Will ich’s wissen? (1)

Meine letzten Fahrgäste waren vor einem Kilometer erst ausgestiegen und hatten mich an diesem Sonntag auf 50 € Umsatz gebracht. Auf den Punkt genau. Das hätte egal sein können, aber ich hatte mir vorgenommen, diesen Umsatz als Marke zu nehmen, um anschließend das Auto zu betanken. 70 € wollte ich in meiner halben Schicht einfahren, aber ich tanke gerne vor der letzten Tour, falls sie mich in eine Gegend verschlägt, von der aus ich dann weite Umwege zu einer der Erdgas-Tankstellen fahren müsste.

Da schnellte ein Arm hoch und ich legte ein ziemlich apruptes Bremsmanöver auf der Torstraße hin. Aber alles im grünen Bereich: kein einziges Auto weit und breit auf der Straße außer mir. Der winkende Arm gehörte zu einer jungen asiatisch aussehenden Frau und die nächsten zwei Minuten verbrachten wir mit leichten Kommunikationsschwierigkeiten und dem Versuch, das Fahrtziel zu erörtern. So grob war es schnell klar – die Herzbergstraße. Aber welche Ecke da genau war ein bisschen schwierig. Direkt damit zusammenhängend: Was es etwa kosten würde.

Ich taxierte schnell mal 15 €, aber da sie irgendwie verunsichert wirkte, gab ich mal einen Straßennamen ein, der eigentlich weiter weg hätte liegen sollen …

„Naja, eher so 12 bis 13 €.“

Das war es dann erst einmal mit der Unterhaltung, denn sie telefonierte. Und das in – vermutlich – ihrer Muttersprache. Ich verstand kein Wort und wurde aus dem Alltagstrott, den das stumme Fahren halt darstellt, rausgerissen, als sie mir dann plötzlich den Weg zu einer anderen Kreuzung als erwartet wies. Als sie mich dann dort auch noch auf eines der riesigen Industriegelände einbiegen lies, neiget sich die Uhr deutlich über 13 €. Ich hörte die junge Frau am Telefon weinen und neben mir unbekanntem Vokalsalat das Wort „Taxi“ jammern. In der Hoffnung, ihren offensichtlich schlechten Tag ein wenig aufzuheitern, hab ich die Uhr dann bei 14,00 € ausgemacht, obwohl wir noch am Fahren waren. Aber arg weit konnte es auch nicht mehr sein.

Sie lotste mich ein paar hundert Meter zwischen nicht mehr ganz benutzbar aussehenden Industriebaracken hindurch und ich folgte geduldig. Am Ende standen wir im tiefsten Lichtenberg (und doch nicht einmal weit vom Abstellplatz des Autos entfernt) mitten im Hof und sie stieg panisch telefonierend aus.

Nun ist es ja so, dass es bessere Situationen gibt, als als Taxifahrer in einem verlassenen Industriegebiet bei einsetzendem Regen alleine rumzustehen, während die Kundschaft telefonierend flüchtet. Viele Kollegen unterstellen mir gerne Leichtsinnigkeit bei solchen Fahrten, aber ich hab die Lage durchaus vernünftig versucht einzuschätzen. Trotz Dunkelheit hatte ich gute Sicht in alle Richtungen. Mir standen drei Fluchtwege offen und der Großteil meines Geldes war gut versteckt. Und ich behielt meine Kundin vorerst immer genau im Auge, obgleich sie selbst eher verängstigt als gefährlich wirkte. Der Zündschlüssel steckte, der Motor lief und ich hab beschlossen, dass ich jetzt einfach mal abwarte.

In alle drei verfügbaren Richtungen rannte die junge Frau jeweils bis zu 100 Meter weit, nie jedoch außer Sichtweite. Was beruhigend war. Obwohl ich langsam Zweifel hatte: Ich wollte die 14 € von ihr schon haben!

Irgendwann bin ich ihr dann tatsächlich ein paar Meter hinterhergerollt, erst in die eine, dann wieder zurück in die andere Richtung. Sie fluchte und heulte am Telefon und ich wusste so langsam gar nicht mehr, woran ich war. Während ich mich ärgerte, dass sich das in die Länge zog und die Uhr aus war, verschwand die junge Dame plötzlich um eine Hausecke …

Fortsetzung folgt heute Mittag um 15 Uhr.

Findungsreichtum

Glück im Unglück muss man haben. Der Kollege war verzückt: er hatte nach einer trinkgeldlosen Fahrt am Ende des Abends einen zerknüllten Zehn-Euro-Schein im Fußraum gefunden. Mehr als mein ganzes Trinkgeld an dem Abend zusammen. Aber siehe da: nach der Schicht hab ich auch noch Geld im Fußraum gefunden. War nur … wie soll man sagen … quantitativ eher nicht mit einem Zehner zu vergleichen:

Könnte vermutlich nicht einmal beim Materialwert mithalten … Quelle: Sash

Könnte vermutlich nicht einmal beim Materialwert mithalten … Quelle: Sash

Minderheitschef

Dass er kein gebürtiger Berliner ist, war mir gleich klar. Meine Ohren vernahmen sofort den leichten Singsang des Heimatidioms. Und in der Tat fragte er mich dann auch einiges grundsätzliches: Wo wir hier genau seien, ob dieser Stadtteil denn an jenen grenze und und und.

„Sorry, ich bin erst seit einer Woche hier.“

„Also gerade frisch hergezogen? Woher?“

„Aus Stuttgart. Ganz klassisch.“

„Ach, das kenne ich irgendwoher …“

versuchte ich, vielsagend anzumerken. Das ist ihm gar nicht weiter aufgefallen. Er meinte nur, dass er jetzt alle Klischeegrenzen sprengen würde.

„Wieso? Als Schwabe?“

„Schwabe UND Türke, mein Lieber!“

„Oh, gleich die beiden größten Minderheiten …“

„Minderheit? Ich bin quasi in der Mehrheit jetzt!“

Ich glaube, der schafft es mit seiner Ironie ganz schnell, „richtiger Berliner“ zu werden. Was immer das auch sein soll. 🙂

Vorhersagen

Insbesondere, dass die Karfreitagsschicht noch gut wird, war nicht von Beginn an abzusehen. Im Gegensatz zu mir haben ohnehin viele Kollegen gejammert, vielleicht war ich ja sogar ein ausgesprochen einsamer Glückspilz. Lustig war das Gespräch, das ich anlässlich dieses Themas mit @chris87de auf Twitter führte:

 

 

 

 

… und dann nahm die Nacht ihren Lauf. Als sie so langsam zu Ende war, stellte ich mich noch einmal an den Ostbahnhof, wo mir nach kurzer Wartezeit bereits drei Kunden einstiegen und einer von ihnen sagte:

„Wir müssten zwei Stops einlegen. Der erste wäre in Friedrichshagen …“

Der erste … und das sind ja bald schon 30 € bis dort. Am Ende musste ich morgens noch einen Tweet raushauen:

 

 

Feiertage

So, nun ist wieder Ostern. Wie der Name schon sagt, ist das das Gegenteil von Western und entsprechend wenig spannend. Entgegen meiner persönlichen Erwartung allerdings waren die Umsätze beim Arbeiten recht hoch. Am Freitag, frisch genesen dem Krankenbett entstiegen, lag mir nichts ferner, als mich zu verausgaben. Am Ende sollte ich trotz gemütlicher achteinhalb Stunden auf der Straße 20 € über mein eigentlich angedachtes finanzielles Ziel hinausschießen.

Darüber hinaus hatte ich das Auto das ganze Wochenende vor der Haustüre stehen, was mir insgesamt locker anderthalb Stunden Arbeitsweg gespart hat. Dennoch schwierig einzufügen ins Nachtschichtler-Geschehen war dieses „Familie“, das es zu Feiertagen ja bisweilen mitzuerledigen gilt. So hab ich am Samstag morgens nur eine Stunde, und nach einem ausgiebigen Frühstück abends noch einmal drei Stunden geschlafen. Der Eindruck einer ausreichenden Nachtruhe wollte sich nicht so recht einstellen an diesem Punkt.

So habe ich auch die Samstagsschicht mit eher verminderten Erwartungen angetreten, um sie binnen weniger als sieben Stunden als übererfüllt abhaken zu können.

Jetzt, nach der üblichen halben Sonntagsschicht, liegt mir eine Beschwerde jedenfalls fern – obwohl ich das mit der Müdigkeit vermutlich erst durch den Mittagsschlaf während der letzten Stunde endgültig auf Normalmaß einpegeln konnte. Ich wünsche Euch allen noch ein schönes Rest-Ostern und möglichst wenige nicht gefundene Eier in irgendwelchen Nischen. 😉

Rosinenpicker

Ein „Kollege“ mit Bus heute Nacht am Sisyphos lehnte eine kurze Großraumtour mit 6 Leuten zum Ostkreuz ab. Das wären 9,80 € Umsatz für 10 Minuten (!) Warten, 4 Minuten Arbeit und 3 Minuten Rückweg. Das heißt: Hätte der arme Fahrer den ganzen Abend nur solche „schlechten“ Fahrten an diesem Club gefahren, hätte  er über 30 € Stundenumsatz und einen Kilometerschnitt von mehr als 2 € gehabt.

Wenn man sowas noch ablehnt, weil’s zu mies ist, muss das Geschäft aber eigentlich so gut laufen, dass man andersrum gefälligst auch mal eine kurze Fahrt annehmen sollte. Schätze, alle Logik weist darauf hin, dass der Kollege entweder ein Idiot oder ein noch viel größerer Idiot ist. -.-

Ich hab mich über die Tour gefreut, und Umsatz und Schnitt waren blendend gestern.

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Paris, anyone?

Wenn man als Taxifahrer mal wieder so richtig Honig um die Lippen geschmiert bekommen will, sollte man Pariser fahren. Franzosen haben zwar den (teilweise) berechtigten Ruf, etwas trinkgeldfaul zu sein, aber die, die direkt aus Paris kommen, die sind so voll des Lobes, das glaubt man kaum. Dass sie mal freundliche Taxifahrer finden, dass wir anhalten, wenn man uns ranwinkt, und und und …

Laut denen ist Paris das letzte Loch, in dem nur Arschlöcher Taxi fahren. Dementsprechend leicht hat man’s, hier gut rüberzukommen. 🙂

Nun ist da zum einen sicher viel Übertreibung dabei, zum anderen spielt natürlich auch die regionale Ausgestaltung des Gewerbes eine Rolle, wenn es um die Qualität der Taxifahrer geht. Ich möchte mich den Vorurteilen deswegen nicht bedingungslos anschließen, sondern mal fragen, oben irgendwer von Euch schon mal in Paris Taxi gefahren ist oder gar einen Fahrer von dort kennt. Mein Französisch ist echt ein bisschen zu sehr eingerostet, um im Internet groß auf Recherche zu gehen. Falls also jemand Ahnung vom Gewerbe dort hat, freue ich mich über alle Infos. Und wenn es nur ist, um den nächsten Touris was erzählen zu können. 🙂

Der Fahrgast, der mich letzte Woche auf die Idee brachte, hat mir erzählt, dass er niemals seinen Wohnbezirk angibt, wenn er ins Taxi steigt, sondern immer den Nachbarbezirk mit dem besseren Ruf, weil die Fahrer ihn wieder rausschmeißen würden, wenn er die wirkliche Adresse zu Beginn ansagt. Da beschwere sich wirklich nochmal einer über grummelige Berliner!

Ich freue mich auf Kommentare, aber bitte nicht pauschal verletzend werden. Selbst wenn es in Paris im Großen und Ganzen so schlimm sein sollte, gibt es auch da bestimmt nette Kollegen, denkt daran.