl nicht zu vermelden, so gesehen ist alles absolut bestens gelaufen.

Stressig war’s trotzdem, ich halte mich ja aus dem Hektik-Business nicht ohne Grund gerne raus. Also hab ich mich nach der Tour erst einmal auf die hinterste Ecke des großflächigen Parkplatzes verzogen, mich über mehr als 35 € Umsatz gefreut und eine geraucht. Ich hatte dank der Tour binnen anderthalb Stunden einen Fuffi Umsatz gehabt, man muss ja auch mal wertschätzen, was man kriegt.

Nennt mich ruhig kitschig, aber wirklich zufrieden war ich erst, als ich die Rückfahrt in die Zivilisation angetreten habe und dabei kurz nach dem Start noch weit draußen in der Westberliner Prärie ein Pärchen überholt habe, das gemütlich palavernd den Weg entlanggeschlendert ist: Sie in großen Gesten erzählend, mein Fahrgast andächtig lauschend.

Der Zweck heiligt keinesfalls immer die Mittel. Aber wenn’s mal passt, lasse ich mir die Freude daran auch nicht nehmen!

Abschalten …

Da kommt man von einer anstrengenden Schicht und möchte nur noch kurz den Papierkram wegrocken. Dazu gehört vor allem, alle Datenbestände des Taxameters völlig ohne offensichtlichen Nutzen noch in ein nicht-digitales Format zu übertragen. Und dann das:

52525252525252525252552. Quelle: Sash

52525252525252525252552. Quelle: Sash

Ja, zugegeben: SO platt, dass ich das nicht mehr lesen kann, bin ich dann auch nicht nach der Arbeit. Aber für einen Moment habe ich mich doch an diesen einen Test erinnern müssen, bei dem man aus einer langen Liste aus p,b,d und q in jeder Zeile immer einen der Buchstaben rausstreichen muss. 🙂

Der normale Stress

Eigentlich lasse ich mich ja aus Prinzip nicht stressen. Deswegen mache ich diesen Job ja. Ich muss nicht mehr Straßenbahnen hinterherrennen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen, ich bringe die feiernden Leute gemütlich nach Hause, während sie ohnehin in einer anderen Dimension schweben und die Straßen sind frei.

Aber:

Das ist natürlich auch nur der Optimalzustand. Irgendeinen Stress gibt es immer mal. Hier Hektik, dort ein aufdringlicher anderer Verkehrsteilnehmer und nicht zuletzt auch manchmal Kundschaft mit Sonderwünschen oder Auswurfanstalten. Aber im Normalfall verteilt sich das alles auf zig Schichten.

Heute hatte ich so eine „Glückssträhne“, die ihresgleichen gesucht hat. Der eine Winker fischt mich an einer vielbefahrenen Kreuzung ab und hat es eilig, obwohl ich ihmzuliebe auf dem Fußgängerüberweg angehalten hatte und nun eine 270°-Drehung ohne die Gefährdung anderer zu praktizieren hatte. Die nächsten erwischten mich in einer einspurigen Straße ungefähr 10 Sekunden vor dem Ums-Eck-Schießen eines Feuerwehrlöschzuges und gaben als Ziel allen ernstes irgendeine „Da-wo-Onkel-Paul-mal-besoffen-hingeschifft-hat-Straße“ an. Auf meine zackige Nachfrage sagten sie dann, dass das direkt an der Ecke der „Da-hat-sich-im-Jahr-1853-mal-wer-laut-geäußert-Allee“ liegt.

„OK, dann so: Welcher Stadtteil denn überhaupt?“

„Ach so. Na hier ums Eck!“

-.-

Die dritten hatten es ganz eilig und mussten zu genau dem Flughafen, der mir ein legales Wenden erst nach anderthalb Kilometern erlaubt hätte. Bei Feierabendverkehr mitten in der Nacht. Was halt so passiert.

Natürlich: Hat alles geklappt, haben wir hingekriegt, inklusive kürzestem Weg, Freundlichkeit und nur marginaler Beeinträchtigung der Berliner Rettungsdienste. Muss ja. Irgendwie.

An dieser Stelle einmal mehr ein herzliches Danke an all die Kollegen, die den Job tagsüber machen und das sicher zehnmal öfter haben als ich. Ich will nicht tauschen, ehrlich nicht!

Montag, Hitze, Brille, Werkstatt!

Mein Montag, also der Donnerstag, war nicht so wirklich mein Tag. Ich fühlte mich nur so halbwegs arbeitstauglich und als dann auch noch Cheffe anrief, dass das Auto in der Werkstatt sei, war das für mich gelaufen.

Und wurde es ja so ein klitzekleines bisschen scheißheiß. Das alleine hätte mir den Freitag nicht unbedingt versaut, aber in Kombination mit einem Typen aus Calau, der mich dreimal während meines Schlafes anrief und am Ende doch falsch verbunden war und der Inaussichtstellung meines Chefs, dass ich für die kommenden drei Schichten drei unterschiedliche Autos immer je an der Firma abholen müsse, weil die 2223 leider nicht fertig würde … sagen wir es so: Ich habe mit einem längeren Urlaub geliebäugelt.

Naja, wo ich aber nun schon früh wach war, konnte ich wenigstens gleich meine Brille abholen. Die war nämlich erstaunlich früh fertig geworden und je früher desto besser, sagt man ja. Das ging eigentlich auch recht flott und problemlos, aber kaum, dass ich sie mir zu Hause zweimal testweise aufgezogen hatte, rief Cheffe schon wieder an und meinte, dass mein liebstes Auto doch noch fertig geworden wäre und ich es selbstverständlich nutzen dürfe. Kleiner Haken: Ich musste es binnen 40 Minuten zur Werkstatt schaffen.

Und obwohl ich mich zu diesem Punkt zunächst noch vollständig bekleiden musste, hab ich das am Ende noch gepackt. Inklusive einem Kilometer Laufschritt bei irgendwas um die 32°C.

Nur, dass ich danach nochmal würde duschen müssen, lag auf der Hand.

Aber ja, das Fazit ist: Die 2223 schnurrt wieder, inklusive neuer Bremsen und kompletter Durchsicht – und ich konnte schon mal ein bisschen üben, mit der Brille zu fahren. Und da ich Euch diesbezüglich (so ihr mir nicht eh auf Twitter folgt) ein Foto schulde, sei das hier auch gleich mit eingefügt:

Glasdackel, Quelle: Ozie

Glasdackel, Quelle: Ozie

Ich hab das gute Stück heute gleich mal ein paar Stunden getragen. Müsste ich natürlich nicht, noch gilt mein P-Schein ja bis Oktober, aber als kompletter Neuzugang im Hinterglasland denke ich, dass ein wenig Eingewöhnung vor der Tragepflicht keine dumme Idee ist. Schon alleine, weil ich damit ja noch einen Sehtest machen muss.

Was ich nach ein paar Stunden feststelle: Immerhin keine Kopfschmerzen! Was mich, obwohl ich nach dem Ablegen einen deutlichen Kontrast merke, vermuten lässt, dass es wirklich nicht sooo eine gravierende Augen-Verschlechterung war. Tatsächlich habe ich während der halben Schicht, in der ich die Brille (Sie braucht noch einen Namen!) zum Fahren (fast) immer aufhatte, feststgestellt: Das Bisschen Plus an Sehschärfe macht eindeutig noch nicht das gefühlt eingeschränkte Sichtfeld und die ständige Wahrnehmung des Rahmens an dessen Rand wett. Ich fühle mich derzeit im Gegensatz zum eigentlichen Nutzen ziemlich eingeschränkt und viel unsicherer. Aber ich weiß von allen Brillenträgern, dass das Gehirn den Rahmen ach etwas Eingewöhnung recht schnell ausblenden kann, durch die Sache muss ich jetzt halt durch, es ist nur komisch, zunächst sozusagen eine Verschlechterung zu bemerken.

Ist also alles ein wenig spannend und durcheinander gerade. Das sieht man im Übrigen auch an meinem Bart. Der ist gerade auch in so einer Art Selbstfindungsphase, also nicht wundern! 🙂

Einen Schritt weiter

Es geht weiter in Sachen P-Schein-Verlängerung: Der Antrag ist schon mal gestellt.

Durch die unerwartete Geschichte mit der Brille (die derzeit immer noch zusammengeklöppelt wird) ist es nun halt so, dass der Antrag erst bearbeitet wird, wenn ich meinen Nachweis über den bestandenen Sehtest nachreiche. Abgesehen davon, dass ich mir keine großen Sorgen mache, weil es im Notfall immer die Möglichkeit gibt, gegen ein kleines Entgelt eine drei Monate währende Ausnahmegenehmigung zur Personenbeförderung zu bekommen (und sowieso niemand jemals einen P-Schein kontrolliert); ich muss auch ehrlich sagen, dass mich das Bürgeramt gestern fast schon positiv überrascht hat.

Denn die Bürgerämter sind in Berlin ja quasi komplett zusammengebrochen. Ich weiß nicht, ob das außerhalb der Stadt groß wahrgenommen wurde, aber in den letzten Jahren wurde es quasi unmöglich, dort Termine zu bekommen. Während man zeitgleich eingeführt hat, dass man genau dort aber wegen jeder Kleinigkeit zuerst hin muss. Die Geschichte mit dem Start-up, das automatisiert die Online-Termine gebucht und dann gegen Geld an die Bürger verkauft hat, wird wohl noch eine Weile erzählt werden. Inzwischen geht die Vermittlung telefonisch vonstatten, aber ich hab z.B. den gestrigen Termin auch 2 Monate zuvor gebucht. Sich mal eben schnell ummelden – oder eben einen P-Schein verlängern – kann da mit etwas Unachtsamkeit gepaart sehr schnell sehr eng werden.

Allerdings: Abgesehen von der Tatsache, dass ich zum Termin bereits drei Minuten zu früh (!) dran kam, hat mich auch erfreut zu hören, dass die Bearbeitungszeit bei P-Schein-Verlängerungen derzeit angeblich bei fünf Wochen liegt. Und das ist nicht ironisch gemeint, denn im Vorfeld heißt es, man solle möglichst drei Monate vor Ablauf den Antrag stellen (also fünf Monate vorher einen Termin beim Bürgeramt ausmachen).

Und wenn das wirklich wahr ist und das mit der Brille und dem erneuten Sehtest planmäßig halbwegs schnell klappt, dann klappt das vielleicht wirklich bis zum Stichtag Mitte Oktober.

Ja, man sollte sich nicht zu früh freuen, und Einfluss auf den Verlauf hab ich ab da dann natürlich auch keinen mehr. Aber verhaltener Optimismus ist unter den Umständen weit mehr als ich im Vorfeld für diese Zeit jetzt erwartet hätte. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

„Dann fahren wir einfach zu Dir …“

Das war dann die letzte Stufe:

„Ach komm, dann fahren wir einfach zu Dir!“

Aber da war die Fahrt schon gelaufen. Und zwar sowas von.

Angefangen hatte sie eigentlich super. Die Frau trat am Ostbahnhof an mein Taxi und fragte höflich, ob ich sie nach Hellersdorf bringen könnte, Cottbusser Straße. Na und ob! Als ich irgendwann fragte, welche Nummer genau, antwortete sie freundlich, dass sie mir das gerne zeigen würde. Ich hatte hunderte Touren mit ähnlichem Wortlaut, wirklich kein Grund zur Sorge. Dann aber schlug der Zeiger fast schon schlagartig um auf „Das endet mit der Polizei“:

„Wissense, wir halten besser vorher noch bei Wolfgang. Das ist mein Freund. Ich werde sie sicher nicht komplett bezahlen können.“

Soweit geht das ja fast noch. Aber meine Alarmglocke war angeschaltet:

„Wo wohnt Ihr Freund Wolfgang denn?“

„Na, direkt bei mir ums Eck. Hier, Cottbusser. Oh nein, warten Sie, der ist ja umgezogen. Ich bin heute aber auch durcheinander. Ich war ja vorher mit ihm unterwegs, Wissen Sie, ich bin ja Lehrerin …“

Zu dem Zeitpunkt standen ungefähr 22 € auf der Uhr und es war klar, dass ich die nie kriegen würde. Also zumindest nicht heute und nicht von ihr oder Wolfgang. Oder Hartmut, die Namen hatte sie jetzt auch durcheinander gebracht, heute war aber auch so ein stressiger Tag! Da mir klar war, dass das ohnehin zeitaufwändig wird und es bei nicht erhaltenem Geld völlig egal ist, wie hoch der Betrag ist, hab ich sie noch bis zur Cottbusser Straße gebracht. Natürlich ohne Ergebnis:

„Wissen Sie, das sieht inzwischen alles so anders aus, ich erkenne die Häuser gar nicht mehr wieder. Die bauen hier aber auch so viel neu gerade!“

Weder Wolfgang, noch Hartmut, noch der inzwischen neu in die Gang aufgenommene Sven winkten mich heran, also musste es nun dann endlich sein:

„Wissen Sie was: Das ist gar nicht schlimm. Aber sehen Sie, ich als Taxifahrer bin da jetzt leider etwas überfordert. Ich kann Sie jetzt ja nicht ohne irgendeinen Anhaltspunkt die ganze Zeit durch Hellersdorf fahren. Das wird teuer und es wird ja auch schon dunkel. Ich rufe jetzt mal die Kollegen von der Polizei an, die können sehr schnell rausfinden, wo sie hinmüssen.“

Erfreulicherweise gab es keine Gegenwehr. Puh.

Ich hab den Cops schnell geschildert, worum es geht: Orientierungslose Person, irgendwas um die 70 bis 80 Jahre, Standort, fertig. Und dann ging das Warten los. Und es dauerte. Unter anderem wohl auch, weil Ortskunde eben eine Spezialität von Taxifahrern und nicht von Polizeifunkern ist, die auch mal übersehen, dass es einen Unterschied zwischen Hellersdorfer Straße und Alter Hellersdorfer Straße gibt. Egal. Ich hatte nun also 25 Minuten lang die Bespaßung für eine demente Kundin zu liefern.

Sie war wie gesagt sehr ruhig. Aber wenn dann halt doch wieder mal 5 Minuten Wartezeit rum waren, schlug sie eben neue Ziele vor. Zum Sven, nach Hause, zu Wolfgang. Und am Ende halt auch zu mir:

„Ich penn dann auf der Couch im Wohnzimmer, ich bin morgen früh wieder weg.“

„Da müssen Sie was durcheinanderbringen. Ich habe keine Couch.“

„Ach sicher, im Wohnzimmer! Da hab ich doch letztes Jahr schon mal übernachtet. Ich auf der einen, Du auf der anderen!“

Es war also wirklich ernst.

Über den Punkt des Ärgerns war ich da aber schon lange weg. Ich fand es ehrlich gesagt sogar sehr faszinierend, mal zu sehen, wie das menschliche Gehirn mit einem Fehler wie Demenz umgehen kann. Binnen weniger als einer halben Stunde hatte die Kundin mich, den völlig fremden Taxifahrer, in ihre Story mit eingebunden. Eine Story, in der es völlig normal war, dass sie nicht wusste, wo sie wohnt oder dass ihr Schlüssel und Handy „geklaut“ worden waren. Sie fragte mich, ob denn mein „Kleiner“ jetzt die ganze Nacht alleine sei – und als ich antwortete, dass ich kein Kind hätte, winkte sie gleich ab und meinte:

„Ja sicher, das hat ja deine Ex-Frau mitgenommen.“

Und so traurig das auf Außenstehende eigentlich wirkt: Ich finde es fantastisch. Natürlich ist es schade, dass die gute Frau sich nicht mehr in der Welt zurechtfinden konnte, aber für sie selbst war das alles ok und sie hatte nur einen seltsamen Tag. Und ich war heute halt mal Sven oder Hartmut.

Als die Polizeibeamten dann eintrafen und mein Bedauern über die (inzwischen mehrfach veränderte, aber immer noch hochgradig illegale) Haltesituation beiseite wischten, spielten Sie zudem mein Spiel vollkommen mit: Nach der sehr kurzen und erfolgreichen Personalienaufnahme hat einer der beiden ihr dann freudig erzählt:

„Na, dann kommen Sie mal mit zu uns, Frau XY! Ab jetzt sind wir Ihr Taxi. Wir wissen, wo Sie hinmüssen. Die Polizei weiß eben alles oder kann es zumindest herausfinden. Außerdem haben wir sogar den neueren Opel!“

Grmpf. Auf der 2223 rumhacken wäre aber bei lässigen 122.000 km echt nicht nötig gewesen!

Nein, im Ernst: War geradezu vorbildlich. Das wichtigste und zeitraubendste hatten wir unter vier Augen davor schon geklärt:

„Was würden Sie denn jetzt bekommen?“

„30,90€. Aber das spielt in Anbetracht der Umstände keine Rolle.“

„Sie wissen aber, dass sie – auch gegenüber Angehörigen – das Recht hätten …“

„Ich weiß. Aber erstens hatte ich das schon mal und es ist nix passiert und zweitens geht es jetzt darum, dass die Dame nach Hause gebracht wird.“

„Also … Sie … verzichten …?“

„Ich verzichte. Sehen Sie zu, dass Sie sie gut heimbringen.“

Und wie bereits angedeutet: Das zuständige Pflegeheim war schnell ausfindig gemacht und nach einer freundlichen Verabschiedung von meiner „Kundin“ inklusive Handschlag stieg sie mit den Worten „Ach wissense, ich will ja eigentlich nur noch ins Bett!“ in den Streifenwagen.

War für mich eine Scheiß-Stunde. Abgesehen vom entgangenen Umsatz war’s einfach auch anstrengend. Man will ja nicht falsch reagieren, noch mehr Stress provozieren – und obwohl’s vielleicht keinen Unterschied gemacht hätte – auch nicht dreist lügen. Ich hab danach nochmal eine halbe Stunde Pause gemacht, auch ich brauche manchmal etwas Zeit, um so Dinge zu verdauen.

Wahrscheinlich hat sie mich schon vergessen. Oder sie erzählt Sven beim nächsten Besuch, dass die Polizisten echt nett waren, die er ihr rausgesucht hat, ich weiß es nicht. Und so doof das für mich auch gelaufen ist: Ich hoffe einfach, dass es am Ende wenigstens insofern was gebracht hat, als dass sie in ihrer Welt, die mir leider nur bedingt und kurzfristig offenstand, keinen schlechten Abend hatte und dass sie zur Stunde nicht schlecht träumt von schlimmen Taxifahrern. Mehr bleibt mir in meiner kleinen Rolle da wohl nicht übrig. 🙁