Folgenden offenen Brief hat ein Berliner Kollege verfasst (hier das Original auf seiner Seite) und mich gebeten, ihn zu veröffentlichen. Ein paar Worte von mir dazu gibt es am Ende noch.
Berlin 22.6.2012
Die Nacht vom 21.6. auf den 22.6.2012.
Die Zentrale meldet, daß ein Fahrer mit Notruf auf der Alexanderstraße unterwegs ist und fragt, ob ein Kollege mal schauen könne, was da los sei. Keinerlei Reaktion. Erst nach dem vierten Ausruf erklärt sich jemand bereit, mal zu schauen. Der Notrufkollege ist offenbar unterwegs in Richtung Norden. Immer wieder wird der neue Standort durchgegeben, doch erstaunlicherweise schafft es niemand, den Kollegen zu sehen, zu kontaktieren. Erst etwa 10 Minuten später scheint sich die Situation zu klären, wie sie sich meist klärt, nämlich Kollege ist versehentlich an den Notrufschalter gekommen und hat es nicht gemerkt. Ich vermute das übrigens nur, daß es so war, denn die Zentrale hat lediglich gesagt, daß das jetzt „erledigt“ sei und sich darüberhinaus auch nicht bei den beteiligten Kollegen bedankt oder ähnliches. Es ist nur eine von vielen Situationen, die ich so oder so ähnlich schon beobachten konnte. Als Fahrer in (vermeintlicher) Gefahr bist du alleine.
Warum erzähle ich das hier?! Ganz einfach, weil die vermeintliche Not des Kollegen fast niemanden interessiert hat und weil es auch klar ist, daß es so ablaufen muß, weil der Würfelfunk alles daran gesetzt hat, den Sprachfunk abzuschaffen. So ist es nicht verwunderlich, daß da eigentlich niemand mehr wirklich hinhört, wenn dort normalerweise eh nur noch die Vermittlung von Randbezirksaufträgen, Großraumwagen und Spezialjobs vermittelt wird. In unserem Betrieb führt das so nach und nach sogar dazu, daß gar keine Funkgeräte mehr eingebaut werden, sich also nur noch auf den PDA beschränkt wird. Entsprechend hören die Fahrer dieser Fahrzeuge auch gar nichts mündliches mehr von der Zentrale. Die Entwicklung wird sich so fortsetzen. Damit ist das eingetreten, wovor ich den Würfelfunk vor etwa 2 Jahren gewarnt habe. Die faktische Abschaffung mündlicher und direkter Kommunikation. Das führt zur Entsolidarisierung und forciert eine zutiefst antisoziale Struktur. Und in Situationen, wie der gerade beschriebenen, bekommt der Kollege in Not eben einfach mal nicht die Hilfe, die eigentlich möglich gewesen wäre. Wir befanden uns schließlich in Mitte und es waren mit Sicherheit viele Kollegen in unmittelbarer Nähe. Es wird zwangsläufig dazu führen, daß bald Fälle auftauchen (oder schon aufgetaucht sind), die schlimm für z.B. angegriffene Fahrer enden, weil es keine Struktur mehr gibt, in der die vielen Taxen mündlich per Funk vernetzt sind. Das ist nämlich dem Scheuklappenblick nach Effizienz zum Opfer gefallen, der branchenübergreifend so modern geworden ist. Bei genauerer Betrachtung übrigens absolut lächerlich, daß für jede Auftragsnachfrage, bei jeder kleinen Servicenachfrage oder auch für Hinweise an Kollegen der „Sprachwunsch“ gedrückt werden soll. Heute ist der Kollege in Not nicht an sein Telefon gegangen, als die Zentrale wissen wollte, was los ist. Sowas aber auch.
Ich fahre mittlerweile viel lieber WBT-Funk aus 2 Gründen. Ich kann einerseits jederzeit mündlich die Fragen stellen, bei denen oft auch Kollegen helfen können und wir alle lernen dazu, ich kann Hinweise geben, von denen alle profitieren. Es ist eine Struktur der gegenseitigen Hilfe, die transparent und sozial ist. Zweitens ist es deshalb auch die bessere Variante, wenn es um meine/unsere Sicherheit geht. Es gab Notruffahrten, bei denen 10 – 15 Kollegen an dem bedrohten Fahrer dran waren, weil alle eine Sensibilität für solche Vorfälle (gelernt) haben und vor allem, weil sie es überhaupt mitbekommen konnten und entsprechend aufmerksam verfolgten. Der Würfelfunk bastelt offenbar weiter an einem System, bei dem wir als kleine Punkte auf dem Bildschirm erscheinen und auch genauso behandelt werden. Wie oft habe ich mir den gereizten und hin und wieder aggressiven Spruch „Kollege, bitte drücken sie den Sprachwunsch, sie stören hier die Vermittlung!“ anhören müssen, obwohl ich kein Mobiltelefon besaß. Ich war (und bin) von dieser Kommunikation des Nachfragens ausgeschlossen. Eine Vorsprache beim Würfelfunk war ergebnislos. Man bot mir eine Einzelfalllösung an, das wollte ich nicht. Mittlerweile verweigere ich mich diesem Schwachsinn trotz Handy.
Ich fordere ein Konzept, in dem alle Kollegen, die Hilfe brauchen und sie signalisieren, diese auch bekommen können und zwar grundsätzlich mindestens von allen dem Würfelfunk angeschlossenen Fahrzeugen. Wir sollten unsere Möglichkeiten der mündlichen Vernetzung ausschöpfen und nicht permanent beschneiden und einschränken. Das bedeutet die Zurücknahme des „Sprachwunsch-Unsinns“ und geregelte Funkkommuninaltion in beiden Richtungen.
Mit der Bitte um eine Stellungnahme. Ich bin sauer!
Wie die meisten Leser wissen, bin ich selbst quasi Nicht-Funker. Man könnte sogar sagen, dass ich leider die von Yok angesprochene Vernetzung via Funk unter den Kollegen so nie kennengelernt, bzw. immer nur als Nebenaspekt eines Nebenaspektes kennengelernt habe. Der Grund, weswegen ich diesen Aufruf dennoch unterstütze, ist folgender:
Eine Kommunikation und damit einhergehend vielleicht/hoffentlich auch wieder eine engere Solidarisierung unter den Berliner Taxifahrern würde tatsächlich Not tun. Dass ich persönlich das Dauergequatsche nervig finde und mich nicht groß für die Auftragsvermittlung via Funk interessiere, spielt dabei erstmal keine Rolle. Mir persönlich wäre ein paralleles System zum Funk (eine Notfunktion in einer App z.B. oder zumindest ein eigener Kanal im Funk) lieber als das Wiederaufleben des Sprachfunkes an sich, aber das sind im Endeffekt Kleinigkeiten. Dass ich Notrufe von Kollegen nicht mitbekomme, ist der vielleicht einzige Grund für mich, gelegentlich übers Einschalten der Quatschkiste nachzudenken. Was das Thema auf jeden Fall verdient, ist Öffentlichkeit, ist Diskussion. Deswegen habe ich den Brief hier eingestellt.