Taxigewerbe. Auch wenn die meisten uns bemitleiden wegen der Arbeitszeiten, dem Gehalt oder dem permanenten Kontakt zu pöbelnden Fahrgästen: Es gibt ja noch die andere Seite.
Abgesehen von den Arbeitszeiten, dem für ungelernte Tätigkeiten eigentlich passablen Gehalt und dem permanenten Kontakt zu netten Fahrgästen mag ich am Gewerbe die lockere Umgehensweise. Das Verhältnis zwischen Chef (wenn es überhaupt einen gibt) und Fahrer ist in den meisten Fällen doch ein ganz anderes als zwischen vielen anderen Arbeitnehmern und -gebern. Dazu hier ein kleines Beispiel:
Am vergangenen Mittwoch bin ich seit einem Monat das erste Mal im Büro aufgeschlagen um Abrechnung zu machen. Für mich eine grundsätzlich miese Geschichte dieses Mal, da ich nicht nur einen miesen Umsatz in der Tasche hatte dank vieler freier Tage um den Tod meiner Mutter, sondern auch nach dem mir zustehenden Tag Sonderurlaub fragen wollte und nicht zuletzt eine Krankmeldung abzugeben hatte, die vier Tage Mitte Dezember betrifft, von der ich meinen Chef noch nicht einmal in Kenntnis gesetzt habe. Und ja: Auch in meinem Arbeitsvertrag steht was von sofortiger Meldung und Vorlage bis zum dritten Tag.
Kurzer Dialog:
Sash: „Ach ja, und dann hab ich hier noch eine Krankmeldung vom 14. bis zum 17. Dezember. Ich hab’s völlig verplant, da Bescheid zu sagen…“
Chef: „Das is kein Problem! Wir sind hier ja nicht bei Siemens!“
Bisschen peinlich, dass ich dann auch noch vergessen hab, die Tankbelege und Schicht-Abschreiber abzugeben. Naja, das ist dann Thema der nächsten Abrechnung, würde ich sagen 😉
Nachtrag:
Muss die Abschreiber wohl doch vorher vorbeibringen. Naja, passiert…
Aber vermutlich verdient man bei Siemens doch ein bisschen mehr 🙂
Aber eine Frage interessehalber: Das ist bei Euch nicht tragisch, wenn Du krank bist und nicht fahren kannst? Ist das anders als bei „normalen“ Jobs, sprich: Würde Dein Chef nicht jemanden als Ersatz suchen wollen? Heisst das, der Wagen steht dann leer rum und fährt keine Umsätze ein? Oder ist ein Ersatz gar nicht möglich, weil Ihr als Fahrer feste Wagen habt? Aber Du bist doch schon „normaler“ Angestellter, oder? *rätsel*
Falls Du das schonmal irgendwo erklärt hast, verweise mich einfach auf den Beitrag 🙂
“Das is kein Problem! Wir sind hier ja nicht bei Siemens!”
Würd ich an deiner Stelle bereuen. Der Sohn des Chefs meiner Mutter ist es und hat sich letztens einen Maybach zugelegt.
Aber gräme dich nicht, ich hab auch das Falsche gelernt…
@Nihilistin:
Klar, der Wagen steht dann rum. Normalerweise sagt man bei sowas ja auch Bescheid, damit klar ist, dass der Wagen im Notfall (kann ja mal ein anderer ausfallen) für jemand anders bereitsteht. Deswegen tauschen wir den Wagen ja auch an einer verkehrsgünstigen Stelle und nicht vor der Haustür.
Das mit den festen Wagen ist halb wahr. Mein Chef bemüht sich drum und ich finde es angenehm. Im Normalfall nehme ich also immer den selben Wagen. Bei Leuten, die beispielsweise nur am Wochenende arbeiten, kommt es dann schon häufiger vor, dass sie verschiedene Autos fahren.
Wie es eben passt…
Aber sonst bin ich normaler Angestellter.
@Matthias:
Ich freu mich doch lieber im Opel auf die Arbeit, anstatt mir im Maybach über selbige Sorgen zu machen. Ich bin sicher, ich hätte da nur an den Tagen des Gehaltsschecks Spaß dran – und das reicht mir nicht. Lieber hab ich am Tag des Gehaltschecks Ärger und bin sonst zufrieden 🙂
Auch im Taxigewerbe ist das mittlerweile die große Ausnahme, dass die Chefs so locker drauf sind. Wie sagte meine vor kurzem: „Wir sind doch nicht mehr in den 90ern!“
Da hat sich einiges verändert seit den frühen 90ern. Bei 300,- Mark Umsatz am Tag und 2 oder 3 Tage frei kam man auf knapp 9000,-Mark Umsatz im Monat. Der Liter Diesel war bei ca. 1,- Mark und mein Mercedes Taxi kostete neu 32.000,- DM netto. Mittags aufstehen, durch die Stadt fahren, Pause machen wo und wann ich will …
Über eine Stelle Siemens habe ich nur gelacht, auch finanziell. Ich habe auch kürzlich einen gutbezahlten Job (fünfstellig oberer Bereich Jahresgehalt) nach zwei Jahren an den Nagel gehängt. Geld kommt nicht an erster Stelle. Bei allen wircklich wichtigen Ereignissen, riskante Situationen im Ausland, Un- und Glücksfälle mit der Gesundheit, Geburt meiner Kinder … spielte Geld nur geringe oder keine Rolle. Wenn ich viel Geld habe bin ich noch lange nicht reich. Da fahre ich lieber Taxi und schmiede weiter an meinem Glück. Auch in den 10ern!
@Aro:
Ja, das kann natürlich sein. Ein Grund mehr, mit meinen Chefs zufrieden zu sein…
@Reinhold:
Ja, wenn man die Zahlen so liest, kann man wirklich neidisch werden. Das sind jetzt natürlich Zeiten, in denen ich mich nicht wirklich mit der Bezahlung von Jobs auseinandergesetzt habe. Mit 10 Jahren habe ich soweit ich weiss noch geglaubt, mein Vater könne ein Auto aus der Portokasse zahlen.
Aber dennoch hab ich noch nie in meinem Leben gehört, dass Taxifahrer ein gut bezahlter Job wäre. Das sollte man bei deinen Zahlen allerdings annehmen. Wie kommt das?
Ansonsten kann ich deine Einstellung sehr gut verstehen 🙂
Taxífahren ist auch kein gutbezahlter Job. Damals waren die Umstände und meine persönliche Situation anders. Das Geschäft lief tatsächlich besser und ich habe praktisch im, vom und mit dem Taxi gelebt. Ich war da auch noch Single. D.h. ich hatte mehr Zeit für die Arbeit und keine Familie zu ernähren. Die Zahlen waren damals für damals richtig. Man kann das aber nicht mehr einfach umrechnen. Die Umsätze der Kollegen rauschten in den Keller, der Dieselpreis ist gestiegen. Die Werkstattkosten haben sich verdoppelt. Für meine letzte Inspektion habe ich 600,-€ bezahlt … .
Ich kann auch nicht mehr so Taxifahren wie früher. Ich muss viel nachhaltiger arbeiten. Die risiko- aber ertragreichen Taxifahrer Nachtgeschäfte kann und will ich nicht mehr machen. Der gutbezahlte Job, von dem ich geschrieben habe, war ein Funktionärsposten in der Taxigenossenschaft, der hatte nichts mit Taxi „fahren“ zu tun.
@Reinhold:
Immerhin ist das Taxigewerbe nicht das einzige, in dem es bergab geht. Ich sehe es noch locker, ich kenn keine anderen Zeiten…