Dass das es irgendwie ein Politikum ist, sobald man Menschen nichtdeutscher Herkunft erwähnt, habe ich neulich ja mal wieder feststellen dürfen. Ich finde es immer noch ein wenig unverständlich (nein eigentlich unerträglich!) dass von der Herkunft der Menschen vermeintlich belastbare Rückschlüsse auf ihr Verhalten gezogen werden.
Meist werden irgendwelche schlimmen Ausnahmen als Klischeebestätiger herangezogen. Im Grunde hatte ich heute früh beinahe genau solche im Auto. Am Ende war ich dennoch positiv überrascht. Vielleicht versteht ja jemand anhand der Geschichte, warum ich meine Meinung nicht so schnell aufgebe.
Die Szene, die ich an der Ampel vorfand, könnte aus jenem Bilderbuch stammen, das Thilo Sarrazin bestimmt längst malt, um auch den Teil seiner Anhängerschaft zu erreichen, die des Lesens nicht ganz so mächtig – dafür aber mächtig stolz auf die deutsche Sprache – ist: Kottbusser Tor, Drogenumschlagsplatz Nummer 1 in Berlin. Vielleicht auch Nummer 2 oder 3, ist ja egal. Fast nur Menschen mit Migrationshintergrund auf der Straße, und ausgerechnet die lautesten drei winken mich heran. Ich muss noch an der Ampel warten, inzwischen winken sie einen Kollegen vorbei. Das könnte ich jetzt gleich als Beweis positiv auslegen, hab ich in dem Moment nicht getan. Ja, ich wäre fast froh gewesen, wäre der Kelch an mir vorübergegangen. Denn sonderlich sympathisch haben sie nicht wirklich gewirkt.
Als die Ampel dann grün wurde, hatten sie sich schon ziemlich planlos rund um mein Auto verteilt und sind dann von allen Seiten gleichzeitig eingestiegen.
„Hey, der Kanake da vorne zahlt!“
brüllte es mir von hinten gleich ins Ohr. Na das kann ja heiter werden.
Mein Beifahrer allerdings war ein eigentlich total netter Kerl, dessen erste Amtshandlung es war, sich für seine Kumpels zu entschuldigen und mir eine grobe Zieladresse zu nennen. Plötzlich erschien etwa 3 cm neben meinem Auge ein Gesicht:
„Mach ma Kurzstrecke, Alter!“
„Nee Jungs, so nicht!“
hab ich klargestellt. Das Ziel lag runde 5 bis 6 Kilometer entfernt, und auf Preisverhandlungen lasse ich mich grundsätzlich nicht mehr ein. Ich bin noch kurz demonstrativ stehengeblieben, obwohl hinter mir bereits fleißig gehupt wurde.
„Hör nich auf die, die sind besoffen.“
meinte der auf dem Beifahrersitz und gab mir zu verstehen, dass er selbstverständlich den Preis auf der Uhr zahlen würde. Na gut, immerhin nur 2 Idioten. Die haben sich allerdings in den nächsten 5 Minuten wirklich alle Mühe gegeben, anstrengend zu sein. Sie haben sich in einer Lautstärke unterhalten, die nur den Schluss zuließ, dass sie implantierte Ohrenschützer hatten, die Wortauswahl bediente sich nicht nur der klischeehaftesten Sprache, sondern umfasste sowieso nur rund 100 Worte. Davon etwa 50 nicht jugendfreie.
Eine Kleinigkeit war allerdings erstaunlich: Die üblichen frauen- und schwulenfeindlichen Sprüche waren nicht dabei. Das zu bemerken fiel mir gar nicht schwer, da sie sich lange Zeit damit aufhielten, sich gegenseitig zum Oralverkehr zu überreden. Als sie dabei diskussionsmäßig nicht weitergekommen sind, haben sie begonnen, meinen Beifahrer zu beleidigen. Der hat dann – nachdem er sich im Vorfeld bei mir entschuldigt hat – versucht, die beiden zu schlagen. Also die freundschaftliche Schlägerei-Variante.
Dann kam, was bei so einer wirklich anstrengenden Tour nicht fehlen darf: Das muntere Auswechseln von Fahrtzielen. Jeder der drei redete auf mich ein, wann ich wohin abbiegen müsse, natürlich nicht ohne sich dabei ständig zu widersprechen.
„Jungs, nu mal ruhig! Ich bring euch gerne überall hin, aber einig sein solltet ihr euch halt!“
Während sich nun der Beifahrer darum kümmerte, mich zu fragen, ob er meine Nummer haben könnte, weil er mich cool fand, stritten die beiden hinten sich über das Fahrtziel:
„Gehn wir bei mir. Könnt ihr zoggn, Alder!“
„Was zoggn? Wo soll isch pennen?“
„Pennsch du nix, Alder! Zoggn. Dann gehsch du heim!“
„Boah, bisch du Arschloch Alder. Wir gehen bei mir!“
Man glaubt es nicht, aber so kann man sich minutenlang unterhalten und gleichzeitig absurde Wegbeschreibungen für den Taxifahrer von sich geben. Aber alles hat ein Ende, und ich kam zuletzt sogar darum herum, mich bei dem dunkelsten der Drei zwischen den zwei Anreden „Nigger“ und „Kanake“ zu entscheiden. Die wollte mir der Spaßvogel hinten links aufdrücken, als er mir „Blacky“ vorgestellt hat.
Und so standen wir da, vor einer zu guter Letzt kollektiv beschlossenen Zieladresse. Von rechts hauchte es nur noch sehr dünne Entschuldigungen, während es hinter mir zappelte und tobte:
„Scheiße Mann, bin isch hier Kindersischerung!“
Der Typ auf dem Beifahrersitz versank fast vor Scham in sich selbst, während er versuchte, die 10 Euro und ein paar Cent zu begleichen. Einen Fuffi wollte er mir nicht geben, also suchte er nach Kleingeld. Ich hab zwischenrein einen Blick nach hinten geworfen. Das Auto war sauber, ernstlich Probleme gemacht hatte also keiner.
Fürs Kleingeld musste nun der größte Stresser ran, und statt dummer Sprüche reichte er mir ordentlich Trinkgeld und bedankte sich, dass ich so cool gewesen wäre. Von hinten drängte sich „Blacky“ durch und meinte:
„Wir sind ordentlische Leute, nur betrunken. Mach disch nich Vorurteil! Kein Vorurteil wie Sarrazin! Hey, Kanake, Scheiße, Ausländer, Deutsche, Ost, West – wir sin alles eins! Wir sin cool! Vielleisch nisch jetz! Aba wart mal paar Jahre!“
Das ist kein Witz! Das haben die mir zum Abschluss wirklich so gesagt! Ich fand das ja selber zu klischeehaft.
Und während die beiden Rückbänkler gemeinsam „Wir sind Deutschland!“ riefen und in Richtung Haus zum Zocken verschwunden sind, nickte mir mein (inzwischen Ex-) Beifahrer durchs geschlossene Fenster mit einem mildtätigen Blick zu und bedankte sich mit einem nach oben gereckten Daumen dafür, dass ich sie heimgebracht habe.
Ja, es war eine anstrengende Fahrt. Auch das Geld im Taxi verdient sich manchmal mühsam. Auf der anderen Seite bestätigen mich solche Fahrten immer wieder, dass der größte Unterschied gemacht werden muss zwischen Arschlöchern und Nicht-Arschlöchern, zwischen Zurechnungsfähigen und Unzurechnungsfähigen, sicher aber nicht zwischen Nationalitäten!
Und ich rede das nicht schön. Es gibt auch ganz andere Typen, das ist mir klar. Aber mal ganz im Ernst: Die Typen hätte ich – wäre ich vor ihnen geflüchtet – auch nur als Vorzeige-Assis in Erinnerung behalten. Dabei waren es auch nur ein paar bekloppte Besoffene mit einem seltsamen Humor.
Verdammte Scheiße ja, mir würde doch irgendwie was fehlen ohne solche Gestalten! 😀
Das sind wichtige Erlebnisse, eben weil sie vorurteilen Entgegenwirken. Niemand steht eines morgens auf und sagt „ich hab’s, ich werde Rassist!“, das ist ’ne schleichende Entwicklung, und ich vermute, wenn jeder, bei dem sie abgeschlossen ist, öfter mal sowas erlebt hätte, wäre er heute anders drauf.
Ein Polizist erzählte mir mal, dass er früher für den Hbf HH zuständig war und da beinahe ausschließlich Drogendelikte von Schwarzen und Gewaltdelikte von Südländern anfielen. Er hat sich dann versetzen lassen, weil er meinte, er konnte kaum noch normal auf der Straße einen sehen, der in das Täterprofil passt, ohne zu meinen, das sei sicher ein Verbrecher. Allerdings hat er es wohl rechtzeitig gemerkt und nicht noch ein paar Jahre weitergemacht, sonst sähe das sicher anders aus.
Das beweißt nur wieder, dass die Welt nicht Schwarz-Weiß, sondern eine Abstufung von Grautönen ist.
@Thomas S.:
Klar ist das so. aber dazu ist auch nicht zwingend ein Umzug oder eine Versetzung notwendig. Wichtig ist und bleibt, dass man versucht, in jedem Menschen ein Individuum zu sehen. Dass viele das nicht schaffen, liegt einfach daran, dass es uns allen leichter fällt, Muster zu suchen, bzw. zu erkennen.
Ganz im Ernst: Ich hatte auch in meiner Schulzeit viele Probleme mit „Ausländern“. Und? Im Gegenzug kenne ich eben sehr viele nette Gegenbeispiele. Aber sicher waren mir die Typen zunächst auch ihres Aussehens (und damit der Herkunft) wegen suspekt. Ich hab auch Vorurteile, leider! Aber der entscheidende Punkt (meiner Meinung nach) besteht darin, eben auch den vorurteilsbelasteten Menschen eine Chance zu geben, diese zu widerlegen. Und wenn es einmal schief geht, eben nochmal. Tatsache ist eben: Nur weil vielleicht „ziemlich viele“ Südländer Scheiße bauen, heisst das noch nicht, dass es deswegen alle tun, bzw. dass es irgendwie ihre „Veranlagung“ ist.
Im Übrigen: Respekt an den Polizisten! Von der Sorte gibt es leider viel zu wenige!
@Der Maskierte:
Ja, das ist wahr! Wichtiger aber noch: Oftmals liegt es an uns selbst, zu entscheiden, ob das wahrgenommene nun dunkel- oder hellgrau ist…
Wie geil ist das denn!
Ich sag ja immer wieder, Idioten sind Idioten, egal wie sie aussehen, reden oder wo sie herkommen. Und lustige Suffis sind lustige Suffis, zum Glück gibt es die Spezies, viele Besoffenen sind ja leider anders.
Übrigens, sehr empfehlenswert: http://derbraunemob.info/deutsch/index.htm
…nachdem ich da eine Weile rumgesurft bin, hab ich gemerkt, wieviel „Alltagsrassismus“ sich bei mir eben doch eingeschlichen hat. Beschämt mich, aber es ist ja auch wichtig, sich sowas einzugestehen. So kann man an sich arbeiten.
Och, ich find: „Wir sind cool, vielleicht nicht jetzt aber später“ mal so richtig genial 🙂 .
Im Übrigen ist mir mal aufgefallen, dass insbesondere Migranten stark darauf achten, weche Ursprungsnationalität irgendwer hat. Ich wurde mal von einem ‚ausländischen‘ Kollegen gefragt, aus welchem Land denn ein anderer Kollege kommt, mir ist sowas immer völlig egal, ich wusste es auch nicht, hab den Kollengen dann später aber gefragt. Auch wenn man sich über einen Kollegen unterhält kommt – fast ausschließlich – von Zugezogenen: „…. das ist der Türke/Pakistanie/Russe/woherauchimmerstammend“.
Wenn es darum geht, jemanden aufgrund seiner Herkunft ( oder besser der seiner Ahnen ) zu diskreminieren, ist es bei Deutschen dabei egal ob dieser jetzt aus der Türkei oder ausm Iran kommt.
@Anna:
Ich bin auch mit soooo einem dicken Grinsen weitergefahren, in Gedanken den Blogeintrag schreibend 😀
Das mit dem Alltagsrassismus ist allerdings wahr, und ich glaube, es gibt kaum Leute, die da wirklich frei von sind. Schlimm finde ich, dass ich mir tatsächlich Gedanken machen muss, ob ich solche Artikel schreibe, weil sich immer jemand findet, der da irgendwas bewiesen sehen will…
@Mariha:
Der Spruch ist auch wahrscheinlich das Beste an der ganzen Fahrt 🙂
Das mit der Frage nach der Nationalität stimmt sicher auch nicht uneingeschränkt. Wirklich obskur wird es aber dann, wenn sich z.B. ein tunesischer Kollege ständig beschwert, dass er nicht zu den Türken gehört. Manchmal frage ich mich wirklich, warum die Menschen sich nicht mal um wichtigere Themen kümmern…
Auch im Zug hab ich solche „Gestalten“ oft um mich herum sitzen. Sprechen in einem Mix aus Deutsch und Heimatsprache, weil ihnen scheinbar ein paar Vokabeln nicht einfallen, oder aber es ihnen peinlich ist, sich hier in der Landessprache zu unterhalten.
Andererseits gibt es wirklich Menschen, die mit dem Alter vernünftiger werden. Man kann da sicher keine Statistik aufstellen, aber letztendlich sind die Erwachsenen aus diesen Reihen oftmals vernünftiger als die Klischeegruppe bei dir im Auto. Sicherlich sind nicht alle so, aber vielleicht leben sie ihre Jugend gegenüber uns einfach nur anders aus.
@Tobias:
Wobei ich auch sagen muss: Anders ausleben? Ich selbst war zwar immer ein relativ ruhiger Zeitgenosse, aber so unverbreitet waren gelegentliche Schlägereien zu meiner Jugendzeit jetzt ja auch nicht. Wobei sich das Gefälle da deutlich an der Bildung orientiert hat. Bei uns auf dem Gymnasium gab es sowas kaum, und die wenigen, die es mit Mobbing versucht haben, haben ganz schön Ärger gekriegt. An den umliegenden Haupt- und Realschulen sah das teilweise ganz anders aus.
Also den Spruch von deinem Besoffenen fand ich ja mal richtig gut. Den werde ich meinen ostdeutschen Freunden und Verwandten (bin ja selber Ossi) mal auf hochdeutsch erzählen. Die finden den Sarrazin nämlich auch gut, schließlich würde er ja nur das aussprechen was alle denken über die Ausländer!!!11 Ich als Ossi merke es nämlich fast jeden Tag wie man behandelt wird, wenn man sich als Ossi zu erkennen gibt (von bestimmten Personen, die dann einfach als Arschlöcher tituliert werden können) – ich kann mir genausowenig meine Herkunft aussuchen wie die Herren Besoffenen bei dir im Taxi.
@Missac:
Ja, dann erzähl das mal weiter! Wäre mir echt ein persönliches (und natürlich auch gesellschaftliches) Anliegen!
Ob es meinen Protagonisten jetzt damit ernst war, kann ich auch nicht sicher sagen – aber immerhin beweisen sie, dass man nicht studiert haben muss, um mal auf den Gedanken zu kommen, dass wir auch ungeachtet unserer Herkunft miteinander auskommen können.
Im Übrigen: Ich kann mir vorstellen, dass du als „Ossi“ bisweilen Zurückweisung erfährst – ich erfahre das als „Schwabe“ gerade auch gelegentlich. Nimm es nicht so ernst! 🙂
Will do!
Nah eigentlich nehme ich es nicht ernst, bin ja selbst keine Heilige. (Ich rege mich gerne köstlich über die „Hascht du dies und das gekauft?“- Sprecher auf, die keinen Migrantenstatus haben 😀 ) Dabei kann ich nicht mal lokalisieren woher dieser Menschen kommen – aus Hessen oder doch aus BaWü?
Nur was mich stört, ist das was man nicht nachweisen kann, was hinten rum geschieht – vor allem an der Uni. Da gibts ja Noten und es gibt so Dozenten die mögen es einfach nicht ostdeutschen Arbeiterkindern gute Noten zu geben. Dagegen ist man weitgehend machtlos, weil man bzw ich es nicht einsehe ständig meine Herkunft zu verstecken. Im Gegenteil ich bin eher stolz drauf, dass ich es trotz so „ungünstiger“ Umstände schon auf den ersten akademischen Abschluss gebracht habe in meiner Familie. 🙂 Aber das ist nun wahrlich eine andere Geschichte und geht zu sehr ins Detail. 😉
Zusatz:
Gefahrlaufend jetzt positiv zu diskriminieren: ich finde solche nicht Studierten sogar erfrischend in ihrer Logik & Argumentation – ich als Akademiker fang viel zu schnell an dumm rum zu analysieren und abzuwägen, wobei man es doch auch schön knapp und kurz sagen kann.
@Missac:
Ich hab ja auch ein bisschen ein Faible für unsaubere Sprache zum Beispiel. „Bin isch hier Kindersicherung!“ sagt doch alles aus 🙂
Was den Unibetrieb angeht, kann ich ja aus eigener Erfahrung gar nichts sagen. Aber dass es da ebenso wie an Schulen und im Rest der Gesellschaft Idioten gibt, ist mir schon klar.
ich wünsche diesem eintrag etwas verspätet einen wunderschönen jahrestag <3 ! 😀 *gold einrahm*
@leserin:
Vielen Dank. Ist mir auch eine der liebsten und lustigsten Erinnerungen aus dem letzten Jahr 😀
Boah ey, escht eine der besten Stories hier! 😉
Was ich auch immer schön finde, wenn sich „Migrantenkinder“ untereinander oder mit ihren „original-deutschen“ Kumpels akzentfrei im regionalen Dialekt unterhalten und bei Bedarf blitzartig aufs elterliche Idiom umschwenken.