Ziellos im Taxi

Es gibt Zeichen dafür, dass Kunden nicht von der einfachsten Sorte sind. Zum Beispiel, wenn sie aus einem Taxi aussteigen und dann zum Taxistand kommen. Das muss natürlich nicht gleich das Schlimmste bedeuten, aber ein wenig komisch ist es im Allgemeinen schon. Im Extremfall hat der Kollege sie rausgeschmissen oder aus dem Auto rausdiskutiert, vielleicht haben sie aber auch einfach keine Ahnung.

Diese Freude hatte ich am Samstag Abend.

Die beiden betrunkenen Gestalten hab ich eben genau aus oben genanntem Grund erst einmal nicht wahrgenommen. Sie sind gerade aus einem vorgefahrenen Taxi ausgestiegen. Dass sie da an der Taxihalte vor sich hingeschwankt sind, schien ich erst einmal nicht für sonderlich interessant zu halten.
Als sie ihre tadellose Bewerbung zum Berufspendel allerdings direkt vor meine Wagentüre verlegt haben, hab ich sie doch mal näher angesehen.

Die beiden wirkten wie ein etwas alternatives Vorzeigepärchen beim Clubhopping. Die Klamotten in gedeckten Farben waren bereits leicht verdreckt, ansonsten sahen sie in ihrer Betrunkenheit geübt aus. Also schätzte ich, dass sie entweder freiwillig einen Teil ihrer Zeit auf dem Boden verbracht haben, oder auf einen unfreundlichen Türsteher gestoßen sind. Beide grinsen noch ziemlich zufrieden, und wenn man bedenkt, dass es den Abend über geregnet hat, könnte man in ihrem Zustand tatsächlich schlimmer aussehen.

„Was kossn zur Haburer Chaussee?“

„Harburger? Oder Haburer oder wie?“

„Harburger…“

„Hmm, ist mir jetzt erst mal unbekannt. Sorry, da müsste ich mein Navi fragen.“

Kollege Jürgen stand neben mir und überlegte auch fieberhaft. Ihm sagte die Straße auch nix. Ich hab mich also kurz in den Wagen geworfen und das Navi befragt. Aber: Möööp! Gibt es nicht. Zumindest nicht in meinem Navi. Ich hab ernsthaft überlegt, das erste Mal seit einem Jahr den Stadtplan rauszukramen, da der aktueller ist.

„Wo soll das denn genau liegen?“

fragte Jürgen.

„Inn Norden.“

„Also Pankow? Oder noch weiter? Außerhalb?“

Die Antwort schuldig geblieben stiegen sie bei mir ein und zwangen mich dazu, sie zu bitten, ihre Ansage zu konkretisieren.

„Fahr ersma los, wir zeigen dirs!“

„Ja, aber in welche Richtung denn genau? Seid ihr beim Straßennamen sicher? Harburger Chaussee?“

„Klar, da wohn ich doch!“

„Was ist denn da die nächstgrößere Hauptstraße in der Nähe? Mir sagt das nämlich wirklich nicht einmal grob etwas!“

„Ey sachma! Jeder Hamburger Taxifahrer kennt die Harburger.“

Ich hab sowas ja fast schon befürchtet:

„Ihr beiden Dösbaddl wisst aber schon, dass ihr in Berlin seid, oder?“

„Ja, is mir doch egal. Bring uns doch einfach hin. Wir zahlen das ja auch!“

„OK, mal Butter bei die Fische: Es gibt nichts, was ich lieber täte, als euch nach Hamburg zu fahren. Aber das wird eine verdammt lange Fahrt und die kostet ein Schweinegeld. Wenn ich das machen soll, dann ist gut. Dann brauche ich aber auch Geld. Und zwar zumindest zum Teil im Voraus! Bei so einer Strecke brauche ich einfach eine Sicherheit, nichts für ungut!“

„Ok, is kein Problem!“

flötete sie von hinten rechts und reichte mir aus einer neuen Schachtel zwei Zigaretten. Das wird haarsträubend! Ich bin mal wieder Trottelmagnet, super! Ich drückte ihr die zwei Zigaretten in die Hand, und bei der Entgegennahme zerknickte sie eine davon. Logischerweise wollte sie die gleich im Taxi entsorgen. Ich hab sie aus dem Fußraum gefummelt und ihr in die Hand gedrückt:

„Leute, so nicht! Steck die Kippen mal wieder ein! Nochmal von vorne: Ihr seid in Berlin. Deutsche Hauptstadt, knapp 300 Kilometer von Hamburg weg. Ich könnte… sach mal! Kannst du bitte aussteigen, wenn du eine rauchst. Ich rauch hier drin auch nicht!“

Der Typ mit den schon leicht speckigen Haaren sah mich ratlos an:

„Aber ich bin eingesperrt. Die Tür geht nicht auf…“

„Ja, das ist die Kindersicherung. Momentan vermute ich zwar eher, die sollte das Öffnen von außen verhindern, aber warte kurz…“

Nicht sonderlich begeistert ist er ausgestiegen und ich konnte meinen Monolog gegenüber der jungen Dame fortsetzen:

„So, also. Ich bringe euch beide gerne nach Hamburg, aber das wird teuer. Ich würde es nicht empfehlen.“

„Dann bring uns doch in nen Club!“

„Ein Club? OK, warum nicht? Welcher denn?“

„Hmm, wie is mit Fritz-Club?“

„Der Fritz-Club liegt hier direkt hinter uns. Da müssen wir nicht hinfahren.“

„Ehrlich?“

„Ja.“

„Egal, dann geb ich dir einen Euro und penn hier ne Stunde. Is ok?“

„Sorry, für einen Euro ist das nicht ok.“

„Wieviel dann? 10? 20? 30? 40? Is mir egal. Ich zahl, was du willst!“

Bei 40 € hab ich mir ja fast schon überlegt, einzuschlagen. Arg viel besser hätte ich es in der Stadt auch nicht erwischen können. Gemütlich ein paar Zigaretten rauchen, Fotos von schlafenden Betrunkenen im Taxi bei Facebook posten (verdammt, die haben doch neuerdings die Gesichtserkennung 😉 ). Ich stellte mir das eigentlich ganz lustig vor. Aber dann:

„Nee, du fährst uns jetzt einfach nach Hamburg!“

Ganz ruhig bleiben…

„OK, dann Klartext: Wir fahren nach Hamburg. Das kostet, hm… mal überlegen… sagen wir 500 €. Und die will ich nicht erst in Hamburg sehen, sondern hier schon! Wenn ihr mich fragt: Es würde sich lohnen, eine Stunde auf den Zug zu warten.“

Ich weiss nicht, ob das Mädel in dieser Sekunde einfach einen klaren Moment hatte oder eine Halluzination von biblischen Ausmaßen. Jedenfalls riss sie die Augen entsetzt auf und sagte mit einer verständnis- und liebevollen Stimme in bester Pädagogenmanier:

„Boah, das ist echt ziemlich teuer. Ey danke, dass du das gesagt hast. Das ist vielleicht, ich muss mal fragen. Bennniiiii?“

Ihr Begleiter schielte mitsamt Zigarette zum Fenster hinein und sie erzählte ihm von der unglaublichen Weisheit, dass die Fahrt nach Hamburg 500 € kosten würde. Auf die Frage, ob er ihr das zahlen könnte, reagierte er etwas unwirsch:

„Du, wir sind hier schon 4 mal Taxi gefahren. Ich hab bisher schon alles gezahlt. Glaubst du, ich hab noch 500 € dabei? Nee du, hab ich nicht! Müssen wir eben was anderes finden…“

Na bitte! Endlich! Hinter mir waren inzwischen 5 Kollegen, inklusive Jürgen, von der Halte weggekommen. Wurde auch Zeit, dass mein Auto wieder frei wird! Also zumindest, wenn es doch nicht nach Hamburg geht. Darauf hätte ich ja schon noch ein Weilchen warten können 🙂
Kaum dass sie das Taxi auch verließ, stieg mir vorne gleich neue Kundschaft ein und ich hatte eine bequeme 15€-Tour ein paar Kilometer ums Eck. Und ich war damit nicht sonderlich unzufrieden. Als dieser Fahrgast dann ausgestiegen ist, hab ich hinten auf den Rücksitzen erst einmal den halben Strand entfernt, den sie dank ihrer Klamotten auf meiner Rückbank verteilt hatten. Immerhin nur Sand und kein Seetang!

Und eine Schachtel Zigaretten. Eine, aus der genau 2 Stück fehlten.

10 Kommentare bis “Ziellos im Taxi”

  1. Jens sagt:

    Och, immerhin: Lt. Google liegt die Harburger Chausse in Hamburg direkt beim Berliner Ufer und beim Potsdamer Ufer. Und das angrenzende Hafenbecken heißt auch noch Spreehafen: http://goo.gl/maps/vrYL Da kannste doch nen Sonderpreis machen, ist ja fast wie zum Wannsee. 😉

    Nur: Wie kam die bei der Straße darauf, die sei „im Norden“? Im Norden Deutschlands sicher, aber im Norden Hamburgs jedenfalls nicht.

  2. Petra sagt:

    @Jens
    Doch die Harbuger Chaussee liegt im Norden – von Wilhelmsburg / Harburg. Für Hamburger ist alles südlich der Elbe schon Palermo. Und wenn man aus der südlichen „Metropolregion Hamburgs“ = Speckgürtel in die Stadt fährt, landet man in der City von Harburg, nicht am Jungfernstieg.

    @Sash
    Wie gabelst Du bloß immer solche Leute auf? Hast Du dafür einen eingebauten Magneten?

  3. matthias sagt:

    Mach doch ein wenig flotter bei sowas nen derartigen unverbindlichen Kostenvoranschlag. Ich zähle mich zu den recht logischen Menschen, aber nen Taxifahrer der mir sowas unkonkretes sagt wie „zu teuer“ würde ich auch nicht ernst nehmen, schon gar nicht wenn ich betrunken bin. Eine Zahl in Euro ist selbst für jemand betrunkenes meist etwas sehr konkretes (ausser Zahlen bereiten i. A. Probleme). Oh das klingt jetzt wohl so als würde ich Taxifahrer nicht ernst nehmen, aber so ist das nicht gemeint. Unkonkrete Aussagen sind für viele einfach nicht so greifbar, grade wenn man betrunken ist. Andererseits reichts dann wohl nicht mehr für nen Blogeintrag, insofern verwirr bitte weiter deine Kunden 🙂

  4. Da fragt man sich doch, wie deren komplette Geschichte des Abends aussieht.

  5. Chris sagt:

    Mich würde mal interessieren, welche deine weiteste Strecke war, die du bis jetzt gefahren bist?

    So wie der Text klingt, hattest du schonmal die Erfahrung gemacht, nach Hamburg zu fahren?

  6. Tobias sagt:

    Immerhin hat sich das Warten aufgrund der „Trinkgeld-Zigaretten“ für dich gelohnt. Wenn es jetzt noch deine Marke ist, umso besser 😉

  7. Jens sagt:

    @Petra: Ah, danke für die Erklärung. Ich hab’s bei meinen Hamburg-Trips bisher nie weiter südlich als einmal durch den Alten Elbtunnel geschafft.

    Und Sashs Freak-Magnet ist glaub‘ ich beige, hat vier Räder und ein Taxischild obendrauf. 😉

  8. SaltyCat sagt:

    naja, alter elbtunnel war schon die richtige Richtung – der führt ja direkt in den Freihafen. Und wenn du auf der anderen Seite an den grünberockten Männchen vorbei wieder rausgefahren bist, bist du quasi schon fast auf der harburger … 😉

  9. Bernd sagt:

    Für mich hört sich die Geschichte ein bißchen wie ´Impressionen aus dem Irrenhaus an´. Ist diese Jugend zufällig unsere Zukunft???

  10. Sash sagt:

    @Petra:
    Ich weiss auch nicht. Vielleicht bin ich zu gutmütig und höre mir das zu lange an. Andererseits: Ich höre auch oft genug von Kollegen, dass sie es auch nicht besser erwischen 🙂

    @matthias:
    Ich hatte einfach erwartet, dass in einem Taxi die Ansage „falsche Stadt, 300 km…“ irgendwie schon zu der Schlussfolgerung führen könnte, dass es ziemlich teuer wird. Aber gut, manchmal verschätzt man sich eben…

    @Der Maskierte:
    Ich vermute leider, dass sie sich an diese Episode nicht erinnern werden.

    @Chris:
    Nee, ich hatte bei Ferntouren bisher immer Pech. Alle meine Kollegen hatten ausgerechnet von Ostbahnhof – wo ich ja nun oft genug stehe – schon öfter mal was weiteres. Also zumindest mal Frankfurt/Oder, Cottbus oder so.
    Ich selbst bin jetzt in zweieinhalb Jahren noch mit keiner Tour über 80 € rausgekommen. Die Tour hätte zwar auch eher einen Hunni kosten sollen, aber ich hab mich verleiten lassen, den Preis nach der kürzesten Route zu bestimmen und dann die Autobahn genommen…

    @Tobias:
    Klar hat sich das gelohnt 🙂
    Gut, „meine Marke“ war es jetzt eher nicht. Aber wie das so ist: Man nimmt, was man kriegen kann 😀

    @Bernd:
    Ach, besoffen kommt man auf so manche blöde Idee. Ich mach mir da keine Sorgen mehr. Die 20jährigen sind meist oberhacke, die 25jährigen hibbeln ein bisschen auf Koks rum, die 30jährigen gestehen, dass sie nur noch selten weggehen und alle noch älteren schimpfen auf die bösen 20jährigen. So ist das Stimmungsbild bei mir im Wagen, und es lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass die auch alle irgendwann älter und vernünftiger werden…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: