Funkkurs die zweite …

Juhu!

Genau genommen hab ich mir eher „WTF, hä?“ gedacht, als mein Chef mir letzte Woche mitteilte, heute wäre ein Funkkurs angesagt. Aber gut, ich bekomme ein „neues“ Auto und das hat in dem Fall einen anderen Funk drin. Wir in Berlin haben ja im wesentlichen zwei große Zentralen, zudem gibt es bei beiden noch Sprach- und Digitalfunk. Mir perönlich könnte es egal sein, ich bin Funkmuffel. Überhaupt nehme ich meine Aufträge am liebsten von der Straße aus an. Ich will nicht sagen, dass ich dafür besonders gute Gründe hätte, aber es ist halt so und ich bin damit bislang nicht schlecht gefahren. Natürlich gibt es Kollegen, die mehr Geld einfahren und den Funk anhaben – aber es gibt eben alles. Und während ich hier einen Funkauftrag nicht kriege, kriege ich andernorts die Fehlfahrten nicht. Es funktioniert glücklicherweise beides in Berlin.

(Und je nachdem, welchen Kollegen ihr fragt, werdet Ihr erfahren, dass sein Weg der bessere ist, so ist das halt.)

Mein Interesse am Funkkurs heute (den ich ab 17 Uhr haben werde), hält sich also in Grenzen. Was vielleicht auch daran liegt, dass mein erster Funkkurs vor nicht ganz 5 Jahren eine eher kuriose Veranstaltung war.

In meinem (natürlich unbedingt zu kaufenden!) eBook „Papa, ich geh zum Zirkus!„, schrieb ich passenderweise folgendes:

„Einen Funkschein sollte man in einem Funktaxi besitzen, die Zentrale sieht
es gerne, wenn man nachweisen kann, dass man die Regeln kennt. Zentralen
gibt es in Berlin zwei, ich wählte eine nach dem Zufallsprinzip aus und
stellte fest, dass dieser Schein der größte Witz seit der Erfindung der
Homöopathie war: Zwei Stunden lang wurden Lächerlichkeiten erörtert, die
Dreijährige mit Bauklötzen hätten darstellen können. Am Ende gab es einen
Test, dessen Schwierigkeitsgrad nochmals gesenkt wurde, indem jegliche
Form von Notizen ausdrücklich erlaubt war. Nur zu logisch, denn natürlich
sollte niemand abgeschreckt werden, hier den Funkschein zu machen, so
lange es noch die konkurrierende Zentrale gab, die ja ebenso auf der Suche
nach zahlungskräftigen Taxifahrern war.
Konkurrenz durch gegenseitige geistige Abrüstung: Ein Prinzip, das Schule
machen könnte.

Ich vermute nicht, dass sich viel daran geändert hat. Deswegen wollte ich der Veranstaltung eigentlich auch instinktiv lieber fernbleiben. So sehr mich der Reiz, neues zu lernen, auch immer wieder packt.

Aber dann traf ich Axel zufällig an der Tankstelle meines Vertrauens, und der wird den Kurs halten. Axel ist der Mann, der mich durch die Ortskundeprüfung gebracht hat, gibt das für alle Prüfungsanwärter empfehlenswerte Standardwerk „Spezialatlas“ heraus und ist abgesehen davon, dass er manchmal etwas lauter als nötig ist, mit einer gesunden Portion Ironie und vernünftiger Weltanschauung gesegnet – auch wenn wir nicht in allem übereinstimmen …
Naja, ich hab das Versprechen von Axel, dass der Kurs auch lustige Einschübe hat, das ist neben der ein oder anderen neuen Erkenntnis der Grund, weswegen ich da heute sitzen werde. Ich bin gespannt und werde berichten. 🙂

Falsch, falsch, falsch!

Lustige Gesellen hatte ich mir da ins Auto geladen: Ein Vierertrupp, vermutlich Belgier. Ihr Deutsch war gut, man hat halt einen sehr starken Akzent bemerkt. Der Altersschnitt dürfte irgendwas um die 45 betragen haben, der Promillepegel lag glücklicherweise darunter. Ausgelassene Stimmung unter erfahrenen Berlin-Besuchern, eine feine Sache.

Sie wollten zu einem der Hotels an der U-Bahn-Station Güntzelstraße. Hmm, ja, da war was. Schon eine Weile her, dass ich in der Ecke bewusst war, vor allem aber hab ich die U-Bahnen noch weniger im Gedächtnis wie die Straßen. Aber dann fiel mir wieder ein, dass das an der Bundesallee liegen müsste.

Der ein oder andere erwartet vielleicht Wunderdinge von uns, tatsächlich hat man auch mal Lücken im Stadtplan, erschreckend große – selbst wenn das Ziel wie hier nicht weit draußen liegt. Ein schlechtes Gewissen hab ich da nicht, mich quatschen am Ostbahnhof auch regelmäßig Kollegen an und fragen nach dem Berghain oder dem Fritz-Club. Man weiß noch etwa, wo das war, aber bei den letzten 500 Metern guckt man lieber nochmal …
Ich bin das Risiko eingegangen und hab mal grob in die Richtung gezielt. Hab kurz vor dem Ziel dann Güntzelstraße/Bundesallee als Ecke ins Navi eingegeben. Denn irgendwo konnte man da doch … es meldeten sich Erinnerungsfetzen aus der Ortskundeprüfung:

„Krrz … Prager Platz … krrrrz … Prinz…krrrz“

Winzige, an sich unbedeutende Abkürzung, aber wenn schon, dann richtig! Ich folgte meinem Navi, als ein Räuspern vom Beifahrersitz kam. Der weiße Schnauzbart unter den tiefen Augenringen meines Fahrgastes schmatzte irgendwas.

„Alles ok?“

„Ja, ist der falsche Weg, aber ok.“

Für derartige Gelassenheit bin ich eigentlich ja dankbar, aber ich war in dem Moment selbst verdammt unsicher. Ich hatte die zwei Minuten davor schon überlegt, ob die Güntzel- nicht doch bis zur Martin-Luther durchgeht und dort die Haltestelle ist …
Das ist natürlich Blödsinn und mit etwas mehr Ahnung vom U-Bahn-Netz hätte ich das auch gewusst. Aber ich fahr ungefähr zweimal im Jahr U-Bahn, und meist nur mit der U1. In dem Kiez dort hab ich vor Ewigkeiten das letzte Mal Leute abgesetz, vielleicht war es sogar mein Ausflug mit Jo damals (das Foto ist am Bayerischen Platz aufgenommen, Jo hat aber seinen Artikel leider nicht mehr online), bei dem ich letztmals dort im Viertel war. Also WTF?

Ich hab mich irgendwie überreden lassen, umzukehren. Was Unsinn war. Am Ende der Barbarossastraße stand ich auf der Martin-Luther und wusste, dass ich falsch bin. Falsch. Falsch, falsch, falsch!

Die Uhr hatte ich peinlichkeitshalber schon ausgemacht und ich hab mir meine gute Laune bewahrt. Obwohl ich mich geärgert habe. Furchtbar. Zum einen darüber, dass ich mir unsicher war. Sonst hole ich bei so viel Unsicherheit immer gleich noch mehr Infos ein. Zum anderen aber darüber, dass meine Fahrgäste es total witzig fanden, dass ich mich verfahren habe – ohne ihre Bitte, umzukehren, wäre ich auf dem kürzesten Weg an ihrem Ziel gelandet.

Im Nachhinein war es spitze: Die Kundschaft war ausgelassen, hab großzügiges Trinkgeld und es wird allenfalls irgendwo in Belgien oder so eine kleine Anekdote über einen verpeilten Taxifahrer geben. Viel besser als miese Laune, kein Trinkgeld und die herkömmlichen Arschlochlegenden. Wenn ich jetzt bloß noch wüsste, wie ich verhindern kann, mich so beeinflussen und dann vom Ergebnis runterziehen zu lassen …

Hier noch eine Karte vom letzten Wegabschnitt für die Nicht-Kollegen unter Euch:


Größere Kartenansicht

Was man alles wissen muss …

Als er auf mich zugewackelt ist, wirkte er irgendwie ganz lustig. Ein sehr seltsamer Körperbau. Insgesamt sehr schlank, fast schon schlaksig. Sein Bauch jedoch glich eher einer Kugel. Mit der abstehenden Einsteinfrisur wirkte er ein wenig wie ein Trinkvogel. Seine Kleidung ließ auf kultivierte Mittelschicht schließen, in meinen Gedanken war er umgehend Lehrer, Oberstudienrat oder dergleichen. Er hatte ein Grinsen auf dem Gesicht, zeigte sich sehr nett und zuvorkommend und nannte eine sehr wichtige Ausfallstraße im Südosten Berlins als Ziel.

Na, holla die Waldfee!

Es war nicht die erste Tour über 20 Euro an dem Abend, aber man ist ja dann doch immer irgendwie froh. Ich platzierte an dieser Stelle einen meiner absoluten Standardsprüche:

„Na das kriegen wir hin.“

„Das will ich auch hoffen!“

kam es eher konsterniert aus dem Fond der heute ziemlich klapprigen 1925. Diesen Gesprächsverlauf hatte ich nun geschätzte 200 mal im Taxi, so wird kein Gespräch abgewürgt …

„Ich weiß, alles andere wäre ja auch ein bisschen traurig …“

Werft mir das ruhig vor, aber manipulative Gesprächsführung lernt man im Taxi ziemlich schnell. In dem Fall nehme ich ihm gleichermaßen die Sorgen, bin witzig und biete überdies die Option, das Gespräch auf gute oder schlechte Erfahrungen im Taxi zu lenken. Etwas, das zu guter Letzt wenigstens GNIT immer wieder zu Gute kommt.

„Ach, wenn sie wüssten …“

OK, also schlechte Erfahrungen.

„Was ich hier in Berlin schon erlebt habe …“

Ich kann’s mir denken, jetzt komm auf den Punkt!

„…gerade mit den, ich sag jetzt mal, anatolischen Chauffeuren.“

Ui. So PC, dass er nicht einmal „Türken“ sagen will. „Ich hab ja nix gegen Ausländer, aber …“ versucht jetzt also nochmal höhere Bildungsschichten zu erreichen …

Ich hab’s mir leider immer noch nicht angewöhnen können, da so hart zu sein, wie ich eigentlich sein will. Und nein, nicht, weil ich mich um die paar Euro Umsatz schere. Es wäre mir eine Freude, solche Fahrgäste an einen türkischen oder meinetwegen bulgarischen Fahrer weiterzureichen. Nein, ich hoffe immer wieder auf ein bisschen Einsicht beim ein oder anderen. Und ich kann schließlich von ein paar vorbildlichen Kollegen berichten, deren einziges Manko offenbar ist, dass ihre Hautfarbe nicht ganz dem Geschmack von Leuten trifft, die gerne Betttücher auf dem Kopf tragen und nebenbei Kreuze verbrennen. Man sollte meinen, solch eine Randgruppenmeinung würde irgendwann mal verschwinden.

Mein Fahrgast wollte sich denn auch nicht lange an der Herkunft der Taxifahrer aufhalten und warf schnell ein, dass es bedauerlich sei, wie manche einfach nur noch mit Navi zum Ziel finden. Hmm … vielleicht war er doch Journalist.

Witzig anzumerken ist an dieser Stelle, dass ich (Ich kann zumindest für die letzten drei Generationen meine deutsche Abstammung problemlos nachweisen!) nur deswegen auf das Navi verzichtet habe, weil ich durch die von ihm benannte Straße drei Stunden zuvor das erste Mal seit vielleicht sechs Monaten mal wieder durchgefahren bin.

Er jedenfalls war froh, dass ich mich auskannte. Gott sei Dank! Im Handumdrehen zählte er einen Haufen Straßennamen auf, die zu vergessen in seinen Augen offenbar unverzeihlich war. Ich hab, ganz ehrlich, nicht eine einzige davon im Kopf gehabt. Und da genau liegt das Problem: So ziemlich jeder von uns Fahrern hat Gebiete, in denen er sich besser auskennt als Einheimische. Wo man das Hostel im Hinterhof, den Döner in der Unterführung und den Zahnarzt im zehnten Stock kennt. Weil man da oft ist, weil man zumindest einmal da war. Weil man dort eine besonders beeindruckende Fahrt hin hatte, oder weil zufällig die eigene Mutter dort ums Eck wohnt. Und manches weiß man auch, weil man es mal gelernt hat, auf die Ortskundeprüfung. Aber das ist wohl der kleinste Teil.

Wir müssen unseren Job machen, und wir müssen ihn gut machen. Davon bin ich überzeugt. Immer noch und ohne Einschränkungen. Aber unser Job ist es, Menschen in einer Stadt mit 891 Quadratkilometern Grundfläche, zigtausenden Straßen und hunderttausenden „Objekten“ von A nach B zu bringen. Daran sollten wir im besten Falle nicht ein einziges Mal scheitern. Aber ob wir alles im Kopf haben, von einer Navi-Karte, aus dem Internet, über den Funk von Kollegen zugeflüstert oder (für die ganz mutigen) geraten – das ist am Ende unser Ding.

Das soll nicht so angepisst klingen, wie es vielleicht gerade rüberkommt. Aber macht ihr Euch Gedanken darüber, ob ich – oder die Journalisten eurer Tageszeitung – eine Rechtschreibkontrolle oder vielleicht sogar eine Stimmerkennungssoftware einsetzen, um einen Artikel zu schreiben?

Ich würd mich ja gerne fortbilden, aber ich schreibe nebenher. Und die Kollegen, die nicht schreiben, arbeiten diese Zeit komplett durch. Ich finde es wirklich ehrens- und bewundernswert, wenn Taxifahrer über jede Ecke noch eine Geschichte parat haben. Aber das kostet nunmal enorm viel Zeit.  Soviel unbezahlte Zusatzarbeit ist als Standard vielleicht ein wenig viel verlangt …

Meinen Kunden hab ich mit der Diskussion verschont. Man muss nun wirklich nicht zu jedem Ansatz jedes Argument hervorkramen. Finanziell war die Fahrt am Ende tadellos: Guter Umsatz, gutes Trinkgeld, ich hätte auch einen Lobartikel schreiben können. Auf meiner eigenen Skala landete er allenfalls im unteren Mittelfeld. Er war für mich vielleicht eher sowas wie ein anatolischer Fahrgast mit Navi …

Was wir Taxifahrer alles wissen …

Das war mal wieder so eine Lehrbuchgeschichte aus dem Bereich Ortskunde. Die Fahrgäste, die mir am Ostbahnhof eingestiegen sind, wollten zur Kalkreuthstraße. Die sagt mir was, schließlich liegen unweit nicht nur jede Menge oft als Fahrtziel genannte Kneipen und Hotels, nein, direkt im an die Kalkreuth anliegenden Hinterhof der Martin-Luther-Straße stand ich auch dreimal mit anderen P-Schein-Aspiranten und hab anschließend die Ortskundeprüfung versemmelt.

Die Straße ist zwar kurz, aber aus Gewohnheit hab ich trotzdem mal gefragt, wohin es genau gehen würde.

„It’s the Quentin Design Hotel. Number 12 Kalriut Street.“

Den Straßennamen hatten sie mir zuvor schon auf dem Handy gezeigt, sonst hätte das wohl etwas dauern können. 😉

Das Hotel war mir nie aufgefallen, ich hab auch keine Ahnung, ob es vielleicht nicht bis vor kurzem noch anders geheißen hat. Unterwegs hab ich dann sicherheitshalber die Nummer ins Navi eingegeben, nicht dass ich am letzten Eck noch falsch abbiege. Muss ja nicht sein, sowas. Soweit alles normal.

Dieses Mal hat es nur rund zweieinhalb Stunden gedauert, bis ein älteres Ehepaar auf den Rücksitzen der 1925 Platz nahm und auf die Frage nach dem Ziel antwortete:

„Das ist so ein Design-Hotel, es heißt jedenfalls so.“

„Meinen Sie das Quentin in der Kalckreuthstraße?“

„Ja! Ja, genau! Sie kennen das?“

Zufällig, aber ja. 🙂

Wozu frage ich eigentlich?

Ich hab ja neulich mal geschrieben, dass man als Taxifahrer am Besten immer alles mögliche fragt. Auf die Zieladressen trifft das sehr sehr oft zu, auf die Strecken ein bisschen weniger. Klar, es gibt auch eine Menge gleichwertige Strecken zwischen zwei Punkten. Und so manche Strecken, bei denen fragen eigentlich … nun ja.

Eine von mir vergleichsweise oft gefahrene und doch immer wieder gerne gesehene Fahrt ist die vom Ostbahnhof zum Flughafen Schönefeld. Eine erstklassige 30€-Tour, die mir schon das ein oder andere Mal ganz zuletzt noch teilweise die Schicht gerettet hat – oder für einen guten Start gesorgt, je nach Uhrzeit. Für diese Strecke gibt es so viele halbwegs vernünftige Routen, das ist nicht mehr normal:

1. Die Touristen-Route

Das ist eine schöne Route, die von vielen Touristen – allerdings auch Berlinern – geliebt wird. Sie ist einfach, weil es fast immer nur geradeaus geht und es zudem die ausgeschilderte Strecke ist. Auf allen anderen Pfaden biegt man irgendwann mal „falsch“ ab. Dabei ist die Route definitiv die längste von allen.

2. Die schnellste Route

Ohne großes Bohei immer auf den Hauptstraßen bis zur Autobahn – und dann ab dafür! So fahre ich in 90% aller Fälle, natürlich nach Absprache mit den Kunden. Denn auch wenn sie kürzer als die Touristen-Route ist, ist sie immer noch lang. Die Argumente „Autobahn“ und „schnell“ werden aber gemeinhin bei Flughafenfahrten immer gerne gehört. Auch von Menschen, deren Flieger erst in 7 (!) Stunden geht …

3. Die vorbildliche Route

Nochmal ein paar Meter kürzer ist dieser Weg, den viele Kollegen offenbar gerne fahren. Der Preisunterschied zu meiner ist marginal und ich mag sie deswegen nicht, weil die Ecke über die man abkürzt, so düster ist, dass man regelmäßig ängstliche Kunden im Auto hat, die einen fragen, wo man jetzt bitte sei und ob man nicht anders fahren könnte. Dabei ist sie wirklich eine Top-Strecke!

4. Die kürzeste Route

Das ist die definitiv kürzeste Strecke, das ist die, die wir bei der Ortskundeprüfung wissen müssen. Der Fahrpreisunterschied zur Touristen-Route liegt bei fast 4 €. Das Problem ist, dass sie einmal quer durch die Herzen von Kreuzberg und Neukölln führt, ein einziges Stop-and-Go vor den zahlreichen Ampeln. Sie dauert mindestens so viel länger, wie sie weniger kostet. Ich hatte in 4 Jahren noch keinen Fahrgast, der das ernsthaft bis zum Schluss durchziehen wollte …

(alle Beispiele unter Einbeziehung der derzeitigen Sperrung der Oberbaumbrücke)

Ich muss zugeben, dass ich die Frage nach der Route oft wertend stelle. Ich frage selten einfach sachlich „Günstig oder schnell?“. Meist sage ich: „Ich würde die Strecke über die Autobahn bevorzugen, die ist sowohl schnell als auch nicht die teuerste.“ Wenn ich das gesagt habe, gab es noch nie einen Widerspruch, außerdem kommt man hier bei der Ansage „30 €“ tatsächlich auf 29,80 bis eben 30,00 €. Aber wirklich immer mache ich das dann halt auch nicht. So auch neulich.

Der Kunde hatte Zeit, obwohl er der Kleidung nach geschäftsmäßig unterwegs war. Das roséfarbene Hemd spannte ziemlich über der Wohlstandsplauze, die Krawatte in dunkelblauem Satin schlackerte unwirsch nach links und rechts. Der hellgraue Anzug darüber hinterließ mich einmal mehr mit der Frage, warum Business-Outfits offenbar von farbenblinden Ottifanten designt, bzw. zusammengestellt werden. Sein auch nicht gerade schmales Gesicht wurde von einer viel zu kleinen Brille betont, etwas lässig wirkte da schon der sauber rasierte schmale Bart über die gesamte Kopfbreite. Hübsch war vielleicht was anderes, aber zum einen hätte ich in dem Outfit noch schlimmer ausgesehen, zum anderen war er ja nicht da um mich zu heiraten. Ich hab’s ihm also durchgehen lassen. 😉

Er wollte, mit lässiger Distanz betont, „keine Umwege“ fahren, ansonsten solle ich tun, was ich für richtig hielt. In Anbetracht der obigen Auswahl dann halt doch eher eine verwirrende als klärende Aussage. Also hab ich ihm die Wahrheit gesagt: dass ich meine Lieblingsstrecke hätte, es allerdings auch wesentlich kürzer gehen würde:

„Es sind locker drei Kilometer weniger, wenn ich über Neukölln fahre, aber dann …“

wollte ich schon zum Verteidigungsmonolog ansetzen.

„NEUKÖLLN? Also so mitten durch, das, also, das ist ja ein UNFUG sondersgleichen! Nein nein, fahren Sie mal über Treptow!“

Ich sag’s ja. KEIN EINZIGER Kunde in vier Jahren. Und was haben wir in der Taxischule diese blöde Strecke gelernt …

Bewerberprofil mangelhaft

Zwei junge Mädels, kurze Strecke. Kaum Zeit zu reden, dennoch zwischenrein folgender Dialog:

„Taxifahren ist doch sicher auch ein entspannter Job, oder?“

„Sagen wir es so: er kann es sein, mit der richtigen Einstellung.“

„Naja, immer rumfahren, Leute kennenlernen …“

„Klar, mir macht’s auch Spaß. Dafür ist halt das Geld nicht so üppig.“

„Ach, das‘ ja nich so wild. Ich zieh ja demnächst auch nach Berlin, da könnte ich mir das auch vorstellen. Das is‘ doch voll die gute Idee, ich fahr dann einfach auch Taxi!“

„Naja und immerhin werden Fahrer gesucht!“

„Des‘ ja cool! Ja voll ey, ich werd Taxifahrerin! Aber hey, da muss man sich doch sicher auch so ’n bisschen auskennen in der Stadt und so, oder?“

„Ähm ja. Ich würde sogar sagen: mehr als ein bisschen.“

„Oh. Na dann doch nicht.“

Manchmal sind die Anforderungen an manche Jobs aber auch echt furchtbar überraschend … 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Ständige Vorsicht …

erfordert die Teilnahme im Straßenverkehr ja schon laut StVO. Und das ist echt eine fiese Geschichte. Denn natürlich: Je mehr man im Auto sitzt, je öfter, länger, weiter man fährt, desto unachtsamer wird man. Und da muss man als Fahrer im Grunde ständig gegen anarbeiten.

Allerdings hab ich da als Taxifahrer großes Glück. Wir haben zwischen unseren Touren (viel zu) oft Pausen, Ruhezeiten, Ablenkung. Im Schnitt trete ich mindestens jede zweite Tour nach einer längeren Pause an – also zumindest lang genug für einmal Aussteigen, eine Zigarette oder gar einen Kaffee. Man startet 5 bis 10 Mal quasi völlig von null an und ist wieder konzentriert. Und da ich merke, wie selbst ich mich manchmal von der Routine ablenken lasse, hab ich auch verdammt großen Respekt vor den ganzen LKW-Fahrern da draußen, die teils stundenlang am Stück hinterm Steuer sitzen. Und wesentlich monotonere Fahrten haben als wir. Es wird oft über schlimme Unfälle berichtet, tatsächlich müssten es der schwierigen Verhältnisse wegen etliche mehr sein, wenn da nicht überwiegend kompetentes Personal unterwegs wäre.

Ich hatte bislang zum einen immer Glück, zum anderen – ebenso glücklich wahrscheinlich – schnelle und vernünftige Reaktionsmuster zur Hand. Trotz meiner paar hunderttausend Kilometer Fahrerfahrung (schätze, ich bin irgendwo zwischen 400 und 450k) hab ich keine Ahnung, woher das kommt. Ja, ich hab mit fast jedem länger genutzten Auto mal eine Vollbremsung testweise gemacht und nach einem eisigen Winter voller waghalsiger Experimente zu tiefer Nachtstunde kann man das Verhalten eines Autos ganz gut einschätzen. Dass ich das bisher immer genau richtig umgesetzt habe, ist indes einfach nur Glück gewesen.

So im Grunde auch neulich.

Ihr müsst wissen, dass ich mir als Taxifahrer eine seltsame Fahrweise angeeignet habe – nämlich eine, die nur sehr vorsichtiges Bremsen beinhaltet. Mal abgesehen davon, dass unser Auto immer mal wieder beim Bremsen Geräusche gemacht hat im Laufe der Jahre – so zackiges Bremsen kommt auch nicht gut. Es wirkt wesentlich ruhiger, eleganter und professioneller, wenn man das Fahrzeug ohne Ruck zum Stehen bekommt und keine Hektik walten lässt – so wie man wohl auch beim Schalten besser nicht hakelt.

In Kreuzberg wäre mir neulich allerdings fast genau das passiert, was einen ehemaligen Mitbewohner von mir schon mal in ziemliche finanzielle Schwierigkeiten gebracht hat:

Ich fuhr als zweiter zum Rechtsabbiegen an die Kreuzung heran und sah, dass der Fahrer vor mir freie Fahrt hatte. Er löste auch die Bremsen und fuhr los. Ich hab die Kiste ebenfalls anrollen lassen und mich fast umgehend nach links orientiert. Klar, ich wollte sehen, ob irgendwelche Radfahrer, Autos oder Fußgänger mich an der Weiterfahrt hindern würden. Das kann man im Prinzip unter vorbildliches vorausschauendes Fahren einsortieren, allerdings nur, wenn man – anders als ich eben – das unmittelbare Hindernis nicht ganz aus den Augen verliert: Den Wagen direkt vor der eigenen Motorhaube!

Der nämlich hat aus einem mir nicht ersichtlichen (und vielleicht ja tatsächlich unsinnigen) Grund plötzlich gebremst. Als ich den Blick wieder auf ihn gerichtet habe, waren ungefähr noch gefühlte minus 20 Zentimeter Platz. Auch nach Jahren schätze ich die von innen unsichtbare Schnauze unseres Autos immer noch länger ein als sie ist …
Bevor ich auf die Bremse trat, hörte ich jedenfalls schon das Krachen von gefaltetem Metall und gesplittertem Plastik.

Meine Fahrgäste hörten nichts und fanden sich etwa 0,4 Sekunden später mit sicher ziemlich lustigen Gesichtsausdrücken in den Sicherheitsgurten hängend, als ich mich schon wunderte, weswegen der Wagen vor uns nicht langsam mit blinkenden Lichtern und eingedellter Stoßstange auf die Kreuzung rollte.

Ich – und natürlich die neuen Bremsen der 1925 – hatten es glücklicherweise einmal mehr geschafft. Ich würde wetten, dass der Abstand am Ende so gering war, dass die Besatzung des vorderen Wagens den Ruck durch den Luftdruck zwischen unseren Autos gespürt hat. Wenn da 2 Zentimeter Rest waren, dann weil die Autos irgendwie schräg zueinander standen.

So war die Schicht dann doch nicht zu Ende, nur ein kleines „Sorry“ an die Fahrgäste hatte ich zu entrichten. Die nahmen es allerdings gelassen und so ging es dann weiter wie geplant. Ich hoffe nun zum einen natürlich, dass mein Glück mich nie verlässt. Zum anderen bin ich sicher auch mal wieder eine Weile vorsichtiger als sonst unterwegs. Aus Gründen, wie man so schön sagt …