Mohammeds Einladungshölzchen

Jeder macht mal Dummheiten. Jeder. Und weil dieses jeder jeden miteinschließt, mache ich auch keine Ausnahme.

Es gibt beim Taxifahren ein paar wenige Grundregeln, über die man eigentlich nicht nachdenken muss:

Man nimmt keine Drogen bei der Arbeit, man bescheisst seine Fahrgäste nicht und man lässt sich selbst nicht bescheissen.

Eigentlich war es das schon. Punkt 1 habe ich bisher zu 100% umgesetzt, Punkt 2 mit ein paar versehentlichen Ausnahmen auch, diese Geschichte fällt unter Punkt 3. Meine Kollegen werden mich steinigen, wenn sie diese Geschichte lesen und meine Chefs hätten eine Grundlage, mich rauszuschmeißen. Das werden sie aber nicht tun, was euer Glück ist.

Worum geht es?

Ich habe einen Fahrgast befördert, der mir von vornherein gesagt hat, dass er mich nicht bezahlen kann.

Er hat auch noch eine Menge anderer Dinge gesagt und genau davon handelt diese Geschichte. Sie ist schon ewig her, es müsste im Sommer vor anderthalb Jahren gewesen sein. Ich stand auf der letzten Rücke am Ostbahnhof und habe mich mit ein paar Kollegen unterhalten. Es war noch hell draußen, alles in allem ein stinknormaler Arbeitstag. Unsere Augen blieben plötzlich alle an einem Mann hängen, der aus dem Nebeneingang des Bahnhofs trat. Ein reichlich beleibter arabisch aussehener Typ, der einfach nur nach Klischee-Scheich aussah. Sehr klischeemäßig war auch sein Angebot:

„Ich gebe dir eine Billion Euro, wenn du mich zur Botschaft von [Verrate ich nicht!] bringst!“

Das Schwierigste am Erzählen dieser Geschichte ist, glaubhaft zu machen, dass ich die Fahrt nicht angenommen habe, weil ich dem Typen das geglaubt habe. Mir war durchaus bewusst, dass eine Billion Euro nicht nur ein leicht obszöner Betrag für eine Taxifahrt wäre, sondern vor allem auch so viel Geld, dass es keine Einzelperson auf diesem Planeten gibt, die derart viel auch nur besitzt.

Das Problem an der Sache war jedenfalls, dass ausgerechnet dieser großzügige Scheich weder Geld dabei hatte, noch im Besitz einer Bankkarte war. Eine Rechnungsfahrt mit einem unbekannten Fahrgast: Definitiv etwas, das ich eigentlich nie machen würde! In diesem Fall habe ich es getan, einfach weil der Typ zum einen wahnsinnig sympathisch war, zum anderen weil er so absurde Sachen von sich gegeben hat, dass mir klar war, das würde bloggenswert werden.

Wir sind dann losgefahren und er hat mich weiterhin mit seiner Billion Euro bedroht. Recht bald wurde es dann aber etwas ruhiger um das Thema und er tischte mir derart fantastische Geschichten auf, dass ich aus dem Lachen bald nicht mehr herauskam.  Er faselte von geheimen Missionen und seinem Vater, alles in allem hätte man einen James-Bond-Film aus seinen Geschichten extrahieren können. Im Nachhinein betrachtet war der Typ wahrscheinlich psychisch krank. Er hat die Geschichten geglaubt, die er erzählt hat – so viel traue ich mir an Menschenkenntnis zu. Ich hab leider inzwischen vergessen, was genau der Inhalt war, aber er hat meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Dass er nicht unterwegs anhalten wollte, um die Kanzlerin zu entführen, war so ziemlich alles.

Das Hauptthema ist aber irgendwie doch die Fahrt gewesen, er hat mich geradezu einzulullen versucht mit Komplimenten, dass ich nicht so rassistisch sei wie meine Kollegen, die ihn sicher nie gefahren hätten, bla keks. Am Ende wurde es geradezu rührend, denn da erzählte er mir dann, dass er mich deswegen auf seine Hochzeit einladen würde. Er nannte mir das Datum und bedeutete mir, ich könne gerne meine Frau mitbringen. Er nannte äußerst präzise ein Hotel in Dubai, wo er feiern würde und überreichte mir 3 Zahnstocher.

Auf meinen irritierten Blick hin antwortete er, dass das schon ok sei so, ich dürfe neben meiner Frau gerne noch einen Freund mitbringen. Diese „Hölzer“ seien Einladungen und der Sicherheitsdienst würde uns ohne Komplikationen durchlassen, wenn wir sie vorzeigen. Ehrensache! Und er freue sich schon auf unser Wiedersehen.

Ein bisschen Hoffnung, mein Geld noch zu sehen, hatte ich an diesem Punkt irgendwie dennoch. Also habe ich ihn am Ende gebeten, mir seinen Ausweis zu reichen, damit ich mir die Daten notieren könne. Das hat er auch anstandslos gemacht, nicht allerdings ohne mich darauf hinzuweisen, dass Yussuf – der Name stand in seinem Ausweis – eigentlich nicht richtig wäre und nur ein Zugeständnis an die deutschen Behörden, die Mohammed nicht anerkennen würden, den Namen, den er inzwischen angenommen hätte. Er unterschrieb einen handschriftlich von mir erstellten Schuldschein, allerdings nicht ohne auch hier noch einmal drunterzuschreiben, dass der Fahrpreis nicht 16,20 € war, sondern eine Billion Euro. Meinen Namen und meine Bankverbindung nahm er auch entgegen und versprach, die Billion binnen einer Woche zu überweisen.

Er dankte mir warmherzig und ist in Richtung Botschaft verschwunden.

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie groß das „WTF???“ war, das zweifelsohne direkt in meinen Augen ablesbar war. Es war eine der geilsten Touren meines Lebens und sicher auch eine der geilsten Stories für den Blog. Mein Gefühl war aber letztlich doch eher, dass ich mich habe ausnutzen lassen, bzw. einen Fehler gemacht habe.

Die nächsten Tage habe ich meinen Kontostand regelmäßig gecheckt. Nicht wegen der Billion – ich bin mir sicher, dass ich dann von der Sparkasse auch einen netten Anruf bekommen hätte. Nein, ich wollte nur sehen, ob die 16 Euro eingehen. Das taten sie nie. Zumindest bis heute nicht.

Ich habe seinen Namen gegoogelt und ihn hier und da in ein paar arabischen Foren gefunden, in denen allerdings kein Deutsch gesprochen wurde. Ich haderte stark mit mir und am Monatsende hab ich die Fahrt aus eigener Tasche bezahlt und mehr oder minder beschlossen, es gut sein zu lassen.

Was ein Fazit angeht, habe ich wie schon erwähnt eine ambivalente Haltung: Natürlich war es rechtlich nicht ok und nach wie vor kann ich nicht ausschließen, dass der Typ mir nicht vielleicht doch nur was vorgespielt hat. Allerdings glaube ich das nicht und war auf der anderen Seite tatsächlich mehrere Tage beeindruckt von ihm und seinen obskuren Geschichten, sodass ich doch sagen kann, es hat sich (irgendwie) auch für mich gelohnt. Wie der Zufall es so will, habe ich vor ein paar Wochen beim Umräumen meines Zimmers das alte Büchlein weggeschmissen, in dem der Schuldschein war. Mehr als seinen Vornamen habe ich also inzwischen auch nicht mehr und damit ist die Sache wohl endgültig erledigt. Sei es drum. Ich hoffe, Yussuf Mohammed weiss das Ganze auch noch zu schätzen…

14 Kommentare bis “Mohammeds Einladungshölzchen”

  1. Das ist der Beweis, du kaufst dir deine Storys. 😀

  2. Phonebitch sagt:

    Und ich bin mitbeeindruckt. Ich kenne auch diese Symphatie die einem entgegengebracht wird und man einfach nur den Rest der Story hören will obwohl man eigentlich weiss das grösstenteils alles erlogen ist. Hast du nicht abgewartet ob er wirklich durch die Tür der Botschaft verschwindet?

  3. daju77 sagt:

    Also ich hätte ihn wahrscheinlich nicht befördert. Aber für 16 € Geschichten über 1001 Nacht anzuhören, hat ja auch was. 😉

  4. Martin sagt:

    Was ich nicht verstehe ist, dass der Typ Dir seinen Ausweis in die Hand gedrückt hat. War es ein deutsches Dokument?
    Eine Anzeige bei der Polizei hätte auch Sinn gemacht. Und warum Dir das eine Kündigung einringen sollte macht auch keinen Sinn. Wenn Du Bock drauf hast könntest du auch die Fahrten von allen Deinen Kunden ähhh Gästen bezahlen, oder?

    Die Geschichte ist zwar interessant aber für mich nicht so nachvollziehbar. bis auf den Typen und seine Geschichten… 🙂

  5. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    In dem Fall: Schuldig.

    @Phonebitch:
    Die Tür konnte ich nicht sehen, aber er ist aufs Gelände gegangen. Wer weiss, vielleicht wurde er da auch verhaftet 🙂

    @daju77:
    Ich hab es nicht ohne Grund so lange nicht gebloggt: Ich weiss selbst nicht so genau, weswegen ich es gemacht hab…

    @Martin:
    Deutscher Personalausweis, jepp – insofern hätte ich ihn sicher anzeigen können. Hab es auch überlegt, war es mir dann aber nicht wert…
    Bezüglich Kündigung: Kommt wahrscheinlich auf die Anwälte an 🙂
    In meinem Vertrag steht, ich darf niemanden umsonst befördern. Ich hab das Geld zwar ordnungsgemäß bei Chef abgeliefert, dennoch den Typen umsonst transportiert. Oder so. Ist mir auch egal, juckt eh niemanden, so ein Einzelfall!
    Und nachvollziehbar ist die Geschichte nicht, das ist es ja.

  6. ednong sagt:

    Einfach nur genial. Vielleicht sollte ich mir auch mal interessante Geschichten ausdenken. Könnte ja sein, dass ich in Berlin mal ein Taxi brauche …

  7. Aro sagt:

    Ja, ja, die Leute aus Verrateichnicht sind schon komsche Gesellen manchmal. Und biste denn aber wenigstens zur Hochzeit nach Dubai geflogen? Dann hätetste ihn ja dort nochmal wegen der 16,20 bzw. 1.000.000.000.000 EUR ansprechen können.

  8. nadar sagt:

    Umsonst hast du ihn ja nicht befördert, sondern nur (für ihn) kostenlos.
    Zum Einen hast du eine interessante Geschichte erlebt, zum Anderen hat der Fahrgast sein Ziel – die Botschaft erreicht.

    Zur kostenlosen Beförderung an sich: In meiner Gegend ist die Taxitarifordnung etwas weniger schwammig als „eure BOKraft. In ersterer steht:
    >§4, 1
    >Die festgelegten Beförderungsentgelte sind gleichmäßig anzuwenden.
    >Sie dürfen nicht über oder unterschritten werden. […]
    >§9
    >Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften dieser Verordnung werden
    >gem. § 61 Abs. 1 Nr. 4 PBefG als Ordnungswidrigkeit i.V.m. § 61 Abs. 2 PBefG
    >mit einer Geldbuße bis zu 10.000 EUR geahndet.

    Natürlich kann man nun diskutieren, ob man das Entgelt angewendet hat – aber schlussendlich ist der Fahrgast kostenfrei befördert worden.

  9. Metaxi sagt:

    Wenn ich nadars Kommentar so lese, fällt mir gleich die entsprechende Lücke ein.
    Der Tarif wurde nicht unterschritten! Du hast ihn genau zum geltenden Tarif befördert, nur hat jemand anderes bezahlt!

    Ich denke, derartige Vorschriften sind doch zum Schutze der Arbeitgeber und des Fahrgastes da. Bedeutet: Wenn du eine Tour für 16,20 fährst, dürfen danach nicht weniger (Schutz des Arbeitgebers) oder mehr (Schutz des Kunden) als 16,20 in die Kasse kommen.
    Die 16,20 sind genau SO in die Kasse gekommen – nur hast du sie bezahlt.

    Ob du jemandem eine Fahrt bezahlst, kann doch wurscht sein, solange das Geld ankommt. Das hat etwas länger gebraucht als erlaubt (das sehe ich ein, DAS war nicht ganz rechtlich astrein), aber es kam schlussendlich an. Der Tarif wurde eingehalten.

  10. Dom sagt:

    (Hoppla. Der Kommentar da oben ist von mir. Warum ich „Metaxi“ heiße? Keine Ahnung. Das Formular hat sich meine Mail-Adresse gemerkt; da habe ich auf den Namen gar nicht mehr geachtet. Hoppla!)

  11. simone sagt:

    leute gibts. verrückt.

  12. nadar sagt:

    @Metaxi_Dom: Ich würde eher vermuten, dass Wettbewerb unterbunden werden soll. Wozu sonst hat man die ganze Arbeit mit dem jährlichen Eichen der Wegstreckenzähler?
    Nach deiner Theorie könnte man die Fahrgäste frischfröhlich befördern, ohne dass sie zahlen müssen. Das spricht sich rum, dein Unternehmen ist bald das größte und billigste des Ortes, du machst du Konkurrenz kaputt mit deinen „Preisen“. Am Ende ist dein Unternehmen das einzig noch existierende mit Billigarbeitern und maroden Autos.
    Wenn du nämlich kein Geld von den Fahrgästen einnimmst, sondern die Fahrten selbst zahlst (oder deine Fahrer die zahlen), fehlt das Geld am Ende doch.
    Entweder deinem Unternehmen (Sprit, Steuern, Lizenz, Versicherung, Werkstatt, Kfz-Finanzierung und Rücklagen wollen finanziert werden) oder deinen Fahrern.

  13. Sash sagt:

    @ednong:
    Dann fang mal an zu denken 🙂

    @nadar:
    Boah, ich will meinen Arbeitsvertrag nicht rausholen, um zu checken, ob da kostenlos oder umsonst drinsteht…

    @simone:
    Ja, so ist die Welt 😀

  14. nadar sagt:

    @Sash: vermutlich steht da „nur gegen Entgelt“ oder „nicht unentgeltlich“

    nadar,
    keinen schriftlichen Arbeitsvertrag habend
    😉

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