Als ich gestern schrieb, dass ich mir bezüglich des gefundenen Handys auch weiterhin einen interessanten Verlauf vorstellen könnte, hatte ich mit viel gerechnet, aber nicht mit Oleg. Oleg war der Besitzer des Handys, der mich im Laufe des Morgens noch vor dem Weckerklingeln ungefähr 30-mal angerufen hat. Was ich 29-mal ignorieren konnte, aber irgendwann ist halt Schluss. Aber ich will nicht lügen: So nervig ich es in dem Moment fand, war ich froh drum. Denn übers Fundamt hätte das alles viel länger gedauert. Außerdem hatte ich bei unserer Fahrt herausgehört, dass Oleg wohl nur zu Besuch in Deutschland war und das alles sonst vielleicht nur über viele weitere Umwege geklappt hätte, ihm das Telefon zukommen zu lassen. Und wenn ich mir den ganzen Mist aufbürde, den ja selbst die Zentrale als „immerhin sehr nett“ bezeichnet, dann ja wohl, um jemandem eine Freude zu machen.
Mein Gehirn ist da altmodisch: Es schüttet Endorphine aus, wenn ich Leuten helfe.
Am Telefon stellte sich schnell raus, das Oleg noch weniger deutsch oder englisch konnte, als ich es im Gedächtnis hatte. Mit Mühe und Not schafften wir es, uns auf die Straße, in der ich ihn und seinen Kumpel (allerdings an einem Imbiss mit anderer Nummer) eingeladen hatte, eine Hausnummer und eine Zeit – 11 Uhr – zu einigen.
Und dann bin ich hingefahren.
Seinen Namen hab ich an der Klingel nicht gefunden, also hab ich erst einmal abgecheckt, ob es nicht ein Zahlendreher gewesen sein könnte. Aber die Nummer gab es gar nicht erst. Dann hab ich in der Not tatsächlich geschafft, auf einem auf moldawisch gestellten Telefon mittels der Kontaktliste eine Nummer zu finden, unter der ich Oleg erreichte.
Juhu?
Nein.
Den meisten unter uns passiert das selten, selbst mir, aber nun hatte ich diesen ganz seltenen Fall, dass unsere Sprachkenntnisse sich so wenig deckten, dass wir es einfach nicht geschafft haben, miteinander zu kommunizieren. Oleg konnte seine Adresse fehlerfrei auf deutsch sagen, verstand im Gegenzug aber nicht, dass ich bereits vor Ort war und nur wissen musste, wo ich klingeln soll. Und natürlich handelte es sich um ein Hochhaus mit drölfzig Namen, die ich wirklich nicht verdachtsweise durchprobieren wollte.
Natürlich sanken mit der Zeit zwischen unseren fruchtlosen Telefonaten meine Hemmungen, aber am Ende hatte ich nur ein paar der offensichtlich osteuropäisch klingenden Namen auf dem Klingelbrett gedrückt. Mit Rumsuchen nach der eventuell anderen Hausnummer und all den Verzögerungen zwischen unseren Telefonaten und SMS summierte sich das auf atemberaubende anderthalb Stunden auf, während er in der Wohnung seines Cousins saß und ich im Grunde meist vor seiner Haustüre.
Natürlich hab ich zigmal überlegt, wieder heimzufahren und das Handy einfach ans Fundamt zu schicken. Aber Oleg war halt nur ein fucking Berlin-Besucher, der kein Deutsch konnte (abgesehen von beinahe ausnahmslos Stücken wie „Vielen Dank“, „sehr nett“, „freue mich“, „gut“ und „schön“), der sein Handy mit Bildern seiner Tochter verloren und mir 15 Stunden zuvor das beste Trinkgeld der Woche gegeben hatte.
Ich weiß nicht einmal mehr, welche Kombination aus meinen Worten (jetzt, hier, waiting, öffnen, Tür, door, open, now, please) am Ende den Ausschlag gegeben hat, dass er mit Schamesröte im Gesicht runterkam. Aber ich weiß noch, was seine ersten Worte waren:
„Tschuljung, tschuljung, Sascha! Wieviel? Wieviel Geld?“
Er reichte mir direkt einen Zehner und ich gebe zu, dass ich in dem Moment noch etwas angepisst war, weil ich über eine Stunde telefonierend in der Hellersdorfer Prärie rumgesessen war. Aber ich habe gesagt:
„Komm, passt schon. Ist ok!“
Und er hat sichtlich zerknirscht einen weiteren Zehner gezückt und „Bijette, bijette, ok!?“ gesagt.
Auch wenn ich für die Chose am Ende alleine 5,60 € Fahrtkosten hatte … ich hab’s dankend angenommen und ihm auf die Schulter geklopft. Manche Dinge passieren eben, wenn auch glücklicherweise nicht jede Woche. 😉
