Wenn ich etwas wirklich gut unter Kontrolle hab, dann ist es meine Cholerik. Die hab ich so gut im Griff, dass die meisten Menschen, die ich kenne, abstreiten würden, dass ich Choleriker bin. Das natürlich nicht grundlos. Ich bin groß und stark und wenn ich ausraste, dann wird’s halt schnell teuer. Einer meiner ehemaligen Schulkameraden hat wohl noch heute eine Bleistiftspitze von mir im Bein stecken – und als das geschah, war ich in der dritten Klasse …
Wie gesagt: sowas passiert mir heute nicht mehr. Ich muss mich da auch nicht mehr groß zusammenreißen, ich nehme einfach viel mehr Dinge hin seitdem. Inzwischen kann man mich gefahrlos im Mensch-ärgere-dich-nicht besiegen und es schert mich nicht. Und im Job erst! Leute, die mich schneiden? Pffft … Leute, die ins Auto kotzen? Ja mei, wenn sie wenigstens nett waren …
Aber heute Nacht war ich kurz davor, einfach spontan einem Fahrgast von hinten den Schädel zu spalten. Notfalls mit meinem Haustürschlüssel.
Ich hab’s nicht gemacht, denn zum einen brauche ich meinen Schlüssel noch, zum anderen schien’s mir ein schlechtes Bild abzugeben für einen kundenfreundlichen Taxifahrer. Und wie gesagt: ich halte Lynchjustitz inzwischen als Reaktion auf manche Kleinigkeiten nicht mehr für die richtige Wahl.
Dass die Fahrt nicht die leichteste an diesem Abend werden sollte, war schnell klar. Vier verstrahlte Jugendliche mit McDonald’s-Tüten in den Händen, alle angetrunken. Aber ich will nicht unfair sein. Zwei von denen schienen schwer in Ordnung zu sein, keiner hat auch nur nach einem Preis gefragt, auch schon mal was. Die Ermittlung der Zieladresse erfolgte erst unterwegs, aber sie war davor hinreichend genau. Eine Tour nach Charlottenburg, vom Ostbahnhof aus immerhin ein Zwanni Umsatz.
Nun isses halt manchmal anstrengend. Dorf-Jugendliche aus Niedersachsen, die beim Wort Puff kichern müssen, aber voll ganz im Ernst nachher in einen gehen werden. Oder zumindest mal bis zum Schaufenster, in dem Alter reicht das ja schon, um sich die Hosen nass zu machen.
Auch wenn einer inzwischen krähte, dass er bloß 15 € bezahlen wollte, war das harmlos. Das selbe hatte er nämlich bei 5 € auf der Uhr auch über einen Zehner gesagt. Und tat es folglich bei 15 € wieder und wollte nun höchstens einen Zwanni bezahlen. Drauf geschissen. Dann fragte mich der eher schweigsame Typ auf dem Beifahrersitz, ob er vielleicht einen Happen essen könne. Obwohl einer von hinten gleich schrie:
„Nee, Du Depp! Nicht im Taxi! Vollpfosten!“,
hab ich einen auf „korrekter Typ“ gemacht, der ich laut Aussage des jungen Mannes hinter mir war (der, der immer nur 5 € mehr als bisher zahlen wollte):
„Eigentlich kein Problem. BigMäc wäre scheiße, soll ja sauber bleiben. Aber …“
„Cheeseburger?“
„Na klar, kein Thema.“
„Aber Alter, Dir is‘ schon klar, dass ich keine Gurken mag. Die nehm‘ ich runter und kleb‘ sie dir unter’n Sitz …“
Wieder der Kerl hinter mir. Die meiste Zeit lachten wir dann aber wieder, wie er versuchte, seiner Freundin im Hotel die Adresse zu entlocken, zu der sie jetzt fahren müssten. Um ganz ehrlich zu sein: die Jungs hatten mehr Humor als ich erwartet hatte und im Grunde verlief die Fahrt eigentlich vergleichsweise nett. Wobei anzumerken sei, dass mir bewusst war, dass nur arg ambitionierte Gesellen es schaffen können, nach 20 Minuten aus dem Matrix zu fliegen – was ihnen angeblich zuvor gelungen war. Nach kurzer Diskussion hielten dann wir mittig zwischen Hotel und Puff und ich bekam die 19,60 € Fahrtpreis großzügig mit einem Zwanziger bezahlt. Naja, immerhin. Und während die Jungs dann in Richtung Hotel (!) verschwanden, fand ich … tatsächlich eine Gurkenscheibe am Sitz hinter mir.
Kein großes Ding. Ich hatte gerade ein Tuch zum Abwischen in der Hand und das war eine Arbeit von vielleicht zweieinhalb Sekunden. Wahrlich ein Abgrund, in den ich sehenden Auges renne, wenn ich das Essen im Auto erlaube. Ähnliches hatte ich hier und da schon ohne es im Blog zu erwähnen. Nicht oft, aber sicher schon zwei- oder dreimal.
Nein, was mich wirklich kochen lassen hat, war natürlich die Dreistigkeit. Denn ich denke, wir sind uns einig, dass purer Zufall eine mäßig glaubwürdige Option ist, wenn jemand androht, eine Gurkenscheibe an den Sitz zu pappen und am Ende eine Gurkenscheibe am Sitz pappt.
Ich schreibe im Internet. Ich bin durchaus gewöhnt daran, dass Leute mich für einen Idioten halten. Das passiert. Wahrscheinlich haben das jetzt einige Kollegen gelesen, die mich für blöd und unerfahren halten, weil ich die Jungs habe essen lassen. Andere vielleicht sogar, weil ich sie mitgenommen habe. Oder überhaupt am Ostbahnhof gestanden bin. Sei es drum, ich halte ja auch nicht alle Menschen da draußen für Reinkarnationen Einsteins.
Aber so ein Vollhonk, der sich was darauf einbildet, absichtlich meine Arbeit zu behindern, indem er an einer Stelle, an der ich ihn weder überwachen kann noch will, mein Auto zu verschmutzen – und sich für diese dümmlich-destruktive Meisterleistung vermutlich auf sich selbst einen runterholt – der hat schon außerordentliches Glück, dass ich ein paar Jahre Erfahrung damit habe, meinen Ruhepuls nicht für Gurkenscheiben zu überschreiten.
Entsprechend hab ich mich beherrscht. Und mir hilft der Gedanke, dass der Kerl in den nun folgenden 3 Tagen in Berlin eventuell an streitsüchtige Kollegen oder gewinnorientierte Prostituierte gerät. Oder dass ihn wahlweise der Blitz beim Scheißen trifft, den ich umgehend für ihn geordert habe.
Also bei manchen Kunden kann man wirklich nur den Kopf schütteln! Hat sich wahrscheinlich noch für den König schlechthin gehalten bei so einer „krassen“ Aktion.
@Mailyn:
Sicher. Ich meine, man muss auch erst mal einer Gurkenscheibe habhaft werden und mit deren Handhabung vertraut sein. Das erfordert schon spezielle Kenntnisse. Von der professionellen Ausführung, die internationale Verbrechersyndikate nicht besser hätten anleiern können mal ganz abgesehen …
😉
Guter Sash, nicht aufregen, das ist diese Hohlbratze doch gar nicht wert.
Die Dreistigkeit seiner Aktion ist natürlich schon immens – aber warte nur ab, der Kerl macht das bestimmt wieder, weils so lustig war, und weil es geklappt hat….nur das nächste Mal gerät er an den Falschen – oder den Richtigen, je nachdem – und steht danach ohne Geld mitten in der Pampa – dann hat er auf dem 2stündigen Heimweg Zeit darüber nach zu denken, wie man mit anderen Menschen umgeht, oder was man besser unterlässt 😉
@DerInderInDerInderin:
Das ist doch genau das, was ich gesagt habe, oder? 🙂
Ich versuch mir gerade vorzustellen, wie er das dann im Puff macht…
@Senfgnu:
Was? Gurkenscheiben platzieren? 🙂
Der kommt doch gar nicht bis zur Nutte. Erstmal wird er sich im Hotel auf dem Klo am Sack kratzen. Zweimal. Er will sich ja nicht blamieren. Auf dem Weg zum Puff fällt ihm dann ein, wie genial er dich doch geärgert hat. Und dann kehrt er um. Mit nassgetropfter Hose kann er ja nicht vor das Mädel treten, dann könnte die noch denken, dass sein stahlhartes Gehabe nur gespielt sei und das nicht erst merken, wenn er nach zwei Minuten fertig ist und fragt, ob er mal die Titten anfassen darf. Also geht er n paar Runden um den Block, dann noch die Runden, die er eh eingeplant hat, seine Kumpels sollen ja denken, dass er eine Maschine ist und er wird die ganze Zeit an dich und dein Gürkchen(sorry, das ist jetzt mein Rest Pubertätshumor) denken und dich dafür hassen, dass du ihm den Puffbesuch versaut hast. Wenn du morgen in Hundescheisse latscht, weißt du wieso…
Ich finde es übrigens nur konsequent pubertär, dass er die da hin geklebt hat. Nicht gut, aber immerhin hatte er die Eier das durch zu ziehen. Spricht doch fast schon für ihn. Die meisten in dem Reifegrad sind zu feige ihre Androhungen wahr zu machen. Vielleicht wird er mal Bundeskanzlerin…
@hrhrurur:
Ich musste lachen. Danke! 😀
Äh, bitte. Gerngeschehen
Schönen guten Abend!
Kurz zu meiner Person: Ich fahre in Wien nun schon länger als 30 Jahre mit dem Taxi. Die Seite von Sash, auf die ich durch Zufall gestoßen bin, animierte mich dazu, endlich auch mal einen Blog zu versuchen. Den Gedanken dazu hatte ich schon länger, aber GNIT gab den Anstoß dazu.
Ich habe also den Blog www. nachtkutscher.com begonnen; wen es interessiert – bitte einfach reinschauen! Viele Beiträge könnten ja sicher (auch wenn die entsprechende Örtlichkeit vielleicht nicht bekannt ist) auch in anderen Städten geschrieben worden sein; aber ich denke, speziell für Taxifahrer ist eher die Geschichte wichtig und nicht so sehr die Straße, in der sie passiert. Leider habe ich noch nicht Sash’s Konsequenz; aber ich werde mich bemühen, in Zukunft regelmäßig zu bloggen – Anlässe dafür gab und gibt es sicher immer genug
Und der Beitrag „. . .“ wiederum brachte mich dazu, endlich einmal hier zu schreiben. Vor allen Dingen, weil es McDonalds-Sackerln (Tüten ) waren. Einer meiner Regeln im Taxi lautet nämlich:
Der Fahrgast isst nicht, NIEMALS.
Und ich denke, wenn bei einer Notbremsung der Fahrgast einen Hamburger in mein Genick drückt (den durchbrochenen Kopfstützen meines Sharans sei Dank), dann ist es egal, ob es ein Big Mac oder ein Cheeseburger ist; ich brauche beides nicht im Hemdkragen. Zufällig hatte ich nämlich vor einigen Tagen auch so etwas. Ziemlich früh, 3 Halter (Das entspricht eurem Winker) am Gürtel. Auch mit den oben erwähnten McDonalds-Sackerln in Händen. Dazu wäre noch zu sagen, dass die 3 einer von mir eher als verachtenswert empfundenen Gattung Mensch angehörten, sie waren von Beruf Sohn. So nenne ich ganz gerne die jungen Burschen, die mit von Papa gefüllter Geldbörse oder mit einer von ihm finanzierten Kreditkarte unterwegs sind und denken, alle Welt müsste sich vor Ehrfurcht in den Staub werfen ob Ihres Anblicks.
Adresse war kein Problem, wäre entfernungstechnisch sogar eine recht schöne Fahrt geworden. Nun bin ich in solchen Fällen allerdings besonders hellhörig und tatsächlich: Nach bereits 10 Sekunden raschelte es hinter mir. Als dann auch noch der Duft eines Laibchens meine Nase traf, bremste ich auch schon. Zwar heftig, aber eben nicht so heftig, dass ich das Essen gleich im Genick hatte. Um diese Zeit kann man am Gürtel auch schon mal stehen bleiben; ich also raus aus dem Auto und einmal rund um’s Auto gegangen – natürlich folgte gleich danach die Frage:
„Hey, was machst Du, Alter?“
„Ich suche die Aufschrift Speisewagen – steht aber nirgends, also entweder Taxifahren oder essen, beides geht nicht.“
„Meinst Du das ernst?“
„Klaro.“
Schon waren Sie draußen; den Verlust der Grundgebühr verschmerze ich in so einem Fall gerne
Ist natürlich kein Ratschlag, solche Situationen derart zu lösen; ich mache es auch nicht immer so. Aber wenn, dann ist die Reaktion und der Gesichtsausdruck der Möchtegern Esser immer wieder lustig.
Also schönen Abend nochmal aus Baden bei Wien – man liest sich!
@Nachtkutscher: ist dein Blog so wie der Beitrag? Dann verzichte ich dankend
@Nachtkutscher:
Ach- bei Deinen 30 Jahren Berufserfahrung, hätte ich doch da mehr Gelassenheit erwartet. Es gibt doch wahrlich schlimmeres, oder?
@metro:
Natürlich gibt es schlimmeres – aber wenn es sich leicht vermeiden läßt?
@hrururur:
Dein gutes Recht.
@Nachtkutscher: zu freundlich…
@Nachtkutscher:
Also wenn ich jetzt vergleiche:
Du hattest Stress mit den Jungs und eine Fehlfahrt.
Ich hatte 20 € und eine Gurkenscheibe.
Nun ja.
@all:
Cool bleiben. 🙂
@Sash
Hast schon recht.
Aber ich hab es in all den Jahren immer so gehalten, dass die Leute nur mein Taxi, aber nicht mich mieten – und da gibts eben ein paar Dinge, die für mich ein NoGo sind. Essen gehört dazu, oder z.B. auch, wenn die Leute anfangen wollen, selber einen Sender zu suchen am Radio – ich nehme an, dass dürfen sie bei Dir auch nicht.
Und da Du ja auch schon einige Jahre unterwegs bist, wirst Du mir wahrscheinlich beipflichten, dass sich alles ausgleicht – kann gut sein, dass an der übernächsten Ecke ein Halter steht, der auch eine 20 € Fahrt anzubieten hat – so what?
Und Stress? Nö, Stress hab ich wegen so einer Lapalie nicht, da steh ich drüber 🙂
http://www.rolandtichy.de/tichys-einblick/uber-fahrt-scheitert-am-stinke-taxi/
Mal ein anderer Blick auf Uber.
Gruß
J.N.
hrururur hat volkommen Recht: you had it coming. Das ist genau das was diese Landeier in diesem Zustand supawitschisch finden.
Hätt’st Du gleich nicht angehalten, bräuchtst Du nicht den Schädel spalten.
@Joe:
Danke für den Link. Und ja, ist schön geschrieben und weist auf einige wichtige Probleme hin, die wir im Taxigewerbe haben. Ein neuer Blick auf Uber ist es für mich jetzt nicht unbedingt, auf die einzelnen Argumente hab ich hier und anderswo schon mehrfach geantwortet.
Du musst jetzt ganz tapfer sein, aber mit dem Verhalten bist du kein Choleriker mehr. Höchstens ein Ex-Choleriker.
@ichso:
N‘ SCHEISSDRECK BIN ICH TAPFER!!!
😉
Na, also wenn dich DAS schon an Cholerik denken lässt, dann will ich mal lieber vorsichtshalber niemals in deiner Karre sitzen…
@Antonia:
Wieso? Neigst Du dazu, mehr als nur Essen absichtlich an den Sitz zu schmieren? 😉
Im Ernst: mit mir ist wirklich fast immer gut Kirschen essen. Und es ist ja nicht so, dass mich eine Gurke zu ärgern vermag. Was mich ärgert, sind Leute, die diese herablassende „Mit dem kann man’s ja machen“-Haltung haben.
Ne, ich ess auch nicht in Taxen. Und Burger eigentlich nie. So gesehen… 😉
@Antonia:
Na dann … 🙂
Ich werde nie verstehen wie man einen Hamburger ohne Gurke essen kann. Nie.
Grüße aus Dresden
Philipp