Der Mann mit dem hellelfenbeinfarbenen Wagen

„Wow, das war ja jetzt wie bei James Bond!“

quiekte sie vergnügt.

Um ehrlich zu sein, hatte sich die ganze Sache weit unspektakulärer angelassen, als dieser Ausspruch vermuten lassen würde. Ich sah die drei Leute auf der linken Straßenseite der Köpenicker Straße winken, bremste, setzte den Blinker und wendete, um vor ihnen zu halten. Winker halt, das Übliche.

Gemeint hat sie natürlich was anderes, das ist mir auch bewusst. Ich musste auch erst ungefähr 20 Jahre alt werden, um zu verstehen, dass man Taxifahrer ruhig auch auf der Straße ranwinken kann. Und ich musste erst am Steuer eines solchen Wagens landen, um zu begreifen, dass sich die Taxifahrer darüber sogar freuen.

Diesbezüglich ist Deutschland wohl wirklich so spießig, wie ihm manchmal unterstellt wird. Hier ist es einfach üblich, sich ein Taxi zu bestellen. Das hat natürlich seine Vorteile und in vielen Ecken dieses Landes ist es ja auch nicht so kundenfreundlich um die Taxidichte bestellt wie in Berlin. Aber auch hier gibt es ja die Leute, die sich am Frankfurter Tor ein Taxi rufen, obwohl wir so zahlreich vorbei fahren, dass man sich problemlos ein Automodell aussuchen könnte. Ich hab desöfteren Winker mit Anhang, der sich dann wundert: „Ach, das geht ja wirklich!“

Ihr Stammleser wisst’s ja, aber das darf gerne geteilt werden:

Einfach mal die Hand hochhalten, um ein Taxi anzuhalten!

Wie in so einem irren Film, der in New York spielt – das klappt. 😉 Fast immer. (Nachts drauf achten, ob das Dachschild leuchtet. Tut es das, sind wir frei.)

Momente …

Winker in der Torstraße. Ging nur zwei Kilometer die Schönhauser hoch …

„Und, hatten Sie einen guten Abend?“

„Ja ja, toller Abend!“

„Uh, das klingt nicht so begeistert …“

„Doch. Also ich fand den Abend toll. Bis auf diesen einen Moment.“

„Moment?“

„Ja, es gibt so Momente. Aber die muss man wegtrinken.“

0.o

Alt werden lohnt auch nicht mehr …

Eigentlich wollte ich von der Schillingbrücke nur kurz rüber zum Ostbahnhof fahren, um endlich mal meine Scheiben wieder zu putzen. War zwar nur das Kalkwasser von der Waschanlage, sah trotzdem aus wie ein Graufilter. Da reckte an der Ampel eine alte Frau ihren Arm zaghaft in die Höhe, woraufhin ich kurzerhand die durchgezogene Linie ignorierte um zu wenden und in ihrer Fahrtrichtung auf der Hotelvorfahrt zu halten.

Ich möchte an dieser Stelle einen kurzen Einschub bringen: Es war die Donnerstagsschicht. Eine meiner zwei halben pro Woche. Ich war seit 3 Stunden auf der Straße, nach weiteren dreien sollte ich schon in der Bahn nach Hause sitzen. Großer Luxus. Ich kann ihn mir diesen Monat eigentlich nicht leisten, meine Kohle ist gerade so knapp, dass ich ausnahmsweise mal wieder hier und da auf Kleinigkeiten verzichte, die mir das Leben schön machen. Auf der anderen Seite brauche ich die Zeit zum Schreiben und hoffe, dass das auch irgendwann mal genau diese Probleme beseitigt. Und das ist auch Arbeit, keine Frage. Meine Woche hört bei 80 Stunden nicht zwangsweise auf, es ist nur manchmal schwer, zwischen Arbeit und Vergnügen zu trennen. Und nun zurück zu meiner Winkerin!

Sie begrüßt mich freundlich, als sie die rechte Hintertür öffnet und quält sich mühsam auf den hohen Sitz. Meist ist es das ältere Semester, das die Sitze zu schätzen weiß, weil man nicht so tief einsinkt und sich wieder hervorgraben muss. Aber sie ist optimistisch geschätzt 1,50 m groß gewesen, eine Klischee-Oma im gepflegten Kostüm. Mit Hut, Brille, Kurzhaarfrisur und erkennbar mehr als 80 Sonnenumrundungen auf diesem Planeten zu Gast.

„Brauchen Sie Hilfe?“

„Nein, nein. Aber meine Beine sind so schwer heute. Sagen Sie, junger Mann, reicht mir eine Kurzstrecke bis zur Annenstraße?“

„Selbstverständlich, das ist ja nur …“

„Ja ja, nur geradeaus. Aber meine Beine machen das nicht mehr mit.“

„Nur keine Sorge, dafür sind wir ja da.“

„Wissense, ich nehm‘ ja fast nie ’ne Taxe. Aber heute, nach 13 Stunden Arbeit …“

WHAT THE FUCK?

Aber ja: Rente geht so, aber zu mehr als zum zu Hause vor dem Fernseher sitzen reicht’s halt nicht. Und glücklicherweise sei sie ja noch fit genug, um ein bisschen was zu tun. Aber sie lasse sich halt manchmal von Cheffe „ein bisschen zu viel“ aufschwatzen. Man ist  ja froh, wenn es überhaupt was zu tun gibt …

Altersarmut ist was abstraktes. Für die meisten hier. Für mich auch. Dabei weiß ich, dass mir das auch blüht, wenn das mit dem Schreiben nicht klappt. Die Rentenkasse teilt mir auch immer freudig erregt mit, dass ich bei meinem Lohn irgendeinen Betrag weit unter der Grundsicherung haben werde. Noch besser sogar: Um auf eine Rente in Höhe der Grundsicherung zu kommen, müsste ich bloß das Essen und Trinken einstellen und das Geld dafür in eine private Vorsorge stecken. Na klar, mach ich doch sofort! 🙁

Bezahlt hat die betagte Dame die Kurzstrecke mit 6,50 €. Damit für mich auch noch was übrig bleibt.

Keine Pointe.

Einer kommt selten allein …

oder eben gerade doch.

Ich hatte es kürzlich erst: Wer nicht zahlt, fährt nicht mit!

Das hat mich noch belustigt und gewissermaßen erschreckt. Aber heute Nacht gab es ein zweites Beispiel – und das war erschreckend verständlicher für mich, obwohl der Fahrgast selbst so lala war.

Ich hab die erste Stunde Arbeit mit privatem Gedöns zugebracht. Ich hab vom Start an gen Heimat gezielt, um mit Ozie ein paar Pakete von der Packstation zu holen. Der Weg ist zwar nicht weit, aber da wir beide öfter mal Sendungen kriegen, sammeln wir gerne mal eine Woche und holen sie dann auf einen Rutsch mit dem Auto ab. Ich bin sehr froh, dass meine Chefs sowas ausdrücklich erlaubt haben. Das erspart einem diese Heimlichtuerei, wie sie in der Realität dann ja doch bei den meisten Jobs mit Dienstfahrzeug zu finden ist.

Naja, nachdem die Pakete sicher zu Hause verstaut waren, war es schon fast 20 Uhr und umso erfreuter war ich, als mich nur ein paar hundert Meter nach meiner Haustür am Bahnhof ein Typ ranwinkte. Ein bisschen Klischee-Marzahner war er schon, eher ein Proll, weiße Trainingsklamotten, Sonnenbrille, Goldkettchen. Mit voller Einkaufstüte. Immerhin ohne Flaschenklimpern. Während ich erwartungsvoll hielt, tauschte er sich noch mit jemand anders aus. „Na komm‘, Fünfer mindestens!“ hörte ich nebenbei, dann war die Sache aber offenbar schon geklärt und ich startete auf seinen Wunsch Richtung Hohenschönhausen. Nicht mal die schlechteste Tour, am Ende sollten das 15 € werden.

„Der wird sich jetzt janz schön ärjern, wird er!“

„Er wollte nicht mit?“

„Logo wollt‘ er. Aber ick zahl doch nich‘ immer alleene!“

Dieses Mal sah die Sache wohl anders aus als bei meiner letzten Tour zum gleichen Thema. Hier war Geld offensichtlich nicht das Problem. Der Kumpel hatte wohl durchaus welches, hatte aber keinen Bock, jetzt noch was dazuzulegen. Sogar im Grundsatz waren mein Fahrgast und ich am Ende einer Meinung. So sagte er:

„Wenn eener keen Jeld hat, dann jeb ick jerne. Schon, damit er dabei is‘, is ja logo. Aber wennde merkst, dit is‘ nur ’ne Masche um die eijenen Kohlen zusamm’zuhalten – leck mir am Arsch, Kolleje!“

Da kann ich mitgehen. 🙂

Schön war dann das Telefonat kurz vor Ende der Fahrt:

„Du bis‘? Wat is‘, stehste noch da? Schön. Ick bin in zwee Minuten zu Hause.“

Und dann hat er sich bei mir entschuldigt, dass er leider nur noch einen Euro Trinkgeld in klein hatte. War eigentlich ganz ok, die Tour …

Wertschätzung

Mein Chef hat mal gesagt, wir müssten der Kundschaft zeigen, dass es das wert ist, dass sie bei uns das zigfache eines Straßenbahntickets hinblättern für die selbe Fahrt. Was natürlich schwierig ist, wenn die Fahrgäste gleich mit dem Preis ins Haus fallen. In dem Fall ist die Kundschaft eher aus dem Haus – dem Sisyphos – ins Taxi gefallen. Und sagte:

„Machste auch Kurzstrecke zum Ostkreuz?“

Ihr wisst, dass ich das vom Stand aus nicht tue. Auch nicht von improvisierten Ständen nachts vor Veranstaltungen. Im Gegensatz zu Kollegen, die außer einem „Verfatz‘ da!“ nix dazu zu sagen haben, liegt mir jedoch etwas daran, dass die Kunden das verstehen. Es ist ja auch nicht schwer: Die Kurzstrecke ist ein vergünstigter Tarif, den wir dafür gewähren, dass wir für die Tour keine Wartezeit oder Anfahrtskosten auf uns nehmen mussten. Ich hab mir da schon „Fick Dich!“ anhören dürfen, bin der Lüge bezichtigt worden, was Menschen halt so machen, wenn sie mal eben 3 € sparen wollen. In dem Fall war es glücklicherweise anders.

„Nein, tut mir leid. Nicht vom Stand, ich hab ja nun schon auf die Fahrt gewartet.“

„Was macht das dann?“

„Genau 6,80 €. Ist bei der Strecke ungünstig, ich weiß. Aber …“

„Ach, dafür bist Du ja auch ein netter Fahrer. Is‘ schon ok.“

Ich hab dann noch erfahren, dass der nette Kollege auf dem Hinweg, obwohl rangewunken, die ganze Zeit nur gemeckert hätte. Gut, da musste ich offensichtlich nicht viel tun, um positiv aufzufallen.

„Weisste, is‘ ja eigentlich entspannt. Ihr müsst auch von was leben, also machste auf jeden Fall mal 8 €, ok?“

Vier oder fünf ehrliche, freundliche Sätze. Und plötzlich war die nervige Taxifahrt eine angenehme, die mal eben 60 bis 100% mehr Geld wert war.

Ja, ich hatte auch schon Idioten im Auto, die die Diskussion nicht wert waren. Aber bevor ich mir solche Kunden wie oben vergraule, traue ich mich doch tatsächlich, auch mal ein Lächeln aufzusetzen.

Tatort Darkroom

Mir wurde – glücklicherweise ironisch – bedeutet, ich solle doch binnen vier Minuten am Ziel sein. Mit einem Helikopter sicher machbar, aber eben auch nur mit einem solchen. Der Grund: „Tatort“ fängt gleich an. Dachten sie zumindest. Im Laufe der Fahrt sollte sich herausstellen, dass es sowieso nur ein „Polizeiruf 110“ sein würde.

Da hab ich ja nur begrenzt Verständnis. Ich hab viele Tatorte gesehen in meinem Leben und bin dennoch froh, dass uns inzwischen die ganze Welt der Serien offensteht und ich nie mehr in die Verlegenheit komme, einem Polizei-BMW eine Minute lang zuzusehen, wie er bedeutungsschwanger eine Einfahrt herauffährt.

Aber meine Kundschaft, frisch am Berghain aufgegriffen, bestand natürlich aus Hipstern. Hipster schauen sich den Tatort ja nicht wirklich an, sondern nur ironisch. Was im Endeffekt zwar ebenso bedeuet, dass man sich zwei Stunden Lebenszeit durch schlechtes Fernsehen klauen lässt, aber sollen sie nur machen …

Das sich entwickelnde Gespräch im Fond indes war klasse:

„Ich wäre ja gerne noch geblieben.“

„Ich auch, aber da gibt es ja keinen Tatort.“

„Das wäre doch mal geil.“

„Was?“

„Na hier: Tatort. Unten in einem von den Darkrooms wird Tatort für die ganzen Spießer gezeigt.“

„Au ja: ‚Macht mal im Berghain ’n bisschen leiser, wir verstehen hier unten nix!‘, das wär’s!“

Ja, ich musst mir das Lachen verkneifen. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Äh, … nein?

Blöde Geschichte im Grunde: Ich hatte die Uhr schon im Anrollen auf den Treptower Park ausgemacht und die Uhr schaltete nach einigen Metern auf „frei“. In dem Moment fällt der reichlich angedüdelten Kundin ein, dass ich ja eigentlich doch noch bis kurz über die Brücke fahren könnte. Was nun? Uhr nochmal neu starten würde gleich nochmal 3,40 € kosten, völlig unnötigerweise. Und mir wurde eh schon zugesichert, dass ich einen Zehner bekommen würde. Für 8,20 €.

Für mich dann trotz allen Regelverstößen völlig klar: Fahr‘ ich sie halt noch über die Brücke. War ja so gesehen nicht ihr Fehler.

Das läuft auch ganz gut, die Ampeln sind sowieso noch grün und kurz vor der wilden Renate schmeiße ich sie dann endgültig raus und stecke den Zehner ein.

„Das ist jetzt aber total nett von Dir!“

„Ach, schon ok.“

„Nein, jetzt komm‘ ich mir blöd vor …“

„Du hast fast 2 € Trinkgeld gegeben! Ist in Ordnung.“

„Nee, echt nicht! Komm‘, Du trinkst jetzt einen Sekt mit mir!“

Nichts gegen liebe Einladungen, aber Leute …! Wo kommt denn bitte die Idee her, Taxifahrern zur Belohnung Alkohol andrehen zu wollen? Und während ich am Sonntagmorgen noch überlegte, ob sowas einen Blogeintrag wert sei, kam Axel an den Ostbahnhof rangefahren und erzählte mir brühwarm, dass ein angetrunkener Fahrgast ihn fast schon zwingen wollte, einen Cocktail leerzutrinken, weil er im offenen Becher nicht transportabel, aber doch „soo teuer“ war.

Lasst das bitte nicht einreissen, ok? Wir sind auf Arbeit – und da ist Geld immer noch das bessere Mittel, sich zu bedanken. 😉