Sechs. Und. Dreißig. Minuten.

Gewartet hatte ich auf die Tour gut eine Stunde, in der so ungefähr gar nix passiert ist. Ganz zu Beginn habe ich einen Auftrag in Köpenick weggeklickt, aber da wäre die Fahrt kürzer als die Anfahrt gewesen.

Da hatte ich mit der folgenden halben Stunde noch nicht im Ansatz gerechnet. Und die Tour kam unspektakulär daher. Ein Rollator war angegeben, darüber denke ich mit einem Zafira gar nicht mehr nach. Gepäck wird einmal alle 5 Jahre bei Booten ein Problem, der Rest passt einfach. Also machte ich mich auf, die (mit Ampeln) drei Minuten bis zur Kennsteschonstraße 14 zu fahren. Dort fuhr ich gleich links auf eine Einfahrt neben dem Eingang anstatt auf der anderen Straßenseite zu halten. Rollator … wir wollen’s ja nicht unnötig schwierig machen.

Und dann kamen Susanne und Ilse.

Susanne und Ilse waren zusammengenommen etwa genau so hoch, halb so schwer, aber zwölfmal so alt wie ich. Ich stellte mich kurz als Taxifahrer vor und kaum nachdem Susanne ihren Rollator binnen einer flotten Minute über die 50cm Kopfsteinpflaster vor der Tür auf den ordentlichen Gehweg geschubst hatte, sah sie praktisch auch schon mein Auto. Deswegen stand ich ja 5 statt 10 Meter entfernt. Zwei Minuten später war sie dann auch am Wagen und das Einsteigen ging für ihre Verhältnisse eigentlich recht fix.

Dafür wehrte sich der Rollator doch und ich musste ihn ziemlich doof verkeilen in der Kiste. Und natürlich wollte jemand aus der Einfahrt fahren, während der Rollator aus dem Kofferraum hing, Ilses Beine hinten aus der Tür und während Susanne sich dreimal entschuldigte, dass es ja nur eine so kurze Tour sei. Hat sich aber alles regeln lassen und eine Minute später waren wir alle bereit zum Start.

„Wir müssen in die Kennsteschonstraße 25.“

Elf. Hausnummern.

Aber gut, ich sage Google kurz, zu welcher Nummer ich will und die beiden Damen meinen auch, dass ich da mal Richtung Kirche fahren soll. Die Kirche kenne ich und dass ich danach drehen soll, gibt auch Sinn, denn davor ist die Straße eine Weile lang geteilt, man muss da ständig wenden in der Straße, einfach um auf die andere Seite zu kommen. Dort sehe ich aber, dass sich sowohl Google als auch die beiden Damen geirrt hatten und wir ganz zu Beginn statt nach links einfach nach rechts hätten starten müssen. Der ganze Schlenker war völlig unnötig. Und während ich das erklären will und wir direkt da vorbeifahren, wo ich sie eingeladen habe, meint Ilse:

„Nee nee, das stimmt so. Man muss immer um die Kirche rum!“

So sehr wie Hamburg auf der Strecke Stuttgart-München liegt, aber sei’s drum, es ist ja nicht zu meinem Schaden gewesen.

„Da vorne ist dann so eine Auffahrt …“

„Sie meinen die hier? Da steht ‚zu den Nummern 25 und 26‘.“

„Nee nee, wir sind ja mit Auto, fahren Sie hier mal weiter.“

Kurz gesagt: Wir sind zwei Minuten später dann doch durch diese Einfahrt gefahren, denn natürlich war es die richtige. Aber gut, Nummer 25, geschafft!

„Sie, ich bin mir jetzt nicht sicher, ob ich genug Geld dabei habe.“

OK. Kann bei 5,70€ schon mal passieren. Nicht oft, aber es kann passieren.

Da krähte Ilse dazwischen, dass sie das bezahlen möchte.

„NEIN ILSE, DAS HAB ICH DIR VERSPROCHEN!“

„ABER ICH BIN DOCH VIEL SCHNELLER WIEDER UNTEN ALS DU!“

„NEIN, BIST DU NICHT!“

Dann stellte sich raus, dass Susanne ihre Tasche entweder zuhause oder im Seniorentreff liegenlassen hat, dass es auch ihr Rollator ist und überhaupt durfte ich ihren Stock und den Schlüssel nehmen, während sie „nur kurz hoch, Geld holen“ wollte. Ich fragte dann mal nach, ob ich nicht besser mit hochkommen soll, damit sie nicht nochmal runter müsse – und Himmel, ich hatte da ja noch keine Ahnung, dass ich da sonst vermutlich immer noch warten würde. Denn mit Rollator musste Susanne wegen der Rampe „zum anderen Eingang“, der zwar nur 30 Meter entfernt lag, das aber ungelogen zwei Minuten in ihrem Tempo waren. Ich bin bis zur Tür vor, hab den Stock abgestellt, bin zurück, hab das Auto kurz umgeparkt und abgeschlossen, bin wieder zur Tür und da hatte Susanne dann fast die halbe Rampe geschafft.

Und jetzt kam der Clou: Im Haus wohnte sie quasi direkt über der Tür, aber zuerst musste man die 30 Meter wieder zurück zum Haupteingang, dort in den Aufzug und oben dann nochmal den ganzen Weg zurück.

Während wir noch auf dem Hinweg waren, stapfte auf der anderen Seite bereits Ilse entnervt mit Portemonnaie in der Hand raus, ohne uns zu sehen und offenbar um mich draußen zu bezahlen. Das wäre verlockend gewesen, aber während unserer bisher 5 Minuten Fußweg hat mir Susanne eingeschärft, ja kein Geld von Ilse zu nehmen.

Ilse holte uns an erst Susannes Zimmertür ein, was bedeuten muss, dass sie draußen knappe 10 Minuten nach mir gesucht hat. Zwei so quirlige Seniorinnen sind aber auch wie ein Sack Flöhe!

Aber gut, am Ende standen wir in Susannes Zimmer, wo zwar ihre Tasche nicht war, aber egal:

„Die taucht schon wieder auf! Wie mein Stock. Den hab ich ein halbes Jahr vermisst – und dann war der einfach wieder, wo ist mein Stock?“

„Den habe ich hier. Und den Schlüssel habe ich auf ihren Rollator gelegt.“

Inzwischen war es Ilse aber zuviel, die herumtippelte, als müsse sie aufs Klo, dabei wollte sie nur unbedingt die Fahrt bezahlen. Sie hat Susanne in Nullkommanix überzeugt gehabt, dass sie wenigstens ihren Anteil von 2,50€ (wie auch immer sich DAS jetzt berechnen ließ) übernimmt. Also hatte ich das Kleingeld in der Tasche, Ilse verabschiedete sich flott und Susanne kramte erst einmal in ihrem Geheimfach am Wohnzimmertischchen, während sie mich einmal mehr fragte, wo ihr Schlüssel sei.

„Was muss ich denn noch zahlen?“

„Es sind jetzt noch 3,20€ offen.“

„Dann nehmen sie das.“

Ein Zehner. Ich hab mich kurz vergewissern müssen, ob das ihre Absicht war und erklärt, dass das schon sehr viel Trinkgeld sei.

„Jaja, aber ich bin ja auch sehr froh, dass ich jetzt zu Hause bin, verstehen Sie das?“

„Selbstverständlich. Aber genau dafür sind wir ja auch da.“

Sie hat sich noch ein Minütchen in Erinnerungen verloren, wie nett bisher all die Taxifahrer gewesen seien, dann hat sich mich aber auch resolut hinausgebeten. Hatte der Hinweg mindestens 15 Minuten gedauert, saß ich jetzt binnen 40 Sekunden wieder im Auto. Es geht ja so einfach, wenn man noch „jung“ ist und aus dem reinen Heimkommen noch nicht so eine große Sache geworden ist. Ich hab gleich auf die Uhr gesehen und deswegen weiß ich, dass das ohne Übertreibung 33 Minuten waren. Plus drei Minuten Anfahrt.

Mal abgesehen davon, dass das fürstliche Trinkgeld die Zeit schon wettgemacht hat: Es hat trotzdem wie die Faust aufs Auge gepasst, dass ich ausgerechnet nach dieser Fahrt die einzige Winktertour in der Nacht bekommen hab. Man fühlt sich halt doch auch ein wenig unfreiwillig entschleunigt bei solchen Touren.

7 Kommentare bis “Sechs. Und. Dreißig. Minuten.”

  1. Dennis sagt:

    Na, was lesen wir denn da? Der Sash nimmt doch nicht etwa Funkaufträge an!? Sash und Funkaufträge, wer hätte gedacht, dass da mal was zustande kommt… Liegt aber wohl nur daran, dass Januar ist, ne? 🙂

  2. wuppdiwipp sagt:

    Wiebittewas, alle 5 Jahre einmal musst du ein Boot in deinen Zafira packen!? Das kann dann ja nur ein Falt- oder Schlauchboot sein…

    SCNR (-;

    Aber nette Geschichte, kann ich mir sehr gut vorstellen die beiden. Gut, dass du so entspannt geblieben bist, und besser noch, dass es am Ende nicht nur Karmapunkte gab.

  3. Sash sagt:

    @Dennis:
    Naja, wegen Kartenzahlung hab ich das Dings ja eh an …

    @wuppdiwipp:
    Zugegeben: Es war nur ein (Schlauch-)Boot bisher – aber noch sind es ja auch keine ganzen zehn Jahre. 🙂

  4. Arno.nyhm sagt:

    Stimmt das ist mir such direkt aufgefallen: jetzt doch digitale Aufträge? Das ding hattest du doch sonst immer extra ausgemacht

  5. Sash sagt:

    @Arno.nyhm:
    Aber wie gesagt: Jetzt wo’s an ist, kriege ich die Aufträge ja eh rein. Ich hab mich dann immer noch geziert, aber so gesehen hat Dennis dann recht, was den Januar angeht. 😉

  6. Matthias sagt:

    Aber gerade solche Leute wie die Beiden, sind ja völlig auf Taxis angewiesen – wie sollten sie sonst ihre Wege erledigen.
    Hätten sie die Tour zu Fuß unternommen (für uns junge Hüpfer eine Sache von vermutlich 5 Minuten), hätten sie ja Proviant und Schlafsack mitnehmen müssen.
    Seien wir also danbar, dass es Taxis gibt und insbesondere solche freundlichen Fahrer wie Sash.

  7. Sash sagt:

    @Matthias:
    Da hast Du recht und ich danke auch herzlich für das Lob. 🙂

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