Während der Hauptsaison ist die Halte wahrscheinlich besser ausgelastet. Nach allem, was ich so gehört hab, geht das Geschäft in Cuxhaven schlecht. In Sachen Style schlägt eine Halte direkt an der Nordsee für mich als Binnengemüse alle Berliner Taxistandplätze dennoch um Längen …
Rekordverdächtig
Aufschieben, auch Prokrastination (lateinisch procrastinatio ‚Vertagung‘, Zusammensetzung aus pro ‚für‘ und cras ‚morgen‘), Erledigungsblockade, Aufschiebeverhalten, Erregungsaufschiebung oder Handlungsaufschub ist das Verhalten, als notwendig aber auch als unangenehm empfundene Arbeiten immer wieder zu verschieben, anstatt sie zu erledigen.
– Wikipedia über Prokrastination
Ich denke, jeder schiebt mal Aufgaben vor sich her. Die einen öfter, die anderen seltener; die einen hier und da mal ein paar Tage, die anderen Monate. Und dann gibt es den Sash, der auch mal drei Jahre schafft.
Kein Witz!
Am 30. September wird es drei Jahre her sein, dass mich zwei etwas sorglose Kerle nicht bezahlen wollten und konnten. Seitdem war ich im Besitz von 127 brasilianischen Reais. Das war mehr als genug Geld für die 20€-Tour und den Denkzettel hatten die beiden durchaus verdient. Ganz so leicht wie US-Dollars wird man Reais hier allerdings nicht los. Meine Banken nehmen sie allesamt nicht an, allenfalls an Wechselstuben konnte ich mein Glück versuchen. Das hab ich relativ schnell aufgegeben. Zu meinen Arbeitszeiten haben nur wenige Stellen überhaupt mal offen gehabt und privat laufe ich meist auch nicht tagsüber, noch seltener aber überhaupt in den Touristen-Ecken von Berlin herum. Ergo: Ich hab die Kohle zwar immer im Geldbeutel gehabt, aber immer im vielleicht entscheidenden Moment nicht daran gedacht oder was anderes zu tun gehabt.
Und nun, beim Aufbruch zu meinem Kurzurlaub, stand ich wegen eines S-Bahn-Ausfalls plötzlich am Alex vor der offenen Wechselstube und natte noch Zeit. Und siehe da:
Nun ja. Es ist bei weitem nicht so viel geworden, wie ich einst erwartet hatte, was ich auf der anderen Seite aber auch bereits erwartet hatte. Also so in etwa. Gute Konditionen sucht man bei so Buden vergeblich, darüber hinaus hat der Real in den letzten drei Jahren auch fast ein Drittel an Wert verloren gegenüber dem Euro – was man z.B. hier (wenn man die Grafik auf 3-Jahres-Ansicht stellt) ganz gut sehen kann. Ist ja nicht so, dass Prokrastination nicht auch ihren Preis hätte. 😉
Aber gut, es sind immer noch knappe 60% Trinkgeld auf die Tour gewesen, da will ich mal nicht jammern. Und dass ich mir zu viel Stress mit der Sache gemacht hätte, fällt jetzt auch schwer zu behaupten …
Kurz und weg
So, das Wochenende rückt näher. Normalerweise wäre das eine Randnotiz der Marke „Ich freue mich aufs Arbeiten“, dieses Wochenende aber nicht. Ganz entgegen meiner eigentlich Gewohnheiten verlasse ich meine Wohngrotte mal und fahre weg. Familienfeierlichkeiten treiben mich an die Küste, ein paar Stunden Bahnfahrt werden anfallen, darüber hinaus ein bisschen norddeutsche Seeluft und der ein oder andere Hopfenblütentee. GNIT werde ich in den kommenden drei Tagen nicht befüllen. Ein oder zwei Geschichten hab ich zwar immer noch in der Hinterhand, aber neben Urlaub und Taxifahren steht gerade ohnehin viel Arbeit fürs Buch an, da sind drei Tage weniger vorausschreiben hilfreich. Und ich kenn Euch, Ihr lest doch ohnehin auch noch woanders. Ihr könnt vom Taxi ja beispielsweise auch mal in die U-Bahn des Zugfahrers wechseln.
Und so lange ich da draußen nicht die ganzen kurzen Fahrten annehme, hier noch eine Wochenendgeschichte:
Ich stand (noch mit der 1925) am Ostbahnhof, da trudelte eine lustige Gruppe heran. Und mit lustig meine ich hier nicht völlig dicht und mit Realitätsverlust im Handgepäck, sondern vielleicht angeheitert, aber einfach spaßig, herumalbernd, in Feierstimmung. Einer aus der Truppe fragte mich, wo das Berghain sei, ich antwortete mit irgendeinem halbwegs blöden Spruch und schon hatte ich sie quasi an der Backe. Ob man da nicht auch mit dem Taxi und außerdem und überhaupt und sowieso …
Da mach ich ja nicht rum. Gut, ich hatte schon ein Weilchen gewartet, aber ich wusste, dass es am Berghain besser lief. Also würde ich mich dort halt gleich anstellen. Und hey, 4,40 € sind immerhin knapp 4,40 €!
Ich hab die zwei Jungs und das Mädel eingeladen, dann standen wir auch quasi schon dort. Ist ja echt nicht weit. Während ich mir die Schlange vor dem Eingang mit gewisser Genugtuung ansah, weckte sie bei meinen Fahrgästen jetzt nicht ganz so positive Gefühle. Kein Wunder, anderthalb Stunden warten hieß das auf jeden Fall. Da ist die Taxischlange schon komfortabler, auch wenn sie in Metern etwas länger ist.
Der Tendenz des Gesprächs folgend hab ich die Uhr mal noch nicht ausgemacht. Dementsprechend hätten sie gerne noch bis Mittags diskutieren können, was sie machen, aber sie befürchteten wohl aus irgendeinem Grund, dass ich sie rausschmeißen würde. Während die Uhr gerade einmal 20 Cent weitertickte, hatten sie schon mindestens 15 Namen von Clubs durchs Taxi gebrüllt, dann stand – völlig überraschend – plötzlich fest, dass es zum Watergate gehen sollte. Na also! 🙂
Ein paar Fluchereien über doofe Schlangen vor Clubs später standen wir dann vor der wesentlich moderateren Menge an Menschen an der Falckensteinstraße. Während ich noch dabei war, mich zu freuen, dass es statt 4,40 € nun immerhin 7,80 € waren, meinte der Typ hinter mir:
„Ey, das muss ja übelst stressig sein mit uns. Hierhin, dorthin, blabla … mach auf jeden Fall mal 12 €.“
Ja ja, hierhin und dorthin. Was man als Taxifahrer nicht alles machen muss … 😉
Manchmal hat’s den Anschein, dass es schon hilft, wenn man nicht gleich meckert, bloß weil mal eine kurze Tour ansteht.
So. Euch Lesern wünsche ich jetzt ein schönes Wochenende. Erholt Euch gut, wir sehen uns am Dienstag wieder. Wer will, kann mich aber gerne bei Twitter verfolgen. Da werde ich mich sicher mal melden.
Party gerettet
Wenn es mal läuft, dann läuft es. Also manchmal, in seltenen Fällen. An dem Abend auf jeden Fall. Die Schicht startete mit Winkern von Friedrichshain nach Neukölln, auf dem Rückweg eine Kurzstrecke vom schlesischen Tor zur Lausitzer, dort sofort wieder Einsteiger zum Freischwimmer und kaum, dass ich dann wenden wollte, stand er plötzlich da:
Jeans, weißes T-Shirt, ein Jacket über die Schulter geworfen, Sneakers an den Füßen, eine hellrötliche und leicht verfranste Frisur über grünen Augen und einem Gesicht mit markantem Schmiss. Und ein Lächeln, das die Narbe übers ganze Antlitz zu verlängern wusste. Ein bisschen zögernd stieg er ein, ich war beim Wenden ziemlich ugünstig an ihn rangefahren. Dass er vorne einsteigen konnte, schien ihn zu irritieren. Wie so viele. Aber er taute schnell auf, ich bin ja jetzt auch nicht unbedingt ein Eisklotz im Auto.
Es ging mal wieder darum, eiligst eine Party zu retten. Dieses Mal nicht mit einem Netzteil für den DJ-Laptop, sondern gleich mit der vergessenen Musiksammlung. Die allerdings erklärte mir mein – im übrigen mal wieder englischer – Fahrgast jedoch recht schlüssig: Sein Kumpel, für den er und ich jetzt diese Boten-Tour erledigten, hatte gar nicht vor aufzulegen. Er war einfach nur DJ und privater Gast auf einer Jungesellenabschiedsparty. Aber ebenso wenig, wie man als Blogger durchs Leben gehen kann, ohne seinen Kollegen Computerfragen zu beantworten, kann man offenbar DJ sein, ohne auf Parties aufzulegen.
Und nun waren ich und der gutgelaunte Rotschopf dabei, in der Adalbertstraße kurz eine externe Festplatte oder einen USB-Stick zu holen. Müssen ja heute glücklicherweise nicht mehr ganze Plattenkisten sein. Während die Fahrt so prima lief, dass ich dem Typen nach 5 Minuten Weg nicht einmal ein Pfand abgenommen hab, bevor er ins Haus sprintete, war das mit dem Verkehr schon ein ganz anderes Kaliber. Der südliche Teil der Adalbertstraße ist immer noch (Wahrscheinlich auf Dauer oder so -.-) nur in Nordrichtung durchfahrbar, dank des Andrangs dort in den Abendstunden fährt natürlich trotzdem jeder Vollhorst erst einmal in die enge, zugeparkte und von Fußgängern durchwatschelte Straße rein, um zu gucken, ob auf den hundert Metern nicht vielleicht ein Parkplatz frei ist. Danach wird unter Zuhilfenahme der Hupe möglichst gemeingefährlich gewendet.
Und ich stand mitten drin und hab mich irgendwann einfach neben das Taxi gestellt und grinsend eine geraucht. Für die Unterhaltung zahlen andere teuren Kino-Eintritt. 🙂
Irgendwie hab ich es ohne Beule geschafft, das Auto am Ende auch wieder herauszumanövrieren und zu wenden, an Bord wieder den gut gelaunten Briten, der sich die letzten Minuten mit einer geradezu infantilen Begeisterung mit mir über meinen Beruf unterhalten wollte. Die für die ganze Action eigentlich recht mageren 12,80 € hat er am Ende großzügig auf 15 aufgerundet und sicher noch eine Menge Spaß gehabt in der Nacht. Wie ich ja auch. Nach vier Touren inklusive einer geretteten Party wollte ich eigentlich mal wirklich Pause am Bahnhof machen. Aber selbst dazu kam ich nicht. Eine Winkerin nach Baumschulenweg.
So muss Taxifahren dort aussehen, wo die Fahrer nicht über ihre Umsätze meckern. In Utopia oder so. 🙂
Sterniges
Es war nur eine kurze Fahrt, dennoch kann ich meine inoffiziell geführte Liste der Kundenschmeicheleien nun erweitern um die Aussage:
„Du bist ein Star!“
Oder nur Stern als solches, so ganz klargeworden ist mir das nicht aus dem englisch-deutsch-italienischen Kauderwelsch, das mein sichtlich angeschlagener Kunde so von sich gab. Und hey, für die Länderstatistik: 2 € Trinkgeld aus Italien! 🙂
Virtuelle Umzüge
„Haha, Winker!“
Das dachte ich so bei mir. Eigentlich war es noch viel besser, denn ich stand an der Ampel. Und nicht etwa als einziges Taxi, sondern als zweites von zweien. Aber die Kundschaft fragte mich an. So kann’s gehen. 🙂
Genau genommen stand ich an der Kreuzung Köpenicker/Heinrich-Heine und hatte vor, zum Kater Holzig zu fahren. Da wäre es an dem Abend schnell gegangen, aber von der Straße weg ist ja immer besser. Und insgeheim hatte ich die Vermutung, sie wollten ohnehin vielleicht nur bis zum Kater. Dann wäre das immer noch eine Kurzstrecke ohne Mehraufwand gewesen.
„Wir würden gerne zum Kitkat-Club …“
„Äh …“
„…ist der in der Schönhauser Allee?“
WTF? Das Kitkat lag meines Erachtens nach genau auf der anderen Straßenseite. Oder sind die jetzt auch noch umgezogen? Bitte nicht! Allerdings waren meine Kunden ähnlich desorientiert, auch sie waren davon ausgegangen, dass es hier am Eck sei. Nun aber hatten sie irgendwo gesehen/gelesen, dass das jetzt in der Schönhauser sei. Hmm.
Einer von ihnen packte gleich sein Telefon aus und begann zu suchen:
„Das war doch hier … nee, warte mal. Ach, ich kann auch direkt auf der Seite und dann … Mensch, wo war das denn?“
Nicht, dass die Suche binnen zweier Minuten sonderlich akribisch und umfangreich war: es kam aber immer wieder das Gleiche dabei raus. Nämlich, dass das Kitkat hier in der Köpenicker liegt, bzw. manchmal wurde auch der Eingang über die Brückenstraße erwähnt. Ich wäre jetzt durchaus gerne mit den beiden zur Schönhauser gegondelt, aber der Stress dann … ich war so gesehen fast schon froh, als sie etwas irritiert meinten, sie würden dann doch lieber nochmal auf der anderen Straßenseite gucken.
Sicher, ich hätte mich auch ärgern können. Natürlich sind in der Zeit ein paar freie Taxen an mir vorbeigefahren und ich hab jetzt am Kater zwei bis fünf Minuten länger auf die nächste Tour gewartet. Und das alles nur, weil irgendwer mal eben Halbwissen verbreitet oder irgendwas falsch gelesen hat. Ein rein virtueller Umzug, der bloß in irgendeinem Kopf stattgefunden hatte.
Auf der anderen Seite (ich hatte das gerade eben erst in den Kommentaren): Natürlich hätte ich zu dem Zeitpunkt die Uhr schon anmachen können und mir diesen kleinen – aber existierenden – Aufwand bezahlen lassen. Aber genau wegen solcher Momente tue ich das eben nicht. Wenn ich mir jetzt die Diskussion vorstelle, warum ich fürs Nichtstun schon drei Euro kriege … oder (ziemlich sicher kurz darauf) ob es nicht viel mehr mein Fehler gewesen sei, weil ich es ja auch nicht gewusst hätte … der Stress hätte mich am Ende mehr Lebenszeit gekostet, die mir einfach mehr wert ist als einsfuffzich im Portemonnaie. Und man weiß ja nie: Nächstes Mal winken die in der Greifswalder und wollen zum Magnet – das vor inzwischen Ewigkeiten tatsächlich umgezogen ist – dann gleicht sich das wieder aus. 🙂
Das Taxi wird 120!
Einen sehr interessanten Link hat mir Arne bei Facebook geschickt: Ein Audiobeitrag von WDR 2 über das anscheinend erste deutsche Taxiunternehmen, das motorisierte Taxis eingesetzt hat:
Stichtag: 1893 – Erstes deutsches Taxiunternehmen gegründet. (4:16 min)