Wenn’s schiefer geht, als man glaubt.

Viele Fahrten sind am Ende ja wirklich Dienst nach Vorschrift und es gibt genügend Fahrgäste, bei denen man zu Beginn inklusive Smalltalkthema und Trinkgeldhöhe quasi alles vorhersagen kann. Die Touren, bei denen es nicht so läuft, sind dann die, die ich hier verblogge und heute kommen wir zu einem der Worst-Case-Fälle.

Angefangen hat alles gut mit zwei mittelangetrunkenen Russen in ungefähr meinem Alter, die mir als Winker in Friedrichsfelde vor’s Auto gelaufen sind. Trotz schlechtem Deutsch war sehr schnell klar, wo sie hinwollten, es ging um einen mir wohlbekannten Puff in knapp 30 € Entfernung. Ich hätte unterwegs etliche andere Läden gewusst, aber in Anbetracht der Tatsache, dass der Laden sogar eine kleine Prämie zahlt, fehlte mir wirklich der Anlass, sie zu einem anderen zu überreden. Gesagt, dass das eine ziemlich lange Strecke ist, hab ich aber trotzdem, schon um klarzustellen, dass selbst „schnell“ auf jeden Fall 25 – 30 Minuten bedeutet.

Eigentlich also ganz nett. Und wirklich: problematisch wäre nun nicht das Wort der Wahl für die beiden. Ich hab ihnen auch das weitertrinken im Taxi erlaubt, obwohl ihr etwas seltsames Mixgetränk verstörend intensiv gerochen hat. Gibt’s Kerosin mit Zitrusnote in Flaschen? Naja,ich war jedenfalls froh, nicht mittrinken zu müssen.

Die beiden palaverten laut, ich hatte auf ihre Bitte einen Lull-und-lall-der-90er-Radiosender eingeschaltet und die Fahrt verlief im Grunde nett, angenehm und unspektakulär, bis wir bei 28,30€ vor dem Puff hielten. Zunächst musste ich mein schon stark dezimiertes Wechselgeld wirklich noch nach 1,70€ durchforsten, anschließend reichte mir einer der beiden das Geld dann doch wieder zurück. Nett grinsend. So denn, Trinkgeld gab’s also auch noch.

Und dann sind sie erst einmal ums Eck gegangen. WTF? Nachdem sie nach drei Minuten nicht wieder aufgetaucht sind, hab ich mich verzogen. Ja, eigentlich erwartete ich schon, dass sie (nach dem Pinkeln oder was auch immer) noch in den Puff gehen, aber trotz eventueller Kohle vom Türsteher konnte ich dort nicht weiter das Parkverbot überstrapazieren. Und eigentlich wollte ich eh so langsam mal Richtung Heimat abdrehen. Nicht zwingend sofort Feierabend machen, aber gemächlich in die richtige Richtung treiben.

Also bin ich schweren Herzens weg, aber in Anbetracht der ein paar Stunden zuvor erfolgten überraschenden 100€-Zuwendung war ich mit dem Verlauf der Schicht schwer zufrieden. Das hielt noch zwei Querstraßen lang an, bis ich beim Bremsen ein „Klonk“ von hinten im Auto vernahm. Ich bin kurz rechts ran und tatsächlich: Hatten die beiden Arschgeigen die noch nicht einmal leere Flasche (eine selbst aufgefüllte Limo, ich weiß immer noch nicht, was es war) ins Auto geschmissen und die Fußmatte war voll von dem stinkenden Zeug. Bäh!

So dachte ich zunächst. Bei näherer Betrachtung war es aber wohl doch eher so, dass der hinter mir wohl ins Auto gekotzt hatte. 🙁

Dem Umfang nach war’s auch nicht verwunderlich, dass ich das nicht mitbekommen hab, das war jetzt nicht die Totalkatastrophe mit minutenlangem Würgen, sondern vermutlich eher so ein Aufstoßen, bei dem unerwartet Material mitgekommen ist. Ärgerlich, aber kein Grund, die Klappe zu halten und nachher freundlich grinsend 1,70€ Trinkgeld zu geben!

Die Reinigung hab ich tatsächlich an der nächsten Tanke sehr schnell alleine hinbekommen. Keine 10 Minuten und neben ein bisschen Küchenrolle und Reiniger nur 0,50€ Geldeinsatz für den Kärcher (Super für die Fußmatten!). Im Falle einer netten Entschuldigung und etwas Mitarbeit hätten wir da sehr schnell eine wirklich verträgliche Lösung finden können. So wie’s stattdessen gelaufen war, hätte ich den beiden rückblickend aber lieber den Siff ins Gesicht geschmiert.

Und aus Geruchsgründen war’s dann halt doch der endgültige Feierabend. 🙁

Den Bus kriegen müssen

Ein Winker an der Boxhagener. Einmal zur Mercedes-Benz-Arena. Business as usual.

Und ein netter Kunde zudem! Ein Busfahrer aus den Niederlanden, der wieder zu seinem Fahrzeug wollte. Aber dann schlug das Schicksal zu. Zunächst die Fahrraddemo, die genau jetzt über die Warschauer Straße fuhr, als wir sie nutzen wollten. Dazu die Sperrung der Straße der Pariser Kommune, die einen (noch erträglichen) Umweg erlaubt hätte. Dann Rückstau, an den Ampeln ein Haufen übermütige Fußgänger und nicht zuletzt eine leidlich schlechte – um sie nicht falsch zu nennen – Angabe des genauen Zielpunkts. Aufgrund der mangelhaften Angabe bin ich dann eine Einfahrt zu spät an die MBA rangefahren und dort verwiesen uns dann die Ordner und wir mussten nochmal einen Umweg fahren, anderthalbmal ums komplette Gelände quasi. Zumal bei eher dichterem Verkehr, weil dort wohl vor kurzem eine Veranstaltung geendet hatte.

Am Ende sind aus den grob geschätzt zwei Kilometern Luftlinie satte 12 € auf dem Taxameter geworden und ich hatte das Gefühl, gerade vier Touren hintereinander gefahren zu haben.

Mein Fahrgast hatte indes gut vorgeplant, hatte also Zeit und nahm das alles eher belustigt hin. Er hätte ja ohnehin an mindestens fünf Stellen der Fahrt aussteigen können, wenn er einen Fußweg von ein paar hundert Metern ok gefunden hätte.

Stattdessen lief eben die Uhr weiter und ich bekam noch gutes Trinkgeld. Was halt so passiert, wenn man keine Eile hat und der Chef die Rechnung bezahlt.

Auf dem Silbertablett. Weil Auskennen und so.

Guter Lauf, fast schon ein perfektes Beispiel:

Ich hab mal am Bahnhof Friedrichsfelde-Ost vorbeigeschaut. Aber: Möööp, drei Taxis. Da in Marzahn eines der vielen Oktoberfeste war, bin ich schnell dorthin gefahren. Da dann Winker nach Neu-Hohenschönhausen. Schnelle 15€. Dort gleich ein Winker, quasi direkt zurück zu mir in die Straße, also auch nicht weit weg vom Fest. Meine Erwartungen waren quasi übererfüllt.

Nun aber direkt am Festplatz wieder Winker.

„Abend. Wo darf’s hingehen?“

„Kennste Dich in Berlin ’n bisschen aus?“

„Würde mal sagen: Ja.“

„Jut. Spandau.“

Obwohl ich an dem Punkt noch nicht vorhatte, Feierabend zu machen und mir deswegen eine Tour in den sehr fernen Westen irgendwie missfallen hätte, dachte ich in Anbetracht der Tatsache, dass das mal eben ein Fuffi auf dem Silbertablett war, auch nur: Jetzt übertreibt mal bitte nicht! Aber es war ernst gemeint und ich hab in der Stunde wohl das Maximum bezüglich Stundenumsatz und Kilometerschnitt rausgeholt.

Es gibt wirklich nur ein einziges Problem an solchen Fahrten: Sie sind zu selten. 😀

CSI, übernehmen Sie!

Zwei angetrunkene Damen vom Oktoberfest. Aber alles ok soweit. Brockenlachen stand bei weitem noch nicht an und die beiden redeten zum Abschluss des offenbar gelungenen Abends über die Anwesenden.

„Ja, und der Kai. Der war mit seiner Frau da. Mit seiner Frau! Obwohl der so rumgebaggert hat!“

„Kai? Sagt mir nix. Beschreib den mal!“

„Naja.“

„Beschreib mal sein Gesicht!“

„Der hatte so ’ne Weste an …“

„Äh!? Haarfarbe?“

„Na, so mittelkurze.“

Hätten sie mal mich gefragt. Also DEN Kai kenne ich natürlich! 😉

WHAT THE FUCK?

„Was war bisher ihre heftigste Taxifahrt?“

Sowas oder sowas ähnliches fragen mich Fahrgäste gerne, oft aber auch Journalisten. Und ich schlängele mich gerne um eine eindeutige Aussage herum, oft ist das ja eine Frage der Umstände und gerade Vokabeln wie heftig (aber auch krass, schlimm oder eindrucksvoll) lassen sich ja oft verschieden interpretieren. Was dann aber gestern Abend passiert ist … ich denke, ich hab jetzt einen Alltime-Favoriten als Antwort.

Ein paar Details muss ich bei der Fahrt weglassen; ich kann aber alle Fragenden beruhigen: Die alles entscheidende Frage hat mein Fahrgast auch nicht beantwortet, nämlich die danach, was eigentlich genau passiert ist.

Als Winker war er das ultimative Von-sehr-gut-auf-hammerscheißegeil-Event am noch sehr jungen Abend. Ich hatte davor nur eine einzige andere Tour, die jedoch hat mich mal schnell von der Frankfurter Allee bis zum ZOB gespült. War leider alles ein wenig eilig, ich konnte den guten Anfang kaum genießen, ein bisschen Ruhe tat gut, ich schlug gleich einen Weg gen Osten ein, scheiß auf die Leerkilometer! Und da stand er dann und wollte immerhin mal bis zum Hauptbahnhof. Bezahlte Rückfahrt, netter junger Kerl, alles easy.

Ja, nix da!

„Tut mir leid, mir geht’s heute nicht so gut.“

„Im Sinne von Ich-muss-vorsichtig-fahren?“

„Nein, passt schon. Aber ich bin, ich werd für lange Zeit in den Knast gehen. Sehr lange Zeit, fuck, mir ist übel!“

Die Blogbarkeit war da schon klar. Jetzt mal einfach für sich gesehen. Gefängnis ist eine harte Sache und ich muss ehrlich sagen, ich stehe dem Konzept durchaus kritisch gegenüber. Vor allem aber isses für mich natürlich ziemlich interessant, mit Leuten zu reden, die damit Erfahrungen machen (mussten). Und obwohl es natürlich seltsam ist, wenn jemand fremdes einem durch die Blume zu verstehen gibt, dass er irgendwas echt schlimmes gemacht hat: Sind nicht eigentlich die unheimlicher, von denen man gar nix weiß?

Aber gut, er saß da, wirkte reichlich mitgenommen und es sah alles danach aus, als ob er gerade irgendwie versucht, den letzten Tag vor dem Haftantritt noch schön zu gestalten. Das aber klappte nur so mittel.

„Weißte, vielleicht muss ich das gerade einfach erzählen, sorry. Aber sagt man nicht, dass Ihr Taxifahrer irgendwie wie Therapeuten seid?“

„Da ist schon was dran, aber ich sag’s gleich: Was uns von Therapeuten unterscheidet, ist: Wir können nicht so gut helfen.“

„Ich hab mein Leben ruiniert, ich werd‘ alles neu anfangen müssen, es ist alles vorbei!“

Wie gesagt: Obwohl er nicht ein Wort darüber verloren hat, was genau passiert ist, kann ich das Gespräch nicht in Gänze schildern. Ein paar Sachen aber doch. Das Überraschendste zuerst: Nix da mit Haftantritt! Was vor ihm lag, war das Stellen bei der Polizei. Aber ja, er sei kriminell, hätte Freunde in den Knast gebracht, die Familie zerstört und was das eigentlich schlimme war: Er war frisch verliebt und wollte eigentlich ein neues Leben beginnen, spießig, mit Kindern, der Druck mache ihn fertig, aber jetzt sei eh alles im Arsch, aus, vorbei, er bräuchte jetzt nur noch in seine Heimat fahren, die würden dort vermutlich schon am Bahnhof warten. Sieben, acht Jahre, wenn’s mal gut geht. Alles verloren, futsch, Ende. Er habe nur noch, was er am Leib trage.

Uff.

Und die Laune war entsprechend. Ihm war kotzübel wegen der bevorstehenden Ereignisse, er wusste nicht, ob er lieber noch zwei Stunden in einem Hotel schlafen oder was essen sollte, seine Tränen sind am Armaturenbrett meines Autos runtergeflossen, der Kerl hatte (was, wenn er die Wahrheit gesagt hat, verständlich war) einen vollständigen Nervenzusammenbruch.

Und auch wenn er was getan hat, wofür er zurecht eine hohe Strafe kriegen wird: So dreckig sollte es Menschen nicht gehen müssen. Der Typ war, wenn’s hoch kommt, 30 Jahre alt, er hat mich ein wenig an einen früheren Mitbewohner erinnert. Hätte er versucht, mich um einen Preisnachlass zu bitten, wäre ich skeptisch geworden, aber so wie er da ohne Grund jammerte, wirkte er glaubwürdig. Hat seine Fehler eingesehen, leider zu spät, und suchte einen Ausweg. Den aber natürlich weder er noch ich hatten.

Das war eine der längsten Viertelstunden meines Lebens. Und seinen Zustand hab ich ja auch hinreichend geschildert.

Ich hab ihn 800 Meter vor dem Bahnhof drauf hingewiesen, dass wir gleich da seien, einfach um ihm die Chance zu geben, sich den Rotz aus dem Gesicht zu wischen, bevor er aussteigt. Er bat mich, ihm ein Hotel zu suchen, oder nein, was zu Essen. Also nach dem Hotel, also vielleicht, aber …

„Mach Du mal, ich kann nicht mehr klar denken!“

Ich hab ihn an ein meines Wissens nach eher günstiges Hotel gefahren, mit Sichtkontakt zum Bahnhof.

„Hier. Sollte bezahlbar sein. Und Essen: Siehste den Eingang. Drinnen haste alles: Mac, Bäcker, Currywurst, keine 50 Meter entfernt.“

„OK, hey, danke. Scheiße, sorry für alles! Was kriegste’n?“

„16,30€.“

Er kramte ein bisschen in seinen Taschen und zog einen Beutel hervor. Einen kleinen schwarzen Müllbeutel.

„Drogengeld. Braucht keiner, den Dreck.“,

sagte er mit einer beachtlichen Empathielosigkeit. Er zauberte einen zerknitterten Zwanni aus dem Säckchen, reichte ihn mir und meinte, dass das schon ok wäre. Ich dankte höflich und wünschte ihm alles den Umständen entsprechend Gute. Und das war ernst gemeint. Beim Aussteigen fielen ihm ein paar Sachen runter, die ihm sichtbar unwichtig waren. Er hob sie dennoch auf und warf sie mir auf den Beifahrersitz:

„Ach da, kannste auch noch haben. War gut zu reden und is‘ ja egal jetzt.“

Da ist er dann durch eine Horde lachender und feixender Touris ins Hotel gegangen und ich hab die zwei Fünfziger eingesteckt. Warum auch nicht, jetzt, wo’s eh egal ist?

„Was ist denn mit denen los?“

Ich fuhr gemütlich mit meiner Kundin durch Hohenschönhausen. Ihre Wohnung war nicht mehr weit entfernt, da tauchte vor uns auf der Straße eine Gruppe Leute auf. Vier an der Zahl, und sie verteilten sich über die ganze Straßenbreite. Wären sie so stehen geblieben, hätte ich wohl anhalten müssen.

„Was ist den mit denen los? Sind die besoffen?“,

fragte die Kundin.

Da die Gruppe erkennbar auseinanderstob, um Platz zu machen, dennoch mit ausgezogenen Klamotten wild um sich schwenkte, musste ich meine Erfahrung zu Rate ziehen:

„Ich vermute eher, es geht um diese schwierige Aufgabe, freie Taxis von besetzten zu unterscheiden. Sie wissen schon: Unsere beleuchtbaren Dachschilder und so …“

Ein bisschen Ironie muss sein. Die Kundin hat auch gegrinst. Und dann hab ich todernst nachgeschoben:

„Aber ja, betrunken sind die sicher auch.“

Glaubt’s mir oder nicht: Ich mag das mit der Nachtschicht immer noch. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

Abonniert doch den RSS-Feed von GNIT. Mehr von Sash gibt es außerdem bei Facebook und bei Twitter.

Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.