Verhandlungen mit dem Zukunfts-Ich

Sparsamkeit ist eine Tugend, heißt es. Und ich erkenne das in gewisser Weise an. Es ist hilfreich, einen Notgroschen zu haben und wenn es in der eigenen Macht liegt, den anzusparen, dann ist das Erlernen von Sparsamkeit eine gute Sache. Aber ich will ehrlich sein: Ich war immer ein Kritiker der Theorie, dass Sparsamkeit an sich einen Wert hat. Geld ist Mittel zum Zweck und es gibt Situationen, in denen ich Sparsamkeit hinderlich finde. Zum Beispiel wenn man eigentlich nicht weiß, wozu man Geld hortet, während es anderen schlecht geht. Oder das Szenario, an das ich mich aus meiner Jugend erinnere und mir in irgendeiner Gossip-Reportage präsentiert wurde. Es ging um ein Rentnerpaar, das trotz mittlerem Verdienst ein Millionenvermögen angehäuft hatte. DER Tipp, den sie allen Zuschauern mitgaben, war:

„Zwei Blatt Klopapier reichen immer!“

Und jedes einzelne Mal seit ca. 1996 denke ich bei außerplanmäßiger Verdauungstätigkeit, dass die beiden Idioten waren. Vermutlich sind sie inzwischen tot und ihre Enkel verprassen die Kohle ohne Sinn und Verstand. Und dafür haben sie sich ihr ganzes Leben lang bei jeder Magenverstimmung die eigene Scheiße von den Händen gepuhlt.

Ich will nicht pro Verschwendungssucht argumentieren und es gibt Gründe, warum ich kein Finanzberater bin. Aber wenn es um einzelne bestimmte Dinge geht, die mir das Leben erheblich erleichtern, Leid abwenden oder vielleicht sogar dem Wohl anderer dienen, habe ich mir einen anderen Gedanken zurechtgelegt. Und der ist:

„Dieser Zehner kann nie und nimmer ein existenzbedrohendes Problem sein!“

Und ja, auch ich kenne Situationen, in denen mir ein Zehner gefehlt hat. Aber da ging’s  halt um Probleme, die höchstens einen Zehner wert waren. Club-Eintritt, drei Extra-Bier, zwei Schachteln Kippen. Ärgerlich im Moment, aber nicht der Grund für einen Gerichtsvollzieherbesuch oder eine Wohnungskündigung. Wenn sonst alles ok ist, ist dieser Zehner egal*.

Und dann war da dieser Kunde. Nach einem Kneipenbesuch in der Prärie gestrandet hat er mich gefragt, wie viel es bis zu ihm nach Hause kosten würde. War keine kurze Fahrt, es standen gute 30€ zur Debatte. Er hat sich ein Herz gefasst und mir gesagt:

„Ganz ehrlich: Mein Zukunfts-Ich wird mich hassen. Das ist immer pleite. Aber ich glaube, ich muss das jetzt machen. Ich komm‘ ja sonst nicht heim.“

Und das war erst der Auftakt. Bei ihm herrschte der Respekt vor meiner Arbeit vor und er hat nicht einmal versucht, den Preis zu drücken und zu verhandeln. Ich hab das natürlich dankend angenommen, aber auch sichergestellt, den kürzesten Weg zu fahren und mich bemüht, ihn ernstzunehmen. Ein Azubi kurz vor der Gesellenprüfung, ein Handwerker aus Überzeugung und ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Das Geld mussten wir erst holen und zudem musste sein Fuffi zuhause am Ende aber „bitte bitte noch für einen Döner“ reichen.

Wir kamen auf oben gesagtes zu sprechen und waren einer Meinung. Natürlich waren die 30€ (am Ende mit Fahrt zum Döner sogar 35) für ihn happig, aber am nächsten Tag unausgeschlafen im Betrieb aufzutauchen ging halt auch gar nicht. Das war ihm die 30€ halt eben doch wert.

Dass der Kunde sich tags drauf oder in der nächsten Woche doch geärgert hat, kann ich nicht ausschließen. Am Ende war ich halt trotzdem nur der Taxifahrer. Aber zwischendrin waren wir halt an diesem Punkt:

„Alter, ehrlich! Mein Zukunfts-Ich, das wird mich für einen Idioten halten!“

„Glaub‘ ich Dir, ehrlich. Und sorry, dass ich da keinen Spielraum habe.“

„Nee nee, alles cool. Ist ja nur, weil …“

„Hey, nur als Aufmunterung: Du bist heute das Zukunfts-Ich von dem Typen, der sich den Partyabend angespart hat, obwohl’s ein fucking Verzicht war, oder?“

„Das … ey, da hast Du auch recht, Alter.“

„Und jetzt schnell heimkommen ist Dir das wert, oder? Überleg’s Dir! Nächste S-Bahn-Station? Für mich kein Ding.“

„NEIN, Alter! Ich bin froh, dass ich Dich getroffen hab. Is’n echt guter Ausklang heute …“

„Na dann vergiss halt nicht, das auch deinem Zukunfts-Ich mitzugeben!“

„Werd‘ ich machen, Alter, werd‘ ich machen!“

Wie jeder Dienstleister komme auch ich mal an den Punkt, Geld nehmen zu müssen von Leuten, die es augenscheinlich eher weniger haben. Ich persönlich bin auch für eine weit solidarischere Welt zu haben, aber ich muss meine Miete zahlen und meinen Chefs Geld bringen, damit die ihrerseits Kreditgeber bezahlen, die mein Taxi finanziert haben und die wiederum ihren Aktionären Gewinne schulden. Ich kann da in Ausübung meines Jobs wenig tun.
Und genau deswegen kann ich kaum beschreiben, wie schön es ist, ausgerechnet von solchen Kunden fast nie Beschwerden zu hören. Die, denen eine Taxifahrt finanziell am meisten wehtut, sind oft die, die mir meinen Lohn am meisten gönnen. Das lässt mich bezüglich der erwähnten solidarischeren Welt am meisten hoffen.

*Ich bin nicht dumm. Ich weiß auch, dass 200 Zehner erschreckende 2.000€ sind. Aber ich habe ja explizit nicht gesagt, dass man jeden Zehner leichtfertig ausgeben sollte, sondern dass ein wohlbegründeter Zehner für sich nie alleine ein Problem ist. Bei ohnehin vorhandener Überschuldung gilt das selbstverständlich nicht und es liegt mir fremd, jemanden anzugreifen, bei dem das wirklich so dramatisch ist. Im Gegenteil, ich kenne das und ich würde bei Bedarf auch einen oder zwei Zehner weggeben, um das zu unterstreichen (kurze Mail …).

3 Kommentare bis “Verhandlungen mit dem Zukunfts-Ich”

  1. Der Banker sagt:

    Pff. Mein Zukunfts-Ich hat die Taxifahrt von heute morgen längst vergessen. Da hats geregnet und ich hatte keinen Bock zur Arbeit zu laufen trotz Regenjacke und Schirm.
    Manchmal muss man das Geld einfach raushauen und nicht mehr darüber nachdenken.
    Aber ein gewisses Gefühl für die Knete und die Gelassenheit bekommt man wohl erst mit den Jahren. Früher brauchte ich ein Haushaltsbuch.
    Sparen? Ja, damit habe ich damals sofort angefangen. Und nicht gerade am Klopapier. Erst in der letzten Zeit wurde dann ein mittlerer Kleinwagen in meiner großen Klappe verbaut.

    (Ich hoffe, der Fahrer von heut morgen hat die Schicht gut überstanden. Er sei ganz neu, sagte er und sein Navi gehe nicht und auf meine (freundlich interessierte) Frage, ob man heute hierzustadte keine Ortskundeprüfiúng mehr machen müsse, murmelte er nur irgendwas Unverständliches. Vielleicht hat der Inhaber des Taxiunternehmens aber auch alle verfügbaren Schwager und Cousins auf die Straße gebracht, um beim Stadtfest mit all den Touris möglichst viel abzugreifen 😀 Ich wills lieber gar nicht wissen.)

  2. hafensonne sagt:

    Ich finde das Konzept eines Zukunfts-Ichs auch super! Retrospektiv betrachtet habe ich diese Idee bislang sogar gelebt, ohne einen Namen dafür zu haben. Auch heute noch bin ich der Meinung, dass heute kaum lösbare Dinge wie Altersversorgung etc. von Zukunfts-Hafensonne gelöst werden mögen.

  3. Sash sagt:

    @Der Banker:
    Manches will man auch gar nicht wissen …

    @hafensonne:
    Da ist was dran. Aber das Dumme ist, dass es Zukunfts-Ichs auch freisteht, über Vergangenheit-Ichs zu urteilen … 🙁

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