Freie Taxiwahl

Ich befürworte ja tatsächlich immer noch und immer wieder, dass die Kunden sich an einem Taxistand das Taxi auswählen dürfen. Und ja, das darf man! Ich bin zwar auch der Meinung, dass man z.B. bei kurzen Strecken ablehnende Fahrer nerven oder anzeigen sollte, denke aber, man ist als Kunde wirklich gut beraten, sich einfach nach Sympathie zu entscheiden. Ein wenig eigennützig vielleicht, denn ich glaube, nach meiner freundlichen Erklärung, man hätte als Kunde Wahlfreiheit, sind noch alle bei mir eingestiegen. Oder irgendwas um die 99%.

Und das – bevor die Kollegen meckern – obwohl ich meist im gleichen Atemzug darauf hingewiesen habe, dass der erste am Stand natürlich schon länger wartet und es definitiv nett sei, ihn zu wählen.

Gestern erst hatte ich die verrückteste Gruppe Fehlinformierter. Die haben – ich habe nur ein oder zwei Gesprächsfetzen aufgeschnappt – wohl wirklich ein Problem mit meiner Automarke gehabt. Das ist ok, mir ist es lieber, sie wählen einen Mercedes, als die ganze Fahrt über unzufrieden zu sein. Dummerweise standen gleich zwei Opel am Stand vorne und sie haben ohne Grund die ganzen 15 Minuten (!) gewartet, bis wir beide weggefahren sind, um sich dann erleichtert den Daimler hinter uns zu sichern. Ein weiterer Beweis dafür, dass Informationsvermittlung diesbezüglich Not tut.

Vor zwei Tagen aber stand ich an einer der Nachrücken am Ostbahnhof an Platz 3 (also insgesamt Platz 18 oder so). Vor mir ein Bus, davor dann eine E-Klasse. Eine bunte Ansammlung an Taxen, die jedem Fahrgast gerecht werden müsste. Sollte man meinen. Dann kam eine größere Gruppe Rentner an und beratschlagte, welches Taxi sie nehmen sollten. Vier Leute und mehr als reichlich Gepäck. Sie sprachen zwar kurz den Kollegen mit dem Bus an, allerdings nur darauf, ob er erster sei. (Was eine ungewöhnliche Vorstellung davon voraussetzt, wie wir uns an Taxiständen einreihen)
Nachdem er verneinte – und bevor er den wirklich ersten in 100 m Entfernung empfehlen konnte – haben sie sich beim Kollegen in der E-Klasse eingenistet. Zwei von ihnen mussten ihre Koffer auf den Schoß nehmen, eine sichtbar unangenehme Situation. Ich hab mit dem Kollegen mit dem Bus, ein netter Türke in meinem Alter, noch ein bisschen über diesen Unsinn palavert.

Dann kamen zwei wirklich hochbetagte Damen an und fragten mich, ob sie denn den Bus nehmen müssten oder auch mit mir fahren könnten. Ich hab ihnen das mit der freien Wahl runtergebetet, aber insbesondere des guten Gesprächs zuvor wegen den Kollegen positiv erwähnt:

„Der Kollege vor mir aber ist echt ein ganz ein Netter und wartet schon länger. Er würde sich trotz des großen Autos sehr freuen, Sie zu fahren. Und der Preis wäre derselbe.“

„Nee, lassen ’se mal! SO einen großen brauchen wir ja nun wirklich nicht.“

Armer Kollege.

Die freie Fahrzeugwahl ist Fluch und Segen zugleich. Ehrlich. Es ist ok, dass uns Kunden nach Fahrzeug oder freundlichem Lächeln auswählen, das dient der Zufriedenheit enorm. In Einzelfällen ist es nur etwas seltsam für uns Taxifahrer, dass die Kunden um ihr Recht einerseits nicht Bescheid wissen und zum anderen manchmal etwas seltsame Kriterien anwenden.

Mir soll es egal sein: Ich verliere viel Kundschaft an Mercedesfahrer und gewinne viel durch Sympathien. Aber im Sinne der Kunden und Kollegen wäre da mehr Aufklärung angebracht. Am Ende ist Taxifahren doch eine Dienstleistung, die von der Zufriedenheit beider Seiten lebt.

Ein Stuhl, zwei Meinungen*

Wie sehr Taxifahren Glücksspiel ist, wird viel zu oft unterschätzt. Sicher, rein logisch müsste es jedem klar sein – aber wenn man dann am selben Abend zweimal eine Dreiviertelstunde am Ostbahnhof steht und einmal das Ergebnis eine Fahrt zum Berghain ist („4,60 €.“ „Machen Sie fünf!“) und einmal eine nach Grünau („33,20 €“ „Machen Sie doch … äh … 38.“), dann wirkt sich das durchaus unterschiedlich auf die Laune des Taxifahrers aus.

Ich halte deswegen immer noch nichts davon, das den Fahrgast merken zu lassen, aber zwischen 3 € Stundenlohn und 16 € liegen halt trotzdem Welten.

Ein Glück, dass sich das alles ausgleicht.

*Die Überschrift ist natürlich eine Hommage an das legendäre Format „Zwei Stühle, eine Meinung“ bei „RTL Samstag Nacht“. 🙂

Stadt/Land – der Unterschied

Nicht nur – aber auch – die Wahlergebnisse hierzulande zeigen oft auf, dass es einen enormen Unterschied zwischen Städten und dem ländlichen Bereich hier in Deutschland gibt.
Und ich finde das ziemlich krass. Gefühlsmäßig war es für mich schon hart, aus der Schwabenmetropole Stuttgart nach Berlin zu ziehen. So viel Diversität, so viel mehr Freiheit! Gar nicht auf dem Plan hatte ich für mich zugegeben die Leute, für die Stuttgart schon enorm libertär war.

„Ich müsste ins Upstalsboom-Hotel.“

Nun gut, vom Ostbahnhof eine der schlechtesten Touren, aber so ist das halt. Und um ehrlich zu sein: Ich kam damit immerhin von etwas weiter hinten weg.

„Wie ist das  hier nachts? Kann man da alleine heimlaufen oder eher nicht?“

WTF?

Für mich als Städter ist Friedrichshain – und diese Gegend nochmal im Besonderen – ein Ort der Idylle. Ruhige Wohngegend, allenfalls ein paar Berghain-Besucher — die ich ja auch stets eher positiv bewerte.

„Wenn man zum ersten Mal in einer Großstadt ist, flößt einem das halt noch sehr viel Respekt ein …“

sagte mein Fahrgast.

Um ehrlich zu sein: Verstehen werde ich das vermutlich nicht mehr in diesem Leben. Diese Angst vor dem Unbekannten.

Wobei ich dörfliche Atmosphäre kenne. Ich hab noch mit 25 Jahren regelmäßig meine Kindergärterin beim Einkaufen getroffen. In einem Laden, der vom Vater eines Grundschulklassenkameraden geführt wurde. In der Kneipe saß ich neben Ex-Kollegen meiner Eltern am Tresen, der Vermieter der ersten „eigenen“ Bude war der Vater eines Freundes und meine heutige Frau ist immerhin die Ex-Freundin eines WG-Mitbewohners.

Was ich glücklicherweise nie hatte, war die Beschränkung darauf. Der öffentliche Nahverkehr erlaubte es mir, einen Freundeskreis jenseits der Nachbarskinder aufzubauen, ich kannte immerhin Leute aus anderen Städten und wenn ich nachts mal ungeplant laufen musste, war Stuttgart immerhin genauso tote Großstadt wie Berlin es heute da ist, wo mein Fahrgast sich fürchtete.

Es wirkt immer überheblich, wenn man sich als Städter über die Leute vom Land wundert/ärgert/whatever. Aber ich muss wirklich mal sagen, dass das nicht ungerechtfertigt ist. Die familiäre Atmosphäre kann man wie oben erwähnt schon im richtigen Stadtteil haben, Landidylle im landschaftlichen Sinne ist in meinen Augen auch als Urlaubsphänomen absolut ausreichend. Was bleibt ist das „große Unbekannte“, das Aufeinandertreffen verschiedener Menschen, dessen Fehlen leider nur allzu oft in obskurer Angst und im schlimmsten Fall zu unschönen Dingen wie Rassismus und co führt.

Ich hab meinen Fahrgast entsprechend beruhigt:

„Du kannst den Weg das nächste Mal auch laufen, keine Sorge. Die Gefährlichkeit Berlins wird übertrieben wie vieles andere auch. Ich fahre nachts auch durch Neukölln und den Wedding und wohne in Marzahn. Und wie Du siehst, bin ich dennoch guter Dinge …“

(Ich hatte das Thema schon mal hier angeschnitten)

Egal

Manchmal mach ich’s ja dann doch und hau die Kurzstrecke rein. In dem Fall, weil mir die Zieladresse gar nix sagte und es ja hätte sein können.

Hat nicht gereicht, wenn auch nur knapp. Um ehrlich zu sein hätt sich der Fahrgast mit 100 Metern Fußweg locker 4 € ersparen können, weil der Weg durch Marzahner Plattenbaugebiete uns wie gewohnt mindestens anderthalbmal im Kreis führte. Aber:

„Dit is‘ mir scheißejal, hauptsache ick komm‘ heeme!“

Deal! 😀

Der Weitsicht-Sonderpreis

… geht diesen Monat an einen Kollegen. Nicht einen der hellsten, dafür einen der lautesten.

Wir kamen am Stand ins Gespräch, ich nur eher so mittelfreiwillig. Am Ende waren wir beim Thema Mindestlohn, das so langsam wirklich bedrohlich auf die Taxibranche zurollt. Dass Firmen deswegen pleite gehen könnten und das Angebot sinkt, war für ihn keine Option. Nein, die Tarife müssen erhöht werden!

„Äh, um 30%?“

„Nee, aber so ungefähr 20 vielleicht.“

„Aber dann reicht das ja gar nicht aus …“

„Mir egal, bis dahin will ich mich eh selbständig gemacht haben.“

-.-

Der Mond ist nahe

Vor ganz knapp über einem Jahr hat die 1925 es geschafft, nun ist die 72 auch nahe dran: Die Entfernung Erde – Mond ist fast erreicht:

2014-06-erdemond

Noch sehr geerdeter Kilometerzähler. Quelle: Sash

Von Oberfläche zu Oberfläche hat das kleine Taxi es rein rechnerisch sogar schon geschafft. Ein Applaus wäre vielleicht zu viel verlangt, aber ein bisschen Respekt für das kleine Opelchen wäre langsam angebracht. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Notlösung Andrew Jackson*

Als sie nur ganz seicht den Arm hob, um mich anzuhalten, sah das noch wie eine coole Geste aus. War es nicht. Die junge Frau war so hinüber, wie man nur hinüber sein kann, wenn man mit einer Flasche Bier durch Kreuzberg torkelt. Nun gilt in meinem Taxi die 0-Promille-Grenze nur für mich und ich hab sie gerne eingesackt. Die einzige Winkerin in dieser Nacht.

Vom Outfit her eher Straßenkämpferin als Disco-Bunnie war sie mir zugegeben gar nicht unsympathisch. Und sie nannte, wenn auch unsauber ausgesprochen, eine Straße, die mir von Touren vom Ostbahnhof wohlbekannt war. Und von der ich zumindest zu wissen glaube, dass es sie nicht zweimal gibt.

„Kein Problem, kriegen wir hin.“

„Du kennsie?“

„Ja. Und den kürzesten Weg dorthin. So wie es sein sollte.“

Eine schöne Tour. Nicht weit zwar, aber mir fehlten zwei Stunden vor Feierabend ohnehin nur noch 15 Euro für mein Schichtziel und die Fahrt sollte mehr als die Hälfte bringen.

Nach allerlei Bedenken ihrerseits, ob wir wirklich in die richtige Richtung fahren würden, beendeten wir die Fahrt am Ende mit beidseitiger Zufriedenheit und 8,60 € auf der Uhr. Schnell verdientes Geld auf meiner Seite und eine sichere Heimfahrt ohne selbst noch eine Peilung zu haben für sie. Win-win.

Dann ging es ans Bezahlen. Sie nestelte Kleingeld aus ihren Hosentaschen, alles wild durcheinander, nur die erhofften Scheine fand sie nicht. Beim Abzählen der Münzen wurde schnell klar, dass das nicht reicht. Gut, vier Euro kamen schnell zusammen, danach aber nur noch ein weiterer. Schon unter Einbeziehung von Rotgeld.

Wat nu?

Um ehrlich zu sein: ich hätte sie aussteigen lassen. Klar, eine Runde zur Bank hätte sicher geklappt, aber der Aufwand und der Stress. Wegen am Ende dreiirgendwas …
Da meinte sie plötzlich eher scherzhaft:

„Na, wenn Du auch amerikanisches Geld annehmen würdest …“

Und ich sprang ein:

„Mach‘ ich. Natürlich!“

Sicher: auch da ist die Frage nach dem Aufwand berechtigt. Aber irgendwann geh‘ ich eh mal wieder zur Bank und US-Dollar sind nun vergleichsweise einfach zu wechseln. Das wird nicht wieder drei Jahre dauern dieses Mal. 😉

Und nun begann sie zu kramen und zu kramen …

„Hier ist ein Dollar. Da noch einer. Hier hab ich auch noch einen …“

Das erste Mal seit ich Taxi fahre, habe ich mir überlegt, ob ich jetzt nach dem Wechselkurs suchen müsste, um die richtige Summe zu bestimmen. Bisher hab ich ausländisches Geld immer nur mit großzügigem Aufrunden bekommen – was ehrlich gesagt des Wechselaufwandes wegen seine Berechtigung hat. Ich muss das schließlich nicht machen, ich bin da einfach nur nett.

Geklappt hat es auch dieses Mal, denn sie sagte plötzlich:

„Deeenirabschesucht! Hiernswansiger!“

Zwanzig Dollar. Für 8,60 Euro auf der Uhr. Da kann ich mit leben. Und sie hoffentlich auch.

Dann noch schnell der Check, ob sie nix vergessen hat, und ich konnte weiter. Bei meinem nächsten Stopp habe ich 20 Euro-Cent, einen leider wertlosen Teil eines australischen 20-Dollar-Scheins und ein Feuerzeug eingesammelt. Was solche Touren halt so mit sich bringen … aber am Ende glaube ich, dass es sich für sie dennoch gelohnt hat, ausgerechnet mich als Fahrer zu erwischen. 🙂

*Andrew Jackson ist auf der US-amerikanischen 20-Dollar-Note abgebildet.