Es ist in diesen Tagen vielleicht nicht unbedingt angebracht, wegen solcher Kleinigkeiten wie dem Taxifahren von einem GAU zu sprechen, aber das ist die Wortwahl meiner Kundin. Die stand da, ich war noch gar nicht richtig losgefahren, am Straßenrand, konnte ihre aufgewickelten langen Dreads kaum bändigen (was sie mir im Übrigen sympathisch gemacht hat) und winkte. Einfach so. An einem miesen Mittwoch.
Im Übrigen sei angemerkt, dass ein GAU ja immerhin ein Ereignis ist, mit dem zu rechnen und das zu beherrschen ist. Da wird ja derzeit in der Berichterstattung um Japan auch viel Schindluder getrieben mit den Worten GAU und Super-GAU. Aber das nur nebenbei. In dem Fall hilft nämlich schon Wikipedia.
Bei meiner Kundin war es schon von der Sache her harmloser, denn bei allem Mist, den ich mit meinen Kollegen manchmal verzapfe: Mit havarierten Kernkraftwerken kann wahrscheinlich keiner von uns mithalten.
Was also war der Taxi-GAU?
Sie stieg bei mir ein, telefonierend, und fragte gleich:
„Du bist aber nicht bestellt, oder?“
„Nein…“
Daraufhin wandte sie sich dem Gesprächspartner zu und meinte:
„Nein, ist nicht das bestellte Taxi. Gut, ok. Dankeschön.“
Da bin ich ja erstmal hellhörig geworden. Fahrtenklau geht schließlich gar nicht, und auch wenn es verdammt schön ist, ein paar hundert Meter nach Schichtbeginn einen Winker zu haben: So kollegial, die Fahrt abzulehnen, muss man sein.
Also erzählte sie kurz, dass sie wie immer erst auf die Straße gegangen ist, weil dort ständig Taxen fahren würden. War auch eine große Hauptstraße. Natürlich kamen just jetzt keine Kollegen vorbei. Daraufhin hat sie einen Wagen bestellt.
Genau nachdem sie dies getan hat, tauchten zwei Kollegen auf. Jetzt kommt dann der Teil, weswegen ich sie so schätze:
„Da hab ich natürlich nicht gewunken. Ich hab Freunde, die selber Taxi fahren. Die haben mich erzogen, da artig zu sein!“
Und danach passierte – die Kollegen erahnen es bereits – nichts mehr. Das bestellte Taxi kam nicht. Ich weiss nun nicht genau, wie lange sie gewartet hat – allerdings hatte sie beim Einstieg in mein Auto just die Funkzentrale am Telefon, die die Fahrt abgeschrieben hat und nur kurz nachgefragt haben wollte, ob ich vielleicht der bestellte Fahrer bin. War also sicher nicht nur eine Minute her, dass sie bestellt hat.
Ich hab sie also mitgenommen. Mir sind im Umfeld auf Anhieb drei Taxihalten bekannt, von wo aus die Anfahrt niemals über 2 Minuten dauern kann, also nehme ich an, dass ein freier Kollege auf der Straße die Tour angenommen hat, und dabei – soll ja angeblich gelegentlich passieren – eine „etwas optimistische“ Zeit genannt hat, in der er es dann nicht geschafft hat. Die Halten selbst sind in diesem Fall sicher nicht direkt angesprochen worden, weil es sich um einen „Handy-Auftrag“ gehandelt hat.
Kurze Erklärung für die Unwissenden: Die Funkzentrale (im Falle vom Sprachfunk – für den Datenfunk kann das gerne ein Kollege in den Kommentaren erklären. Aro?) gibt den Auftrag normalerweise zunächst an den nächsten Taxistand weiter. Dort dürfen sich dann die Kollegen melden, die dort stehen. Derjenige, der an vorderster Position steht, bekommt den Auftrag. Meldet sich dort keiner, wird der Auftrag an den zweitnächsten Stand weitergegeben – hier dann das selbe Procedere.
Sollte dies erfolglos sein (Keine Taxen am Stand, bzw. kein Fahrer meldet sich) ODER es ist ein „Handy-Auftrag“ (also die Person steht schon an der Straße) kann sich theoretisch jeder Taxifahrer auf den Auftrag melden. Dabei muss er angeben, wie schnell er da sein kann. Auch hier erhält der „Nächste“ den Zuschlag. Wenn ein Fahrer sich meldet und seine Fahrtdauer zum Ort des Kunden nennt, dürfen sich nur noch Kollegen melden, die mindestens 3 Minuten schneller dort sind. Mit anderen Worten, wahrscheinlich ist die häufigst genannte Minutenzahl im Funk 3.
Denn wenn ein Kollege funkt
„Taxe xyz in 3“
dann bekommt er den Zuschlag. Also ist es – obwohl die Funkzentrale durchaus Sperren für mehrmalige Verstöße verhängt – natürlich beliebt, sich näher an die Kunden heranzulügen, denn ansonsten besteht ja die Gefahr, dass man den Auftrag an einen Kollegen in der Nähe verliert. Das Ganze geht dann nicht nur zu Last der betrogenen Kollegen, sondern natürlich auch des Kunden. Denn der bekommt natürlich mitgeteilt, dass sein Taxi in 3 Minuten da ist, und wenn der Kollege dann 10 Minuten braucht, ist der Frust natürlich groß.
Mit anderen Worten: Wenn es – was wahrscheinlich ist – in dem Fall so war, dann war es schon ok, dass ich die Kundin eingesackt habe. Die Zentrale hat dem Kollegen dann mitgeteilt, dass die Kundin weg ist und ihn ggf. noch gerügt für seine unwahre Zeitangabe.
Die Tour war dann furchtbar nett. Ganze 18 € hat sie gebracht, und ich hab wirklich selten so lange und ausführlich mit jemandem im Taxi geredet. War echt schade, dass es keine richtige Ferntour war 🙂
So viel also zum GAU der Kundin: 2 mal Geduld bewiesen und dann doch das falsche Taxi (mit dem immerhin hoffentlich genau richtigen Fahrer 😉 ) bekommen.
Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch was zu der Problematik mit den geklauten Fahrten sagen. Ich hab da als Nichtnutzer meines Funkgerätes natürlich eigentlich nie was mit zu tun. Höchstens mal – wie jetzt – auf der „Gewinnerseite“. Aber da es ein Ärgernis für viele Kollegen ist, kann es hier ja ruhig auch mal Thema sein.
Berlin hat de facto noch 2 Funkzentralen. Die eine davon ist zwar auch wieder ein Zusammenschluss von mehreren, aber sie ist unter all diesen Nummern erreichbar. Abgesehen von der verurteilenswerten schamlosen Abzocker-Mentalität so mancher Kollegen scheint mir indes tatsächlich auch der Auftritt der Zentralen ein Problem zu sein. Gerade die zusammengewürfelte Große wirbt auf ihrer Seite beispielsweise mit „4100 Taxen in Berlin und Umland“. Und die andere hat natürlich auch den Hinweis darauf, dass das Taxi bei einem Anruf dort schnell vor Ort ist. Verständlich natürlich.
Was meines Erachtens nach ein wenig zu kurz kommt, ist der Hinweis darauf, dass diese ganzen Taxen, die für die schnelle Bestellung den Funk nutzen, ja keineswegs beliebig austauschbar sind. Im Gegensatz zu vielen kleineren Städten sind die Funkzentralen nämlich keineswegs mit den Unternehmen identisch. Während sich die Taxen also ca. 2500 (?) zu 4100 auf die Funkzentralen verteilen, gibt es in Berlin rund 7000 Taxen in 5000 Unternehmen.
Klar, die Funkzentralen weisen die Kunden darauf hin, dass sie nur in das eine bestellte Taxi einsteigen sollen – aber für viele gelegentliche Kunden ist es Jacke wie Hose, welches Taxi gerade kommt. Mir sind auch schon Leute eingestiegen und haben mal eben locker gesagt, ich solle doch kurz der Zentrale Bescheid sagen, sie würden jetzt mit mir fahren.
Anstatt klarzustellen, dass jeder einzelne Fahrer da draussen seine Arbeit zum Wohle der Kunden macht und durchaus mal irgendwo 2 Stunden auf diese eine Tour wartet, wird als Hauptkriterium die Schnelligkeit festgelegt. Die ist zweifelsohne wichtig in unserem Gewerbe und unterscheidet uns maßgeblich von den anderen öffentlichen Verkehrsmitteln – aber sie ist nicht alles!
Denn, ja: Auch ein Taxi braucht eine gewisse Zeit, um von A nach B zu kommen. Und das Gewerbe ist trotz offenbar nur zwei Zentralen sehr diversifiziert. Es bringt Kollege U. nichts, wenn Kollege T. jetzt die Fahrt macht. Im Gegenteil: Unter Umständen hat ihn das 3 Stunden Zeit gekostet, die er nicht bezahlt bekommt.
Sicher, im Grunde könnten es die Kunden auch einfach durch Nachdenken herausfinden. Ich persönlich finde aber, dass es ihnen bisweilen auch schwer gemacht wird…
