Sash – voll unkollegial!

Der Kollege vor mir schlief. Das war nicht schwer zu erkennen, denn er hatte bereits, als er auf den ersten Platz vorrücken sollte, anderthalb Minuten im Auto gelegen, war dann panisch hochgeschreckt und danach umgehend wieder weggekippt. Ich finde übermüdet zu fahren scheiße, aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich davor an Position drei auch mal die Augen zugemacht. Aber so im Halbschlafmodus, wo ich jeden Fußgänger – und noch wichtiger hinten in der Reihe – jedes Motorgeräusch und vor allem die Bremslichter aller Kollegen vor mir wahrnehme. Nun schlief der Kollege auf Position eins und ich stand auf Position zwei rauchend vor dem Auto. Und so kamen die beiden jungen Damen nachdem sie im Zeitlupentempo von vorne an den Stand gelaufen waren – und nach einem kurzen skeptischen Blick in den Wagen des Ersten – direkt zu mir. Ob ich sie, *nestelnestel* in diese Straße fahren könne. Ich guckte mir den Zettel an: Fontanestraße, nebenbei eine Karte mit der genauen Lage der Hausnummer. Ich sagte zu und rechnete in Gedanken schon mal aus, wie viel es kosten würde, falls die beiden fragen würden.

Und dann wachte der Kollege aus und stieg aus.

Mich nahm er gar nicht zur Kenntnis, er wandte sich gleich an die beiden Damen und meinte:

„Ich bin der erste!“ und deutete auf sein Auto.

Nachdem er das noch einmal wiederholt hatte und ich mir das Schauspiel skeptisch angesehen hatte, erwiderte eine der Damen zaghaft:

„Äh … english?“

„Ich bin der erste!“, wiederholte der Kollege wieder.

Woraufhin die beiden Frauen sichtlich irritiert bei mir eingestiegen sind. Der arme Erste wollte schon wieder einsteigen, dann ist ihm aber eingefallen, dass es da ja noch jemanden gab – und kam zu mir:

„Kollege, das macht man nicht! Ich bin der erste, Du musst Sie zu mir schicken!“

Mir ging’s wirklich nicht um die Tour, aber das „Du musst“ war definitiv eine Spur zu weit aus dem Fenster gelehnt. Denn vor allem „muss“ man am Stand bereit zum Fahrtantritt sein und sich nicht erst wecken lassen. Aber mir ging’s nicht drum, den Kollegen vorzuführen, außerdem hatte ich Kundschaft im Wagen – also hab ich beschwichtigend gesagt:

„Komm Kollege, die werden schon einen Grund gehabt haben, warum sie mich ausgesucht haben …“

Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl, alles ruhig und leise – und dem Kollegen hinter uns musste ich ja nicht auch noch erzählen, dass der Erste gepennt hat. Kein Stress, wir machen hier alle unseren Job und gut is‘. Laut geworden ist der Kollege auch nicht mehr, aber er hat mich beleidigt angeguckt und mir vorgeworfen:

„Darum geht’s gar nicht! Aber sowas macht man nicht, das ist unkollegial!“

Weia!

Mal ganz im Ernst, lieber Kollege: Es ist nicht alles unkollegial, was Dir nicht in den Kram passt. Ich lasse so oft Kollegen beim Einreihen vor, helfe, weise sie auf Dinge hin und ich zeige den Kunden auch gerne den Weg zum ersten Taxi in der Schlange. Was ich aber ganz sicher nie machen würde, ist einem Kollegen zu versuchen eine Fahrt abzuluchsen und ihn vor den Fahrgästen bloßzustellen, wenn ich selbst mal unachtsam war (oder sonst irgendwas passiert ist). Nicht, wenn die Touris bei mir nur eine Frage hatten, nicht wenn der Fahrgast beim anderen mit einem 100€-Gutschein von der Bahn wedelt. Einfach nie. Denn DAS ist unkollegial!

Und dass unsere Kunden das Recht haben, einen (zumindest scheinbar) übermüdeten Kollegen zu meiden, ist vermutlich das Beste, was der Taxiordnung je passiert ist.

the street with the girls

Insbesondere die Leser meines Buches dürften sich auch heute noch an ihn erinnern: Den himmelblauen Australier. Der, der von seinem Hostel nur noch wusste, dass der Name mit C anfängt und „at a place called Platz“ liegt. An dem auch ein Zug oder sonst irgendeine Bahn fährt. Nun, der Kerl hat nun einen richtig guten Nachfolger. Und der wollte wohin?

„To the street with the girls, you know?“

OK, mir war klar, dass es nicht einfach um Mädchen, sondern um Prostituierte ging. Das engt die Auswahl schon ein. Aber eben nur so halbwegs.

„In the center, you know?“

Ein Schelm, wer dabei an die Oranienburger Straße denkt. Die war es nämlich genau nicht. Am Ende war es mit der Kurfürstenstraße immerhin meine zweite Idee – was aber vom Ostbahnhof aus immer noch einen guten Umweg bedeutet hat. Mir sollte es also recht sein. Aber seine Sorglosigkeit bezüglich seiner Zieladresse war wirklich atemberaubend:

„OK, you’re staying in a hostel. Do you have the name?“

„No, of course not! I’m just here for one fucking weekend!“

Ähm, ok. Das ist natürlich total, äh, einleuchtend. 0.o

Erst mal zur Aral …

Biermeile-Kundschaft. Zwei Kerle, gut einen im Tee, eher prollmäßig gekleidet – aber nach dem ersten Hallo zwei eigentlich gar nicht so unsympathische Gestalten. Sie waren jedenfalls die meiste Zeit damit beschäftigt, über ihre Freundschaft und die zu den anderen eben zurückgelassenen Leuten zu philosophieren. Und wo sollte es hingehen?

„Ersma zur Aral – ich will noch’n Bier. Und dann nach Hohenschönhausen!“

„Ähm, welche Aral denn?“

„Die auffer Brücke. Immer geradeaus, sag ick Dir dann.“

Die in Lichtenberg also. Kann man machen, ist halt ein „kleiner“ Umweg:

"Immerhin fast eine Gerade …" Quelle: osrm.at

„Immerhin fast eine Gerade …“ Quelle: osrm.at

Ich hab da jetzt aber auch nicht den Besserwisser raushängen lassen. Ich hätte zwar vermutet, die Total-Tanke an der Storkower hätte auch ein Beck’s und ein Berliner Kindl gehabt, aber was weiß ich schon …

Der Stopp an der Tanke dauerte. Der Ausgestiegene ließ es sich nicht nehmen, am Nachtschalter mit einer ebenfalls dort vorgefahrenen anderen Kundin zu flirten und überhaupt war die Stimmung angenehm entspannt. Wünscht man sich viel öfter genau so mit Partygängern. Nach dem Wiedereinstieg kam dann das Problem auf, dass die Bierflaschen ja geöffnet werden mussten. Die beiden verfielen in einen gewissen Sucheifer, den ich mir nicht lange angetan habe. Ich hab ihnen mein Feuerzeug gereicht. Der Erste öffnete sein Bier und war glücklich. Der Zweite im Grunde auch, nur stammelte er anschließend, dass das Feuerzeug nun wohl hinüber sei.

„Ach, wenn da Plastik abgesplittert ist – scheiß drauf!“

„Nee, Meista, ehrlich: Du brauchst ein neues! Hol ick Dir, keen Problem. Aber Du brauchst ein Neues!“

Und in der Tat, er hatte mal eben versehentlich den kompletten Kopf mit dem Zündmechanismus abgebrochen.

„Tut mir ehrlich leid, weeßte, eijentlich sind wir Profis im Bieraufmachen, ehrlich, ick schwör!“

Hätte ich nicht die traurigen Überreste meines Feuerzeugs in der Hand gehalten, ich hätte es geglaubt. Aber gut, so haben wir am Ende noch einen zweiten Tankstellenstopp gemacht. Dieses Mal war die Kassiererin diejenige, die sich einen langen Monolog mit sicher quälenden Entscheidungsfragen gefallen lassen musste, zumindest blickten sie und der Kunde hinter ihm interessiert in meine Richtung, wohl um zu sehen, wer denn dieser Taxifahrer ist, der so gewaltsam um sein Eigentum gebracht worden war. Freudestrahlend kehrte er dann zurück und überreichte mir feierlich gleich zwei Feuerzeuge.

„Eines von denen gefällt Dir hoffentlich!“

Eine gewagte Aussage bei zwei identischen. 😉 (Für ein Foto: Twitter)

Am Ende setzte ich sie beide an ihren Wohnungen ab und für die ohnehin reichlich teure Tour (29,90 €) gab es auch noch ein Trinkgeld von 2,10 € obenauf. Natürlich klappt das nicht immer – aber genau sowas erhoffe ich mir, wenn ich die Biermeile entlanggurke und auch mal anhalte, obwohl ich skeptisch bei den Fahrgästen bin.

„Schnelle“ Winkertouren

Es war genug los in der Stadt, also hab ich mich nicht gewundert, dass eine Truppe dreier älterer Frauen mich in der Wühlischstraße herangewunken hat.

„Einmal in die Scheffelstraße …“

So sei es. Rund ein Zehner vielleicht, eine nette kleine Tour um die Ecke, wenn man so will. Am Zielpunkt meinte dann eine der Fahrgästinnen:

„Nein nein, machen Sie die Uhr nicht aus, ich muss ja noch weiter!“

Auch nicht schlecht. Also vielleicht doch eher 15 €.

„Wohin soll’s denn noch gehen?“

„Nach Buch.“

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Noch. Besser. Mit Umweg über die Autobahn, einer gesperrten Straße und grundsätzlich einer ziemlich weiten Strecke waren das mal eben fixe 38 € auf der Uhr. Natürlich keine Jahrhundert-Tour, aber doch eher sowas, was einen nur einmal die Woche ereilt. Und dann im Normalfall nicht als Winkertour ohne Stress, sondern als Tour vom Stand mit Preisverhandlungen. In dem Fall war alles mehr als perfekt: Kein Stress, 10% Trinkgeld und auf dem Rückweg sogar zwei (!) weitere Fahrten, was die ohnehin schon gerettete Schicht fantastisch werden ließ. Mehr davon, heute noch, bitte! 😀

„Die kennt der!“

„Fahr uns mal in Richtung S-Bahnhof. Da wollen wir in die Kneipe …“

„Lass ma‘, die kennt der nich‘!“

„Na logo, die kennt der! Der is‘ doch Taxifahrer!“

Also hab ich mich mal eingemischt:

„Wie heißt denn die Kneipe? Dann kann ich ja sagen, ob ich sie kenne …“

Und meine Kollegen werden von der Antwort nur minimal überrascht sein:

„Ja, so jenau weiß ick dit och nich‘. Aber die hat so’n karierten Boden …“

Aber ich muss sie kennen – ja nee, is‘ klar! 😀

12,88€/km

Bei allerkürzesten Strecken wirkt sich die letzte Tariferhöhung besonders aus. Richtiggehend absurd wird es dann, wenn noch der neue Großraumzuschlag für mehr als 4 Personen obenauf kommt. Die Tour gestern Abend hat damit (für noch halbwegs plausible Fahrtstrecken) quasi Rekordniveau gehabt:

Mit 6 Leuten vom Ostbahnhof zum Berghain. 800 Meter etwa. Für mal eben flotte 10,30 €.

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Aber ich hab dreimal nachgefragt: Sie wollten das wirklich.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Hatte die Nase voll

Ich hab nur kurz jemanden am Ostkreuz abgesetzt, da winkte mich ein junger Kerl ran, dem ein blutiges Taschentuch in der Nase steckte. Und siehe da, er wollte zur Apotheke am Hauptbahnhof, die S-Bahn war mal wieder unterbrochen. Bei aller Kundenfreundlichkeit hab ich nicht angeboten, nun mal eben schnell zu googeln, ob es nicht eine nähere Notfallapotheke gäbe – was sehr sicher der Fall gewesen wäre. Aber er hatte sich wohl schon irgendwie erkundigt und ich will auch nicht unbedingt mehr Zeit investieren, um am Ende weniger Geld zu verdienen. Für ihn war die Fahrt so oder so ok. (Und am Hbf war sicher die Chance auf englische Beratung nochmal höher als sonstwo)

Ich erfuhr dann, dass er Norweger war, seit drei Tagen in der Stadt, volle Kanne Party und so. Und jetzt am letzten Tag hatte er „mal wieder“ eine Stunde lang Nasenbluten. Genetisch bedingt, seine Mutter hätte das auch. Und für ihn ein gutes Signal, das mit dem Feiern nun zu beenden. Irgendwann ist auch mal gut, das Wochenende war lang genug. Auch eine Philosophie.

Am Ende durfte ich ihn danach noch zum Generator-Hostel in der Storkower fahren, eine gute 30€-Tour. Und alles für ein paar Wattepfropfen, die während der Fahrt schon überflüssig wurden, weil die Blutung gestoppt war. Aber was will ich schon über Kunden sagen, die mal eben 30 € im Taxi liegen lassen, trotz blöder Rahmenbedingungen guter Laune und freundlich sind? Ach ja, natürlich:

„Thank you!“

🙂