Vorführmodell

Dank der gesperrten Karlshorster Straße kam ich gar nicht ohne Umweg bis nach Rummelsburg. Dass diese Tour so ein Glücksgriff sein sollte, ahnte ich aber nicht. Denn am Wochenende ist zwar immer irgendwo Party, aber dass die zwei verstrahlten Jungs ausgerechnet zu einem Open Air wollten, das bereits um 23 Uhr – kurz nachdem wir dort aufschlugen – beendet sein sollte, war Glück. In Berlin alle Veranstaltungen im Überblick zu behalten ist fast unmöglich und ich wäre sicher nicht einfach so auf Verdacht bis fast nach Schöneweide gegurkt, nur um mal zu gucken, was da geht. Aber ich sah dann, dass ein paar Kollegen bereits dort rumstehen und das ist meist ein gutes Zeichen. Also hab ich mich angestellt.

Zunächst war ich ein bisschen enttäuscht vom Publikum dort. Zuerst wollten mich 7 Leute mit ziemlich überheblichem Tonfall davon überzeugen, dass ich sie ja wohl schon alle mitnehmen könnte – mit dem irgendwie für mich sehr zwiespältigen Argument, dass das ja voll ok wäre, weil es nur so eine kurze Fahrt sei. Aber auch wenn ich in Besitz eines gültigen Staplerscheins bin: mir sind solche Fahrten nicht erlaubt. Und schon dreimal nicht, wenn ich sie machen muss, um nicht uncool zu sein.
Als nächstes wurde mein Auto dann einige Zeit verschmäht, weil die Leute lieber Mercedes fahren wollten. Das ist prinzipiell natürlich ok, ich bin nach wie vor ein Fürsprecher für die freie Fahrzeugwahl durch die Kunden. Aber ein bisschen denkt man in solchen Momenten dann doch darüber nach, was die Leute denken würden, wenn ich sie stehen lassen würde und doch lieber die hübschen Frauen oder die schwerreichen Typen einsacke, die mir irgendwie als Kundschaft besser gefallen würden.

(sind übrigens beides nicht ernsthaft die Kriterien, nach denen ich wählen würde, aber es veranschaulicht die Sache ganz gut.)

Aber wie meist, wenn es mal nicht so läuft, kam die Erlösung in Form eines sehr sympathischen Menschen. Er wirkte reichlich verpeilt, aber transportabel. Beliebt gemacht hat er sich gleich vor dem Einstieg, als er einen Blick ins Auto warf und mich fragte:

„Nimmste mich mit oder warteste eigentlich auf ’ne Großraumtour?“

„Nee Quatsch, steig ein!“

Das ist meine Kundschaft: Die, die man vom äußeren nie für Taxikunden halten würde, die aber letztlich durch Freundlichkeit und Verständnis auffallen. Er hatte auch eine gute 20€-Tour bis in die City zu bieten. Zumindest vorläufig. Er telefonierte noch ein bisschen hin und her und es wurde klar, dass er in einer Zwickmühle steckte: Auf der einen Seite hätte er locker noch zwei bis drei Verabredungen zum Weiterfeiern gehabt, auf der anderen hatte er bereits 24 Stunden Party hinter sich und freute sich aufs Bett. Und, wer soll in solchen Momenten bei der Entscheidungsfindung helfen? Der Taxifahrer, na klar!

Zunächst  versuchte er irgendwie, sich von der Rückbank aus im Spiegel über dem Beifahrersitz zu erkennen und zu bestimmen, ob er noch partytauglich wäre. Das misslang allerdings wegen unzureichender Lichtverhältnisse und er fragte mich, ob ich denn der Meinung sei, er würde noch „gut genug aussehen, um wohin zu gehen, wo ich mich präsentieren und vorführen muss“.

Schon der Verkehrslage wegen musterte ich ihn nur kurz und war dann aus Prinzip diplomatisch unschlüssig. Bei jeder WG-Party wäre er nicht weiter aufgefallen, auf der anderen Seite sah man schon, dass die Haare etwas speckig und die Klamotten nicht mehr frisch gebügelt waren. Er nahm es dankbar entgegen, dass ich nicht umgehend rumgeflippt bin und sein Äußeres gelobt habe und befand sich des Bettes eher für würdig.

Und das Bett stand dankenswerterweise auch weiter weg als die Party es gewesen wäre. Ich hatte also auch etwas davon. 😉

3 Kommentare bis “Vorführmodell”

  1. Micha I sagt:

    wie geil. Ich stell mir grad vor, wie Du Kunden „aussortierst“.
    ala: du kommst hier nix rein….

  2. elder taxidriver sagt:

    ‚Verschmäht‘: Wunderschönes Wort. Habe es erst einmal überhaupt von einem Taxifahrer gehört, vor dreißig Jahren.
    Und seither nie vergessen. Der war studierter Historiker, fuhr ausdauernd nur nachts und meinte, als ich ihn mal morgens
    im Waschsalon entdeckte : Ich weiß gar nicht ob es überhaupt noch einen Staat gibt..

  3. Sash sagt:

    @Micha I:
    So betrachtet klingt das tatsächlich lustig 🙂

    @elder taxidriver:
    Dass das Wort so selten ist, hätte ich nicht erwartet. Zugegeben, mündlich verwende ich es auch eher nicht – aber geschrieben „ständig“.

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