Sash, 31, Lotse

Ich kam gerade von der Autobahn. Quasi. Eigentlich bin ich nur von der Pasewalker Straße aus rüber auf die Prenzlauer gewechselt. Da nimmt man noch ein paar Meter Autobahn mit, eine Ecke, die einen in der Ortskundeprüfung den letzten Nerv kostet. Vor allem in die andere Richtung.

Aber gut, ich kam von der Leser-Tour und mir fehlten noch 20 Cent auf der Uhr, um ins – zumindest in meinen Augen: wohlverdiente – Wochenende zu kommen. Plötzlich gab mir der Wagen hinter mir Lichthupe. Oder war es eine Bodenunebenheit, die mich in den Fokus seiner Scheinwerfer rücken ließ? Sowas passiert ständig, aber ich bin da immer etwas nervös, weil ich so tatsächlich schon mal eine Tour bekommen habe. Das kann man hier nachlesen.

Ich fuhr also etwas langsamer und der Wagen setzte zum Überholen an. Ich dachte an vieles, z.B. auch daran, dass sie mich auf was aufmerksam machen wollten. Ich gebe auf der Straße auch hier und da mal Leuten ein Signal, damit sie z.B. das Licht einschalten. Vielleicht war ja bei mir das Rücklicht kaputt. Man weiß ja nie …

Ich ließ den Wagen überholen und sah hinüber. Ein schwarzer Kombi mit drei ziemlich grobschlächtigen Gesellen drin. Der Beifahrer hatte das Fenster runtergekurbelt und winkte mich rechts ran. Mein Gedanke war folgender: „Fuck, die Bullen! Ich bin nach der Autobahn sicher noch zu schnell gewesen …“
Wäre ja ein klassischer Einsatzort für eine Zivilstreife. Aber dann hätten sie doch die Kelle …

Wir haben also beide angehalten und einer der Typen ist wie ich ausgestiegen. Anstatt mich nun auf ungebührliches Benehmen hinzuweisen, fragte er mich, ob ich ihnen sagen könnte, wo die Storkower Straße sei. Nun, ähm, ja, schon irgendwie. In ein paar Kilometern links ab …
Bevor ich den Gedanken zu Ende bringen konnte, schlug er aber selbst vor:

„Would you bring us there? We pay!“

Eine Lotsenfahrt also. Immer gerne, auch wenn im Konvoi fahren nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen im Straßenverkehr gehört. Außerdem ist Vorkasse da geradezu Pflicht. Es kommt ja so schon gelegentlich (seltener als ich dachte) vor, dass Leute ohne Bezahlung abhauen. Aber wenn sie auch gleich noch in einem anderen Auto sitzen, ist mir die Gefahr dann doch zu groß. Für Verfolgungsjagden bin ich wohl inzwischen zu erwachsen. Traurig, aber wahr.

Das aber sollte kein Problem sein. Einer der Typen bot sich an, in meinem Auto mitzufahren und teilte mir dann mit, dass sie zum Generator Hostel wollten. Super Tour, über 10 €. Und wenn man eh nur noch 20 Cent braucht …
Ebenfalls von meinem Beifahrer erfuhr ich indirekt, warum die Fahrzeugbesatzung irgendwie nach 50 Jahren Knast aussah: Sie waren Kickboxer und zu einem Kampf angereist. Aus Dänemark.
Nun funktionierten ihre Handys im fremden Deutschland halt nicht und sie waren ohne Navigation aufgeschmissen. Sie hatten wohl schon mehrere Versuche, die Straße zu treffen, hinter sich und waren müde. Verdammt müde. Aber clever, dabei an ein Taxi zu denken! Lotsenfahrten sind ja – zumindest hierzulande – nicht gerade das häufigste Einsatzgebiet von uns. Und werden es sicher auch nie mehr werden dank Navis.

Ich hab die müden Fighter dann ohne Probleme in ein paar Minuten zu ihrem Ziel gebracht. Dort haben sie dann leider noch lernen müssen, dass 200€-Scheine fürs Taxi in Berlin echt eine Nummer zu groß sind, aber da waren sie schon dankbar und lieb und sahen weit nicht mehr so gefährlich aus wie bei unserer ersten Begegnung. Am Ende haben sie die 12,20 € in klein zusammengekriegt. Und ich hab Feierabend gemacht. 🙂

7 Kommentare bis “Sash, 31, Lotse”

  1. Busfahrer sagt:

    Im digitalen Zeitalter mit Smartphones und navis ist es ja verständlich, dass Lotsen-Fahrten so gut wie kaum noch stattfinden. Aber wie war es denn vor 15 – 20 Jahren? Hast du da Erfahrungsberichte von Kollegen, wie oft denn sowas an der tagesordnung war?

  2. SaltyCat sagt:

    sogar als Kurierfahrer – damals noch als Vasall der Post unterwegs – habe ich einmal vor Jahren, es müsste so ungefähr 2004/05 gewesen sein, eine Lotsenfahrt durchgeführt. Ich stand nach meiner Nachtschicht so ungefähr um 4 bei meinem damaligen Kumpel, dem Tankwart der Autobahntankstelle HH-Stillhorn Ost, als ein LKW-Fahrer in rudimentärem Deutsch nach einer Adresse etwa 20 Autominuten entfernt fragte. Mein Kumpel hat dann erfreulich schnell geschaltet und die Fahrt gegen „Trinkgeld“, das wir dann brüderlich geteilt haben, klar gemacht 🙂

  3. elder taxidriver sagt:

    Das kam früher doch vor mit dem lotsen. Nachts waren es oft LKW. Meistens zum Großmarkt. Das Problem dabei war, man musste die Tour schnell schlüssig vorausdenken, weil es in Berlin oft niedrige Brücken, Straßenüberführungen der S-Bahn usw. gibt, die LKW nicht passieren können ohne ihren Aufbau zu rasieren und die Brückenpfeiler zu demolieren. Das will ja keiner.. Und doch passiert es immer mal wieder.

  4. elder taxidriver sagt:

    Siedendheisser Einfall wenn man bereits losgefahren ist: O je, Du bist ja ein Lastwagen!

  5. Aro sagt:

    @Busfahrer:
    Ich hätte da was für Dich 🙂
    Blaulicht trifft Rotlicht

  6. Sphen sagt:

    Hm ich kenne sogar Fälle wo Taxifahrer (in fremden Städten) Taxifahrer als Lotsen genommen haben, da ihr Navi z.B. nicht den Eingang von einem Hotel gefunden hat (spezieller Fall: Hintereingang gefunden mit Nvi, vordereingang wg. Sperungen 1 Stunde gesucht, dann für 7 Euro Taxi als Lotse für Taxi genommen ;))

  7. Sash sagt:

    @Busfahrer:
    Hab ich keine Ahnung. Wirklich gar keine. Bei mir war es jetzt die zweite insgesamt, mehr kann ich nicht sagen.

    @SaltyCat:
    Es ist ja nach langem Suchen – siehe Sphen weiter unten – auch eine praktikable Lösung, die ihr Geld wert sein kann.

    @elder taxidriver:
    Ja, das ist dann nochmal der Spezialfall …

    @Aro:
    Wie immer danke für den Link. 🙂

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