Bevor ich vorletztes Jahr das erste Mal an Silvester gefahren bin, haben mich die Kollegen nicht nur vor den Kotzern gewarnt, sondern viel mehr auch vor den Unglücklichen. Nicht etwa, weil sie gefährlich wären, sondern weil sie einem gehörig die Laune verderben können an diesem sonst so wundervollen Tag für uns.
Ich hatte damals auch umgehend eine ziemlich deprimierte Frau im Auto, mit der ich just die längste Fahrt des Abends hatte und richtig froh war, danach wieder kurz vor dem Ausfall stehende betrunkene Jugendliche zu befördern. Aber ja: Der Jahreswechsel lädt einen ja nicht nur zum Feiern ein, sondern auch zum Nachdenken, was man in den letzten 12 Monaten so zustande gekriegt hat. Dass der Abend eher weniger schön ist, wenn ein Jahr im Rückblick nur aus zerbrochenen Beziehungen und toten Verwandten besteht, kann ich nachvollziehen.
Eher selten sind allerdings die Leute, denen die Silvesterfeiern selbst auf den Zeiger gehen – von den Hardcore-Spaßverweigerern mal abgesehen. Mich ereilte das diesjährige Glück kurz vor meiner Haustüre, als ich mich gerade auf eine Pause gefreut hatte. Aber ich kann ja nicht nein sagen, wenn man mich nett fragt, ob ich nicht noch vielleicht kurz…
Die Fahrt war tatsächlich nicht lang, vielleicht 3 Kilometer, etwas das mir an Silvester immer gut gefällt. Da es an Kundschaft eh nicht mangelt, erhöht das Stunden- und Kilometerschnitt doch beträchtlich.
Jedenfalls wollte er nur in eine Hochhaussiedlung unweit meiner Heimat und das Gespräch landete recht schnell bei der Feier. Er hätte keinen Bock mehr und geht jetzt „nach Hause“. Was aber gar nicht zu Hause war. Er hat sich hier eine Wohnung für eine Nacht angemietet, denn er war extra aus Frankfurt am Main wegen Silvester zu seiner Freundin gefahren.
Ich hab mich kurz umgeschaut, keine Freundin gefunden und besser mal nicht gefragt.
Dann hat er selbst ausgeholt zum Erzählen: Er ist ein wenig verspätet angekommen, dummerweise war er damit so ziemlich der einzige nüchterne Mensch auf der Party. Seine Freundin war bereits so nahe an komatösen Zuständen, dass sie weder geradeaus gucken, noch ihn ernsthaft erkennen würde. Ihm ist das also tierisch auf die Nüsse gegangen und er hat sich gefrustet auf den Heimweg gemacht. Ich hab ihn mit ein paar Allgemeinplätzen des Bedauerns bedacht, wurde dabei jedoch von seinem Telefon unterbrochen. Zunächst rief die Freundin an, was er nach einer Minute abbrach, da sie ihm offenbar nicht sinnig oder überhaupt wie begründen konnte, weswegen er umkehren sollte.
Eine Minute später klingelte es wieder. Das Gespräch dauerte ähnlich lange, mein Fahrgast beendete es mit den Worten:
„Na das schaffste auch noch, wenn ihr so weitermacht!“
Etwas zögerlich hab ich gefragt, ob es schlechte Neuigkeiten gäbe. Er hat seine Stirn in Falten gelegt, als wüsste er selbst nicht so genau, was er davon zu halten habe. Dann sagte er:
„Ach, das war einer von den Typen, die vorher schon so furchtbar an meiner Freundin rumgebaggert haben. Und jetzt erzählt der mir hier wunder weiß was über sie. Soll er sie doch abschleppen, ist mir jetzt auch egal!“
Dann ist er mit einem gequälten Lächeln auf den Lippen ausgestiegen und hat mir ein sattes Trinkgeld vermacht. Ich hab gequält zurückgelächelt und mich innerlich gefreut, dass mein Jahr damit dann doch etwas besser anfängt…
