So lange es nicht auf seine Person gemünzt war, konnte Hans Baecker sogar ausschweifend über das Heim erzählen. Er wäre da übergangsweise gewesen, weil seine Frau im Krankenhaus sei. Nun wäre sie aber wieder raus und ohnehin: warum wir sie nicht einfach rausklingeln würden!?
Die Polizistin forderte die Personendaten der Frau an, wandte sich kurz darauf aber ab. Nicht ohne Grund, wie alle außer Hans Baecker wussten:
„Gar nichts? Hatte ich befürchtet. Prüf bitte auch mal die Sterbedaten.“
Die Stimmung auf dem Gehweg war angespannt. Außer bei dem alten Herrn. Der versuchte inzwischen abermals, sein blaues Schlüsselband mit dem Schlüssel zur Wohnung zu finden. Wenngleich eigentlich recht leise und gefasst ausgesprochen, zerschnitt die Stimme der jungen Beamtin am Funkgerät die Nacht:
„Aha, 27.6.2008. Verstehe. Danke.“
Alle Blicke richteten sich auf Herr Baecker, der immer noch verzweifelt mit seiner Umhängetasche kämpfte. Dass die Beamten und die Sanis ihm klarzumachen versuchten, dass seine Frau seit 4 Jahren tot ist, hat Hans nicht mitbekommen, bzw. nicht wahrhaben wollen. Er dementierte lautstark und fragte aggressiv in die Runde, ob man ihn für blöd verkaufen wolle.
Während der Sympathiebolzen von Sani stöhnte, dass es damit „wohl doch eine Fahrt für uns“ sei, blickte mich die überschminkte Beamtin an und fragte, was der gute Mann mir denn schulden würde. Ich antwortete wahrheitsgemäß mit „rund 35 €“, was bei ihr eine gewisse Bestürzung hervorrief. Sie schien zu verstehen, dass das in meinem Universum eine Menge Geld ist.
Am Ende legte sie mir das eigentlich undenkbare nahe: dass ich gegen Hans Baecker Strafanzeige erstatte.
Und ich habe es getan.
Allerdings nach reiflicher Überlegung.
Natürlich will ich diesem armen alten Mann nichts böses – ich bin überzeugt davon, dass er mir ebensolches gleichfalls ersparen wollte. Er bat z.B. immer wieder zwischendrin, ich möge ihm doch meine Adresse geben, damit er das Geld bezahlen könne. Nein, miese Absichten hatte der Kerl nach wie vor nicht! Und er hat schon mehr gelitten als ich es hoffentlich je muss!
Auf der anderen Seite wird ihn diese Anzeige persönlich kaum treffen (es geht ja auch um nichts, wofür er ewig in den Knast müsste), ich hoffe nur darauf, dass er einen Betreuer oder dergleichen hat, der mir mein Geld erstattet, sobald der Brief eingeht.
Sollte dem nicht so sein, dann werde ich selbstverständlich wahrheitsgemäß bestätigen, dass der alte Mann – der in meinen Augen während der Fahrt kein bisschen verwirrt wirkte – im Grunde unzurechnungsfähig war.
Ich hätte ihn sogar – wenn mir eine Aufnahme dort garantiert worden wäre – selbst zum Heim gebracht. Unentgeltlich. Denn – so bitter für mich die nunmehr verkackte Samstagsschicht war – mehr als meine finanziellen Probleme gerade hat mich fertig gemacht, was die Beamtin zu mir sagte, als sie mir meinen Ausweis wieder aushändigte:
„Es war ja schon mal sehr nett, dass sie überhaupt angerufen haben …“
Ach ja? War es das? War es nicht einfach nur selbstverständlich?
Bevor ich heimgefahren bin, habe ich zwei Sekunden Zeit aufgewendet, um das wirklich allerallernötigste zu tun: Herrn Hans Baecker alles Gute zu wünschen. Und ich habe die Befürchtung, damit an diesem Abend alleine gewesen zu sein. Leider. 🙁