Gestern ist mir im Laufe der Debatte über Uber ein Kommentar von katapult aufgefallen. Ohne jetzt die ganze UberPop-Debatte nochmal zu wiederholen (Torsten kam mir zuvor. 😉 ) hat mich die Vorstellung davon, dass Uber sicher weniger Leerkilometer hätte als MsTaxi zuvor von ihrer letzten Nachtschicht berichtet hatte, fasziniert. Bei ihr waren das 49 Besetztkilometer von 121 insgesamt. War keine tolle Schicht, hat sie selbst auch geschrieben.
katapult setzte dann für Uber – sicher etwas vorschnell – 90% Besetztkilometer an, weil die ja effektiv ans nächste Auto vermitteln würden.
Nun ist das für Leute mit Ahnung vom Gewerbe natürlich als utopisch zu erkennen. Aber das ist ja genau so ein typischer Fall, wo sich andere Menschen – also auch Kunden – regelmäßig vertun: Sie haben eine unklare Datenlage, z.B. ihre letzte Fahrt oder auch mehrere; und rechnen das dann hoch. So landen manche auch bei der Einschätzung, wir verdienen 50 € in der Stunde: weil sie ja eben gerade in 20 Minuten für 20 € gefahren sind und der Sprit bei den paar Kilometern ja höchstens einen Zehner kostet … sehr grob vereinfacht. Aber manche rechnen wirklich so.
90% Besetztkilometer sind weder für Taxen, noch für Limousinen oder dergleichen auch nur annähernd erreichbar. Selbst wenn Uber statt einem illegalen MyTaxi-Klon etwas wirklich innovatives programmiert hätte, wäre an sowas im Traum nicht zu denken. Und die Begründung ist so simpel im großen Ganzen, wie sie im Detail kompliziert sein kann. Im großen Ganzen:
Wir sind Individualverkehr und die Kunden leben alle anders und nur bedingt berechenbar.
Ein klassisches, sehr modellhaftes Bild: Wenn ich Leute zu einem beginnenden Konzert fahre, werde ich dort vermutlich erst nach dessen Ende anderthalb bis vier Stunden später wieder Kundschaft haben, die heim will.
Ebenso ist z.B. zu meiner Arbeitszeit, am Wochenende nachts, in der Stadt viel Kundschaft unterwegs, aber ein nicht geringer Teil davon will in irgendwelche Außenbezirke nach Hause. Dann stehe ich da draußen in einem Wohngebiet, in dem ein Fenster erleuchtet ist: das meines Kunden eben, der bestimmt in den nächsten 48 Stunden kein Taxi mehr braucht. Natürlich gibt es dort immer wieder einzelne Fahrten – aber in der großen Masse müssen Taxen wieder in die City zurückfahren, um dort für die Kundschaft dazusein.
(Kleiner Tipp am Rande: wenn ihr nachts etwas weiter draußen ein Taxi nach noch weiter draußen braucht und schon mal loslauft – achtet auf den Gegenverkehr! Dort werden mit größerer Wahrscheinlichkeit freie Taxen fahren.)
Und derartiges gibt es am laufenden Band. Taxen müssen z.B. gelegentlich Tanken oder repariert werden. Alles Fahrten, die man ohne Kundschaft machen muss. Meist wohnen Taxifahrer auch nicht über einer Kneipe, sondern müssen erst einmal irgendwohin fahren. Überhaupt: selbst wenn es zahllose Taxen gibt: bei 90% Auslastung bedeutet das bei einer normalen Tour um die 5 km, dass man sowohl für die Anfahrt als auch die Abfahrt allerhöchstens 500 Meter fahren „dürfte“. Es gibt Gegenden, da findet man in dem Umkreis nicht einmal ein eingeschränktes Halteverbot. Geschweige denn einen Taxistand oder einen anderen Ort, wo man mit Kundschaft rechnen kann.
Ich hatte heute nacht zum Ende hin einen prima Lauf. Der Ostbahnhof war mir zu unsicher, die Schlange war mir zu lang, also bin ich mal losgefahren. 2 Kilometer leer. Dann Winker. 2 Kilometer etwa. Direkt am Ziel stiegen gleich wieder welche ein. Für nochmal 2 Kilometer. Dort das selbe: sofort eingestiegene Kundschaft. Mit einem Ziel in 5 Kilometern Entfernung. Perfekt! Aber das sind unter 90% Auslastung – noch gar nicht eingerechnet, dass ich zuvor bei der Tanke war und nach der letzten Tour 6 Kilometer bis zum Abstellplatz des Autos fahren musste.
Das mit eingerechnet war ich wieder bei unter 50% Auslastung. Und das ohne einen Umweg gefahren zu sein, der mich vielleicht näher an andere Kundschaft gebracht hätte.
Die Besetztkilometer notiere ich mir nicht gesondert. Auf den Abschreibern schon, aber für meine Statistik sind sie irrelevant. Am Ende kommt es darauf an, wie viel ich pro Kilometer verdient hab – und die Zahl hat nur indirekt damit zu tun. (kurze Fahrten sind z.B. pro km teurer)
Wenn ich schätzen müsste, liege ich auch bei 40 bis 50% mit Kundschaft an Bord. Das ist natürlich nur ein beispielhafter Wert. Schließlich arbeiten die Kollegen alle unterschiedlich. Da ich den Funk aushab, bekomme ich unterwegs sicher weniger Fahrten – andererseits fallen dafür Anfahrtswege und Fehlfahrten weg. Ich fahre gerne zu meinen Lieblingshalten in der Innenstadt zurück und dabei gerne Umwege, die erfahrungsgemäß bezüglich Winkern vielversprechend sind, andere Kollegen haben viel mehr und besser verteilte Halten oder Sektoren. Ich kann keine fürs Gewerbe gültige Durchschnittszahl nennen, aber ich bin mir 100%ig sicher, dass sie näher an 40% als an 90% liegt.
Um das zu erreichen, müssten die Kunden zu uns kommen und nicht umgekehrt. Und da sind wir dann bei dem, was man gemeinhin Linienverkehr nennt und mit Individualverkehr nicht viel gemein hat.
Und um nochmal auf Uber zurückzukommen: genau das Glück, das ich heute Nacht hatte, kann ein Uber-Fahrer nicht haben. Er mag unterwegs einen neuen Auftrag bekommen – aber dass Aus- und Einstiegsort derselbe sind, klappt vor allem, weil wir als Taxen erkennbar sind.
Außerdem: auch wenn Uber mit vermeintlicher Innovation rumprahlt: was die Fahrtvermittlung angeht, sind Taxen seit jeher sehr effizient gewesen. Wenn ich mich richtig erinnere, liegt die durchschnittliche Wartezeit in Berlin immer noch bei rund 4 Minuten oder so. Natürlich kann deswegen ein Großraumtaxi mit Kindersitz nach Marzahn-Nord trotzdem mal eine halbe Stunde brauchen oder sogar nicht verfügbar sein. Aber die vielen Leute, deren Taxi nach 2 Minuten da ist, gleichen das statistisch wieder aus. Und das ist eine logische Konsequenz aus der schieren Masse an Taxen, die rumfährt. Die – das sei hier ganz explizit erwähnt – einer der Gründe ist, weswegen es für den einzelnen Fahrer verhältnismäßig wenig zu holen gibt, bzw. die Taxipreise so hoch sind. Auch Effizienz hat zwei Seiten.
Uber versucht also nicht weniger als genügend Fahrer auf die Straße zu kriegen, um mit unseren Anfahrten gleichzuziehen. Dabei versprechen sie den Fahrern mehr Geld als ein Taxifahrer verdient, den Kunden mehr Qualität und niedrigere Preise – und sie selbst versuchen mehr Gewinn aus der Sache zu ziehen als z.B. meine Chefs, die das Gewerbe vor Ort seit 30 Jahren kennen. Man muss nicht mal an 90% Besetztkilometer glauben, um das für ein völlig bescheuertes Unterfangen zu halten. Was gibt’s nächste Woche? Wolpertinger-Steak mit Einhornsauce? Die eierlegende Wollmilchsau ist ja anscheinend schon überholt worden …
Hey, ich bin berühmt 😀
Im Ernst, interessanter Artikel. 90% war wohl zu hoch gegriffen, aber ich denke schon, dass Uber mehr Auslastung schafft als ein Taxifahrer.
@katapult:
🙂
Trotzdem: wieso sollten Uber-Fahrer mehr Auslastung haben?
Welches Problem genau lösen sie denn besser, das diese Annahme rechtfertigt?
Weil alle Fahrer von Uber über die selbe Zentrale vermittelt werden und nur Bestellungen annehmen. Taxifahrer fahren auch mal rum, um Winker aufzusammeln und gehören abhängig von der Stadt zu keiner oder zu einer von mehreren Zentralen.
Und was ist mit den Wegen zu den einzelnen Aufsammelstellen? Oder mit den Wartezeiten zwischen den Aufträgen?
Zählst du die nicht mit?
Wenn due Uberfahrer irgendwo blöd rumstehen und auf nen Auftrag in der Nähe warten und nach der Tour gleich wieder stehenbleiben, kommt das vielleicht hin. Aber realistisch erscheint mir das nicht.
@ Sash:
Konzert von vier Stunden? Fährst du neuerdings in Bayreuth?
nur mal so als Tip. Es gibt Dienstwagen die man eben auch privat nutzen kann, damit tendieren die Kosten gegen 0 und wer eben Lust hat abends mal 3 Touren á 20€ zu fahren… macht das mal schnell 300€ – 400€ in der Woche nebenbei…
oder zu Zeiten von Großveranstaltungen oder Silvester…
nur so als Hinweis an alle die meinen man muss das Fahrzeug selber im Eigentum haben, dem ist nicht so…
das das alles trotzdem Grauzone ist, ohne Frage, aber der von mir genannte Aspekt kam hier noch nie auf…
@katapult:
Da ist in Teilen schon was dran. Auf der anderen Seite ist es z.B. so, dass ich einen guten Kilometerschnitt fast genau nur dann habe, wenn ich unerwartet Winker habe. Und der Uber-Fahrer nachts im Wohngebiet wird auch in die Stadt zurück müssen, um einen nächsten Auftrag zu kriegen. Und das im Gegensatz zum Taxi wesentlich wahrscheinlicher unbesetzt.
Und auch wenn wir nicht alle einer Zentrale angehören: es gibt einige Autos mit Doppelfunk. Noch häufiger gibt es Funk mit MyTaxi gepaart. Plus Winker.
Selbst Aros Idee, dass die Fahrer „irgendwo“ stehen bleiben (also am besten unweit des letzten Kunden) halte ich zum einen für schwierig (Park- oder sonstige Plätze finden), zum anderen bedeutet auch das, dass ggf. die nächste Anfahrt länger wird.
In einer ausgeglichenen Welt, in der überall ein Uber bestellt wird, wo ein Taxi bestellt wird – an Ort B, während wir uns an Ort A befinden – werden beide mehr oder weniger in Richtung B fahren – nur hab ich noch die Option auf Winker.
Ich sage nicht, dass ein Uber-Fahrer dabei garantiert schlechter abschneidet. Aber es gibt keinen Anhaltspunkt, warum sie besser abschneiden sollten.
@Aro:
Lustigerweise hatte ich mir genau die Zahl gut überlegt: Wartezeit, meist mindestens eine Vorgruppe … und zack! 🙂
Warst Du noch nie um 20 Uhr an einer Halle und bist erst um 0 Uhr wieder rausgekommen?
@isch:
Ja, gut. Ist natürlich richtig. Aber ich vermute, es gibt kaum Dienstwagen, deren gewerbliche Nutzung freigestellt ist. Wie grau das ist, hängt natürlich vom Unternehmen ab – aber es wird kein nennenswerter Prozentsatz sein, bei denen das im Sinne der Fahrzeugeigentümer ist. Ist im Zweifelsfall ein rechtliches Problem mehr …
@isch
Sash hat es schon angedeutet, wenn Du Deinen Dienstwagen, den Du auch PRIVAT nutzen darfst, gewerblich nutzt, dann gehst Du im günstigsten Fall bald zu Fuß, im schlechtesten (wahrscheinlichsten) Fall hast Du viel mehr Zeit für die Personenbeförderung (allerdings kein Auto mehr).
@ Sash
Stimmt, ich bin von der Netto-Konzertzeit ausgegangen.