„Verpiss Dich!“
habe ich es noch durch den kleinen Spalt der Scheibe reinschwappen hören. Und das trotz Musik. Einen Moment später schnellte ein Arm hoch, ein junger Mann, ein bisschen Hipster-Style – ohne jedoch völlig abgespaced zu wirken. Weiter in Fahrtrichtung, immer weiter von uns weg, stapft sichtbar wütend eine Frau, außer dass sie recht groß und blond ist, kann ich nichts erkennen. Der Rückschluss, dass der traurig durch seine Hornbrille guckende Typ an meiner Tür der Adressat des unschönen Spruches war, schien irgendwie naheliegend.
Der Schnee knirschte ein-, zweimal bevor sich das Häufchen Elend auf die Rückbank schwang. Arg viel war nicht mehr los am Boxhagener Platz um halb vier.
„Wo darf’s hingehen?“
„Ach, is im Grunde egal …“
Ich wollte schon einen Einwand bringen, da fügte er schnell an:
„Sorry! Du musst natürlich wissen, wo wir hinfahren! Tut mir leid, ich wollte jetzt auch nicht meine schlechte Laune hier …, fahren wir doch einfach mal nach Mitte. Ich überleg noch, ob ich heimfahre, oder noch was trinken gehe.“
„Alles klar. Stress gehabt?“
„Und wie …“
Während er erzählt, wird er merklich kleiner, sein Allerweltsdrama nimmt ihn schwer mit. Wenn man ihm Glauben schenken darf, dann war er mehr oder weniger gegen den Willen seiner Freundin mit ein paar Kumpels was trinken. Nichts wildes, ein paar Stunden gepflegter Spaß in einer kleinen Bar hier ums Eck. Ein paar Cocktails, ein paar Bier und dazu etwas altmodisch Kartenspiele. Später seien sie zum Billard gewechselt, lässt er mich wissen, die Laune gut, der beste Abend seit langem. Er käme mit seiner Freundin nicht oft dazu, auszugehen. Selbige, offenbar leicht reizbar und eifersüchtig bis zur Grenze der Paranoia, hatte da offenbar schon lange beschlossen, mal nachzusehen, ob er nichts unredliches treiben würde. Er hatte brav via Foursquare bei der Bar eingecheckt, ihn zu finden, war so schwer also nicht. Ganz dem schlechten Drehbuch des Lebens folgend, hat sie die Bar wohl betreten, als er gerade im alkohollastigen freundschaftlichen Überschwang seine Mitspielerin beim Billard umarmte, da sie die letzte Kugel stilvoll ins passende Loch versenkt hatte. Was seine Freundin darin gesehen hätte, könne ich mir ja vorstellen …
Sie hätten noch eine Weile miteinander geredet, eigentlich auf Versöhnung aus. An irgendeiner ungünstigen Stelle will er dann – „mehr oder weniger, so genau weiß ich das nicht mehr“ – angemerkt haben, dass sie nunmal einzusehen habe, dass er auch mal eine gute Freundin in den Arm nimmt, die er – „nur mal nebenbei, Schatz!“ – auch schon viel länger kennen würde.
Autsch.
Das Ergebnis verteilte sich nun auf mein Taxi und die nächtliche Ruhe Friedrichhains.
Wir waren inzwischen in Mitte, da bat er mich um einen Richtungswechsel nach Norden.
„Is‘ noch Prenzl’berg, sieht aber schon aus wie Pankow!“
sagte er über seine kleine Nebenstraße. Nach Hause also.
„Mal im Ernst, warum ist das immer so schwierig?“
„Kann ich nicht sagen, sorry. Ich kenne weder deine Freundin, noch die Problematik an sich …“
„Haha, schon klar: glücklicher Single! Ich ab heute auch wieder, mein Freund! Ich auch wieder!“
Ich hab überlegt, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte: dass ich verheiratet bin und deswegen trotzdem nie so einen Stress bezüglich Eifersucht hatte. Dass ich das Ganze für ziemlich dämlich halten würde und er seine Freundin mit gutem Recht ziehen lässt. Aber das war sicher nicht das, was er gerade hören wollte. Also schluckte ich es runter und schwieg.
„Musste noch lange?“
wechselte er aprupt das Thema.
„Nee, ich mach bald Feierabend.“
„Willste auf’n Bier mit hochkommen?“
„Nee, sorry. Bald ist nicht sofort. Und im Taxi gilt nullnull, logischerweise.“
„Schon klar, Du hasses auch nicht leicht, was?“
„Ach …“
„Halt, hier! Was macht das?“
„Fünfzehnachzich.“
„Dann, dann … mach einfach 25 draus! Ich hab eh nur’n Fuffi!“
„Boah, wow!“
„Is‘ schon ok, wenn sonst schon alles Scheiße ist!“
Ich hab von dem Geld am Ende noch eine Schachtel Kippen für Ozie gekauft, damit sie nicht morgens gleich wieder raus muss. Die kleinen Nettigkeiten. Im Gegenzug konnte ich – nach ewiger Wartezeit – am Ende der Schicht ein paar ziemlich betrunkene Mädels fahren, wobei eine es auch nicht lassen konnte, mich im Anschluss an die Tour zu umarmen. Ganz ohne jetzt irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen. Sieht so aus, als hätte ich dieses Trinkgeld nicht wirklich verdient.
