Wie allgemein bekannt ist, ist mit dem Feuerwerk zum Jahreswechsel auch der flächendeckende Mindestlohn in Deutschland eingeführt worden. Es wurde viel darüber gestritten und debattiert – und es wird wohl auch weiter gestritten und debattiert werden. Jetzt aber ist er erst einmal da und ich als persönlich halbwegs betroffener Angestellter kann mich ja erst einmal darüber freuen.
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Noch ist es freilich zu früh für irgendein Fazit oder irgendeinen fundierten Ausblick. Erst die nächsten Monate, wenn nicht Jahre, werden zeigen, ob das grundsätzlich eine gute Idee war. Uns Niedriglohnjobber kann’s aber vorerst einfach mal freuen.
Ich bin von mehreren Fahrgästen in der Silvesterschicht darauf angesprochen worden, überwiegend war der Tenor positiv. Wie das alles im Taxigewerbe laufen wird, ist indes natürlich noch eine mehr als offene Frage. Man hört wie erwartet vielfach von Kündigungen – aber ob das jetzt nur kleine Filterbubble-interne Ausschläge nach oben oder schon der das Gewerbe durchziehender Umbruchsprozess ist, das weiß vermutlich noch niemand. Ebenso ist völlig unklar, wie sich das Ganze auf das Gros der angestellten Fahrer auswirken wird. Denn das ist wieder von Person zu Person und von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Dem Hörensagen nach gibt es nämlich Chefs, die völlig umstrukturieren und ihre Fahrer zu Festlöhnen GPS-gestützt zielgenau durch die Stadt lotsen – während es in anderen Betrieben einfach Mindestumsätze geben soll, die die Fahrer halt in ihren Stunden zu erreichen haben. Ganz davon abgesehen, dass es auch etliche Unternehmen geben wird, die ggf. die Arbeitszeiten „kreativ“ aufschreiben.
Und das ist natürlich das, wovor jetzt alle Angst haben: Die illegalen Tricksereien. Dass da ein gewisses Potenzial da ist, ist schwer zu verleugnen – unser Gewerbe ist ja auch bisher nicht gerade ein Aushängeschild für durchgehend rechtssichere Beschäftigungsmodelle. Es gibt eine ungewisse aber existente Menge an Unternehmen, deren Geschäftsgebahren irgendwo zwischen hellgrau und dunkelschwarz angesiedelt ist. Dass die sich plötzlich fair verhalten, ist natürlich nicht unbedingt zu erwarten. Allerdings – und das sei den Ganzen Untergangsapologeten entgegengehalten – das ist beim Mindestlohn eine ganz andere Ausgangslage als beispielsweise bei der Schwarzarbeit. Die organisierte Schwarzarbeit hat (zumindest kurzfristig betrachtet) zwei Gewinner: Unternehmer und Fahrer. Bei einem Runterrechnen der Umsätze und Verdienste spielen Fahrer natürlich mit, weil sie am Ende mehr netto vom Brutto oder einen netten Nebenverdienst über die Bundesagentur haben. Warum sich Fahrer auf un- oder unterbezahlte Arbeit einlassen sollten, entzieht sich meinem Gespür für Logik ein wenig.
Und das mit der Schwarzarbeit kommt dann mit dem Fiskaltaxameter auf den Tisch … die Umsätze der nächsten Jahre werden auf wundersame Art und Weise steigen, für die Vorhersage braucht’s keine Aushilfsorakel.
Aber wie gesagt: Es wird noch dauern, bis da verbindliche Daten existieren. Noch wird das Gewerbe dominiert von Kollegen, die nicht einmal wissen, wie viel Umsatz sie so pro Stunde machen („Ich schreib mir doch meine Stunden nicht auf …“) und von denen, die nach wie vor erzählen, „dass das bei uns sowieso nicht klappt“.
Am meisten bedauere ich die Kollegen, die vermutlich fliegen werden, einfach weil sie mit weniger Verdienst zufrieden waren. Die Fahrer, die das alles noch eine Spur gemütlicher sehen als ich und (oft in den Randbezirken) einfach ihre paar Touren mitnehmen und mit dem Fuffi pro Tag zufrieden sind. Ob er sie nun 3 oder 8 Stunden Wartezeit kostet – was natürlich für Chefs künftig nicht mehr finanzierbar sein wird.
Und was ändert sich bei mir?
Aller Voraussicht nach nicht viel. Ich nehme zwar an, ich werde ein wenig mehr verdienen – das allerdings nur indirekt durch den Mindestlohn. Meine Bezahlung bleibt die gleiche, ich werde am Umsatz beteiligt und auch die Prozente ändern sich nicht. Die einzige Änderung ist die, dass ich künftig – wenn mein monatlich ermittelter Stundenlohn darunter fallen sollte – wenigstens die gesetzlich vorgeschriebenen 8,50 € bekommen werde. Momentan gehe ich allerdings davon aus, dass das nicht passieren wird, und wenn, dann nur in unbedeutendem Maße. Meine Statistik ist recht umfangreich, deswegen kann ich zwar nachvollziehen, dass ich den Mindestlohn seit November 2012 in 10 Monaten unterschritten habe, allerdings nur dreimal im vergangenen Jahr, und davon nur zweimal deutlich. Und im Vorjahr hatte ich noch wesentlich ineffizienter gearbeitet. Zudem gehe ich davon aus, dass die Umsätze gerade wegen des Mindestlohns deutlich steigen werden. Die größte Gefahr für mich also ist, dass meine Chefs wegen anderer Kollegen pleite gehen. An dem bei mir vielleicht anfallenden Fuffi Mehraufwand für 2015 wird’s vermutlich eher nicht scheitern.
Natürlich gibt es auch hier Unwägbarkeiten: Welche Fahrer werden wann welche neuen Muster fahren? Versuchen zwischenzeitlich mehrere, die Samstag-Nacht-Schicht zu bekommen? Bricht ein Großteil jeden schlecht laufenden Abend ab? Oder versuchen sie stattdessen auf Teufel komm raus, das wieder auszugleichen? Wie viele werden wirklich entlassen, wie viele tricksen wobei? Das weiß niemand und ich hab entsprechend auch keine Ahnung. Die nächsten Monate werden von einem Umwälzungsprozess geprägt sein, der sicher mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlägt. So gesehen wird es eine spannende und leider nicht für alle schöne Zeit.
Ich versuche indes einfach, weiterhin meine Kunden ans Ziel zu bringen und bin ziemlich sicher, dass das am Ende so schon passen wird. Mit etwas Glück ist es einfach etwas weniger ärgerlich, wenn der Tag mal schlecht läuft.
Ich bin auch gespannt. Bitte halte uns auf dem Laufenden.
@Knut:
Werde ich machen. 🙂
Ähm.. was passiert denn, wenn ein Unternehmer einfach weiter macht wie bisher? Ihm also quasi der Mindestlohn egal ist? Ein Unternehmen ist ja lediglich dem Finanzamt gegegüber Rechenschaft schuldig. Und die Anzahl der geleisteten Stunden eines Arbeitnehmers werden da nicht übermittelt, erst recht nicht bei Aushilfsverträgen. Und wenn Arbeitnehmer und Unternehmer das niemandem erzählen, kriegt das auch keiner ‚raus. Außer vielleicht bei einer unangekündigten Buchprüfung seitens der Finanzbehörde..
Und wer ahndet Verstöße? Die Mindestlohnpolizei? Nee, mal im Ernst, wieviele Unternehmen gibt es in Berlin und wie sollen die Behörden da hinterherkommen? Vielleicht fällt das dann auch in den Zuständigkeitsbereich des Zoll, aber wieviele Leute würden die dann einstellen müssen?
Also kommt das Ganze nur zum Tragen, wenn sich zwei Parteien vor Gericht einigen müssen. Wie bei Mindestpausen und Mindestjahresurlaub – wird ja auch nicht überall eingehalten..
PS: Ich bin für den Mindestlohn – nicht, dass ich falsch verstanden werde 🙂
@Andreas G:
Natürlich wird nicht jeder erwischt, der jetzt trickst. Das ist ja klar. Genauso wie niemand ausschließen kann, das wer bei rot über die Ampel geht – eine lückenlose Kontrolle ist da schwer machbar und meines Erachtens nach wie in eigentlich allen Bereichen nicht wünschenswert. Einfach weil dabei sicher mehr Freiheit flöten geht, als am Ende durch Kriminalitätsbekämpfung an Lebensqualität gewonnen wird. Aber wie ich oben schrieb: Welcher Fahrer sollte denn jetzt ein Interesse haben, in einem Betrieb zu arbeiten, der einen illegal niedrigen Lohn zahlt? Das muss ja nicht einmal vor Gericht gehen – es reicht ja, wenn die Fahrer abhauen. Natürlich, einzelne finden sich sicher – siehe die oben angesprochenen „gemütlichen“ Kollegen. Und den paar will ich’s auch nicht verübeln. Interessant ist im Grunde nur, was in größerem Maßstab passiert – und wenn das klappt, dann steigen die Umsätze ohnehin auf Mindestlohnniveau, auch wenn die anderen Unternehmen einfach weitermachen – das ist eine lustige Kehrseite der meist umsatzbasierten Bezahlung. 🙂
Mindestlohnverstöße kann (und sollte) man beim Zoll melden. Egal ob es um das eigene Unternehmen geht (als Fahrer), oder auch um die Konkurrenz (als Unternehmer)
Die Anzeige ist auch anonym möglich.
In Bremen passiert z.zt eine Menge deswegen – der Umstieg von 35% auf 8,5 ist ein großer Umbruch, und die Folgen sind wirklich nicht absehbar. Es brodelt mächtig…
Also wir hier (Süd Deutschland 120 000 Einwohner/72 Unternehmer sehen dem ganze Thema sehr entspannt entgegen. Hab nun schon einige Fahrer und Unternehmer gefragt wie sie das ganze nun umsetzen. Da bekam ich als Antwort Schulterzucken und große Augen als Antwort. So richtig Gedanken scheint sich hier -zumindest der Großteil- noch keiner zu machen. Bis auf ein paar wenige Außnahmen von Unternehmer die ihren Fahrern gekündigt haben sind hier sowohl Fahrer wie Unternehmer tiefenentspannt und wollen an der bisherigen 40%igen Umsatzbeteiligung nichts ändern. Bin sehr gespannt wie sich das dann noch in den kommenden Tagen/Wochen/Monate entwickelt und vor allem in WELCHE Richtung, ….
Als Unternehmer in einem 230.000 EW Dörfchen sehe ich das Ganze erst mal auch entspannt. Mit 2 Fahrzeugen und einem Angestellten (der Arbeitsvertrag wurde angepaßt) werde ich mir das Ganze mal ein halbes Jahr anschauen und wenn es dann nicht paßt, mache ich allein mit einem Auto weiter. Als Unternehmer darf ich nämlich auch 24h am Tag für 2,50€ arbeiten (Extremfall, aber erlaubt 🙂 )
@gilberton:
Richtig!
@Taxiblog Bremen:
Hab auch schon von Kollegen gehört, dass es jetzt von umsatzbasiert zu Stundenlohn wechseln soll. Das wirft natürlich viel mehr Fragen auf.
@Marco:
Da bin ich hier genauso gespannt.
@Taxi 123:
Gut, mit einem Angestellten sind die Gefahren wohl überschaubar. 😉
Moin,
auf der einen Seite ist ja die Einführung des Mindestlohnes eine tolle Sache. Keiner wird mehr ausgebeutet, alles ist fair und wir haben uns alle lieb. Aber wenig durchdacht die ganze Sache. In meinem Fall als Paketdienst haben jetzt die Angestellten meiner Unternehmer die Möglichkeit, falls deren Chef nicht den Mindestlohn zahlt, auch nach Jahren später sich bei mir die fehlende Kohle oder bei meinem Auftraggeber die Kohle einzuklagen ( Keine Verjährung ! ) Ich selber darf keine Einsicht in Lohnunterlagen fordern oder direkt die Angestellten befragen da dies wieder unter die Scheinselbständigkeit fällt.
Wie ist das eigentlich im Taxigewerbe? Gehen wir mal davon aus ein Unternehmer zahlt den Mindestlohn nicht, dann müsste eigentlich der Fahrer sich den fehlenden Lohn bei einem Fahrgast, der ja Auftraggeber der Dienstleistung ist, einklagen können……
Wenn man versucht sich bei der Rentenversicherung eine Auskunft zu holen ( Stand 10/2014) bekommt man die Aussage: Wir beschäftigen uns erst 2017 mit diesem Thema da wir bis dahin noch nach altem Recht prüfen.
Ich bin gespannt auf den Ausgang der ersten Prozesse die ja dann quasi eine Richtung vorgeben.
Gruß Olli
Hi Alex, ich musste ein wenig schmunzeln….. auch deine Firma wird es nicht schaffen den Mindestlohn ohne Stunden künstlich runterzurechnen offiziell zu zahlen. Du müsstest alleine in der Nacht 30 Euro bei allen Kosten reinfahren, wobei ich die Tagfahrer mit einem Umsatz von 10 vielleicht 15Euro die Stunde gar nicht mit einrechne. Die müssen auch noch bezahlt werden. Das ganze wird nicht funktionieren…. wetten? Klar bei 3 Stunden arbeiten und offiziell 5Stunden Pause geht das. Keiner, der das ließt, glaubt denn Scheiß mit dem Mindestlohn im Taxigewerbe. Das ganze Geschachere mit den paar Kröten in diesem Gewerbe wird so weiterlaufen wie bisher.
30Euro die Stunde.
http://m.welt.de/wirtschaft/article134152995/So-drueckt-sich-die-Taxibranche-um-den-Mindestlohn.html
@Uwe:
Sieh an, ein Idiot.
Allen Ausführungen zum Trotz. Der Mindestlohn ist eine Farce. Alle, jedenfalls alle von denen ich weiß, machen weiter wie bisher. Und auch bisher wurden Stunden allenfalls Pi mal Daumen nachgewiesen. Sie machen weiter weil sie nicht anders können, weil sie keine Ideen haben die Mindestlohnanforderungen anders zu erfüllen. Ja, es ist erschreckend und dumm. Aber es ist so.
Und wenn ich mir noch eine Anmerkung erlauben darf: wer nur nachts in den lukrativsten Schichten arbeitet, sollte wirklich kein Problem mit dem Erreichen des erforderlichen Mindestumsatzes haben.
Alle anderen aber.
Zurzeit scheint Flaute zu sein. Lange Taxischlangen überall, jedenfalls tagsüber in Berlin. Durch die langen Standzeiten kann kein Mindestlohn erwirtschaftet werden. Eigentlich müssten die Chefs ihre Angestellten alle zurückpfeifen und 1 Monat Kurzarbeit beim Arbeitsamt beantragen.
Im Februar sieht es dann schon wieder besser aus (Berlinale, Messen, etc)..Bin gespannt wie sich die Mindestlohn-Debatte entwickelt…
Es sollten elektronische Fahrtenschreiber eingeführt werden. Die Daten bzw. Scheiben müssten bei dem zuständigen Finanzämtern mit der Lohnsteuerabrechnung vorgelegt werden.
@urak:
Die ganze Branche muss sich wandeln. Das geht nicht von jetzt auf gleich. Und von allem was ich höre, geht es doch insgesamt zumindest überhaupt mal voran. Dass auf einen Schlag alles super ist, wollte ich auch keinesfalls behaupten. Es ist natürlich auf die Branche gesehen ein längerer Prozess.
@metro:
Ja, der typische Januar halt. So gesehen hat es unsere Branche wirklich doppelt mies erwischt.
@SteffKo:
So mehr oder weniger wird’s doch mit den Fiskaltaxametern in spätestens zwei Jahren rauslaufen. Gleichzeitig wäre zweifelsohne besser gewesen, aber irgendwie passiert in dieser Branche nie das, was man will …
In den Kommentaren zeigt sich ja das Bild. Ansatz mehr Lohn ist gut aber die Umsetzung wirft dann aufgrund der Brüokratie doch Fragezeichen mit Punkten auf, die nicht bedacht worden sind.