Ich hab ja neulich mal geschrieben, dass man als Taxifahrer am Besten immer alles mögliche fragt. Auf die Zieladressen trifft das sehr sehr oft zu, auf die Strecken ein bisschen weniger. Klar, es gibt auch eine Menge gleichwertige Strecken zwischen zwei Punkten. Und so manche Strecken, bei denen fragen eigentlich … nun ja.
Eine von mir vergleichsweise oft gefahrene und doch immer wieder gerne gesehene Fahrt ist die vom Ostbahnhof zum Flughafen Schönefeld. Eine erstklassige 30€-Tour, die mir schon das ein oder andere Mal ganz zuletzt noch teilweise die Schicht gerettet hat – oder für einen guten Start gesorgt, je nach Uhrzeit. Für diese Strecke gibt es so viele halbwegs vernünftige Routen, das ist nicht mehr normal:
Das ist eine schöne Route, die von vielen Touristen – allerdings auch Berlinern – geliebt wird. Sie ist einfach, weil es fast immer nur geradeaus geht und es zudem die ausgeschilderte Strecke ist. Auf allen anderen Pfaden biegt man irgendwann mal „falsch“ ab. Dabei ist die Route definitiv die längste von allen.
Ohne großes Bohei immer auf den Hauptstraßen bis zur Autobahn – und dann ab dafür! So fahre ich in 90% aller Fälle, natürlich nach Absprache mit den Kunden. Denn auch wenn sie kürzer als die Touristen-Route ist, ist sie immer noch lang. Die Argumente „Autobahn“ und „schnell“ werden aber gemeinhin bei Flughafenfahrten immer gerne gehört. Auch von Menschen, deren Flieger erst in 7 (!) Stunden geht …
Nochmal ein paar Meter kürzer ist dieser Weg, den viele Kollegen offenbar gerne fahren. Der Preisunterschied zu meiner ist marginal und ich mag sie deswegen nicht, weil die Ecke über die man abkürzt, so düster ist, dass man regelmäßig ängstliche Kunden im Auto hat, die einen fragen, wo man jetzt bitte sei und ob man nicht anders fahren könnte. Dabei ist sie wirklich eine Top-Strecke!
Das ist die definitiv kürzeste Strecke, das ist die, die wir bei der Ortskundeprüfung wissen müssen. Der Fahrpreisunterschied zur Touristen-Route liegt bei fast 4 €. Das Problem ist, dass sie einmal quer durch die Herzen von Kreuzberg und Neukölln führt, ein einziges Stop-and-Go vor den zahlreichen Ampeln. Sie dauert mindestens so viel länger, wie sie weniger kostet. Ich hatte in 4 Jahren noch keinen Fahrgast, der das ernsthaft bis zum Schluss durchziehen wollte …
(alle Beispiele unter Einbeziehung der derzeitigen Sperrung der Oberbaumbrücke)
Ich muss zugeben, dass ich die Frage nach der Route oft wertend stelle. Ich frage selten einfach sachlich „Günstig oder schnell?“. Meist sage ich: „Ich würde die Strecke über die Autobahn bevorzugen, die ist sowohl schnell als auch nicht die teuerste.“ Wenn ich das gesagt habe, gab es noch nie einen Widerspruch, außerdem kommt man hier bei der Ansage „30 €“ tatsächlich auf 29,80 bis eben 30,00 €. Aber wirklich immer mache ich das dann halt auch nicht. So auch neulich.
Der Kunde hatte Zeit, obwohl er der Kleidung nach geschäftsmäßig unterwegs war. Das roséfarbene Hemd spannte ziemlich über der Wohlstandsplauze, die Krawatte in dunkelblauem Satin schlackerte unwirsch nach links und rechts. Der hellgraue Anzug darüber hinterließ mich einmal mehr mit der Frage, warum Business-Outfits offenbar von farbenblinden Ottifanten designt, bzw. zusammengestellt werden. Sein auch nicht gerade schmales Gesicht wurde von einer viel zu kleinen Brille betont, etwas lässig wirkte da schon der sauber rasierte schmale Bart über die gesamte Kopfbreite. Hübsch war vielleicht was anderes, aber zum einen hätte ich in dem Outfit noch schlimmer ausgesehen, zum anderen war er ja nicht da um mich zu heiraten. Ich hab’s ihm also durchgehen lassen. 😉
Er wollte, mit lässiger Distanz betont, „keine Umwege“ fahren, ansonsten solle ich tun, was ich für richtig hielt. In Anbetracht der obigen Auswahl dann halt doch eher eine verwirrende als klärende Aussage. Also hab ich ihm die Wahrheit gesagt: dass ich meine Lieblingsstrecke hätte, es allerdings auch wesentlich kürzer gehen würde:
„Es sind locker drei Kilometer weniger, wenn ich über Neukölln fahre, aber dann …“
wollte ich schon zum Verteidigungsmonolog ansetzen.
„NEUKÖLLN? Also so mitten durch, das, also, das ist ja ein UNFUG sondersgleichen! Nein nein, fahren Sie mal über Treptow!“
Ich sag’s ja. KEIN EINZIGER Kunde in vier Jahren. Und was haben wir in der Taxischule diese blöde Strecke gelernt …
Also wie konntest du nur auf die Idee kommen, durch NEUKÖLLN fahren zu wollen? Dein Wagen hat ja bestimmt noch nicht einmal schusssichere Scheiben!
Lustig, was für Vorstellungen manche Leute haben. Ich glaube ich hätte mehr Angst nachts durch die Villengegenden in Grunewald zu laufen als durch Neukölln.
(Ich hoffe mal, ich habe die Äußerung deines Fahrgastes jetzt richtig interpretiert.)
Ist die Strecke denn auch 4 Euro günstiger, wenn du die ganzen Wartezeiten and den Ampeln mitrechnest?
Es ist und bleibt schwierig, theoretisch, manchmal , wenn man den Fahrgästen zu viele Möglichkeiten bietet, es läuft dann oft auf die Fragen der Mc Donald’s- Mitarbeiter hinaus: Mit Käse oder ohne und welche Soße … Dabei ’schmeckt‘ alles doch irgendwie, sagen wir mal : Ähnlich ?
Da Fahrgäste erleben da auch so etwas wie ‚too much discriminative strain‘ zuviel Unterscheidungs- und Entscheidungsdruck.. etwas hochgestochen gesagt, ‚ intellektuelle Überbelastung‘..
Und dann gab es noch den kleinen Jungen , der mit seiner Mutter im Kaufhaus vor einer riesigen Wand Bonbons stand und sich was aussuchen sollte: Der fing an zu weinen..
@jroger:
Ich glaube, du hast den Fahrgast falsch verstanden. Es ging wohl eher um die, wie ich sie nenne, Neukölln-Konstante. Immer wenn ich durch Neukölln fahre, addiere ich zur geschätzten Fahrzeit 10 Minuten. Einfach weil man immer ewig braucht, um durch Neukölln zu kommen. Es ist voll, gibt viele Ampeln, die Leute laufen auch gerne noch bei Rot und nicht zuletzt kommt es immer wieder zu Stockungen durch Leute, die in zweiter Reihe stehen.
Das sind alles irgendwo Vorurteile und es gibt auch andere Gegenden in Berlin, wo es ähnlich ist. Aber die Neukölln-Konstante funktioniert ganz gut.
hat Berlin eigentlich Wartezeitunterdrückung im Tarif? wenn nein ist Nietnagel´s Frage ja durchaus berechtigt….
@Nietnagel und Sphen: Der Wartetarif springt erst nach einer Minute Stillstand ein, es gibt also keinen Zeittarif für extrem langsame Fahrt und auch die allermeisten Ampelstops dürften dadurch nichts kosten.
@Sash: Ich hoffe, das habe ich der bisherigen Blog-Lektüre korrekt entnommen.
@Sash: Und dann gäbe es noch diese Route, die (laut Google-Maps) genauso lang ist wie die vorbildliche, aber dafür wohl nicht durch die dunklen Ecken geht. Andererseits nimmt sie aber wohl ein gutes Stück der Langsamfahrstrecke der kürzesten Route mit, oder?
Ein schöner Artikel und wirklich nett mit den Karten!
(Hab eben erst entdeckt, wie schön man da selber noch rumspielen kann mit dem Ändern der Route.)
Vom touristischen Aspekt würde ich die 4. bevorzugen – eine gewisse Furchtlosigkeit vorausgesetzt 😉 .
Die 1. käme dann an zweiter Stelle, da ohne Autobahn, aber nicht so wirklich reich an Sehenswürdigkeiten.
Das Problem ist,
daß die „gefühlten“ Entfernungen bei den meisten Leuten GANZ ANDERE sind,
als die tatsächlichen!!!
So wie auch der Hinweg IMMER länger ist,
als der Rückweg (auf der selben Strecke)
– zumindest „gefühlt“!!!
Mit der menschlichen Wahrnehmung ist das nämlich so eine Sache… 🙁
Da kann man ganz selbstverständlich mit bestem Gewissen die wirklich kürzeste Strecke anvisieren – und trotzdem das Pech haben, unterstellt zu bekommen, man wollte den FG (FahrGast) „über den Tisch ziehen“
– er wisse gaaaanz genau, daß der Weg XY viiiiiel kürzer sei!
(selbst wenn hinterher 5,60€ mehr auf der Uhr sind als normalerweise – sein Weg war trotzdem VIIIIEL VIEL kürzer!)
Noch schlimmer ist es mit weiblichen Variante dieses FGs!
Meist in Begleitung eines männlichen „Bezahlers“,
kräht Sie schon kurz nach Fahrtbeginn:
„Was soll das denn? Wir fahren doch total falsch!!!“
Er (mit extrem beruhigendem Tonfall): „Nein, Schatz! Das ist schon okay so!“
Sie (giftig): „Nein, das ist die falsche Richtung! Wir fahren TOTAL FALSCH!!!“
Er (beschwörend ruhig): „Nein, wirklich, Schatz – lass die Frau mal machen! Das ist alles ganz korrekt, wie Sie fährt!“
Sie (skeptisch): „Hm…, na aber…“
Er (immernoch völlig ruhig): „Genauso fahr ich auch immer, Schatz! – Alles in Ordnung, Schatz! Wirklich!“
Sie grübelt… – kurze Pause also –
…um dann (mehr mit sich selber sprechend) plötzlich zufrieden festzustellen:
„Naja, kann schon sein! Kenn mich hier eh nicht so aus!“ !!!!!
??? WTF ????????????????
…mir persönlich zwar völlig unklar,
dennoch spielt sich diese Szene regelmäßig in meinem Taxi ab…
Ja, blaueralptraum, genau so ist es!
Aber aufs ‚Gefühlte‘ kommt es eben an, aufs Feeling., ob es groovt oder nicht.. Ich habe immer den Druck aus so Diskussionen herausgenommen, indem ich sagte ‚Sie können bezahlen was Sie wollen‘. Kann mich nicht erinnern, dass das jemand mal ausgenützt hätte, – und wenn schon!
Aber, wenn sich dann hinterher herausstellt, dass die eigene Strecke doch sehr gut war , kommt meist leider kein ‚Sorry, liebe Taxifahrerin, da ham wir uns geirrt‘. Ich habe das dann schon mal ganz freundlich vorgesprochen, da kam dann ein leises: ‚Ja‘. Und ein Weg, den man nicht kennt, der ist gefühlt sowieso eben immer länger..
Manchmal sind solche Diskussionen auch ‚ kleinheitswahnsinnig‘, um einen Begriff von Anton Kuh zu gebrauchen, das ist das Gegenteil von Größenwahn..
Wichtig ist doch eigentlich nur, daß der werte Fahrgast VOR der Fahrt sagt, welchen Weg er bevorzugt. Ich hatte schon mal so ein Exemplar, der war beim Bezahlen total sauer, daß ich nicht „seine“ Route gewählt habe. Wenn ich das auch nur geahnt hätte, hätte ich das sofort gemacht, waren seinerzeit immerhin fast 5,00 DM mehr.
Nee, lieber Taxi123, der Fahrgast ‚muss‘ erstmal gar nichts sagen über den Weg, wenn er nicht schon erfahren und gewitzt und sonstwas ist, kann er davon ausgehen , dass alles ok sein wird. Und das Wichtigste wäre, dass man diese kleinen Komplikatiönchen möglichst reibungslos und kulant löst..
Wie Sash es wohl macht, also fragen ist natürlich immer gut, aber oft hat man , warum auch immer, keine Lust dazu, weil man zu kaputt dazu ist oder denkt es wäre nicht nötig.. Wenn man aber doch irgendwie ein ‚doofes Gefühl‘ hat , kann man auch einfach ankündigen was man macht. So wie es die Verkehrs-Piloten in kritischen Situationen machen:
Ich gehe jetzt auf 20 000 Fuß oder ich öffne das Tankventil , da kann der Ko-Pilot oder der Fahrgast immer noch sagen: Nee, nicht durch Neukölln, und nicht den Diesel ablassen wir landen jetzt auf der Autobahn..
Die 3. Route ist eigentlich meine Lieblingsstrecke. Aber die fällt demnächst ja weg, wegen des Autobahnbaus 🙁
Aber über die Sonnenallee, das würde ich wohl niemandem verklickern können. Und das ist auch gut so 🙂
@jroger:
Nein, ich glaube die durchaus auch verbreitete Angst vor Neukölln hat da keine große Rolle gespielt.
@Nietnagel:
Die Antwort wurde bereits gegeben – siehe den Kommentar von Marco (Dank dadür an dieser Stelle!) – da kommen allerhöchstens mal zufällig 20 Cent zusammen, ansonsten reicht die eine Minute Wartezeitunterdrückung, um am Preis nichts zu ändern.
@Marco:
Stimmt. Und dasselbe noch einmal über Karl-Marx statt Sonnenallee. Ich hab sie deswegen nicht reingenommen, weil die im Grunde doch eher schlecht sind, weil sie schon viele Ampeln abklappern, bevor es auf die Autobahn geht.
@Bernd K.:
Ja, also Sehenswürdigkeiten gibt es auf der Strecke ja wirklich nicht – allenfalls das Leben in Neukölln für Dorfkinder. 🙂
@blaueralptraum:
Also meinem Gefühl nach ist z.B. bei Urlaubsreisen der Rückweg immer länger. 😉
Die kuriosen „Falsch!“-Kräherinnen gibt es aber durchaus auch in männlich, da hatte ich auch schon lustige Exemplare an Bord. Und ja, verstehen tue ich es auch nicht …
Bei manchen hat man regelrecht das Gefühl, es geht eigentlich nur um’s Rechthaben. Wobei man das dem ein oder anderen Kutscher auch attestieren kann. 🙁
@Taxi 123:
Deswegen frage ich ja so viel. Auf der anderen Seite wissen wir ja auch: damit tritt man manchmal denen auf die Füße, die so gerne sagen „Aber das müssen SIE ALS TAXIFAHRER ja wohl wissen!“ 🙂
@elder taxidriver:
Das stimmt! Am Ende geht es um die Kommunikation. Aber es ist schon immer wieder erstaunlich, wie viele verschiedene Sorten Mensch da draußen verschiedene Vorstellungen haben, wie man sowas „richtig“ macht. Fragen, nicht fragen, ansagen, schweigen, Vorschläge machen, nur zuhören …
Ich nehme ja mal stark an, Du kennst das zur Genüge. 🙂
@Aro:
Ich würde mich ja nun auch nicht darum reissen, die kürzeste Strecke zu fahren. Aber man fragt halt manchmal doch nach. 🙂
Es ist wie im Hotel Adlon, jeder Gast will und muss also anders behandelt werden. Die Familien oder Paare die da fein essen gehen wollen, die wollen umsorgt werden. Die Geschäftsleute wollen nur ihre Ruhe haben. Und es geht schon zu weit , zu fragen, ob es geschmeckt hat. Das ist selbstverständlich. Der Gast braucht keine Meinung zu haben. Deshalb ist es manchmal unhöflich ihn zu fragen. Dabei ist das einfachste manchmal nur schwer richtig hinzubekommen, ein 6-Minuten-Ei
oder so etwas. Oder, um es mit Ernst Jünger zu sagen:
‚Jedes Tier will anders gestreichelt werden. Elefanten zum Beispiel auf der Seite liegend, mit einem Backstein geschrubbt‘.
Schöne Vorstellung der verschiedenen Routen. Dann weiß ich, was ich demnächst dem Taxifahrer zu sagen habe, wenn mal wieder die Bahnstrecke zum Flughafen Schönefeld nicht so funktioniert, wie sie sollte.
Vielen Dank.
Ich bin gerade verwirrt. Ist die Estrel-Route nicht vor allem auch sehr, sehr viel schneller als die von Dir bevorzugte? Ist jetzt etwas her, dass ich regelmäßig da lang musste, aber der Dammweg kann doch extrem saugen, oder nicht?
Hihi. Aberwirklich was für ängstliche Ortsfremde – so viel gruseligeres in Berlin zu finden dürfte schwer werden. Gerade wenn man vor einer sechsspurigen Straße einsteigt und das Fahrtziel mit „Flughafen“ angibt.
@sternburg:
Wie gesagt: Die Route ist klasse! Aber über’n Dammweg isses nicht wirklich schlecht. Also zumindest nicht zu den Zeiten, zu denen ich fahre. 😉
Tagsüber ist der Dammweg vielleicht eher zweite Wahl – dann ist das Eck am Kanal ja auch nicht so gruselig und es fallen ein paar Ampeln weg.