Regeln und Wahrnehmungen

Ich fand’s eigentlich nur lustig gestern Abend. Ich stehe am Ostbahnhof, zweite Position in der Schlange. Dann kommt ein Kollege angefahren und stellt sich mit ausgeschalteter Fackel ein Stück vor den ersten Wagen an die Bushaltestelle. Wir anwesenden Fahrer gucken kurz auf, allerdings ist das jetzt kein allzu großes Ereignis. Da halten immer wieder besetzte Wagen, um Kundschaft abzuladen, manche stellen sich da hin, um einen bestellten Fahrgast abzuholen, oder – und das tat obiger Kollege offenbar – um mal kurz auf einen Burger oder eine Sitzung auf der Toilette beim McDonald’s reinzuspringen.

Gut, dafür ist der Platz jetzt nicht supi, aber er liegt halt direkt an der Türe, ne? 😉

Bald darauf, der Kollege war noch im Gebäude, kam ein Zug an. Und mit ihm reichlich Kundschaft.

Nun gibt es ja Regeln im Taxigewerbe. Ganz offensichtlich werden sie alle für ähnlich unwichtig empfunden. Besagter Kollege verstieß im weitesten Sinne (eigentlich stand er ja schon an der Bushaltestelle) gegen §4 der Taxiordnung, wo es unter (1) heißt:

„Auf einem Taxenstandplatz oder einem als „Nachrückbereich“ ausgewiesenen Taxenstandplatz dürfen nur dienstbereite Taxen stehen. […]“

Die Kunden hingegen kannten wie so viele nicht den zweiten Punkt von §4 TaxO:

„Den Fahrgästen steht die Wahl der Taxe frei.“

Und nun? Sammelte sich eine Traube potenzieller Kundschaft um das leere Auto des Kollegen, der wahrscheinlich nur mal schnell seine Blase entleeren wollte und alle quasselten durcheinander. Besonders schön fand ich folgendes Kleinod, dem Kollegen auf Position 1 entgegengebracht:

„Wat is dat denn? Will dat nich‘ fahr’n?“

Nee, das leere Auto will wirklich nicht fahren. 🙂

Der Spuk war freilich schnell beendet, auch ich konnte mit einem holländischen Ehepaar umgehend eine Tour antreten. Aber es blieb ein bisschen die Erkenntnis, dass in manchen Situationen manche Regeln doch auch ganz ok sein können …

Hektik

Der Mittwoch ist ja eigentlich kein Arbeitstag für mich. Mit einer Ausnahme: Heute. Ich hatte eine nette Touranfrage bei Twitter, zudem ist mir am letzten Wochenende mal wieder die 1925 ausgefallen. Quietschen mit Schluckauf oder so. Da tut ein Tag zum Ausgleich ganz gut.

Naja, jetzt ist es jedenfalls so, dass ich ziemlich früh los muss, um das Auto aus der Werkstatt zu holen (mein Tagfahrer ist zu allem Überfluss nämlich auch noch krank), und danach geht es noch eine Runde auf die Piste. Ich hoffe, der Mittwoch ist nicht ganz so schlimm, wie ich ihn in Erinnerung habe. Dafür kann ich das Auto wenigstens mit nach Hause nehmen nach der Schicht. 🙂

Noch zwei kurze Links:

Erstens:
Falls es jemand noch nicht aufgefallen ist – in der Seitenleiste oder bei Facebook und Twitter – es gibt neue Fotos von mir.

Zweitens:
Mein bisheriger Rekord-Dauerfahrgast Jo legt morgen Abend im Lichtpark direkt neben dem Kater Holzig auf. Für elektrobegeisterte Berliner vielleicht ein Donnerstagstipp. Und ich würde hier keine Werbung dafür machen, wenn Jo nicht extra noch Gästelistenplätze verlosen würde dafür. Guckt mal hier auf seiner Seite!
(Und wenn ihr im Lichtpark sein solltet: Kann gut sein, dass die 1925 da morgen ein oder zweimal vor der Tür wartet. 😉 )

„Ährlich?“

„Ach Jungs! Stellt Euch nicht so an, ich komm‘ auch aus Stuttgart!“

„Ährlich? Du bisch au a Schwoab?“

„I kennd‘ au andersch schwätze, na wirded’ser vlleichd märgge.“

„Haha, i glaub’s ned! A Stuargarder!“

„Ja, is‘ ja gut jetzt! Aber ihr wollt sicher zu diesem Stripclub?“

„Ha glaar! Naggiche Weiber, was sonschd?“

Ach, mir wären da noch ein paar Adressen eingefallen, bei denen ich auch noch was verdient hätte. Aber ich bin da ja nett und lasse den Kunden ihre Wünsche. 😉

Die ganz anderen Kollegen

Die Tour war wie gemacht dafür, die letzte an diesem Abend zu sein. Kurz nach dem Tanken und Waschen stiegen mir zwei junge Kerle als Winker unweit des Alexanderplatzes zu und wollten in die Frankfurter Allee. Knapper Zehner Umsatz und auf gutem Weg Richtung Heimat, beziehungsweise Richtung Abstellplatz.

Wie wir auf’s Thema gekommen sind, weiß ich nicht, jedenfalls sind wir schnell bei ihrem Beruf gelandet. Es waren Kollegen im allerweitesten Sinne, sie waren Rikschafahrer. Mir ist natürlich sofort eine Leseranfrage vor Ewigkeiten in den Sinn gekommen, damals wurde ich gefragt, ob ich „Velotaxen“ als Konkurrenz sehen würde. Ich hab das damals verneint, wollte nun aber von den beiden natürlich gerne wissen, wie das aus ihrer Sicht den mit den Taxis ist.

Und es ist ziemlich genau so, wie ich vermutet hatte:

„Nee, das is‘ ja, wir erbringen ja eine ganz andere Dienstleistung. Bei uns is‘ ja quasi vor allem Stadtführung ein Thema, da geht’s ja zum Beispiel gar nicht drum, schnell zu sein.“

Viel eher als Konkurrenz würden sie die Touristenbusse sehen, aber die Taxen ganz sicher nicht.

Ansonsten war es recht interessant. Ich hätte zum Beispiel nicht gedacht, dass die Geräte, auf denen sich die Jungs und Mädels abstrampeln, preislich durchaus zumindest mal mit meinem Auto mithalten können. Dementsprechend sind die Touren auch nicht wirklich günstig. Die Fahrt, für die ich ihnen 9,80 € in Rechnung stellte, taxierten die beiden auf ungefähr 20 bis 25 € in ihrem Business.

„Aber hey, wir arbeiten schließlich auch körperlich!“,

wussten die beiden schnell rechtfertigend einzuwerfen. Was ohnehin klar ist. Außerdem brauchen sie länger, das kostet natürlich mehr Arbeitszeit, ist ja klar.

Wenn ich den beiden glauben darf, dann ist das ein zwar hartes, aber durchaus auch interessantes Geschäft. Und ich hab endlich eine Zahl: Auf „bis zu 150“ schätzten die beiden die Kollegenschaft. Noch ein Grund für mich, bei ihnen keine Konkurrenz zu befürchten. Das war ohnehin das Entscheidende, was ich am Ende mitgenommen habe aus dem Gespräch: Es gibt in Berlin sehr sehr viele unterschiedliche Möglichkeiten, von A nach B zu kommen. Zu guter Letzt haben alle Angebote eine Daseinsberechtigung und ihre Kundschaft, eine wirklich bedrohliche Konkurrenz untereinander existiert aber wohl eher selten. Da sind wir Taxifahrer untereinander uns wohl die schlimmsten Feinde …

Die kürzeste Route!

Ja, die kürzeste Route muss ich als Taxifahrer fahren, so lange vom Fahrgast nichts anderes gewünscht ist. Und ihr hört mich über wenig enthusiastischer plaudern als meine Versuche, das auch zu tun. Auf der anderen Seite schneiden wir uns damit natürlich ins eigene Fleisch. Umsatzbasiert bezahlt zu sein bedeutet eben auch, dass jeder Meter mehr potenziell leicht verdientes Geld ist. Nicht umsonst gehören zu den hartnäckigsten Problemen im Taxigewerbe die Kollegen, die halbe Stadtrundfahrten machen, bis sie endlich am eigentlich viel direkter zu erreichenden Ziel angelangen.

Das Gegenstück dazu liefern natürlich die Kunden, die eine ganz eigene Vorstellung von kurzen Wegen haben, meist ungefähr wie folgt:

„Da fahr ich immer, das ist ganz sicher der beste Weg!“

Dass nachts, ohne Berufs- oder irgendeinen Verkehr, der kürzeste Weg in der Regel immer der Beste ist, wollen viele nicht wissen.

Zu dieser Kategorie gehörte die junge Frau sicher nicht, die ich vom Kater Holzig nach Hause in die Kienitzer Straße in Neukölln bringen sollte. Aber nachdem ich pflichtbewusst erwähnte, dass die allerkürzeste Route durch die Adalbertstraße gesperrt ist, machte sie es sich zur Aufgabe, mir ihren Weg näher zu bringen. Um ehrlich zu sein: Ich hab mich lediglich durch angedeutete Bisse ins Lenkrad immer mehr in den WTF-Modus reingesteigert. Viele wissen es wahrscheinlich schon aus meinen Beiträgen, die anderen können es anhand einer Karte (s. unten) in Windeseile nachvollziehen: Für alles, was nördlich der Oranienstraße und zumindest mal östlich der Lindenstraße liegt, ist die direkt parallel zur Adalbert- verlaufende Mariannenstraße eine super Ausweichlösung, wenn man grob gen Hermannplatz will. Meine Kundin hatte dezent andere Pläne:


Größere Kartenansicht

Aus der Tour, die mit Ach und Krach für einen Zehner machbar gewesen wäre, hat sie eine Odyssee durch Kopfsteinpflastergassen gemacht, bei der am Ende 14,40 € auf der Uhr standen. Ich bin mir keiner Schuld bewusst, sie war sich darüber im Klaren, dass es länger ist und hat den Weg freiwillig gewählt. Also passt das schon. Die Kollegen aus der Tagschicht kennen solche Fahrten wahrscheinlich zu Hauf und planen sowas des Verkehrs wegen auch mal von sich aus. Mir als Nachtfahrer zieht es bei sowas immer fast die Schuhe aus.

Aber am Ende ist es doch so: Wenn die Kunden zufrieden sind und wie hier noch 1,60 € Trinkgeld drauf legen, dann hat man wohl nix falsch gemacht. Und der nächste schweigsamere Genosse fährt dann wieder für einen Zehner, versprochen. 🙂

Das mit dem Lohn …

(und andere Kleinigkeiten)

Abgesehen von Selbständigen und dubiosen Schneeballsystem-Betreibern sind Taxifahrer ja eine recht seltene Gruppe von Leuten, die ihren Lohn auf Provisionsbasis beziehen. Das ist nicht überall so und wird sicher auch nicht auf ewig so bleiben, aber derzeit ist das in Berlin eben das Modell der Wahl.

(Ich persönlich bin froh drum, aber ich hab es auch nicht so schwer wie viele Kollegen)

Naja, es war also Donnerstag. Der letzte Donnerstag natürlich. Ich habe mir mal wieder – wie so oft – kein Zeitlimit gesetzt, sondern wollte einen bestimmten Umsatz einfahren, damit es mir auf das reicht, was am Monatsende rausspringen soll für mich. Im Prinzip kommt es da zwar auf ein paar Cent nicht an, aber ich hab nunmal eine Art Statistik-Fetisch. Oder so. Ich wusste jedenfalls, dass ich an diesem einen ganz speziellen Donnerstag noch 7,70 € brauchen würde.

Und als mir am Kater Holzig dann endlich Fahrgäste einsteigen, realisiere ich, dass die Tour zum Matrix geht. Das könnte zu wenig sein. Allerdings nur, wenn man – wie so oft, ich geb’s ja zu – die illegale Abkürzung nimmt und gleich links in den Warschauer Platz abbiegt. Aber ich hatte nette, verständnisvolle Kundschaft, die das nicht verlangt hat. Am Ende der Tour standen auf dem Taxameter tatsächlich haargenau 7,80 €. 10 Cent mehr als „benötigt“.

Na, krasse Scheiße! Ich wollte eh um die Zeit rum Feierabend machen!

Natürlich ist mir aber nicht entgangen, dass binnen der paar Sekunden, die meine Fahrgäste zum Ausstieg benötigten, bereits drei Taxis besetzt von dort weggefahren waren. Und jetzt standen nur noch zwei da …

Also hab ich mich, irgendwie schweren Herzens, auch noch dort angestellt. Und: Tada! Meine Kundschaft hatte ich keine anderthalb Minuten später. Einmal zum Oranienburger Tor. Nun aber heim!

In der Torstraße dann Winker zur Samariterstraße. Nun aber heim!

Kurz darauf Winker bis in den Weitlingkiez. Nun aber … naja, dann auch wirklich heim!

Es war nur eine Stunde, die mich das Ganze gekostet hat. Der Umsatz war verhältnismäßig bombig. Die Stunden davor lag er bei einem Drittel davon, wenn überhaupt. Und schon kam mir die Schicht nicht mehr doof vor, schon war mein Stundenlohn wenigstens ansatzweise dort, wo gemeinhin ein Mindestlohn hingehört. So kann es gehen, so sollte es öfter gehen, so ist es aber leider nur selten.

Wenn ich als Taxiblogger mich genötigt sehe, sowas niederzuschreiben, dann denkt mal über die Stunden nach, in denen es nicht so läuft!

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

Immer dranbleiben!

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Coolness? Check!

Woran es am Ende genau gelegen hat, weiß ich nicht. Vielleicht war es wirklich die Sperrung der Straße der Pariser Kommune auf der Karl-Marx-Allee. Jedenfalls hab ich den wild durcheinandergackernden Spaniern nicht zu viel versprochen.

Sie sind mir aufgeregt ins Auto gesprungen und haben mich gefragt, ob ich wüsste, wo das Klinikum am Friedrichshain wäre. Da waren sie nun wirklich nicht an der falschen Adresse. Das ein oder andere Mal hab ich ja schon Leute dort zur Rettungsstelle gebracht, prominent erwähnt seien hier vielleicht der Zombie und der Mann, der aussah wie Donald Rumsfeld. Wobei letzterer dann ja doch nicht wollte.

Egal. Die Spanier zeigten jedenfalls auf den Krankenwagen, der sich gerade vor dem Yaam langsam in Bewegung zu setzen schien und anschließend fragte meine wuselige Gesellschaft mich, ob ich jenem Wagen hinterherfahren könne. Abgesehen davon, dass ich nicht im Windschatten eines Krankenwagens Kamikaze-Fahrten mache, schien mir die Richtung auch ungünstig zu sein. Wenn der Fahrer nämlich nicht vorhatte, gleich zu wenden, würden sie mindestens bis zur Warschauer Straße gen Osten fahren müssen, tatsächlich unnötig weit. Also hab ich alternativ auf die Andreasstraße gezielt und versprochen, wir würden als erste da sein. Man braucht ja auch Ziele im Berufsleben, nicht wahr? 😉

Ich denke, über die Tempo-30 Zonen schweigen wir einfach, ansonsten war ich nicht wirklich schneller als die Polizei erlaubt, sondern nur schneller als der RTW fährt.

An der Rettungsstelle sahen die vier, die um ihren Kumpel (Alkoholvergiftung oder irgendwas in der Art) bangten, sich nochmal ängstlicher um und fragten, ob ich wisse, wo der Wagen ankommen werde.

„Well, exactly here. And that’s why I have to go now.“

Ich hätte sagen können, was ich will. Die werden ihre letzte Urlaubsnacht hier eh nicht vergessen. Als ich aus dem Tor bin, kam gerade ein Rettungswagen reingefahren. Denke, das hat gut gepasst. 😉