Kürzeste Schicht der Welt

Um mich von der Arbeit abzubringen, braucht es zwar nicht viel, aber eigentlich bin ich inzwischen gut genug, es am Ende doch hinzukriegen. Am Freitag hat das mit diesem „eigentlich“ irgendwie nicht funktioniert.

Gut, die Ausgangsbedingungen waren schlecht. Zum einen hatte ich das Auto vor der Haustüre stehen. An und für sich ist das klasse, denn es erspart mir meinen Arbeitsweg und wenn zwischenzeitlich kein anderer gefahren ist, ist an der Kiste bereits alles so eingestellt, wie ich es zur Arbeit brauche. Das ist wirklich hilfreich. Aber es muss irgendeinen unbekannten Prozess, höchstwahrscheinlich psychischer Natur, geben, der mich dann meistens das Arbeiten vertrödeln lässt.
Abgesehen vom Auto hatte ich aber auch einfach keine große Lust. Das wollte ich nicht als Ausrede nehmen und trotzdem arbeiten, bald, gleich, hey, ich hab immerhin schon eine Hose an!

Und dann ist dieses interessante Gespräch immer länger und länger geworden. Es wurde 20 Uhr, 21 Uhr, 23 Uhr, 2 Uhr …

Irgendwann fiel Ozie todmüde ins Bett, ich hätte es ihr eigentlich gleichtun wollen, aber es war 3:30 Uhr und ich wollte eigentlich noch arbeiten. WTF? Es ist nicht so, dass ich das geplant gehabt hätte. Ich hab immer mal wieder zur Uhr geschielt oder großspurig verkündet, dass ich nach dieser Zigarette jetzt aber auf jeden Fall und außerdem und überhaupt und sowieso!

Nun stand ich da. Alleine, müde, unlustig. Eigentlich war mir danach, das Auto einfach nur umzuparken. Auf der anderen Seite müsste ich wohl tanken und natürlich mache ich zur besten Zeit des Tages die Fackel nicht aus, wenn ich eh rumfahre. Sobald Kundschaft kommt, ist ja immer alles super.

Ich war noch keine 400 Meter weit gefahren, stand am S-Bahnhof Marzahn an der Ampel, da stieg mir ein Fußgänger einfach ein. Das Auto war noch kalt, aber er sagte mir, dass seine Bahn nicht kommen würde. Ich sah sie bereits im Rückspiegel …
Aber er wollte mitfahren, es ging nur ein paar Kilometer die Landsberger runter. Mit ein bisschen Smalltalk hatte ich 7 Minuten nach Schichtbeginn 10,40 € auf der Uhr und 1,60 € Trinkgeld. Und einen bombigen Kilometerschnitt.
Nun war das zweifelsohne ein guter Auftakt, aber meine Koffeintablette wirkte noch nicht, das Auto war immer noch etwas kühl, der Abstellplatz lag nur noch einen Kilometer entfernt und die Tanknadel verharrte bei eigentlich erträglichen 3/4. Tatsächlich ist dann zwar mehr als ein Viertel der Füllung weg, aber mit dem Rest kann man bequem eine Schicht fahren und muss zumindest nicht zwei mal tanken. Ich würde meinem Tagfahrer also keinen Stress machen, wenn ich jetzt nicht noch eine Runde bis nach Mitte oder Rummelsburg bis zur nächsten geöffneten Erdgastankstelle gefahren wäre. Es war so verlockend und einfach. Außerdem kam meine Bahn in nur 10 Minuten, was eine optimale Zeit fürs Abstellen des Autos plus eine Zigarette an der Haltestelle war.

Am Ende war die „Schicht“ etwa 12 Minuten lang. Vom Umsatz her war ich für die Zeit sehr zufrieden und mein Schnitt lag bei 1,73 € pro Kilometer.

Aber natürlich werde ich das bereuen, wenn ich das fehlende Geld diese Woche zusätzlich einfahren muss. 🙁

„Hmpf, naja.“

Das hat er so gesagt:

„Hmpf, naja.“

Also in etwa. So ganz genau lässt sich das schwer sagen, das p war sicher eher stumm … ach, was erzähle ich das?

Die Tour war bis dahin eigentlich formidabel. Ich hatte keine Zeit, Leerkilometer anzusammeln, bevor er winkte, es war eine weite Strecke bis nach Steglitz und die Unterhaltung lief auch ganz ordentlich. Und nun das „Hmpf, naja.“. Ich war insbesondere irritiert, weil er so nicht etwa über mein Auto, mich, die Berliner Stadtplanung oder die Politik der Bundeskanzlerin redete. Nein, er sagte das, als wir übers Taxifahren redeten und ich sagte, dass die Tarife eigentlich hoch genug wären, um Geld mit dem Job zu verdienen, wenn nur die Auslastung stimmen würde. Aber gut, seine Meinung dazu war „Hmpf, naja.“.

Kann man wohl nix machen. Außer ein bisschen mehr als „Hmpf, naja.“ zu sagen, wenn er im Anschluss satte 4,60 € Trinkgeld gibt. 😉

Wegrennen …

Das hatte ich lange nicht mehr. Hinter mir nuschelte einer der kreuzbraven Jungs verschwörerisch:

„Sag mal, weiß der Taxifahrer, dass wir dann wegrennen?“

Ich hab mit skeptischem Blick in den Rückspiegel geschaut und gesagt:

„Weißte, der Witz ist inzwischen einfach ein bisschen zu alt um lustig zu sein. Außerdem sitzt ausgerechnet Du an der Tür mit der Kindersicherung, dein Wegrennen würde ich in der Tat gerne sehen …“

Erfolg ist immer relativ. Aber ich fand’s ok, dass mein Beifahrer mir für die schlagfertige Antwort ein High-Five angeboten hat. 😉

Fristen

Dieses Jahr werde ich dann das … lasst mich lügen … wohl erste Mal in meinem Leben einen wirklich verbindlichen Abgabetermin für eine größere Arbeit (Das Taxibuch) haben. Das würde ich zumindest mal so sehen, denn während der Schule hatte ich nichts vergleichbares, außer vielleicht mal ein kleines Referat.

Insofern war meine letzte Tour heute vielleicht so etwas wie ein Blick in die eigene Zukunft. Im vorliegenden Fall war es eine Abschlussarbeit fürs Studium, die eine junge Frau unbedingt noch rechtzeitig einreichen musste. Ursprünglich vermutete ich, eine Kurzstrecke würde sie zumindest ausreichend in die Nähe des automatischen Postschalters in der Marienburger Straße bringen, als ich dann die knappe Zeitvorgabe hörte, wurde der Plan geändert.

„Das schaffen wir sowieso nicht, dass ich da bis 0.00 Uhr bin mit der Arbeit.“

„Sagen wir es so: Wenn sie auf die Kurzstrecke verzichten und mich bis dorthin fahren lassen, dann schaffen wir es.“

„OK. Ich fahr‘ so selten Taxi, da ist das auch mal drin.“

Wir haben für die nicht ganz drei Kilometer messende Strecke 5 Minuten gebraucht, um 23.57 Uhr stand sie am Schalter. Was heißt, dass sie ganze 8 Minuten vor Ablauf des Termins ein Taxi spontan an der Straße rangewunken hat.

Ja, doch, das hätte vermutlich wirklich auch ich sein können. 😀

*meinem zukünftigen Verlag nervös zulächel*

Dieses „Unverhofft“

Als ich die Warschauer Straße so runtergegurkt bin, habe ich es bereut, nicht auf dem kürzesten Weg zum Ostbahnhof gefahren zu sein. Kaum dass ich die Straße im Überblick hatte, zählte ich vor mir fünf leuchtende Fackeln. Es gibt so Tage, da schafft man es einfach nicht, mal eine Straße langzufahren und auf Winker zu hoffen, weil reihenweise Kollegen vor einem herfahren, die ebenfalls wie die Geier am Kreisen sind. Und das ist enorm demotivierend.

Schlecht laufen kann es auch an anderen Tagen, weil man nur kurze Fahrten kriegt oder an irgendeiner Halte verschimmelt – aber dieses Gefühl, dass einem nicht mal mehr Glück helfen könnte, kann einen runterziehen, wenn man unbedingt noch ein paar Euro einfahren will.

Und jetzt?

Der Kollege vor mir hatte ihn gerade passiert, da riss der Typ am Straßenrand seinen Arm hoch. Vor mir, Fahrer Nummer 6 in der umherfahrenden Taxischlange. Das war mehr als nur unerhofft, das war nahe an der Unmöglichkeit. Nachdem wir das Gepäck verstaut hatten, hab ich das dem bärtigen Kerl auch gesagt und der nickte nur zum Kofferraum und meinte:

„Ey, wenn ihr hier so zahlreich rumfahrt, dann nehm‘ ich mir eben die Zeit, meine Gitarre ganz liebevoll abzusetzen, bevor ich mir ein Taxi ranwinke …“

War nur eine Kurzstrecke, den Tag gerettet hat die Tour also sicher nicht. Die Laune aber durchaus, schon alleine, weil der Typ zusätzlich zum dringend nötigen Funken Hoffnung auch die dazugehörige Portion Lässigkeit zurück in die Schicht gebracht hat. 🙂

Hinter den Kulissen

Taxigeschichten sind gerade sonderbar rar. Ich hab den letzten Monat eigentlich für meine Verhältnisse fleißig gearbeitet, aber die Kundschaft war oft schweigsam, einsilbig oder wollte einfach nur auf dem schnellsten Weg heim.

Vielleicht sollte ich mal wieder duschen.

OK, Scherz beiseite. Im Gegensatz zum Rasieren – und selbst da lebe ich den Traum und mache das allerhöchstens zweimal die Woche – dusche ich durchaus, wenn ich sollte. Laut einigen Lesern falle ich damit schon mal positiv auf. Nun ja.

Wie gesagt: Geschichten von der Kundschaft sind rar, da muss eben mal wieder die andere Seite ranhalten: die Chefs.

Einige im Gewerbe schaffen es ja recht gut, die Fahrer zu vertreiben, ich bin trotz hundertfacher Konkurrenz ja immer noch da, wo ich angefangen habe. Dass ich mit den Leuten in der Firma gut klarkomme, wissen ja alle. Will ich auch gar nicht so drauf rumreiten, weil es immer ein bisschen wie Werbung klingt. Tatsächlich muss ich aber auch eines sagen: ich gehöre wahrscheinlich inzwischen zu der Minderheit an Taxifahrern, die es gar nicht so leicht bei der Jobsuche hätten. Bei mir ist zwar nix mit dem Führerschein, dem P-Schein, dem Punktekonto oder dem Vorstrafenregister im Unreinen, ja selbst mein Stundenumsatz ist verhältnismäßig gut. Ich stelle auch keine hohen Ansprüche ans Auto, bräuchte nicht einmal einen Funk und gucke sogar relativ knuffig, wenn ich im Büro aufschlage.

Aber eines mache ich nicht: viel arbeiten. Und das gilt irgendwie immer noch als Schlüsselqualifikation im Gewerbe. Da der Mindestlohn noch fern ist, ist das in aller Regel die erste und oft einzige Zahl, auf die die Unternehmen schauen: Wie viel fährt man monatlich ein? Und da schwirren Zahlen rum, die mir Bauchschmerzen verursachen. Ein Kollege hat sich bei einer anderen Firma verpflichtet, 4.500 € einzufahren. Verpflichtet! 150 € täglich bei einem 30-Arbeitstage-Monat oder wie?
Klar, der macht das, weil er dann ein Auto für sich alleine hat. Und ich weiß, dass er die Kohle ohnehin braucht. Aber wenn da mal jemand die Arbeitszeiten anschauen würde …

Bei mir frisst die Schreiberei Zeit. Eine Menge – und das meist auch noch unproduktiv passiv. Etwas, das meinen Chefs getrost am Arsch vorbei gehen könnte. In meinem Arbeitsvertrag stehen 40 Wochenstunden, so isses halt. Ich müsste das Schreiben hinschmeißen oder mir mühsam andere Chefs suchen, wenn meine die Zeilen auf dem Papier auch nur ansatzweise durchsetzen wollten, da sitze ich am kürzeren Hebel.

Stattdessen bin ich bei der letzten Abrechnung reingekommen und einer der beiden hat mich zum letzten Interview beglückwünscht und alles dazu wissen wollen. Ich war es dann, der eingeworfen hat, dass ich die Zeit beim Fotografen als Taxitour abgerechnet habe – anstatt dass ich gefragt wurde, wieso ich während meiner ohnehin spärlichen Arbeitszeit mit dem Firmenwagen für den Stern posiere. Obwohl es sie Monat um Monat Geld kostet, steht außerhalb der Familie kaum jemand so hinter meinen literarischen Ambitionen wie meine Firma. Das ist nicht mehr einfach nur nett, sondern regelrecht beeindruckend, wenn man davon ausgeht, dass das in erster Linie eine Geschäftsbeziehung ist oder sein „müsste“.

Ich will das auch nicht schönreden. Ja, ich hatte letztes Jahr Gespräche über meinen sinkenden Umsatz. Und ja, wir haben uns auf einen Mindestumsatz geeinigt (was meines Wissens nach kein Kollege je gemacht hat). Aber genau: wir haben uns geeinigt. Und ich hab besagten Umsatz auch schon untererfüllt und dennoch keine Er- oder gar Abmahnung bekommen.

Obwohl mich das frühe Aufstehen und die einstündige Fahrt zum Büro nerven: Jedes Mal (!) wenn ich Abrechnung mache – also meinen Chefs die Hälfte von meinem eingefahrenen Geld abgebe – laufe ich zufriedener wieder raus als ich reingelaufen bin.

Das klingt jetzt auch schon wieder schwülstig, als hätte ich vor, das Ganze mit Herzchen anstelle von i-Punkten und dazu parfümiert in einen Umschlag zu stecken und als Liebesbrief abzuschicken. Und das kommt mir komischer vor als euch. Aber wenn ich meine Chefs hier oder auch wann anders mal lobend erwähne, dann liegt das – ironischer Zirkelschluss der Geschichte – genau daran, dass ich die Möglichkeit habe, Texte wie diesen (und die anderen, interessanteren, natürlich!) zu schreiben. Mit anderen Worten: Ihr müsstet meine Chefs eigentlich genauso mögen wie ich.


PS: Morgen arbeite ich wieder. Dann passiert hoffentlich mal wieder was interessantes. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Plätze …

Zum Mariannenplatz wollte der Kerl. Ein schon etwas älterer Mann, ein bisschen alternativ angehaucht, ein Künstler vielleicht. Die Route vom Ostbahnhof aus stellte mich vor keine sonderlich große Herausforderung. Sie ist scheiße, weil sie gut dreimal so lang ist wie die Luftlinie, aber man muss eben sowohl die Spree als auch den dem ehemaligen Grenzverlauf folgenden „Mittelstreifen“ (eher ein kleiner Park) zwischen Engel- und Bethaniendamm umfahren. Wie man das macht, ist im Wesentlichen egal, ich bevorzuge die Manteuffelstraße anstelle der Adalbert.

Dort angekommen war er – obwohl zeitweilig in Berlin lebend – etwas irritiert. Diesen Platz meinte er nicht. Er wolle dahin, wo es etwas zu essen gibt, das wäre doch noch ein paar Meter weiter.

Nicht nur, dass dann der andere Weg (geringfügig, sehr geringfügig!) kürzer gewesen wäre: Nein, besagter Platz heißt auch nicht Mariannen-, sondern Heinrichplatz. Obwohl er an der Mariannenstraße liegt. Allerdings ist es auch nicht der Oranienplatz, obwohl er ebenso an der Oranienstraße liegt.

Ein gutes und dennoch triviales Beispiel dafür, wie kniffelig diese ominöse „Ortskunde“ im Detail sein kann und weswegen man sowas tatsächlich monatelang lernen muss, wenn man Taxifahrer werden will …

Hier eine Karte. (Ostbhf. oben, leicht rechts der Mitte / Mariannenplatz zentral (grün) / Heinrichplatz als kleines Straßenquadrat südlich davon)