Klischeefahrten, linke

Der letzte Samstagabend war spannend in Friedrichshain. Dank der Demo zur Unterstützung der Rigaer 94 war der Stadtteil völlig unberechenbar für Verkehrsteilnehmer. Was allerdings weniger an den Demonstranten lag, sondern mehr an der kreativen Umsetzung der Straßensperrungen seitens der Polizei. Ich bin im Wesentlichen gut durchgekommen an dem Abend, ich hab nur einmal ein paar Inder 500 Meter vor ihrem Hotel versichern müssen, dass ich ohne 10€-Umweg nicht weiterkomme und einmal einen alteingesessenen Kreuzberger mit etwa 400 Meter Umweg anstatt der kürzesten Route abspeisen.

Im Gegenzug hab ich dank meines grotesken Jobs (wo antikapitalistische Demos die Einnahmen steigern) eine kurze Zeit Ersatz für die „Szene-Bahn“ M10 übernehmen können.

Da Demos nun ja irgendwie an der Tagesordnung in Berlin sind, fand ich das noch relativ normal, obwohl ich meine Sympathien für die Rigaer 94 nicht verschweigen will und gestern zudem festgestellt wurde, dass die Anlass gebende Räumung vor kurzem rechtswidrig war.

Aber gut, ich war an dem Abend also viel dort in der Gegend unterwegs. Eine Fahrt mit Demoteilnehmern, Cops oder beteiligten Journalisten hab ich nicht gehabt. Leider. Eine hätte ich haben können: Einen Funkauftrag für eine Großraumfahrt. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich in der Nähe, aber Großraumfahrten werden bisweilen in ziemlich großem Umkreis ausgeschrieben. Egal. Als Start- und Zielpunkt standen da jedoch tatsächlich „Rigaer Straße“ und „Wedekindstraße“. Ich kann da natürlich nicht sicher sein, aber wieviel wollen wir wetten, dass es von ungefähr der Rigaer 94 (das besetzte Haus) zur Wedekind 10 (Polizeirevier) gegangen ist? 😉

PS: Fahrten in die andere Richtung hab ich vor meinem Job als Taxifahrer auch gelegentlich gemacht. In Erinnerung geblieben ist mir vor allem der entsetzte Kerl, der unweit einer Anti-Nazi-Demo festgesetzt wurde, weil er von seinem eben beendeten Urlaub ein ausgeblasenes Straußenei dabei hatte und ihm das als potenzielle Waffe ausgelegt wurde. Lacht nicht, sowas passiert wirklich!

PPS: Nein, mit „Szene-Bahn“ meine ich nicht die linke Szene!

Da lang?

„Hi, wir hätten eine Frage: Zum Fritzclub*, wo müssen wir da hin? Da lang?“

Sprach’s und deutete auf die Mühlenstraße.

„Kann man machen …“,

hab ich geantwortet.

„Aber einfacher wär’s, gleich das Gebäude hier vorne zu nehmen.“

Die Gruppe hat gelacht, sich bedankt, alles prima. Dann hab ich zu dem Kollegen, mit dem ich mein Gespräch wegen dieser Anfrage unterbrochen hatte, gemeint:

„Ich mag’s, wenn sie noch so klein sind. Da lachen sie auch über den letzten Bullshit.“

Da hat er dann auch angefangen zu lachen.

Ich mag’s, wenn die Leute um mich rum lachen. 🙂

*Ja, der Club heißt inzwischen Postbahnhof- oder Pbhf-Club, aber sie haben selbst den alten Namen verwendet.

Eingeschränkte Wegewahl

Da war einer direkt am Taxistand aber reichlich besorgt und rief seinem Kumpel zu:

„Wat willst’n da lang? Da sind überall Bullen, da komm‘ ich nicht mit!“

Nun mag eine besondere Häufung von Polizeifahrzeugen ja durchaus auf potenziellen Ärger hinweisen – jetzt auch mal völlig egal, ob man keinen Bock auf die Polizei selbst oder auf die hat, derentwegen selbige vor Ort ist.

Aber wenn man schon derart sensibilisiert ist, dann täte man gut daran zu wissen, dass am Ostbahnhof einfach nur ein Revier samt Parkplatz ist und abgestellte Wannen nun nicht wirklich keine nennenswerte Gefahr für wen auch immer sind.

Auf die Idee, mit dem Taxi aus der Gefahrenzone zu flüchten, ist er aber leider auch nicht gekommen … 🙁

 

Begrenzte Gehirnkapazitäten

Man sollte vermuten, zumindest die Grundrechenarten im einstelligen Zahlenbereich sollten bei allen Leuten, die man nachts zum Trinken auf die Straße lässt, funktionieren. Aber ja, dem ist wohl nicht so.

Ich hatte die Truppe aus drei Mädels schon aus hundert Meter Entfernung auf die Straße rennen sehen. Dabei gedacht hab ich mir eigentlich nur „Fuck!“, denn ich war bereits etliche Umwege entlanggegurkt, in der Hoffnung, Winker zu bekommen – und nun hielten sie den ebenfalls freien Kollegen vor mir an, der sich eine Kreuzung vor mir auf die Straße geschlängelt hatte. Wie sich das nachts auf breiten Straßen gehört, hat der Kollege auf der mittleren von drei Spuren gehalten und die Damen schwirrten um ihn herum. Ohne einzusteigen allerdings. Also hab ich mich mal vorsichtig genähert.

Der Kollege gab alsbald Gas und fuhr davon, daraufhin kamen sie zu mir. Was wohl sollte das werden? Fernfahrt, mit Hund, betrunkener Kumpel, Kartenzahlung, Schwarztour?

„Sagen Sie mal: Können wir bei Ihnen auch zu acht rein?“

„Äh … nein?“

„Bitte, ist auch nur ganz kurz …“

„Nein. Ende. Bis zu sechs Leute kann ich mitnehmen. Und das ist schon eng. Außerdem isses nicht erlaubt, die Verantwortung dafür liegt bei mir und ich mach das nicht!“

„Aber wir machen das voll oft, das geht schon. Was sollen wir denn sonst machen? Die Bahn kommt nicht und es ist voll wichtig, weil mein Kumpel, der hat Geburtstag und …“

„Dann müsst Ihr halt in den sauren Apfel beißen, einen Fünfer mehr ausgeben und zwei Taxis nehmen.“

Ich hatte an der Stelle mit viel gerechnet. Dass sie wie alle Gruppen aus mehr als sechs Leuten, die in irgendeinem angesagten Club Cocktails für 12,50 € schlürfen, natürlich keine 20 € fürs Taxi eingeplant haben (war eine 10€-Tour) oder dass sie keine 4+4-Konstellation finden, bei der nicht zwei sich erschlagen und zwei andere versehentlich miteinander schlafen. Aber weit gefehlt:

„Da … daran hab ich noch gar nicht gedacht.“

WTF?

Am Ende sind dann aber auch nicht vier der insgesamt acht Leute mit mir mitgefahren, weil … keine Ahnung. Aber ich war auf jeden Fall schuld an der Misere, weil ich diese tolle Idee ja nicht gebracht hatte, als noch das andere Taxi („Hier kommen ja niiiieee Taxis vorbei!“) da war. Also bevor sie mich gefragt hatten. Schon klar. *facepalm*

Reagieren im Straßenverkehr

Dank einer Bodenwelle und seiner schnellen Gangart tauchte er vielleicht 20 Meter vor mir erst im Scheinwerferlicht auf: Ein süßer kleiner Igel, ganz alleine hier draußen mit mir auf der B195 und voll auf Konfrontationskurs.

Ich hab dieses „richtig reagieren“ ja nirgends gelernt. Aber irgendwie klappt es dann halt doch meistens. Dabei hab ich noch nicht mal irgendwann ein Fahrsicherheitstraining gemacht. Nicht mal absichtlich, aber die drei Komponenten „Geld dafür“, „Zeit dafür“ und „dran denken“ sind während 13 Jahren Führerscheinbesitz einfach noch nie zusammengekommen.

Gut, wirklich brenzlige Situationen kommen auch nicht jeden Tag vor, aber ich habe das Gefühl, am Ende doch oft den richtigen Riecher oder zumindest mal Glück zu haben. Ich hab den Lenker nicht verrissen, als ich als Fahranfänger ohne Vorwarnung eine Ohrfeige von einer Taube bekommen hab, deren Flugbahn etwas zu dicht an meinem offenen Fenster vorbeiführte. Ein Cannstatter Fußgänger lebt nur noch, weil ich blind auf eine andere Spur ausgewichen bin, obwohl ich nicht wusste, ob dort jemand fuhr. Instinktiv hab ich lieber einen Blechschaden in Kauf genommen und es ging ohne alles aus, dass der Typ einfach auf die Straße gerannt war, wo dichter Verkehr bei Tempo 50 herrschte.

Dieses Mal hätte ich vergleichsweise wenig Ärger gehabt. So einen Igel würde die 2925 sicher verkraften. Ist ja nicht ganz das Kaliber eines Schäferhundes, der mit fernöstlicher Ausbildung so ein Opel-Taxi schon mal in den Ruhestand schicken kann
Nein, vermutlich wäre es ein lautes Knacken und ein unangenehmes Holpern für mich gewesen, mehr wohl aber nicht. Aber mal im Ernst: Wer will schon einen Igel erlegen? Für sowas haben wir in Berlin Füchse.

Wir waren wie gesagt alleine. weit und breit kein anderes Auto und die B195 lag dreispurig vor mir. Ich hab mich zwar weitgehend an die vorgeschriebenen 60 km/h gehalten, hab aber bei einem kurzen Antippen des Lenkrades gemerkt, dass ein wirklich sicheres Ausweichmanöver (der Igel war sich plötzlich auch nicht mehr sicher, wo er hinlaufen soll) mich eventuell wirklich ins Schleudern hätte bringen können. Also hab ich die Bremsen doch bis kurz vor Anschlag durchgetreten und durch sachtes Lenken versucht, den Herrn Igel genau zwischen die Reifen zu nehmen.

„Wenn Du schon die Körperform eines Fußballs hast, dann tunnel‘ dieses Scheiß-Taxi!“,

hab ich ihm in Gedanken zugebrüllt und bin mit immer noch rund 50 km/h über ihn drüber gerauscht. An dem Igel zog vermutlich sein ganzes Leben vorbei und zudem hat ihn vielleicht ein evolutionärer Geistesblitz getroffen, der ihm sagte, er solle sowas wie eine Lebensversicherung im Igelreich erfinden.

Ich hab kurz die Augen zusammengekniffen und auf das unschöne Knacken gewartet. Aber es lief alles gut. Während ich vorerst weiter bremste, sah ich im Rückspiegel bereits, dass mein gestachelter Freund nach einem Moment der Schockstarre, wo dieses hässlichfarbene Ding über ihn hinweggesegelt war, wieder zu Kräften fand und eifrig weiter in Richtung gegenüberliegender Straßenseite wuselte. Es hat also wieder mal gereicht. o/

Manchmal sind die kleinen Freuden ja auch gleichzeitig die ganz großen. 🙂

Ich und die Verkehrsregeln …

„KENNEN SIE DIE VERKEHRSREGELN!?“

plärrt mich eine alte Frau an, während ich mit dem Taxi an einer Tankstelle stehe und gerade einen Teil meiner Kundschaft entladen habe.

„KENNEN SIE DIE VERKEHRSREGELN!?“

wiederholt sie ihre Frage, ohne dass mir mehr als ein dümmlicher Blick als Antwort einfällt.

„SIE HABEN MICH EBEN FAST UMGEFAHREN! EINE FRECHHEIT! LAUT VERKEHRSREGELN HÄTTE ICH ALS FUSSGÄNGERIN VORFAHRT GEHABT, ALSO SOWAS GIBT’S JA WOHL NICHT, UNGLAUBLICH!“

Also mal abgesehen vom rüden Tonfall (die zwei Kinder im Auto haben schon ängstlich geguckt) bin ich da schon nachdenklich geworden. Wie leicht übersieht man mal was … zudem war es dunkel, die Straße war regennass, habe ich etwa wirklich …?

„Ach, die kenn‘ ich …“,

meint eine meiner Kundinnen.

„Die sitzt immer da vorne und trinkt und pöbelt Leute an. Und nein, ich hab sie auch nicht gesehen.“

Also war hier vermutlich nicht ich der Irre auf der Straße. Puh.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Noch ein Wochenendeindruck

Ich stand gemütlich an der Ampel, immerhin zeigte sie mir ihr schönstes Rot. Im CD-Player rotierte „Großes Kino“ von Blumentopf, meine linke Hand am Lenkrad deutete die zu „Block und Bleistift“ passenden Scratches an, ich war auf dem weg zum Sisyphos, ich war mit mir im Reinen.

Offenbar auch mit sich im Reinen, wenn auch mit mehr chemischer Nachhilfe, war dann der Typ, der vor mir über den Zebrastreifen torkelte. Bedächtig setzte er einen Schritt neben den anderen, vorwärts kam er nur sehr langsam. Das Hemd hing ihm einseitig aus der Hose, er grinste grenzdebil und nahm hin und wieder zur Sicherheit noch einen weiteren Schluck. Die inzwischen wohl beendete Party hing im sichtbar nach, er hatte zweifelsohne ein paar Drinks zu viel gehabt, aber er schien sich über seinen Zustand sehr zu freuen.

Weniger erfreut war die Staatsmacht, denn die wollte – von links kommend und in Zweierbesetzung in einen Opel Corsa gepfercht – nur schnell rechts abbiegen und musste deswegen diesen Zebrastreifen passieren. Was sich da hinter seinem Rücken abspielte, bekam der Betrunkene nicht mehr wirklich mit. Er hatte fast die Hälfte des Zebrastreifens geschafft und die Ampel war noch grün für ihn. So gut lief’s vermutlich die letzten drei Blocks nicht für ihn. Dass das Warten für die Polizisten unangenehm war, konnte ich mir vorstellen. Und ja, auch als Fußgänger sollte man halbwegs einen Blick auf seine Verkehrstauglichkeit haben.

Dass der Streifenwagen dann allerdings wirklich neben ihm nochmal gebremst hat, und der steuerführende Beamte den Partyhirbel angepöbelt oder mit irgendwas gedroht hat, das hat mich dann doch etwas überrascht. Und mich natürlich noch am wenigsten, denn während der blau-silberne Kleinwagen mit aufheulendem Motor verschwand, stand der Zebrastreifenflaneur ziemlich ratlos in der Gegend herum und versuchte, sich dieses Ereignis zu erklären.

Da stand er dann, zuckte die Schultern und nahm lieber noch einen Schluck. Ich hab ihn dann schnell umkurvt, inzwischen hatte ich ja selbst schon lange grün …