OK, ich bin vielleicht kein guter Maßstab. Ich habe immer gesagt, dass ich arbeite um zu leben, nicht lebe um zu arbeiten. Das Taxigewerbe gibt mir da die Möglichkeit, bei der regulären Lohnarbeit immer mal wieder kürzer zu treten. Weder die Option, noch die Einstellung teile ich mit allen, schon klar.
Allerdings hinterlassen mich die echten Workaholics tatsächlich immer ein bisschen irritiert. Als ich ein paar Tage in einem Umzugsunternehmen gearbeitet habe, bin ich auf einen jungen Mann getroffen, der zwar ohne großes Vergnügen, dafür auch ohne Mühen mit zwei Umzugskartons in der Hand an mir vorbeigesprintet ist und mich ermunterte, ich solle froh sein, kein Geld fürs Fitnessstudio ausgeben zu müssen und dann noch anmerkte, er bräuchte den harten Job, weil er sonst nur Blödsinn machen würde.
Mein ehemaliger Mitbewohner Ralf, Koch von Beruf, war zwar ein wenig gestört und nicht wirklich zur Selbstreflexion fähig, aber als er mal ein paar Wochen arbeitslos war, versank er in grenzenloser Phlegmatik, sah bis zu 12 Stunden am Stück fern und bemalte sich nebenher seine Beine mit Kuli. Völlig unfähig, sich selbst irgendwie sinnvoll zu beschäftigen.
Und nun hatte ich einen Fahrgast im Auto. Er wollte in einen Club gefahren werden und mit der Zeit stellte sich heraus, dass er trotz fortgeschrittener Stunde nicht etwa zum Feiern hinging. Er war auf dem Weg zur Arbeit. So weit, so gut.
„Eigentlich hätte ich heute ja frei. Ich komm‘ ja gerade von meinem anderen Job, bin schon seit 8 Uhr unterwegs.“
Ich beäugte argwöhnisch den Chronometer. Mitternacht.
„Aber ich mag das Kellnern und zwei Kolleginnen fallen heute aus, da hab ich zugesagt, einzuspringen. Klar, ein paar Drogen müssen sein, hab ja erst um 6 Uhr Feierabend und um 10 Uhr geht es mit dem anderen Job weiter.“
„Äh, wow. Und das ist nötig?“
„Ach naja, so irgendwie schon. Muss mein Auto bezahlen, mein Loft – so lange ich das hab, geht es mir gut!“
„Aber eine teure Wohnung haben und dann nie dort sein?“
„Passt schon, ich brauch das! War auch mal 4 Tage arbeitslos, das war die schlimmste Zeit meines Lebens!“
Keine Frage, meine Chefs würden mich lieben für so eine Arbeitseinstellung. Sie würden das nicht sagen, aber natürlich hätten sie was davon. Und solche Kollegen gibt es ja. Geiz ist geil, Geld ist alles und die Arbeit ist umsatzbasiert bezahlt. Selbst unter den Taxifahrern gibt es Leute, die über das bundesweite Durchschnittsgehalt kommen. Klar, die schlafen dann schon mal im Auto, wenn sie mal für ein paar Stunden nicht fahren, aber egal: Dafür können sie in 3D fernsehen, wenn sie am zweiten Weihnachtsfeiertag von 12 bis 17.30 Uhr mal zu Hause sind.
Ich kann es schwer verhehlen: mir fehlt das Verständnis dafür völlig. Obwohl ich den Job wirklich gerne hab. Mich würde mal interessieren, wie sich das bei Euch, meiner Leserschaft, so verhält. Haltet ihr es eher mit mir oder mit denen?

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