Taxifahrer und der Weltuntergang

Das ganze Gelaber über den ungefähr zwanzigsten Weltuntergang seit meiner Geburt nervt mich eigentlich nur noch. Schön, wenn ein paar sachliche Stimmen dagegen anreden. Noch schöner allerdings ist es, wenn Taxifahrer im Anblick des mindestens sichersten Endes aller Tage aller Tage ganz gelassen einen Text von geradezu lyrischer Schönheit schreiben.

Reinhold aus München, den ich hier ohnehin zu selten verlinke, hat das getan und das solltet ihr unbedingt alle lesen:

„Estoy el Taxista.“ bei Taxi München

Arbeit, Arbeit, Arbeit!

OK, ich bin vielleicht kein guter Maßstab. Ich habe immer gesagt, dass ich arbeite um zu leben, nicht lebe um zu arbeiten. Das Taxigewerbe gibt mir da die Möglichkeit, bei der regulären Lohnarbeit immer mal wieder kürzer zu treten. Weder die Option, noch die Einstellung teile ich mit allen, schon klar.

Allerdings hinterlassen mich die echten Workaholics tatsächlich immer ein bisschen irritiert. Als ich ein paar Tage in einem Umzugsunternehmen gearbeitet habe, bin ich auf einen jungen Mann getroffen, der zwar ohne großes Vergnügen, dafür auch ohne Mühen mit zwei Umzugskartons in der Hand an mir vorbeigesprintet ist und mich ermunterte, ich solle froh sein, kein Geld fürs Fitnessstudio ausgeben zu müssen und dann noch anmerkte, er bräuchte den harten Job, weil er sonst nur Blödsinn machen würde.

Mein ehemaliger Mitbewohner Ralf, Koch von Beruf, war zwar ein wenig gestört und nicht wirklich zur Selbstreflexion fähig, aber als er mal ein paar Wochen arbeitslos war, versank er in grenzenloser Phlegmatik, sah bis zu 12 Stunden am Stück fern und bemalte sich nebenher seine Beine mit Kuli. Völlig unfähig, sich selbst irgendwie sinnvoll zu beschäftigen.

Und nun hatte ich einen Fahrgast im Auto. Er wollte in einen Club gefahren werden und mit der Zeit stellte sich heraus, dass er trotz fortgeschrittener Stunde nicht etwa zum Feiern hinging. Er war auf dem Weg zur Arbeit. So weit, so gut.

„Eigentlich hätte ich heute ja frei. Ich komm‘ ja gerade von meinem anderen Job, bin schon seit 8 Uhr unterwegs.“

Ich beäugte argwöhnisch den Chronometer. Mitternacht.

„Aber ich mag das Kellnern und zwei Kolleginnen fallen heute aus, da hab ich zugesagt, einzuspringen. Klar, ein paar Drogen müssen sein, hab ja erst um 6 Uhr Feierabend und um 10 Uhr geht es mit dem anderen Job weiter.“

„Äh, wow. Und das ist nötig?“

„Ach naja, so irgendwie schon. Muss mein Auto bezahlen, mein Loft – so lange ich das hab, geht es mir gut!“

„Aber eine teure Wohnung haben und dann nie dort sein?“

„Passt schon, ich brauch das! War auch mal 4 Tage arbeitslos, das war die schlimmste Zeit meines Lebens!“

Keine Frage, meine Chefs würden mich lieben für so eine Arbeitseinstellung. Sie würden das nicht sagen, aber natürlich hätten sie was davon. Und solche Kollegen gibt es ja. Geiz ist geil, Geld ist alles und die Arbeit ist umsatzbasiert bezahlt. Selbst unter den Taxifahrern gibt es Leute, die über das bundesweite Durchschnittsgehalt kommen. Klar, die schlafen dann schon mal im Auto, wenn sie mal für ein paar Stunden nicht fahren, aber egal: Dafür können sie in 3D fernsehen, wenn sie am zweiten Weihnachtsfeiertag von 12 bis 17.30 Uhr mal zu Hause sind.

Ich kann es schwer verhehlen: mir fehlt das Verständnis dafür völlig. Obwohl ich den Job wirklich gerne hab. Mich würde mal interessieren, wie sich das bei Euch, meiner Leserschaft, so verhält. Haltet ihr es eher mit mir oder mit denen?

Was würdest Du am ehesten zu Deinem Motto ernennen?

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Is‘ zwar länger, aber …

„Fuck, wie fährste da?“

Den Gedanken hab ich mehr als einmal pro Woche. Während die Kundschaft noch dabei ist, die Adresse anhand mir gänzlich unbekannter Zahnarztpraxen und Kleintierbedarfsläden zu konkretisieren, schwirrt mir der Straßenname im Kopf umher und ich denke darüber nach, über welche Brücke, welche Querstraße, das Ziel nun am geschicktesten anzufahren ist. Berlin ist eine Stadt voller künstlicher und natürlicher Hindernisse, da ist es manchmal unerheblich zu wissen, wo das Ziel liegt – vielmehr interessiert einen dann, welcher der beiden Umwege dorthin nun länger ist. Denn auf dem kürzesten Weg liegt nur allzu oft eine Baustelle, ein Fluß, ein Gleisbett oder – wenn’s ganz haarig wird – eine verschachtelte Altstadt wie in Köpenick, bei der selbst mein Lehrer in der Taxischule gemeint hat, dass wir das gar nicht erst anfangen sollten zu lernen.

Und nun stand ich in Lichtenberg in der Sewanstraße und sollte zur Nalepastraße fahren.

Nicht einmal die Ecke, in der ich mich besonders schlecht auskenne – aber sollte ich wenden oder eher nicht? Einfach spontan abbiegen hätte mich am Betriebsbahnhof Rummelsburg verzweifeln lassen. Ich entschied mich nach ein paar Sekunden für den Weg über die Schlichtallee, was meine Kundin verwundert zur Kenntnis nahm:

„Ach, sie fahren so rum?“

„Ähm, naja … wir können auch gerne …“

„Nee, machen Sie mal. Is‘ zwar länger, kann man aber machen.“

Ich mag das nicht. Man muss die kürzeste Strecke nicht unbedingt so sehr als sportliche Herausforderung sehen wie ich manchmal, aber es ist ja schon alleine unschön, dass die Kundschaft ein schlechtes Gefühl dabei hat. Und das hatte sie sichtbar, sie traute sich nur nicht wirklich, mich umzustimmen. Nach ein paar hundert Metern wollte ich aber natürlich auch nicht mehr wenden – und es wäre auch bekloppt gewesen. Sie versuchte dann lange, mir zu erklären, dass es wegen der Unterbrechung der Nalepastraße sinnvoller wäre, von Schöneweide aus ranzufahren und ich begann, ihr zu glauben. Ich hatte sogar zwischenzeitlich die Überlegung, die Uhr einfach einen Kilometer vorher auszumachen um sie zu beruhigen. Am Ende hab ich’s aus Pragmatismus nicht getan. Hätte auch bloß eine Diskussion gegeben …

Und was soll man sagen: Laut Onkel Google war meine Wegstrecke ganze 100 Meter länger als ihr Vorschlag. Das unangenehme Gefühl bei ihr kann ich jetzt zwar rückwirkend nicht mehr ändern, mein eigenes ist aber restlos weg. Ganz so schlimm ist es um meine Ortskenntnis dann also doch nicht bestellt. 🙂

Ganz mein Leben

Lichtenberg, 22.30 Uhr.

„Guten Abend, wo soll es hingehen?“

„Schlesi, Döner. Frühstück!“

🙂

Reflexe (3)

Den am wenigsten beneidenswerten Reflex hat dieses Wochenende allerdings ein Fahrer gehabt, den ich nie zu Gesicht bekommen habe. Seine Kunden auch nicht – und genau das war das Problem. Der Trupp aus drei Männern an der Trabrennbahn Karlshorst sah schon nicht mehr so gut gelaunt aus und der Kerl mit dem Schnauzbart, der sich auf den Beifahrersitz setzte, äffte gleich:

„Die 6XXX in 3 Minuten. Jaja, sicher! Der ist jetzt schon 13 Minuten nicht gekommen!“

So schwer es einem auch fallen mag, der Zentrale eine richtige Zeiteinschätzung zu geben, wann man da ist – ab einem gewissen Punkt wird es dann dreist, lässt es doch vermuten, dass die Zeit genannt wird, um sich einen Auftrag zu erschleichen, den eigentlich ein anderer bekommen würde. Und gerade 3 Minuten werden dabei gerne genannt, weil die Zentrale (also zumindest meine) danach kein Unterbieten mehr erlaubt und dem Fahrer direkt den Auftrag erteilt.

Ich bin ja grundsätzlich skeptisch bei solchen Ansagen. Gerade in kühleren Nächten behaupten die potenziellen Kunden ja gerne mal Wartezeiten, die bei genauerem Nachfragen eben doch nicht kurz nach dem Krieg, sondern eher erst vor 39 Sekunden begonnen haben. Einen kleinen Glaubwürdigkeitsbonus hatte dieser Kunde allerdings (mal abgesehen von der ungewöhnlich präzisen Zeitangabe):

Er war ein Kollege.

Und selber beim besagten Funk.

Und ein netter Kerl, dem erkennbar wenig daran lag, andere Kollegen über den Tisch zu ziehen.

Traurig für den Fahrer, der die Fahrt nicht bekommen hat, denn:

„Erstmal gradeaus.“

„Und wie lange etwa?“

„Ziemlich lange. Also vielleicht 10 Kilometer oder so – bis Hohenschönhausen.“

„Oh, ok. Das ist gut.“

„Nette Fahrt, oder? Da ist aber nicht Schluss. Er hier muss nach Weißensee und Endstation ist Neu-Lindenberg.“

„Na damit ist meine Schicht gerettet!“

„Ach, sind auch nur 40 €.“

Genau genommen nur 35 € – aber was soll ich sagen: Gelogen hat er halt auch nicht. 🙂

Pech für Peppi …

Reflexe (2)

Am Ostbahnhof tummeln sich neben einer eigentlich ganz netten Riege unserer Firma auch einige kuriose Fahrer. Das ist nicht zwingend negativ gemeint, manche sind einfach nur ein bisschen klischeehaft. Einer allerdings ist so blöd, der blickt nicht einmal, dass ich ihn für blöd halte. Der ist für einige kuriose Anekdoten hier verantwortlich – allerdings eher für die WTF-Momente, nicht die ganz krassen Dinger.

Naja, der hat gestern wohl auch wieder einen guten Tag gehabt.

Ich fahre kurz vor Mitternacht an den Bahnhof ran, eigentlich wollte ich eine rauchen. Aber was erblicken meine Augen da? Ein leerer Taxistand und wartende Kundschaft. Besagter Kollege fuhr gerade vor mir an den Gehweg ran, die Leute winkten verzweifelt, die S-Bahn war wohl ausgefallen. Da tat der Kollege das einzig sinnvolle:

Er riss das Steuer herum und schlingerte mit quietschenden Reifen und ohne Kundschaft von dannen.

WTF?

Also meine Tour war ruhig, entspannt, erschöpfte BVG-Fahrgäste mit einer Tour über Umwege bis zum Zoo. 18,40 € auf der Uhr, 23 € bar auf die Hand. Also wenn ich vor sowas immer flüchten würde …

Peppi, Peppi, Peppi …

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Reflexe (1)

Manchmal möchte ich mich wie das kleine Arschloch zu meinen Kollegen herabbeugen und in liebevoll-sarkastischem Tonfall sagen:

„Peppi, Peppi, Peppi … die Reflexe …“

Aber gut. Im Gegensatz zu Moers‘ Trickfilmfigur habe ich die Kollegen vorher nicht unter Drogen gesetzt, die sind da alleine für verantwortlich. Einer beispielsweise ist gestern am Ostbahnhof mit stoisch ungerührter Miene, nur gelegentlich kauend, in seinem Sitz erstarrt, weil zwei junge Männer ihn um eine Fahrt bitten wollten. Zwei junge Männer, das muss man sich mal vorstellen! An einem Taxistand!

Die beiden waren total nett, wirklich allerhöchstens leicht angeheitert – und die Tüte mit den mitgebrachten Alkoholika ruhte fest und sicher im Griff des einen, der sich letztlich dann bei mir auf dem Beifahrersitz niederlassen sollte.

„Wir dachten ja eigentlich, wir fahren mal schick Mercedes, jetzt will der aber wohl gar nicht …“

stellte der andere ein wenig betrübt fest.

OK, es war eine extrem kurze Tour. Aber selbst wenn der Kollege das gewusst haben sollte – er stand hinter mir und ich war vor drei Minuten erst angekommen und wir standen auf der insgesamt dritten Rücke. In so einer Situation fahr ich auch gut gelaunt für 3,20 € zum InterCity-Hotel. Aber nein, einen Kilometer Fahrtstrecke bis zur Lichtenberger Straße hatten die zwei dann doch zu bieten. Nette Jungs, das stressfreieste, was mir gestern ins Auto gefallen ist.

„Also ich würde schon mal einen Zehner zahlen, machst Du dann den Rest?“

„Klar, ich vermute aber mal …“

Ich musste mich einmischen:

„Ähm, keine Sorge! Je nachdem, wo die Nummer genau liegt, sind das allenfalls 6 € – wir verlangen ja keine Mondpreise.“

„Ach, dann isses halt Trinkgeld!“

Nächster Halt, Lichtenberger Straße – unteres Ende.

„Also, dann sind wir bei 4,80 €.“

„Wie gesagt: Trinkgeld …“

Trinkgeld, ca. 104% Trinkgeld. Hatte ich auch lange nicht mehr 😉

Das waren aber noch nicht alle Reflexe der Kollegen von letzter Nacht. Ich hatte noch zweimal wirklich Glück. Aber das sind wohl andere Geschichten …