Silvester (oder Neujahr, um genau zu sein) war fürs Bloggen wie man sieht, doch recht brauchbar. Aber auch die schönste Schicht geht mal zu Ende. Als der Zeiger der Uhr morgens die sieben überquerte und sich so langsam am östlichen Horizont die Dämmerung bereit machte, den ersten Tag im neuen Jahr zu verkünden, war mir dann auch mal nach Heimfahrt. Natürlich hatte ich nichts gegen ein oder zwei Winker, bevorzugt natürlich in die richtige Richtung. Aber da ich schon auf der Landsberger stadtauswärts unterwegs war, war ich guter Dinge.
Ein Weihnachtsmann in etwas verschlissenen Klamotten hielt mich vor einer Gartenkolonie an. Genau genommen war es kein Weihnachtsmann, aber die Ähnlichkeit war nicht so ganz von der Hand zu weisen.
„Fährst mich zur Tanke?“
„Zu welcher?“
„Egal, muss noch einkaufen!“
Meiner Fahrtrichtung nach hab ich mich nicht für die in der Rhinstraße entschieden, sondern die direkt in der Landsberger, keine zwei Kilometer voraus. Da ich eh zufrieden war, hab ich ihn an die Kurzstrecke erinnert und dann ging es auch gleich los. Als wir ankamen, wollte ich mich für die Sache mit der Kurzstrecke schon in den Hintern beißen, denn natürlich wollte er auch wieder zurück. Also würde es sowieso nicht reichen, nur die Wartezeit war damit umsonst …
Ich bin zu gutmütig, echt. Da sieht man wieder mal, dass es Sinn gibt, wenn die Kunden selbst wissen, ob sie eine Kurzstrecke haben wollen. Aber wider Erwarten ging es dann so schnell, dass es schon in Ordnung war. In einer dünnen Plastiktüte zeichneten sich zwei Bierflaschen und eine Schachtel Zigaretten ab, was man halt so einkauft am ersten Morgen eines neuen Jahres. 😉
Wir fuhren zurück, die Uhr sprang auf Normaltarif um, zählte noch lustig bis etwa acht Euro weiter, dann standen wir an der letzten Ampel, wo ich wenden musste, um ihn auf der richtigen Seite rauszulassen und außerdem wieder in meine Richtung – Osten – zu kommen. Etwa fünf Kilometer trennten mich noch von meiner Haustüre, noch besser allerdings war, dass da Winker standen. Direkt da, wo ich ihn nach netten zwei Euro Trinkgeld entlassen habe …
Jedesmal, wenn ich lese, wie jemand, der sicher kein Topmanager ist, mal eben 10€+Tankstellenpreis zur Suchbefriedigung hinlegt, frage ich mich, ob das ganze Jammern über Lebensmittelpreise, Sozialhilfesätze an der Grenze des Hungertodes und Co. irgendeine Berechtigung hat oder nur daraus entsteht, dass das Geld nicht für 2 Schachtel am Tag + Playstation reicht.
Neulich auch wieder im Supermarkt: Übergewichtige Frau, 3 Kinder, alle in abgetragene Klamotten mit einem Wagen voller ungesunder „Billig“-Nahrung (i.e. im Vergleich zur Selbstkochen teure Fertiggerichte von Billigmarken) – aber 20€ für Kippen und Lotto.
Würden wir uns – ohne Kinder und mit nem Haushaltsbruttojahreseinkommen von fast 100k, aber mit Zukunftsplanung – nicht leisten.
@Methadir:
Ich halte es für ziemlich gefährlich, wegen irgendwelcher „Fehltritte“ von Menschen irgendwelche allgemeingültigen Aussagen abzuleiten. Auch ALG2-Empfänger haben ein Recht darauf, sich ungesund zu ernähren und auch von 0,70 € Tagessatz lässt sich im Zweifelsfall eben ein Bier statt ein Brot kaufen.
Ich verstehe viele Eigenheiten von Menschen nicht, aber ich finde es unabdingbar, dass man hier noch halbwegs die Freiheit hat, selbst zu entscheiden, was man tut und einkauft.
Ob der Mann in meinem Auto nun wirklich arm war, weiß ich übrigens gar nicht einzuschätzen. Ja, er hatte verratzte Klamotten an, aber das war in der Silvesternacht wirklich kein Merkmal für irgendwas …
@Sash
Natürlich ist das gefährlich. Das tue ich aber nicht. Das Thema Alkohol- und vor allem Nikotinsucht ist aber kein Einzelfall, auch und vor allem in dieser Gesellschaftsschicht. Gleichzeitig sind Zigaretten und Bier ziemlich teuer, ohne Grundlebensmittel zu ersetzen. Solange diese Suchtbefriedigung auf breiter Basis funktioniert, darf ich zumindest darüber nachdenken, ob die Finanzen wirklich so knapp sind, oder ob da einfach miserabel hausgehalten wird – was ihr Recht ist – und dann von mir verlangt wird, in noch höherem Maße etwas von meinem erarbeiteten Einkommen dafür abzugeben – was eben NICHT ihr Recht ist.
Es ist aber auch ein bisschen einfach, anhand zweier Suchtmittel Überfluss zu suggerieren. Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche. Ein Großteil der Deutschen teilt beispielsweise meine Meinung nicht, dass Autos und Benzin zu billig sind, weil überflüssiger und gefährlicher Luxus. Die einen gehen gerne essen, die anderen trinken. Sind hochwertige Nahrungsmittel tatsächlich nötig oder sollen die sich mal alle nicht so anstellen und zur Tafel gehen.
Wir werden an diesem Punkt nicht zusammenkommen. Ich – als schlecht verdienender Steuerzahler – sehe derzeit nichts, was ich auch nur ansatzweise so gerne zahle, wie das Geld für die, denen es schlechter geht als mir. Dass jemand, der Arbeit hat, mehr Rechte auf irgendwas hat, finde ich nämlich abartig.
Alkohol- und Nikotinsucht heißt nicht umsonst SUCHT. Eine Sucht ist eine Krankheit und bedeutet, dass man für diesen Bedarf im Zweifelsfall andere Grundbedürfnisse, wie beispielsweise gesundes Essen oder einen Artzbesuch zurückstellt, um diese zu befriedigen, egal wie knapp die Finanzmittel sind. Das bedeutet, dass Süchtige aus den unteren Gesellschaftsschichten schneller durch schlechte Gesundheit oder unsaubere und alte Kleidung auffallen als solche, die sich ihre Sucht zusätzlich leisten können.
Rosa (gutverdienende Steuerzahlerin, die keiner Sucht nachhängt und trotzdem meint, dass ein solcher Bedarf gedeckt werden sollte)
Dann sind wir da grundsätzlich unterschiedlicher Meinung. Ich bin nicht bereit, arbeiten zu gehen, damit andere den erwirtschafteten Wohlstand gesundheitsschädigend – vielleicht auch noch in meiner unmittelbaren Nähe (ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal unter dem Schutzdach einer Bushaltestelle stehen konnte) – verbrennen.
Natürlich ist Sucht eine Krankheit. Krankheiten gehören aber behandelt und nicht befeuert. Wer das nicht will, muss mit dieser eigenständig getroffenen Entscheidung auch eigenständig zurechtkommen – und eben Kartoffeln oder von mir aus auch gar nichts essen. Aber nicht von mir Mehrleistung erwarten.
Mir fallen diverse Sachen ein, ein die ich lieber bezahlen würde, die aber seit Jahren auch wegen des gewaltigen Postens „Sozialleistungen“ zu kurz kommen: Schulen, Universitäten (In Bildung kann man gar nicht genug investieren und das aktuelle System ist völlig marode), Rechtssystem und Strafverfolgung (vielleicht mal nicht ein halbes Jahr auf einen Prozesstermin warten), Infrastruktur (die überhaupt erst ermöglich, irgendetwas zu erwirtschaften) …
@Sash: Natürlich soll jeder sein Geld so ausgeben können wie er will. Aber jemand der sich Rauchen leisten kann, kann sich nicht gleichzeitig über zu wenig Geld beklagen – statt dann zu jammern er hätte gerne mehr vom Staat, hat er ja auch die Möglichkeit sich das Rauchen abzugewöhnen. Dass du als rauchender Taxifahrer natürllich eher Zigaretten zu teuer und die Anschaffung für ein Auto bzw. den Sprit zu billig findest, liegt auch irgendwie in der Natur der Sache 🙂
Nur, ein Raucher kann jederzeit aufhören zu rauchen – bei den Autofahrern gibt es welche die darauf angewiesen sind um zur Arbeit zu kommen – nicht jeder hat die Möglichkeit in Fuß- / Fahrradweite zur Arbeitsstelle zu ziehen oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
Der nächste Punkt ist mein absolutes Unverständnis wie man dafür Tankstellenpreise bezahlen kann (Ich nehme Zigaretten mal raus, die sind überall gleich teuer). Jedesmal wenn ich eine Tankstelle betrete, sehe ich Leute die dort Getränke, Lebensmittel, etc. einkaufen, Dinge die es in normalem Supermarkt zu einem Bruchteil des Preises gibt.
Sind die Leute denn unfähig oder zu faul sich zu organisieren? Gerade in Berlin sollte es doch problemlos seinen seinen Vorrat an Alkohol / Cola / Brot (was auch immer) rechtzeitig an einem Supermarkt zu kaufen.
Sicher, jetzt kommst du wieder mit dem Freiheitsargument. Aber wer sich dann diese Freiheit nimmt, darf nicht jammern oder sich beschweren dass er zu wenig Geld bekommt oder alles zu teuer ist.
Ich habe mit Sicherheit mehr Geld als ein Bezieher von Sozialleistungen zur Verfügung – aber einkaufen an der Tankstelle (Abgesehen von Sprit, Zeitschriften) könnte ich mir auf Dauer definitiv nicht leisten. Dorthin mit dem Taxi zu fahren setzt dem dann noch die Krone auf.
@Methadir:
Bei der Bildung stimme ich Dir übrigens zu. Die ist definitiv zu unterbewertet.
@Daniel:
Das mit dem Auto war nicht geschäftlich gemeint. Es ist schlicht unökologisch und dieser Teil der Gesamtrechnung ist nicht eingepreist. Das ist da mein Argument. Nicht, weil ich in einer autoärmeren Welt selbst mehr fahren könnte 😉
@all:
Was hier langsam ein bisschen in Vergessenheit geraten zu scheint:
Der Typ machte einen verlotterten Eindruck, aber ich hab keine Ahnung, ob der Kerl nicht vielleicht auch steinreich war und nur keinen Bock hatte, sich zu rasieren. Genauso wenig hat er sich beschwert, dass er kein Geld hätte.
Umso fieser ist eben auch, jetzt über einen Typen, der vielleicht überhaupt nicht zu besagter Gruppe der Leistungsempfänger zählt, irgendwie zu argumentieren. Ich hab auch noch nie jemanden gehört, der sich beschwert hat, er könne sich zu wenig Bier an der Tanke von ALG2 kaufen. Hier wird ein Fehlschluss nach dem anderen begangen:
Aus
A) es gibt Sozialleistungsempfänger, die sich Drogen kaufen und
B) es wird eine Erhöhung dieser Sätze diskutiert
lässt sich nicht ableiten, dass
C) mehr Geld für Drogen gefordert wird.
Ich rauche ja z.B. selbst. Und mein Geld ist am Monatsende weg. Würde ich nicht rauchen, könnte ich damit allerdings eine Menge Dinge tun, die MIR bislang nicht wichtig waren – ANDEREN vielleicht schon. Mal essen gehen, im Club feiern, Reisen, neue Möbel, ein Auto unterhalten usw. usf. Wenn sich jetzt ein Taxifahrer über unsere niedrigen Löhne beschwert, weil es uns nie zum Urlaub machen reicht – ist das dann ungerechtfertigt, weil ich mir davon vielleicht eine Stange Kippen mehr kaufe?
Ich wollte nicht sagen, dass ich mehr Geld für Drogen fordere. Ich wollte sagen, dass sich Leute, die süchtig sind, immer ihre Drogen kaufen werden, egal, ob sie dann noch genug Geld für Essen haben. Und man deshalb nicht daraus dass sich jemand Drogen kauft, schließen kann, dass er noch genug Geld hat.
Abgesehen davon hat sicher auch ein gutverdiender Arzt nach der Nachtschicht das Recht, am Silvestermorgen beim Bierkaufen in der Tankstelle unrasiert aufzutreten, ohne dann gleich für einen süchtigen Hartz-IV-Empfänger gehalten zu werden 😉
Um die Stimmung hier etwas aufzulockern : 7 Bier sind auch ein Schnitzel 🙂 alles Gute euch für 2013 …
@Rosa:
Dir wollte ich da auch nichts unterstellen!
@Der Olli:
Danke, Dir auch! 🙂