Die Höflichen

Zwischen all den schrägen Figuren und den durch die Berliner Schnauze so „authentischen“ Einheimischen vergisst man sie als Kundschaft fast: die ganz leisen und höflichen Gesellen. Und zu dieser Sorte gehörte der junge Mann ganz offensichtlich, der mich am Ostbahnhof an der dritten Rücke ansprach. Ob ich ihn zur Singerstraße bringen könnte, fragte er in gebrochenem Deutsch, ebenso wie viel es kosten würde. Ich fragte zurück, wohin in der Singerstraße genau – und als er, offensichtlich vorbereitet, sagte, dass es in der Nähe der Lichtenberger Straße sei, konnte ich schon einmal ziemlich gut eingrenzen, um was für eine Fahrt es gehen würde:

„Das sind zwischen 5 und 6 €.“

„OK, vielen Dank. Und wäre das in Ordnung, wenn ich … würden Sie mich fahren?“

Sicher nicht die lukrativste Tour des Abends, aber natürlich hab ich angenommen. Der Kerl war noch keine 20 Jahre alt und trotz der ziemlich guten Sprache vermutlich das erste Mal in Deutschland. Gut vorbereitet, dem Internet sei Dank – aber eben nur so weit, wie Google Maps einen bringt. Im Reallife sah das für ihn offensichtlich alles nochmal schwieriger aus. Er nutzte die zwei Minuten, mich alles über den Taxitarif in Berlin zu fragen und als wir nahe des Ziels waren, sah er sich angestrengt um.

„Ist da etwa was, was ich kennen könnte? Ein Hostel oder so …“,

fragte ich nicht ohne Hintergedanken.

„Oh ja, eine Hostel, der, die Nummer 109.“

„Ich weiß, wo das ist. Hir im Hinterhof. Nochmal rechts, dann links …“

Und da standen wir dann, er mit dem Rucksack in der Hand und sichtbar stolz, dass sein Deutsch für eine gute Taxifahrt gereicht hatte. Die Uhr habe ich bei 5,60 € auf dem Display gestoppt, da stellte er dann die Frage, die sich viele nicht zu stellen trauen: ob man denn im Taxi Trinkgeld geben würde. Ich hab’s bei der Wahrheit belassen: dass es üblich ist und man sich gerne an 10% orientieren kann, es aber freiwillig ist. Natürlich hätte ich auch 20% nennen können, oder darauf hinweisen, dass viele bei so kurzen Strecken deutlich mehr geben etc. pp. Selbst Taxifahren ist ja nicht nur der Kampf um die letzten paar Cent, die man aus einem anständigen Neukunden noch rausholen kann.

Er hat dann halbwegs eloquent auf 6 € aufgerundet und sich weiterhin höflich verabschiedet und sich für die Fahrt bedankt. Ein zufriedener Kunde, ein guter erster Eindruck, ich hoffe, dass sich sowas auszahlt. Mehr Geld hab ich zweifelsohne mit den besoffenen Engländern 4 Stunden später gemacht, die mir nach 120 ins Ohr gelallten Fucks ihre 11,20 € auf 15,00 € aufgerundet haben – aber man kann sich insgeheim ja auch mal über die anderen Fahrten freuen, auch wenn man noch so hart im Nehmen ist.

5 Kommentare bis “Die Höflichen”

  1. Ja, höfliche Menschen sind ein Genuss und heben sich immer wohlwollend aus der Masse ab.

  2. hrururur sagt:

    Moah, ich will im Ausland auch mal so einen Taxifahrer haben, wenn ich mir unsicher bin. Hier in D hab ich da bisher meistens Glück gehabt, trotz seltener Fahrten. Aber gerade Sydney letzten Winter war echt Hardcore. Und das wurde auch nicht besser, als ich erfahren durfte, dass es unüblich ist mit den Kunden sich zu unterhalten. Beim ersten dachte ich noch, der wäre halt schweigsam.

  3. Bernd sagt:

    Bei mir ersetzt der bestärkte Glaube an die Menschheit/Menschlichkeit etwa 30 bis 40% des Fahrpreises.

  4. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Stimmt. 🙂

    @hrhrurur:
    Und genau das habe ich vor Augen, wenn ich solche Menschen treffe.

    @Bernd:
    So kann man es auch sagen. 🙂

  5. noname sagt:

    Ich hab in NY auch nachgefragt (aber nicht im Taxi, sondern im Hotel wegen fehlender Handtücher, die mir einer gebracht hat) und der meinte auch ganz ehrlich: you can if you want to.

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