Sinnlose Tour

Manche Touren glaubt man einfach nicht. Da steht man dann am Ende ein wenig ratlos da und fragt sich, ob man das eben geträumt hat. Mein Kunde war ein Original sondersgleichen: Ein vielleicht gerade einmal zwanzigjähriger Touri, der ganz offensichtlich unter einer Sehbehinderung litt. Nicht nur schielte er auffallend, es war auch zu erkennen, dass er nicht sonderlich viel erkannte. Fürs Taxi-Schild hat es gereicht, er winkte am U-Bahnhof Bernauer Straße.

Als Ziel nannte er das hotel4youth. Hat mir nichts gesagt, aber wozu hab ich das Robertha bei mir? Nachgeschlagen und gefunden. Ich las ihm die Adresse vor, Schönhauser Allee 103, ob ihm das bekannt vorkäme. Ja, nein, vielleicht. Auf der Karte des Hotels stand keine Adresse, nur Werbung. Sehr sinnig. Da mich das Robertha aber selten im Stich gelassen hat, fuhr ich ihn dorthin. Keine weite Strecke, deutlich unter 10 €.

Es trat der schlimmste Fall ein: Das Hotel ist umgezogen. Nur wohin?

„There was a station nearby. The name startet with a B. On the U8 it was. I could find it from there.“

Also verkürzt gesagt. Mit der Angabe und ein paar Details (nicht weit vom Alex, Prenzlauer Berg, ein Park gegenüber) hatte ich eine vage Vorstellung:

„Do you mean the Bernauer Straße?“

„Uh yeah! Right!“

„Guy, that’s where I picked you up …“

„Really?“

Das Hotel war auch nicht schwer zu finden, ich hätte auch einfach meine Augen auf der Hintour aufmachen können. Bernauer, Ecke Wolliner, direkt gegenüber vom Mauerpark. Hab mir nur den Namen des Neubaus nie gemerkt …

Na gut, wir waren dann doch bei fast 10 € – für weniger als 300 Meter Weg – aber der Fahrgast war glücklich:

„Haha, that was funny. Do you take Visa or Mastercard?“

Nicht ernsthaft …

Ich hab ihm dann erklären müssen, dass nicht alle Taxen Kreditkarte nehmen und ich es leider auch wirklich nicht könnte. Das empfand der liebenswerte junge Kerl auch gar nicht als schlimm, viel mehr belustigte ihn der kulturelle Unterschied zu Amerika. Ich hatte aber die Hoffnung, dass das Hotel vielleicht wie viele andere das auf die Rechnung aufschlagen könnte.

Konnte es natürlich nicht.

Also sind wir zwei bei strömendem Regen wieder zum Taxi gedackelt und überlegten uns, wo wir einen Geldautomaten finden würden. Die Sparkasse an der Schönhauser war zu weit und zu umständlich, dann vielleicht … aber mein Kunde hatte selbst eine Idee:

„Down there in the Metro Station, there was a – how do you call it? – Geldautemat.“

„In the station?“

„Yeah. Bring me there, I show you!“

Dann ließ er mich noch einmal falsch abbiegen, weil er das mit den Richtungen nicht so recht raushatte und irgendwann stand ich dann – es klarte gerade ein wenig auf – rauchenderweise neben meinem Taxi. An der Stelle, an der ich ihn vor rund 20 Minuten eingesammelt hatte. Nach nicht einmal zwei Minuten hangelte sich mein Fahrgast wieder aus der Station, lief erstmal auf die falsche Straßenseite, weil dort auch ein helles Auto parkte und etwas später wusste ich dann, dass der Automat wohl kaputt sei oder so. Oder so? Er sagte mir, er könne nicht lesen, was dort stünde. Bei einem fast blinden Ami konnte das ja alles heißen.

Also bin ich mit ihm in den Bahnhof geeilt und der Automat zeigte einen Bluescreen. Herrlich! Sinn für Humor konnte man dem Schicksal in der Nacht nicht absprechen!

Also weiter. Ich schlug die Sparkasse ein paar Meter weiter die Brunnenstraße runter vor, mein Kunde nahm dankend an. Dort angekommen wurde ich auch nochmal in die Bank gebeten, denn mein Superfang schaffte es trotz – oder wegen – anhaltend guter Laune nicht, Beträge unter 3000 € einzutippen.  So langsam suchte ich nach einer versteckten Kamera. Am Ende aber klappte wenigstens an dieser Stelle alles und wir standen 33 Minuten nach Fahrtbeginn mit 17,40 € auf der Uhr an seinem Hotel, etwa 200 Meter vom Startpunkt entfernt. Aber beide blendender Laune. Wir haben uns großartigst amüsiert über die wohl bekloppteste Taxifahrt ever. Ihm war der Spaß 20 € wert und ich brauchte mich mal ohnehin nicht beschweren … 🙂

13 Kommentare bis “Sinnlose Tour”

  1. Thihihihi oh man, was für eine Tour. Aber immerhin har es sich wenigstens ein bisschen gelohnt und du hattest deinen Spaß.

  2. Ron sagt:

    Das war der „Taxitest reloaded“. Das wird bestimmt bald bei der Schrowange gesendet: Taxifahrer verlangt für 200 m 20 Euro!!! 🙂

  3. Senfgnu sagt:

    Hm, Gleimstr, Sportpark nebenan…ähm, bist du nach Nürnberg gefahren? ^^

  4. Taxi 123 sagt:

    Super Sash, Einnahmen gut, Kilometerschnitt hervorragend und noch Spaß dabei, so könnte, so müßte jede Nacht laufen.

  5. Cliff McLane sagt:

    > Guy, that’s where I picked you up

    LOLROFLMAOBITC — best quote ever, made my day!

    Aber das mit den hohen Beträgen eintippen weckt bei mir Erinnerungen an frühere Zeiten, als Europa noch unterschiedliche Währungen hatte, und ich in Amsterdam wegen der hohen Zahlen sehr verwirrt war, weil ich nicht wusste, dass die die Preise in Cent angeben bzw. bei den Guldenbeträgen einfach das Hunderter-Komma weglassen. Eine Packung Kekse für 300 Gulden, das wäre ja auch seltsam gewesen…

  6. ednong sagt:

    Haha, ist das geil. 20 EUR für 200 m – oh man. Und dann noch ein Bluescreen – yeah, das haut dann alles raus. Wirklich absolut lustige Tour.

  7. Aro sagt:

    Ja, ja: nicht nur dass ständig neue Hotels eröffnen, die man als Taxifahrer natürlich sofort kennen muss (schon mal was vom Indigo am Alex gehört?), sie wechselt auch ab und zu ihre Namen oder bekommen Zusätze (Park Inn Radisson), kriegen Kinder (Hilton in Charlottenburg, Park Inn in Wilmersdorf). Und jetzt ziehen sie auch noch um. Das ist wohl alles eine perfide Strategie, um uns Taxifahrer verrückt zu machen!

  8. Sash sagt:

    @gotsassaufeinemast:
    Gelohnt hat es sich ohne Ende. Für mich könnten Touren immer so laufen. Aber ein bisschen ein schlechtes Gewissen hat man dann ja doch, wenn einem ein Hotel nicht einfällt …

    @Ron:
    Denen würd ich aber was erzählen, wenn sie das versenden … 😉

    @Senfgnu:
    Nein, aber wir haben hier in Berlin ja alles. Im Notfall auch Nürnberg. Wobei? Nein, einen Platz Plärrer zu nennen würde uns nicht einfallen 😀

    @Taxi 123:
    Nach solchen Touren weiß man dann auch, warum die „Kollegen“ so gerne mit Kunden im Kreis fahren: Es lohnt sich halt …

    @Cliff McLane:
    Den Satz hab ich inzwischen fest im Repertoire – für solche Fälle hab ich ihn aber noch nie gebraucht 🙂
    Das mit den Beträgen ist interessant, wusste ich auch nicht.

    @ednong:
    Ich dachte mir auch schon beim ersten Mal am Hotel: Wo ist mein PC? Ich will das bloggen! Jetzt! Aber gut, dass ich abgewartet hab 🙂

    @Aro:
    Man könnte es manchmal glauben. Wobei sie uns eventuell auch einfach bessere Einnahmen bescheren wollen 😉

  9. opatios sagt:

    “ – how do you call it? – Geldautemat.”
    Für den Fall, dass Du den Begriff wieder mal brauchst- die Inseljungs bezeichnen so was als ATM, oder ausgeschrieben „automated teller machine“, was nix mit Geschichtenerzählen zu tun hat- ein ‚teller‘ ist schlicht ein Bankkassierer. (Die Geschichten erzählen dann die Anlage- und Kreditberater)

  10. Sash sagt:

    @opatios:
    Ich weiß und ich spreche im Taxi ständig von ATMs. (Das weiß man doch spätestens seit dem legendären „Südafrikanischer Tourismusexperte beantwortet Mails mal ehrlich“-Text)
    Aber danke für den Hinweis 😉

  11. opatios sagt:

    @sash: Hätt ich mir eigentlich auch gedacht, dass Du das wissen müsstest.
    Andererseits soll es Taxifahrer geben, die schon jahrelang ihrem Beruf nachgehen und z.B. nicht wissen, was ein rundes Schild mit rotem Rand, rotem Kreuz und vier blauen Tortenstücken drin eigentlich bedeutet. 😉
    Es gilt also das gleiche wie bei den Ortskenntnissen von Fahrgästen: Nichts voraussetzen, auch wenn es bedeutet gelegentlich mal ein paar Kohlen nach Newcastle zu schaffen.

  12. Sash sagt:

    @opatios:
    Hätte ja auch sein können. Wobei ich die Abkürzung sicher auch hier bei GNIT schon mal irgendwo gebracht habe. Und diese Schilder: Das Problem ist nicht, dass wir sie nicht kennen – wir fantasieren nur gerne den Teil mit dem Taxi darunter hinzu 😉

  13. […] Artikel wie dieser hier: sinnlose Tour Er ist zwar “nur” ein Kollege in einem “kleinen” und nur mit 4 Reifen […]

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