Ich hatte eine richtig gute Winkertour ergattert. Drei Leute, die so dermaßen im Komikermodus waren, dass ein Kollege sie extra absichtlich übersehen hat, bis ich des Weges kam. Dem debilen Gekicher nach war da nicht nur ein kleines Feierabendtütchen im Spiel, sondern eher eine Menge, die selbst in Berlin nicht mehr als Eigenbedarf deklariert werden kann.
Aber egal: Von Friedrichshain über Weißensee nach Schöneberg! Mehr als 30 € aus dem Stegreif!
Und der nach Weißensee war der Hammer. Hat mich erst ewig übers Taxifahren ausgefragt, um am Ende mit dem Hinweis zu kommen, dass er als Fahrer ja auf die Beförderungspflicht scheißen würde, wenn es um Nazis ginge. Sehr sehr sympathischer Junge! 😀
Aber da ging’s erst los.
Er wohne jetzt ja erst seit sechs Tagen in seiner neuen Wohnung. Mit seiner Freundin, die nur so mittel legal einen Untermietvertrag ausgestellt habe. Und schon nach der ersten Nacht sei sein Hausmeister, „so’n Nazi-Alki“, der auch mal im Treppenhaus pennt, wenn er den Schlüssel nicht mehr ins Schloss kriegt, bei ihm vorstellig geworden und hätte ihm eine Räumungsklage angedroht.
„Nach einer Nacht, Alter. Ich hab mir gleich ’ne Machete gekauft!“
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„Nee nee, Digger! Nicht, dasde denkst, ick würd dem was tun. Könnte ick nich. Aber guck mal: Ich bin nich deutsch, weil, is klar, hab ja schwarze Haare. Wenn ick dem mitte Machete die Tür öffne, dann isset doch nur so, dass ick dem seine Angst real mach. Ehrlich! Ick befriedige dem seine Angst, dit is alles! Ick hab mir ja so jefreut auffe neue Wohnung. War ja bislang Neuköllner, da is meine Hood! Un jetz das?“
Und während die beiden auf der Rückbank sich vor Lachen weggeschmissen haben, frage ich mich immer noch, ob ich auf dem selben Planeten lebe. 0.o
Nicht selber Planet, lieber Sash. Selbe Dimension ist die Frage. Und die Antwort lautet: Nein! Du bist in eine Dimensionsüberplappung geraten.
Da frage ich mich, ob es Sinn ergibt, die Angst der mir gegenüber stehenden Person zu bestätigen und damit zu verstärken. Da wird meiner Meinung nach das Aggressionspotential nur weiter erhöht – oder um es mit einem nordkoreanischen Propagandaoffizier zu sagen: „Wir haben kein Problem damit, unsere Atomwaffen zur Kriegsverhinderung präventiv gegen den Gegner einzusetzen.“ Ah ja.
Die Menschen sind aber leider so. Erst neulich wurde ich auf einer Fahrradstraße(!) auf meinem Rad von einem 750ccm³-Straßenrenngeschoss überholt – ich hatte gemäß meines Tachos so ca. 30km/h drauf, er geschätzt vielleicht 40 – 50. Ich machte artig Platz, hielt den Daumen hoch und meinte „Geiles Fahr-Rad!“. 50m später hielt der Moped-Rider an, fauchte mich an, was ich wohl zu im gesagt hätte – ich meine darauf lächelnd: „Ich habe gesagt, sie haben ein tolles Fahr-Rad. Ich meine zwei Räder, auf ner Fahrradstraße, und es läuft so leicht, dass ich sie hab kaum treten sehen… Sowas hätte ich auch gerne!“ – worauf er mir völlig ironiebefreit mit schwerster körperlicher Züchtigung unter Nutzung stumpfer Gegenstände drohe – es aber anders ausdrückte. Zuvor wäre er schon von zwei anderen Radfahrern, die ihm keinen Platz gemacht hätten, massiv genötigt worden… usw. Dabei wäre es so viel einfacher gewesen, zu lachen und zu sagen: „Jo – gut, oder?“ und weiterzufahren… Aber lieber bastelt man sich die Bestätigung der eigenen Vorurteile, wie es gerade passt, um ja nicht die eigene Gedankenwelt zu velassen. Die Argumente meines Gegenübers dann noch mit Bestätigungen zu füttern (in meinem Fall hätte ich ja mal spontan die StVO zitieren sowie sein Kennzeichen fernmündlich der Polizei übermitteln können) halte ich für wenig deeskalierend – auch wenn ich ihn gerne gefragt hätte, ob ich ihn auch verhauen dürfe, wenn ich mit meinem Rad vor ihm auf der Autobahn fahren würde… Naja, Äpfel mit Birnen; das Recht des Stärker-(motorisiert)-en; und so…
In Blogbeitrag-Fall wäre es vielleicht abschreckender für den Hausmeister, wenn man ihm, statt ihm eine große Klinge zu zeigen, zum Abendessen nach Originalrezept des Großeltern-Landes einläd. DAS würde ihn wahrscheinlich viel mehr ängstigen als eine Machete… 😉
@Gedankenknick toller Ansatz auf diesen Planeten würde ich gerne leben.
@gedankenknick Keine Gewalt hat (leider) noch nie gegen Nazis geholfen. 🙁
@oni
Der Umkehrschluss währe: „Gewalt hat bisher (glücklicher Weise) immer gegen Nazis geholfen.“ Ich würde sowohl Deinen Satz als auch meinen Umkehrschluss nicht unterschreiben. Denn die Frage ist, wie verblendet das Gegenüber wirklich ist. (Eventuell kann man auch mal Linksautonome zu diesem Thema befragen, die kennen sich da mit der Erfolgsquote wohl aus…)
Ein führender Rechtsradikaler (der selber natürlich keiner ist) hat mal im Gespräch mit einem Fernsehreporter mit sichtlich „undeutscher“ Herkunft den Satz fallen lassen: „Wenn ich mit Ausländern reden würde, hätte ich ja keinen Grund mehr, sie zu hassen.“ Und da entlarvt sich das System.
Und das Ursprungsproblem bleibt. Entschuldige ich mein Veralten anschließend mit den Worten „Ich habe ihn zusammengeschlagen, weil er mich mit einer Machete bedroht hat!“ oder „Ich habe ihn zusammengeschlagen, weil ich mich zum Essen eingeladen hat!“ ??? Was fällt wohl leichter? Jeder kleine Schritt der Deeskalation bleibt ein Schritt der Deeskalation, auch wenn er – wie in meinem obigen Beispiel – anders ausgelegt wird. Jeder Schritt der Agression bleibt hingegen weiter Schritt zur Eskalation.
Übrigens, gegen so nette Menschen wie meinen obigen Mopedfahrer kann man AKUT nichts machen, wenn nicht die Polizei im nächsten Gebüsch lauert. Ich habe ihn mit (m)einem Satz überrascht, der nicht zu seiner vorgefertigten Meinung passt. Ich habe ihm ein weites Feld der Reaktionsmöglichkeiten geboten. Nach kurzem Zögern entschied er sich für den ihm bekannten weil ausgetretenen Pfad der „verbalen Aggression“. Nachdem ich ihn dann darauf hingewiesen habe, dass ich nur nett zu ihm war, und er mir mit schwerer Körperverletzung drohnte, folge noch ein kurzes Zögern. Vielleicht habe ich erreicht, dass er später noch mal über sein Verhalten nachgedacht hat – ich weiß, die Chance ist nicht groß, aber sie ist da! Ich KANN Menschen zum Nachdenken bringen – ohne Gewalt und nur mit freundlichen Worten. Schaffst Du das auch mit Gewaltanwendung?
es heißt auf berlinerisch nicht gleich, sondern glei
Grüße vom Ostbahnhof
@Der Maskierte:
Ja, wahrscheinlich. 🙂
@gedankenknick:
Da hast Du teilweise natürlich recht. Andererseits würde ich auch sagen, dass das – wie alle Grenzen der Kommunikation – ein schwieriges Feld ist. Es kann wohl als gesichert gelten, dass z.B. Menschen weniger zu rassistischen Ansichten neigen, die mehr „Fremde“ kennen. Allerdings gibt es trotzdem total verbohrte Beispiele und man darf in dem Fall auch nicht vergessen, dass es zum einen eher ein Witz war, und dieser zum anderen auch von einem (wenn auch nur mit sehr engen Scheuklappen erkennbaren) Nichtdeutschen gemacht wurde, der sicher einen anderen Blick darauf hat, weil es für ihn vermutlich nur eine von zig Angriffen war, die ich z.B. auch gerne eher akademisch als Einzelfälle einordnen würde.
Ich bin ja auch gelegentlich z.B. grob gegenüber Fahrgästen, weil ich weiß/hoffe, genau diese jetzt sind die, bei denen „Rezept X“ am besten wirkt. Obwohl ich immer sagen würde, dass z.B. Anbrüllen von Kunden völliger Bullshit ist.
Wie „sinnvoll“ die Idee meines Fahrgastes war, möchte ich dementsprechend hier keineswegs abschließend erörtern, einfach aus purer Unkenntnis der genauen Lage. Ich wollte nur sagen: Ganz so einfach ist es eben nicht immer.
@DrAnubis:
Würden wir alle gerne. Heißt aber auch nicht, dass wir nicht versuchen könnten, unseren Planeten zu selbigem zu machen.
@Oni:
Jein. Ausnahmen bestätigen die Regel, und das in jede erdenkliche Richtung.
@spreefunkostberlin:
1. Ui. Also wie im Schwäbischen?
2. Anstelle von „berlinerisch“ scheint „berlinisch“ geläufiger zu sein.“ Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Berlinische_Grammatik . Und ja, da hab ick ooch jekuckt wie’n Auto.
3. Was Menschen so sagen, orientiert sich nicht immer an „offiziellen“ oder penibel ettiketierten Sprachen. Deal with it.
@gedankenknick,
> „Wir haben kein Problem damit, unsere Atomwaffen zur Kriegsverhinderung präventiv gegen den Gegner einzusetzen.“
Das erscheint mir logisch. Wo kein Gegner mehr ist, gibt’s keinen Krieg.
Aber deswegen schreibe ich nicht. Ich hatte mal ’ne Machete. Keine so richtig echte. Nach dem alten Waffengesetz waren sogenannte „Dekorationswaffen“ erlaubt. Das heißt, die Klinge musste stumpf sein. Nicht dass man sowas nicht nachschleifen könnte, aber war legal. So, und jetzt frag ich mich, wo ist die verdammte Machete? Auf meinem Dachboden stehen noch fünf Umzugskisten mit Krempel aus Berlin, den ich hier in Bayern nirgendwo unterbringen konnte.
> eine Menge, die selbst in Berlin nicht mehr als Eigenbedarf deklariert werden kann
@Sash, Mengen, die in Berlin nicht als Eigenbedarf deklariert werden können, passen nicht in einen Opel Zafira. Eher überschreitest du das zulässige Höchstgewicht bevor du keinen Eigenbedarf mehr anmelden kannst.
Bin dann mal weg. Machete suchen.
@Gedankenknick:
Wenn man Menschen doch nur so einfach friedlich stimmen könnte.
Aber… es gibt Menschen, die werden im Internet als Troll bezeichnet. Sie provozieren wo sie nur können, weichen keinen Millimeter von ihren Ansichten ab, werden beleidigend, wenn sie ihnen die Argumente ausgehen (die kreativen versuchen sich im Umschreiben von Beleidigungen, was die anderen dann aber doch auffällt – wodurch das böse Wort dann doch fällt und Troll sich echauffieren kann, dass ER das ja niemals gesagt habe) und wenn sie könnten, würden sie am liebsten durch den Bildschirm zum Nichttroll springen und „ey, eine uf de Fress?!“ sagen.
Mit Trollen kann man bekanntlich nicht diskutieren – und sollte es auch nicht.
Und leider gibt es diese Trolle eben auch im realen Leben. Alles genauso wie beim Netztroll – nur das hier tatsächlich eine uf de Fress gegeben werden kann. Den einzigen Vorteil den man als Nichttroll hat, ist freundlich bleiben und dies auch im Mimik und Gestik und nicht nur im geschriebenen Wort, da eh jeder anders liest. Das kann einen Anfängertroll durchaus so weit irritieren, dass er den taktischen Rückzug antritt. Erfahrene Alttrolle kennen das aber schon und dann hilft freundlich bleiben einfach nicht mehr um ihn loszuwerden (man kann sich aber einen Spaß erlauben und den Troll trollen, in dem man freundlich bleibt – das regt sie immer so furchtbar auf). Da hilft nur noch „aus dem Weg gehen, ignorieren und Tür nicht aufmachen“.
PS:
Mir sind Internettrolle lieber. Die kann man schön trollen ohne das es in Gewalt ausarten kann.
@Die Unsoziale:
Schreib nicht immer so belehrend! *tret*
@Unsoziale, na gut, dann muss ich wohl. Ein Trollsong.
https://www.youtube.com/watch?v=bkX1iNUq6Jw
Lyrics:
http://www.lyricsfreak.com/i/in+extremo/herr+mannelig_20219275.html