Ach, Fuck!

Ich hab eine Kundin an einem der Oktoberfeste eingeladen. Die Zieladresse war schnell klar und sie hat auch nicht gestört, dass mir ihre Straße zunächst nix gesagt hat. Aber die Richtung war eben auch schnell ermittelt und die Fahrt damit kein Problem. Wie eigentlich fast alle. Da sie im Dirndl sichtbar vom Fest kam, hab ich eher rhetorisch gefragt, ob sie einen guten Abend gehabt hätte.

Als sie nur mit „naja“ geantwortet hat, hab ich mir noch nix gedacht. Kann ja alles überall mal so mittel sein. Aber bereits auf die Nachfrage, ob sie Stress gehabt hätte, hat sie wortkarg angemerkt, dass da halt eine Menge „komische Typen“ gewesen seien. Ich hab versucht, das nicht unsensibel anzugehen und vermutend angemerkt:

„Lassen Sie mich raten: Alle besoffen …“

„Ja, ja, das auch …“

Mir war schnell klar, dass sie mir nix näheres sagen wollte. Aber sicher, ich bin halt auch nur so ein x-beliebiger Kerl an dem Abend gewesen. Doch in Gedanken hab ich sie zum Hashtag #metoo twittern sehen und mir hat das unendlich wehgetan. Sie hat sich dann auch offensichtlich bewusst nicht bis zur (nie näher definierten) Haustüre bringen, sondern mich zwei Kreuzungen vorher stoppen lassen.

Ich verstehe das, aber ich hätte ihr gerne ein wenig mehr den Glauben in die Menschheit zurückgeben wollen.

Die gute Tat für heute

Ich hab spät in der Nacht ein Pärchen nach Mahlsdorf gebracht. Und Mahlsdorf klingt nicht nur wie „Dorf“, es ist auch eines. Ich hätte bei runtergelassener Scheibe quasi nach Brandenburg spucken können. Und dann hundert Meter  stadteinwärts eine Winkerin. Yeah! \o/

„Bestellt auf XY?“

„Oh. Nein, das  bin ich nicht. Ich war nur zufällig hier, hab gerade Kundschaft abgeladen.“

„Und was machen wir jetzt?“

„Sehen Sie, ich würde sie natürlich gerne mitnehmen. Aber vermutlich kommt der Kollege gleich. Der hat extra gewartet und sich nun auf den Weg gemacht …“

„Oh! Verstehe. Gerade hieß es halt, dass in einer Minute … und jetzt sind Sie da …“

„Wissen Sie was? Ich fahre jetzt mal hier ran. Sollte in fünf Minuten niemand da sein, dann nehme ich Sie mit. Aber so viel Kollegialität muss sein, so verdienen wir halt unser Geld.“

„Oh, ja, ja … vielen Dank! Sie sind der erste, der mir das so erklärt.“

Der Kollege kam eine Minute später. Definitiv keiner, der sich via Sprachfunk näher an die Kundin herangelogen hat, was ja leider immer noch passiert.

Ja, ich hätte die Tour gut gebrauchen können. Und ja, ich hab zwei Lebensminuten mit dem Gespräch „verschwendet“. Am Ende der Schicht wusste ich nicht einmal mehr, ob das gut oder schlecht war, weil ich die ein oder andere Tour danach zwei Minuten früher nicht bekommen hätte. So geht’s also auch, liebe Tourenklauer …

Wer gibt früher auf?

Ich hab’s so oft geschrieben: In Berlin alles zu kennen, ist nicht möglich! Auch für uns Taxifahrer. Es wird immer irgendeine Eckkneipe, irgendeine Straße, ja selbst irgendeinen Club geben, der jetzt gerade in diesem Augenblick diesem einen Taxifahrer  nix sagt. Und das nicht wegen seiner Inkompetenz, sondern weil Berlin fast 900km² umfasst, in denen sich ständig alles ändert.

Aber nun das: Am Bahnhof Friedrichsfelde-Ost. Eine Station der U6, die mit N anfängt und irgendwo in der Nähe von Stadtmitte liegt.

Nope. Sorry.

Aber ich hab ihr zuliebe mein Handy gezückt und nach der U6 gesehen. Nix. Also zumindest nix, was nahe genug war und ihr vertraut vorkam.

Sie wollte weiter suchen, also war ich dabei. Der komplette Linienverlauf? Hier, bitte!

Nope.

Aber sie hatte sich das Hotel abgespeichert. Ob ich Strom für ihr Handy hätte?

Ich dachte, ich hätte, da wir beide ein Samsung unser eigen nannten, aber:

Nope.

Ob sie mal mein Handy haben könnte, um sich bei Hotmail anzumelden? Da hätte sie die Adresse.

Was macht man nicht als kundenorientierter Taxifahrer?

Natürlich hab ich abgecheckt, wohin sie mit meinem altersschwachen S5 hätte rennen können und ob sie mir vielleicht absichtlich einen Zweitaccount bei meiner Lieblingspornoseite erstellt, aber:

Nope. Sie hat die Mail nicht gefunden.

Aber „Hallesches Tor“ sei ihr vertraut. Da seien sie heute schon umgestiegen. Ob ich sie und ihren Freund da hinbringen könnte?

Natürlich!

Nun aber wollte der Freund nicht, der bereits „seriously mad“ ihretwegen sei.

Ob ich ihr noch einmal bei Google-Maps den Stadtplan zeigen könnte. Klar, aber:

Nope. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie genau müsste.

„Well, then  sorry! We’ll wait here …“

Worauf oder auf wen sie warten wollte, weiß ich nicht. In dem Fall bin ich mir aber zumindest sicher, dass ich WIRKLICH alles versucht habe und es nicht meine Schuld war, dass das keine Tour wurde.

Die Guten mal wieder …

Wie jedem Menschen, der online irgendwas schreibt, sitzen auch mir ständig die Leute im Nacken, die alles besser wissen und mir geradezu erzählen müssen, weswegen nun genau das falsch ist, was ich gerade gesagt habe. Oder gemacht habe. Mal abgesehen von all den Rassisten sind da z.B. die Leute, die mir einreden wollen, nie betrunkene Leute mitzunehmen. Meist sind das Kollegen, die bei diesem Job, den man auf zigtausend Arten machen kann, eine der zigtausend anderen Arten nutzen, um ihr Geld machen. Wenn das nicht illegal ist, ist das auch ok und ich gönne wirklich jedem seinen Weg, aber bei allzu offensichtlicher Ignoranz lehne ich Lebensweisheiten anderer auch gerne ab.

Ich glaube gerne, dass Kollegen wesentlich mehr Stress mit Besoffenen haben als ich. Nur liegt das meiner Erfahrung nach nur zu einem (eher kleinen) Teil an der betrunkenen Kundschaft. Ein nicht ganz unwesentlicher Faktor ist halt auch, wie man den Menschen begegnet. Sorry, dass ich den Text hier so belehrend einleite, aber es ist die fucking Wahrheit! Denn wenn ich an meine Arbeit mit der Überzeugung rangehen würde, dass alle Männer oder alle Weißen, alle Deutschen und alle Arbeiter scheiße sind, dann wäre ich halt nix anderes als ein Nazi mit einigen Orientierungsproblemen. So wie eben die eher orientierten Nazis Frauen, Schwarze, Ausländer und Akademiker scheiße finden.

Aber ja: Auch ich hab gezuckt, als mich zwei besoffene Typen in Marzahn direkt beim Überholen eines Autos gestoppt haben, nahezu lebensmüde beim Überqueren der Fahrbahn. Nur einer der beiden sprach Deutsch und beide kamen offenbar aus Litauen (dieses Wissen verdanke ich witzigerweise dem, der kein Deutsch sprach).

Kurzstrecke zu einer mir bekannten Straße in Marzahn. Ist ok, reicht. Da der neben mir sitzende Kandidat gleich das Kleingeld zählte, war ich etwas unsicher, als er dann doch eine Tanke ansteuern wollte, um noch Bier zu holen. Aber ich bin Dienstleister, deswegen hab ich meine Sorgen kurz in eine brauchbare Ansage übersetzt:

„Die Jet? Ist ok. Aber dann werden es mehr als 5€, ist das ok?“

„Da. Ja, OK.“

Ich will nicht verneinen, dass man da Vorkasse verlangen kann. Mir war das nur so mittel genehm, aber die Welt ist ja nicht schwarz-weiß. Mal abgesehen davon, dass mich z.B. 5 bis 10 € nicht in der Existenz bedrohen, wusste ich nun ja z.B. auch, dass ich den Typen bei einem Fluchtversuch hätte hinterherrufen können, dass sie auf dem Video der Tanke erkennbar sind. Und all die Neunmalklugen können sich nun gerne mal überlegen, welchen Effekt sowas haben könnte …

Nun aber stand ich alsbald an der Tanke und der Tanz der Betrunkenen sorgte bereits bei der Bediensteten dort für dezentes Augenrollen. Obwohl nur zwei Bier geordert wurden.

Der im Fond verbleibende Typ textete mich inzwischen in einer Sprache zu, die ich nicht verstand. Aber er schien nett zu sein. 🙂

Dann also der „Rückweg“ zur Wohnung. Und zur Bestätigung: Wie erwartet: Marzahn, Plattenbau, Osteuropäer, nur Münzgeld, besoffen, mit Umweg! Sowas nehmen ja manche, die sich hier „Kollegen“ nennen, gar nicht an.

Ich stoppte also vor einem der acht Eingänge des Zwölfgeschossers, mache das Licht an, und … der Typ neben mir kramt vier Münzen aus seiner Hosentasche. Sechsfuffzig.

„Was machen genau?“

„Wir sind jetzt insgesamt bei 11,50€.“

„Aber chab’ch seechs.“

OK, die Arschlöcher hatten recht, ich bin ein Idiot, ich hätte es ja wissen müssen! Oder?

„Daan soorry! Chmuss kurz in Wohnung, Geeld! Kuussin blejbn! OK?“

Na klar. Wie so oft: Da ist noch Geld in der Wohnung gewesen und neben dem Rucksack blieb mir auch der litauische Cousin als Pfand. Am Ende eine Allerweltsgeschichte, die ich so auch zigfach bei nicht besoffenen Deutschen hatte. Überraschung! Ich werde sie hier trotzdem mit „zahlungsunfähig“ taggen, weil da alle Geschichten reinkommen, bei denen es ums Geld geht. Egal, ob zu viel, zu wenig, Trinkgeld oder  Tourumsatz, ob überraschend absurd passend oder weil mein Fahrgast Mario Draghi war … ich bleibe dabei: Meist läuft es am Ende gut.

🙂

Irgendwas doppelt?

Ende der Fahrt. Dreizehn irgendwas.

„Sorry, is’n bisschen zerknittert. Sind 15, passt so.“

Und er reicht mir einen zerknüllten Zehner und einen ebensolchen Fünfer. Passiert oft, mir egal.

„Nur kurz: Irgendwas doppelt?“

Hey, einer der nachdenkt! Denn ja: Ich hab schon zwei- oder dreimal bei schnell flüchtenden Fahrgästen am Ende doch noch einen Fünfer mehr in so einem Geknülle gefunden und ihn am Ende dann halt doch als Trinkgeld eingesteckt. Also wenn jemand nicht die drei Sekunden warten kann …

„Aber wenn’s so ist, sei’s Dir gegönnt. Is aber nicht zufällig ein Fuffi drin oder so?“

Ich will nicht lügen: Nette Einstellung! 😀

Aber ebenso ungelogen war meine Antwort:

„Nein, sind 15, passt alles!“

 

Nasser Sitz

Die Kundin zahlte, gab Trinkgeld, verabschiedete sich nett und stieg aus. Eine weitere Fahrt absolviert, dazu eine unerwartete Winkertour, die prima lief, obwohl es Sprachprobleme gab und die Kundin die Adresse ganz woanders vermutet hatte. Ich war ob all dieser Dinge froh, doch dann sah ich, dass mir ein nasser Beifahrersitz hinterlassen wurde.

Bitte nicht!

Weder Kundin noch Auto haben unangenehm gerochen, aber wir hatten den schönsten Herbsttag, den man sich denken konnte, all das Laub auf der Straße knisterte vor Trockenheit … und so nett die Kundin auch war: Aus nachvollziehbaren Gründen meldet niemand seine Inkontinenz während des Einstiegs an, was sollte sonst passiert sein?

Und während ich kurz davor war, mich wirklich zu ärgern, hab ich – schon alleine aus Psychohygienegründen – nach Ideen gesucht, was denn sonst noch ein Grund sein könnte.

Glücklicherweise wurde ich sehr schnell fündig: Die gute Frau war während der Fahrt die meiste Zeit damit beschäftigt gewesen, einen frischen Blumenstrauß zu bändigen!

Und ja: Ich wäre auch gerne schneller drauf gekommen! 😉

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Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Schlechtestes Argument ever!

Ein sehr ungleiches Paar. Er vielleicht Mitte 40, ruhig und gelassen, sie dagegen eher 30 und aufbrausend. Sie hatten eine überhaupt nicht tolle Bahnfahrt hinter sich und waren dementsprechend unterschiedlich drauf. Sie wollten beide in ein Hotel, das nur einen Kilometer entfernt lag. Sie beide fragten mich, ob ich es kennen würde und wo das wäre. Ich hab kurz den Weg zu Fuß erklärt und auf die Nachfrage nach dem Taxipreis dorthin gleich angefügt, dass es für die Strecke wegen des Einstiegspreises halt doch vergleichsweise teure 6€ wären. Aber natürlich auch, dass ich sie gerne fahren würde.

Er hat sofort eingewilligt und sich ans Verladen der Koffer machen wollen, während sie ziemlich giftig in den Raum warf, dass sie ja wohl hoffentlich im Auto aufrauchen dürfe. Normalerweise hab ich da ein schnelles und deutliches Nein parat, aber ich hab kurz nach versöhnlichen Worten gesucht. Ich hab ja gemerkt, wie sehr sie der bisherige Reiseverlauf gestresst hat. Und dann keifte sie tatsächlich:

„ALTER, jetzt mach mal bitte ’ne Ausnahme! Bei DER kurzen Strecke!“

Ich meine: Ich hatte weder Bock, für eine 6€-Tour zu warten, bis sie aufraucht, noch sie mit Kippe einsteigen zu lassen (und EIGENTLICH ja auch nicht, sie zu verärgern, wäre das noch möglich gewesen). Und am Ende hatte sie schon aufgeraucht, als die Koffer verladen waren.

Aber im Ernst: Ausnahmen machen, weil es doch so eine kurze Strecke ist? Ich will mich da jetzt echt nicht aufführen wie eines der Arschlöcher, die kurze Strecken per se ablehnen, aber das ist so dreist wie vom Wirt einen Schnaps aufs Haus zu wollen, weil man ja auch nur ein Bier getrunken hat. Da bin ich vermutlich das erste Mal seit langem wortwörtlich sprachlos gewesen.

PS: Hätte ich von Anfang an gewusst, dass ich 3,90€ Trinkgeld kriegen würde, hätte die Sache vielleicht anders ausgesehen. 😉