Die regelbestätigenden Ausnahmen

Ich mein’s wirklich ernst, wenn ich sage, dass ich keine Schwarztouren mache und Kollegen keine Fahrten klaue. Hab ich kein Interesse dran, sollen sich andere wegen ein paar Euro in die Haare kriegen! Und das alles gilt natürlich erst recht, wenn’s eigentlich gut läuft und man eine Tour nach weit außerhalb bekommen hat.

Dieses Wochenende aber war es nachts kalt, scheißkalt für Oktober. Im Umland hat mein Thermometer bis -3°C angezeigt … und just da trotteten dann zwei völlig fertige Typen in dünnen Sweatshirts an der Straße entlang und fingen heftig an zu winken, obwohl ich – wie im Feindesland stets praktiziert – mit ausgeschalteter Fackel unterwegs war. Ich hab dreimal hin- und herüberlegt, am Ende dann aber doch ein paar Meter hinter ihnen angehalten. Obwohl es bis zum äußersten Winkel Berlins noch ein paar Kilometer waren.

„Jungs, ich darf Euch eigentlich nicht mitnehmen … aber kommt, steigt ein! Das läuft sonst unter unterlassene Hilfeleistung.“

Und was willste machen? Natürlich darf ich rein gesetzlich im Umland niemanden gewerblich befördern – und ebenso natürlich verbietet mir mein Arbeitsvertrag, Menschen kostenlos zu befördern. Andererseits kannste mitten im Wald nach 5 Kilometern ohne Gegenverkehr auch niemanden stehen lassen. Und sie hatten wohl ein Taxi bestellen wollen, aber es war keines frei gerade – also sind sie mal losgelaufen.

Zu ihrem Ziel fehlten noch knappe 3 von insgesamt 5 Kilometern. Zwar entgegen meiner Richtung, aber who cares? Ich hab die Uhr gleich ausgelassen, das sind genau die Fälle, derentwegen ich sonst nicht vom Tarif abweiche.

Als wir dann aber so durch den Wald gepflügt sind (3 Kilometer bei erlaubten 70 km/h, das ist ja quasi nix!), kam der eine dann doch auf Geld zu sprechen. Mit dem hinten sitzenden Mitfahrer:

„Haste noch Knete?“

„Hab ich.“

„Dann rück mal’n Schein raus.“

„Hab schon einen …“

„Ist da ’ne Zwei drauf?“

„Jo.“

„Na, dann ist ja gut!“

Und zu mir:

„Dass es keine Zweihunderterscheine gibt, weißte hoffentlich …“

Ja, quasi. Für mich als Taxifahrer sind 200er quasi wirklich inexistent. 😉

PS:
Ich weiß zudem: Ich hätte sie auch mich anrufen lassen und es dadurch pseudolegalisieren können. Bestellte Touren im Umland sind ja legal. Ich hab das indes wirklich nicht als Taxitour gesehen, ich hab denen wirklich nur kurz geholfen. Nicht, dass ich das Geld verschmäht hätte, aber wenn man’s in einer Situation sowieso nicht richtig machen kann, dann nimmt man halt die für einen selbst beste Variante …

10 Kommentare bis “Die regelbestätigenden Ausnahmen”

  1. Wärst du einem Kollegen aus dem Umland böse, der in so einer Situation in deinem Revier gleich handelt? Nein! Siehst du, kein Problem.

    Wie du sagtest, das war schon knapp unterlassene Hilfeleistung und niemand kann den beiden Jungs verbieten, eine kleine Belohnung für den Helfer auszuloben. Zufälligerweise klebte halt eine Taxi-Fackel an deinem Auto. 😉

  2. Cliff McLane sagt:

    Ich stimme erstens mal dem Maskierten zu, und zweitens bin ich mal neugierig bis wann sich dieses Jahr mal wieder rumspricht, dass dünne Shirts im Winter keine gute Idee sind.

    Alles richtig gemacht, Sash, und zehn extra Karma-Punkte für praktizierte Nächstenliebe. (Und für die beiden Jungs mit dem blauen Geldschein ebenfalls.)

  3. Wahlberliner sagt:

    Bleibt nur noch das schlechte Gewissen gegenüber dem Chef, der so gesehen 6km mehr Leerfahrt zu verbuchen hat (3 hin, 3 zurück). Und da die Uhr ja aus war, konntest du das auch nicht abrechnen? Weil, ansonsten wären bei 20€ für 3km ja auch so für Dich noch eine super Bezahlung mit sehr gutem Trinkgeld rausgekommen…? Naja, da es nicht dauernd passiert, ist das wohl OK. Ich würde wohl aus Gewissensgründen trotzdem beim nächsten Mal was in die Kaffeekasse werfen, oder so 😉

  4. Joe sagt:

    Winkemänner darf man doch überall aufnehmen, nur bereitstellen darf man sich nicht in fremden Revieren. Oder gibt es in Berlin Sonderregeln?

  5. MsTaxi sagt:

    Manchmal steht man einfach vor der Wahl: Karma-Konto aufbessern oder schlaflose Nacht haben.

    Ich hatte den Fall eines Paares Anfang 20, sie gerade bei ihm zugezogen, beide Hartz IV-Empfänger, wie sie sofort angaben. Sie, hochschwanger, war mit dem Notarztwagen in die Klinik eingeliefert worden, er war mitgefahren, beide kein Geld, keine Karte, nix außer einem Transportschein der Klinik für ins 10km entfernte Zuhause, 3°C Nachttemperatur eine halbe Stunde vor Mitternacht. Als der Auftrag über den Funk ging, rollte ich gerade bei einem ca. 35,–€ entfernten Bordell vom Hof, wo ich gerade einen Kunden abgesetzt (und den obligatorischen goldenen Händedruck erhalten) hatte. In den ca. 30 Minuten bis nach Hause (ich hatte noch mal bei Mäckes nen Kaffee gezogen) hatte keiner meiner Kollegen sich der beiden erbarmt, der Funker hatte den Auftrag schon storniert. Ich fuhr nur mal so auf Verdacht vorbei, ob da noch jemand stünde, die genaueren Details waren mir bis zu dem Zeitpunkt unbekannt gewesen.

    Ich hab die beiden nach Hause gefahren, ihnen meine Kontonummer gegeben und meiner Scheffin das Fahrgeld einfach in den Geldbeutel geschmissen. Ich hatte ihnen gesagt, wenn sie denn mal mehr Kohle hätten, sollten sie was überweisen. Und hab ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass ich was von meinem Geld sehe. Umso überraschter war ich, als ich sechs Monate später das Geld in der Umsatzübersicht sah, Name und Betreff passte. Aber ganz ehrlich: Es hätte mir nicht leid getan, wenn sie nicht bezahlt hätten.

    Und warum kam es so weit? Weil Krankenkassen zwar den Notfalltransport INS Krankenhaus bezahlen, aber wenn sich der Notfall dann doch als falscher Alarm herausstellt, die Kosten für das Taxi nach Hause eben NICHT übernehmen.

    P.S.: Nein, die beiden hießen nicht Maria und Josef und war Februar. 🙂

  6. Jürgen sagt:

    Alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung gewesen, gar keine Diskussion. Die 20,00 EUR waren einfach eine nette Geste der Dankbarkeit.

  7. highwayfloh sagt:

    Wenn Dir da jemand einer ans Bein pinkeln wollte …
    … dann wäre es genau das Argument der „unterlassenen Hilfeleistung“ in diesem Falle … .

    Mach Dir keinen Kopf drum, Du hast absolut korrekt und menschlich gehandelt … bin stolz auf Dich!

  8. Sash sagt:

    @Der Maskierte und Cliff McLane:
    Rischtisch!

    @Wahlberliner:
    Ja sicher. Tatsächlich schlafe ich aber noch ganz gut … 😉

    @Joe:
    Guter Punkt. Allerdings meines Wissens nach eine Grauzone. Zum einen wäre da diese Bereitstellen-bereithalten-Geschichte, die mir nie jemand irgendwie erklären konnte. Gut, jetzt mit ausgeschalteter Fackel hab ich sicher beides nicht getan, aber die Frage, ob ich deswegen – wie gesagt: für gewerbliche Fahrten! – jemanden mitnehmen dürfte? Ich hab dazu ehrlich gesagt noch keine befriedigenden Quellen gefunden. So bleibt bei einer Nicht-Bestellung am Ende zumindest noch die Frage der Richtigkeit des Tarifs offen, oder? Das ist jetzt nicht als Erbsenzählerei gedacht, ich weiß es einfach wirklich nicht. Falls Du da irgendeine verlässliche Info hast, dann gib mir die bitte mit Quelle – denn interessiert bin ich dann doch an allem. 😀

  9. Sternennacht sagt:

    Deine Geschichte bestätigt meine Erfahrung. Je weiter weg von der Stadt, je kälter und dunkler die Nacht, desto „Ehrlich“ freundlich der Fahrgast, dem du einen langen Fußmarsch erspart hast.

    Und meines Wissens nach, musst du außerhalb der Heimat den Fahrgast darauf hinweisen dass du einen anderen Tarif hast und deine Ortskenntnis hier nicht die beste ist. Ich hatte noch nie jemanden der dann sagte: ne, dann gehe ich zu Fuß weiter oder warte auf ein lokales Taxi.

  10. Sash sagt:

    @Sternennacht:
    Da hast Du sicherlich recht. Die schwierige Grenze hierbei ist aber sicher dieses „Bereithalten“, bzw. „Bereitstellen“. Dass die Fahrgäste mit einem anderen Tarif leben müssten – ok. Aber inwieweit ist es überhaupt legal, sie mitzunehmen? Also jetzt mal ohne Tricks und so?

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