Es raschelt mal wieder laut im Blätterwald des Taxigewerbes. Der Grund ist recht einfach: Die Anbieter der App MyTaxi ändern ihr Preismodell. Bislang verlangten sie eine Pauschale von 79 Cent pro vermittelter Tour, zukünftig sollen die Fahrer selbst einen Prozentsatz angeben können. Ursprünglich 3 bis 30%, inzwischen scheint MyTaxi auf 3 bis 15% zurückgerudert zu sein. Wie viel ein Fahrer abzugeben bereit ist, soll Einfluss auf die Vergabe von Fahrten haben.
So weit, so ui. Der Aufschrei der Branche ist groß. „Abzocke!“ wird gerufen, die „Geldgeilheit“ des Unternehmens wird kritisiert und es wird vorausgesagt, dass das letztlich in einem Preiskampf der Taxifahrer enden wird und die Kunden benachteiligt werden, weil sie nicht mehr das nächste Taxi bekommen, sondern den Fahrer, der am meisten zahlt. Selbst eine Petition wurde gestartet, um MyTaxi zum Einlenken zu bewegen, sprich: es so zu lassen wie bisher.
Klingt soweit ganz logisch, oder?
Um ehrlich zu sein: Finde ich nicht.
Sicher, es ist eine große Änderung, die MyTaxi da plant – und außerdem glaube ich, dass sie das nicht sonderlich clever angegangen haben. Diese Panikwelle und dieser Aktionismus, der jetzt durch die Branche geht und den man bei anderen wichtigen Themen vermisst, ist aus meiner Sicht aber auch ziemlich bekloppt.
Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Ja, MyTaxi will Geld verdienen. Ich bin selbst ein großer Freund von sozialem Engagement, aber MyTaxi war auch als es zur Einführung von all jenen gelobt wurde, die es jetzt kritisieren, kommerziell ausgerichtet. Sie verdienen ihr Geld, indem sie Taxifahrten vermitteln, ebenso wie das andere auch tun. Im Übrigen auch unsere Funkzentralen. Natürlich ist das kapitalistisch. Wie unser Verhalten und das unserer Chefs auch. Also ich fahre auch Taxi, um Geld zu verdienen. Ihr nicht?
Zockt MyTaxi uns ab? Ich würde sagen: Nein. Es ist ein neuer Anbieter von Vermittlungen, der jetzt seine Preise ändert. Abgesehen davon, dass diese neuen Preise hier und da gar nicht höher sein werden, kann man als Fahrer heute wie morgen entscheiden, ob einem dieser Dienst das wert ist. Und, mit Verlaub: Wer jetzt rumflennt, weil sie ja so eine große Marktmacht haben, der soll sich mal an die Zeit vor 3 Jahren erinnern. Da hatten die Funkzentralen viel mehr Marktmacht, nämlich quasi ein Monopol (in manchen Städten nicht nur quasi). Und bei denen war die Entscheidung, sie zu nutzen oder nicht viel komplizierter. Inklusive teurer Geräteeinbauten und all dem Schmu, der klaglos hingenommen wurde.
Zu guter Letzt aber der wirklich fast schon lustige Punkt: Das „Gegeneinander ausspielen“ der Taxifahrer, das bislang quasi das Hauptargument ist: „Wenn man nur so Aufträge bekommt, müssen ja alle auf 15% stellen!“ und noch besser: „Das ist ja ein Nachteil für den Kunden, wenn er nicht das nächste Taxi kriegt!“
Mal ganz ehrlich, liebe geschätzte Kollegenschaft: Auf welchem Planeten seid Ihr bisher Taxi gefahren?
Daran, dass wir uns selbst ausbeuten, ist jetzt MyTaxi schuld? Das ist interessant. Ein Euro mehr an eine Fahrtvermittlung ist jetzt ein riesiges Problem – aber an 10 Stunden Arbeitszeit nochmal zwei ranhängen, weil man den Umsatz noch braucht, den sonst der Kollege der nächsten Schicht gemacht hätte, ist normal? Ein teureres Auto kaufen, um mehr oder bessere Fahrten zu bekommen, ist normal – bei MyTaxi 2% mehr zu zahlen nicht? Sich bei der Funkzentrale anzumelden, die mehr Fahrten im eigenen Gebiet anbietet, ist normal – bei einer App mehr zu zahlen, um mehr Aufträge zu bekommen nicht?
Ich weiß nicht, wo Ihr diese Fairness und Gleichheit, die Euch MyTaxi jetzt angeblich nimmt, bislang hattet. Natürlich versuchen wir unsere Konkurrenz zueinander in zivile Bahnen zu lenken, aber wir fechten diesen Kampf seit Jahr und Tag mit Geld aus. Oft verdeckt in Form von Arbeitszeit und Funk- oder Unternehmenszugehörigkeit, dennoch läuft es darauf hinaus.
Und die Kunden, die „jetzt nicht mehr das nächste Taxi kriegen“?
Das ist genau der selbe Selbstbetrug! Rufe ich mir nachts beim Innungsfunk ein Taxi, kommt wahrscheinlich ein Kollege aus, sagen wir mal Lichtenberg, hergefahren. Vom Bärchenfunk aber steht einer nur 300 Meter entfernt am Eastgate. Der wird ebenso total unfair übergangen, weil er bei der „falschen“ Zentrale ist. Und das passiert zigtausendfach täglich. Auch sprechen die Funkzentralen zuerst die Taxistände an, selbst wenn gerade drei freie Taxen vor meinem Haus hin- und herfahren. Beim Digitalfunk wiederum entscheidet die Anwesenheitszeit im Sektor und keineswegs die wirkliche Nähe zum Kunden über die Vermittlung einer Fahrt. Außerhalb Berlins ist das noch viel auffälliger: Vielerorts vermitteln die Unternehmen jeweils ihre eigenen Taxen, da interessiert es kein Schwein, dass die Konkurrenz direkt ums Eck steht und der eigene Fahrer noch eine halbe Stunde braucht, weil er derzeit noch eine andere Tour fährt. Das ist nicht immer schön, aber sicher nicht der Untergang des Abendlandes, wenn es seit 50 Jahren funktioniert.
Ich will damit nicht sagen, dass ich es schön fände, wenn aus all dem eine Preiserhöhung bei MyTaxi resultieren sollte. Und da kann man meinetwegen dagegen sein, wir brauchen schließlich alle unsere Kohle. Aber dann doch mit stichhaltigen Argumenten.
Überhaupt: Preiserhöhung! Habt Ihr mal ausgerechnet, was das neue Modell für die unliebsamen 5€-Touren bedeutet? Stimmt, die sind automatisch immer billiger als bislang. Und wo bitte ist es unfair, dass z.B. ein Fahrer, der auf eine Anbindung an eine Funkzentrale verzichtet und (finanziell gesehen) enger mit MyTaxi kooperiert, mehr abgibt als ein Fahrer, der mit Doppelfunk im Auto für ein zwei zusätzliche Fahrten im Monat nur noch 3% entbehren will? Und entspricht es nicht tatsächlich viel mehr der Lebensrealität von uns Taxifahrern, dass uns eine Fahrt Montag nachts in Hellersdorf viel mehr wert ist als eine an Silvester um 2 Uhr in Mitte?
In Gegenden, in denen das Taxigewerbe noch nicht so komplett an die Wand gefahren ist wie in Berlin, ist es zudem sehr wahrscheinlich, dass sich die Prozente, die für MyTaxi gezahlt werden, je nach Auftragslage einpendeln werden und damit tatsächlich fairer werden als pauschale 79 Cent.
Gegenargumente gegen oben gesagtes vermisse ich bei all den Boykottaufrufen und Heulereien gerade.
Disclaimer: Gelegentlich nutze ich MyTaxi auch und Google blendet manchmal zufällig MyTaxi-Werbung oben in der Seitenleiste ein. Mehr hab ich mit dem Unternehmen nicht am Hut.