Mehr als Du!

Kneipenauftrag in Marzahn. Aber keine der ganz schlimmen Kneipen. Und siehe da: Eine Familie. Gut angetrunken, allesamt, aber immerhin ohne Minderjährige. Der Start gestaltet sich schwierig, weil sich die Tochter noch einen Döner ums Eck holen will, dann doch lieber auf dem Weg, dann kurz vor zuhause und außerdem ist sie so blau, dass sie sich erst einmal im Fond quer über ihre Eltern legt und Papa fragt, ob er ihr die Beine massieren möchte.

Wenn ich mit meiner WG-Vergangenheit auf eines nicht gefasst war, dann dass mir als Taxifahrer noch so viele Ausprägungen von alkoholinduzierter Verpeiltheit aufgezeigt würden, die ich bis dato nicht kannte.

Statt die Tochter zu massieren erklärte mir der Vater dann, dass die Tochter heute ihr erstes Gehalt erhalten habe.

„Na, das ist doch mal ein Grund!“,

warf ich mitfühlend in die Runde.

„Erss Jehaaald. Un‘ mehr als Du in ein Jaaah mach’s!“

Sympathie von hundert auf null. Wie so ein sich outender AfD-Wähler.

Und nicht falsch verstehen. Ich mach schon ein paar Jahre lang Jobs im Niedriglohnbereich, ich komme irgendwie ziemlich gut damit klar, dass andere Leute mehr verdienen als ich. Mir ist es erschreckend egal, wie offen die Möglichkeiten des Geldverdienens nach oben hin sind, all meine ach so „neidische“ Kapitalismuskritik hat sich immer daran aufgehangen, dass es vielerorts am unteren Ende nicht reicht. Weswegen ich ganz ganz besonders so herablassendes Verhalten eklig finde.

Und ratet mal!

Jepp. Genau 50 Cent Trinkgeld. Nach Rechenspielen, ob ich nicht gerade 1,50 € draus gemacht hätte.

Noch 18

Zwei nette Frauen baten mich, zu einem Club in einem Außenbezirk zu fahren. Und wollten von mir wissen, ob da „nur die Jungen“ feiern würden. Puh, also mal abgesehen davon, dass ich diese Clubs außerhalb meist für anderweitig gruselig halte und mehr als nur unterschiedliche Kundschaft in all den Jahren dorthin gebracht habe, ist ansonsten so ziemlich alles, was ich über den Laden weiß, dass da vor geraumer Zeit jemand erschossen wurde.

„Also nicht nur Teenies, würde ich schätzen …“

Das Gespräch eskalierte schnell, denn sobald die beiden sich als Mütter an ihrem kinderfreien Abend outeten, konnte ich als notorisch schlechter Lügner meine noch junge Vaterschaft dann ja auch nicht lange verschweigen. Nach all den Ach’s und Oh’s bemerkte die eine aber zielsicher:

„Naja, deswegen kann ich ja trotzdem noch feiern. Ich hab irgendwie nicht das Gefühl, als sei ich eine andere Person, als damals, als ich 18 war. Ich bin doch immer noch quasi 18!“

Da räusperte sich die andere und meinte:

„Niko.“

„JAJA, IST JA GUT!“

Ich blickte provokativ undwissend in die Runde und dann meinte die Quasi-18-jährige:

„Niko ist mein Ältester. Der wird nächsten Monat 18.“

Und hey, jetzt hab ich auch wieder über all die Altersgeschichten nachdenken müssen, denn unser Spatz ist 5 Monate alt und die gute Frau war nur zwei Jahre älter als ich …

Die gute Tat für heute

Manche Dinge sind für Taxifahrer unschön, aber besonders unschön werden sie dann, wenn sie in der falschen Reihenfolge erzählt werden. So war ich nicht wirklich begeistert von meinem Fahrgast, der um die 60 war, stank wie ein Gullideckel im Hochsommer und sich gleich attestierte, er sei „viel zu besoffen“.

Auf meine Nachfrage, wohin es gehen sollte, presste er neben vielen unverständlichen Satzteilen die Worte „Wohnheim“ und „um die Ecke“ heraus.

„Sie meinen das Wohnheim in der Otto-Rosenberg-Straße?“

„Ja, sicher.“

Na denn. Eine kurze Tour, also bringen wir den armen Kauz mal nach Hause!

Er hat sich dann beim Einsteigen noch sehr schwer getan, über dies und jenes gejammert und am Ende hab ich dann doch gefragt, was ich mir zu fragen eigentlich lange abgewöhnt hatte:

„Aber nur mal so: Den Zehner für die Fahrt haben Sie noch, oder?“

„Sicher doch!“

Im Grunde war es mir egal. Für die paar Meter. Als ob ich in dem Moment derjenige war, der ernsthaft Probleme hatte. Dennoch schön, so schnell eine Bestätigung zu bekommen. Aber dann waren wir drei Minuten später am Wohnheim und mein Fahrgast meinte nur, dass das falsch sei. Dass ich ihn explizit nach der Straße gefragt hatte, hab ich mal ignoriert, irgendwo musste ich ihn ja nun abliefern. Aber er verblieb mit völlig untauglichen Hinweisen wie „gleich da hinten“ oder „an der Kreuzung rechts“. Wir standen ja nun in einer Sackgasse, von der aus Kreuzungen und Abzweigungen eher wenig erwartbar waren.

Und dann kam der zweite Hinweis, den ich gerne schon vorher gehört hätte:

„Tut mir ja auch leid, aber weisste, ich hab ja Alzheimer.“

Ich meine, da kann er ja nix für, aber es ist für mich halt auch unschön, wenn ich erst am Ziel erfahre, dass der Kunde keine Ahnung hat, wo er hin muss. Er gab dann eine weitere Straße als Anhaltspunkt, wo ich dann hingefahren bin, als er dort nicht weiter wusste, hab ich die Uhr gestoppt und ihn mal gefragt, wie er sich das eigentlich jetzt vorstellen würde.

„Weiß ich auch nicht. Lass mich doch hier einfach raus.“

„Hier? Mal ganz im Ernst: Würde ich gerne tun. Aber dann? Hier in der Prärie? Wie kommen Sie denn dann heim?“

„Keine Ahnung.“

„Eben. Und jetzt mal ‚besoffen‘ und ‚tut mir leid‘ beiseite: Haben Sie einen Ausweis mit Adresse dabei?“

„Naja, glaube schon.“

„Dann her damit!“

Natürlich dauerte das alles. Er musste zigmal alle Taschen von neuem durchsuchen und das schöne gepflegte Auto roch von Sekunde zu Sekunde mehr wie eine Gemischtwarenabteilung von Tabak und Urin. Aber so wenig ich in dem Moment Bock drauf hatte, so sehr hab ich mich am Riemen gerissen. Erstens wollte ich, dass das wenigstens für den Kauz gut endet, zweitens hatte ich keine Lust auf die Polizei und noch eine verschwendete Stunde.

Ich hab die Adresse aus dem Ausweis ins Navi eingegeben und mir mit viel Mühe verkniffen, ihm an den Kopf zu werfen, wie viel Schmerzensgeld ich eigentlich für die Aktion gerne haben würde. Ich meine, ich trauerte da maximal einem Zehner hinterher und der Typ im Gegenzug konnte in einer Minute kaum 20 Meter Weg zurücklegen.

Ja, am Ende hätte ich mir den Mehrbetrag, der mir eigentlich zugestanden hätte, sogar nehmen können. Er hatte wirklich noch einen heiligen Fuffi in der Tasche und ich war ja sogar drei bis vier Kilometer für umme gefahren. Aber abgesehen vom netten Trinkgeld auf den Betrag, den ich zuletzt auf der Uhr stehen hatte: Mir ist schon klar, dass er die paar Euro eher brauchen können wird als ich. Schlechtes Taxi-Wochenende hin oder her. Und er hat sich auch tausendfach entschuldigt und bedankt und selbst das Auto roch nach drei Minuten auslüften wieder ok.

Und ja, es fühlt sich im Nachhinein völlig ok an, dass es so gelaufen ist.

Richtung Berlin

Mir stieg ein Mann am Bahnhof Marzahn ins Auto ein. Sein Ziel war die Möllendorffstraße, das war soweit kein Problem. Die Nummer sollte die 71 sein, was mir natürlich nix sagte. Da die Möllendorffstraße in jede Richtung zwei bis drei Spuren besitzt, in der Mitte eine Straßenbahn verkehrt und stellenweise sogar noch zusätzliche Nebenfahrbahnen existieren, hielt ich es für eine gute Idee, rauszufinden, auf welcher Seite die Nummer liegt.

„Das ist, wenn wir in Richtung Berlin fahren, auf der rechten Seite.“

Aha.

Mir ist schon klar, wie das gemeint war. Richtung Zentrum halt. OK. Aber hier mal eine (nicht einmal vollständige) Karte von Berlin, auf der ich den Verlauf der Möllendorffstraße in rot markiert habe:

Möllendorff Richtung Berlin, Quelle: Google Maps

Alles klar?

Vorbildlicher Nicht-Räuber

Auch nach bald 10 Jahren tue ich mich schwer damit, was ich Kunden antworten soll, die mich hart bemitleiden, weil mein Job ja so gefährlich ist. Denn das ist so ein klassisches Feld, wo Gefühle und Meinungen auf Statistiken und Fakten treffen und eindeutig ist dann nicht einmal letzteres. Natürlich haben wir Fahrer ein zusätzliches Risiko durch Raubüberfälle und es gibt keinen Grund, das kleinzureden. Andererseits liegt aber die Hochzeit der Taximorde vier bis sechs Jahrzehnte (!) zurück und wer wirklich dauernd Panik schiebt, vielleicht mal eine Tageskasse zu verlieren, hat echt noch zu wenig gerafft, wie wenig Geld das eigentlich jeweils ist.

Nun hatte ich einen Winker im Auto, der mich behutsam versuchte darauf vorzubereiten, dass er am Zielort das Geld aus der Wohnung holen würde. Was ich mit einem „Kein Problem!“ abgetan hab. Er versprach mir, sein Handy dazulassen, „auch anjeschaltet, keine Sorge!“, wo ich mich dann trotz der überwiegend korrekten Kollegen wieder frage, wie wenig vorsichtig unsere Kundschaft eigentlich ist.

Aber es ging weiter:

„Ich muss Dich warnen: Ich komme gleich wieder runter und ich hab dann meinen Hund dabei. Keine Panik, ich mach den auch gleich am Geländer fest, ich will das dann nur nutzen, um noch eine Runde mit ihm zu drehen.“

„OK.“

Auf die Idee, dass jemand seinen Hund mitbringt, um mich zu bedrohen, bin ich in 10 Jahren noch nicht einmal im Ansatz gekommen. Zumal das grenzwertig blöd wäre, da so ein handelsübliches Taxi ziemlich hundesicher ist, wenn man sich darin verschanzt.

Aber er erwähnte auch gleich, dass er das nur sage, weil er von Taxifahrern ja schon üble Stories gehört hätte. Und eine davon wäre eben, dass z.B. mal ein Kunde statt mit Geld mit einem Messer wieder am Taxi stand, obwohl er das Taxi mit seinem Namen bestellt und zu seiner Haustüre hat fahren lassen.

Der Idiotie-Faktor dieser Aktion bewegt sich vermutlich auf mittlerem Berliner Niveau, aber ich stutzte doch etwas, denn ich hab so eine Geschichte nicht zum ersten Mal gehört, sondern erstmalig um das Jahr 2004 herum. Ja genau, lange bevor ich im Taxi gelandet bin. Es war in meiner WG in Stuttgart, als ich anlässlich einer Party den Bruder einer späteren Mitbewohnerin kennengelernt habe, der dann im weiteren Verlauf des sehr feucht-fröhlichen Abends gebeichtet hat, dass die dümmste Aktion seines Lebens war, zugedröhnt einen Taxifahrer mit einem Messer bedroht zu haben, nachdem er zuhause die Kohle, die er eigentlich dort erwartet hat, nicht mehr auffinden konnte.

Sicher, das wird auf der Welt schon ein paar Mal passiert sein, aber ratet mal, woher er kam … genau: Berlin.

Mit meinem Fahrgast hat dann natürlich alles gut geklappt. Und er hat den Hund tatsächlich angeleint, obwohl ich ihm gesagt habe, dass er ihn ruhig mit zum Auto bringen kann.

Die unter einem

Ich hab dieses Wochenende übergangsweise ein Auto von der Firma abholen müssen. Noch hat man mich nach der Elternzeit nicht in ein festes Team einsortieren können, das sich ein Auto teilt, weil das vorherige aufgrund der Krankheit eines Kollegen nicht mehr existiert. Wie immer war es die Hölle, nach der Sonntagsschicht einen Parkplatz zu finden, ansonsten war es ok. Ich hab am Übergangsauto mal wieder ein paar lustige Geräusche neu kennenlernen dürfen, die Zafiras jenseits der 300.000 km machen und ansonsten war die Arbeit mittelprächtig bis gut.

Was das Nehmen von Autos an der Firma speziell macht, ist die Rückfahrt. Dank klug gewählter Wohn- und Firmenadresse komme ich auch nachts  mit der Straßenbahn gut heim, es dauert halt nur eine Stunde. Plus ggf. 25 Minuten Wartezeit. Und es ist wirklich nicht selten, dass während dieser Heimfahrt irgendwas passiert. Also Menschen.

Die fragen nach lustigen Routen und Orten oder es entwickelt sich einfach so ein Gespräch – und wenn ich als Taxifahrer was gut kann, dann Gespräche zu führen, während ich ohnehin anwesend sein muss.

Dieses Mal fragte mich ein Mittvierziger, ob ich ihm sagen könne, wie er nach Friedrichshain komme und da das erst im späten Verlauf der Fahrt passierte, blieb für mich nur, ihm zu sagen, er solle mal mit mir aussteigen und dann in die Bahn steigen, in die ich nicht steigen würde.

Als ich sah, dass er Flaschen sammelte, hab ich ihm meine Eistee-Flasche vermacht und wir hatten dann ungefähr 10 Minuten, uns ein bisschen zu unterhalten. Er war ein Obdachloser aus Prag, der versuchte, sich seine Fahrt zurück zu verdienen. Er sagte, dass er Berlin möge, dass es aber eben bei weitem nicht das sei, was ihm Freunde erzählt hätten: Wie leicht man hier an Geld kommen könnte, dass Berlin eine Art Schlaraffenland sei. Er hat das auch echt sehr liebenswert leicht selbstironisch erzählt, wie doof es eigentlich gewesen sei, dass er sowas geglaubt hätte:

„Is – wie sagen? – bescheuert, zu glauben, hier plöötzlich alles ok!“

Er fragte mich, wie es sei, hier Taxi zu fahren, wir bemängelten gemeinsam die Wohnsituation hier; es war ein zwar notgedrungen eher mit negativen Aspekten gespicktes Gespräch mit dafür wenigstens sehr positiver Atmosphäre.

Ich hab ihm kurz bevor meine Bahn kam, dann einfach etwas mehr als mein heutiges Trinkgeld gegeben. War irgendwie doof, weil ich’s mir hart verdient habe und jetzt mit Kind auch eher mal darauf achten muss, ein bisschen mehr Taler auf die hohe Kante zu schaufeln – andererseits haben ja auch mich hier schon so viele Leute freiwillig unterstützt und ich hab’s auch noch nie erlebt, dass es mir am Ende falsch vorgekommen ist, jemandem irgendwie zu helfen, dem es offensichtlich noch deutlich schlechter geht als mir. Auch ohne das zu schreiben (und ja, dann auch nettes Feedback zu kriegen) ist es immer schön, jemandem helfen zu können, dem der Zehner mehr gutes tut als es mir schadet. Ich hab schon mal irgendwo geschrieben, dass da bei mir wohl was falsch verdrahtet ist und dass ich mich da wirklich freue.

Aber ist auch egal. Unsere Wege haben sich wieder getrennt, wir werden uns wohl nie wieder sehen und das hat meine Heimfahrt angenehm kurzweilig gemacht.

Und weil diese „kritischen“ Stimmen sicher auch kommen werden: Es ist mir völlig egal, ob der Kerl sich davon einen halben Kasten Bier kauft oder auf die Fahrkarte nach Prag spart! Mich hat es gefreut, dass er so überrascht und glücklich war. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Was „kurzes“ zwischenrein

Ich hab gerade stressige zwei Wochen ohne freien Tag – auch wenn ich den Knirps nicht mitzähle und nur am Wochenende Taxi fahre. Das früher übliche After-Work-Blogging muss gerade früheren Bettzeiten weichen und ich weiß auch noch nicht so recht, wann ich das nachholen kann. Kommt aber. Hier nun aber noch schnell die Impression einer Kundenroute, ein Träumchen. Insbesondere, weil’s Arschlöcher waren:

„Fährste uns Harmonie? Kennste kürzesten Weg?“

„Ich bin noch am Überlegen, aber ich glaube ja.“

„Egal, zeig ick Dir!“

„We took the scenic route.“ Quelle: maps.google.com

Meine Strecke wäre 8,5 km lang gewesen.