Ein Jahr im Taxi (4)

Eine Entscheidung, ein Umweg und eine offene Türe:

Ich fuhr weiter in Richtung Innenstadt. Immer etwas unter erlaubter Höchstgeschwindigkeit, dennoch donnerte sein Kopf bei jedem Schlagloch, jeder Bodenwelle und jedem Gulli gegen die Seitenscheibe. Pock  … pock. Pockpockpock, ups, doch zu schnell!

Ganz so schlecht war das gar nicht, er drohte nämlich ohnehin, am Telefon einzuschlafen und nach jedem Pock war wenigstens wieder ein Artikulationsversuch zu hören. Während er weiter einsilbig blieb, vernahm ich zwischen den Straßen-, Motor- und Kopfgeräuschen aus dem Handy den ein oder anderen Wortschwall seiner Holden – allerdings ohne sie zu verstehen. Die sicher verzweifelten und nicht mehr ganz so liebevollen Sätze quittierte er mit verschiedenen Grunzlauten, gelegentlich benutzte er auch vereinfachtes Suff-Deutsch wie z.B. „H-miab“ (Hol mich ab!).

Als ihm dann in Baumschulenweg das Handy aus der Hand rutschte und er dabei noch sparsamer guckte als eine KiK-Werbung, bin ich abermals rechts rangefahren und hab ihm nahegelegt, sich vielleicht doch gegen ein Weiterfeiern zu entscheiden. Er fand die Idee mit der üblichen Begeisterungsfähigkeit eines Betrunkenen auch umgehend super und gab als neues Fahrtziel den S-Bahnhof Karlshorst an. Da wir dafür in der Zwischenzeit ausreichend in die falsche Richtung gefahren waren, sollte die Tour dennoch gut 25 € bringen und außerdem viel eher auf meinem Weg liegen. Na bitte.

Ich drehte unter Einbeziehung der nächsten Querstraße großzügig und fortan waren wir endlich auf Heimatkurs. Bereits an der ersten Ampel murmelte er in hektischer werdenden Intervallen:

„Halten. Halten! Haltenhaltenhalten!“

Es kam, was kommen musste: er lehnte sich aus dem Auto und versuchte, den Gehsteig vollzureihern. Wenn wir ehrlich miteinander sein wollen: nicht einmal das hat er mehr hinbekommen. Anstatt sich seiner Alkoholika ernstlich zu entsorgen, würgte er angestrengt aber erfolglos. Drei-, viermal in die Wildnis gerotzt, danach purzelte er mit purpurrotem Kopf wieder ins Taxi. Im Brustton der Überzeugung winselte er ins immer noch angeschaltete Telefon:

„Schatz, ich muss sterben.“

Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich es gerne sehe, wenn meine Fahrgäste kotzen – aber bei dem Hansel war klar, dass es seinen Zustand wenigstens verbessert hätte. Es ist ja auch nicht so, dass man aus purem Spaß am Brockenlachen die Landschaft düngt. Mein Fahgast behielt seine Giftstoffe aber offenbar lieber bei sich.

Naja, er hatte sie sicher auch teuer bezahlt, es sei ihm gegönnt.

2 Kommentare bis “Ein Jahr im Taxi (4)”

  1. Ana sagt:

    Ach, du ewiger Poet. 🙂

  2. Sash sagt:

    @Ana:
    Womit hab ich mir denn diesen Titel verdient? 🙂

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