Beziehungskrise auf Russisch?

Manchmal hat man so Fahrten, bei denen man sich sicher ist, dass irgendwas passiert. Und das sind nicht unbedingt die schönsten.

Die Wochenendschicht verlief weitgehend schlecht. Endlich hatte ich Glück mit einer Tour von Friedrichshain bis nach Neu-Hohenschönhausen. Bis dahin sind die Fahrten meist eher innerhalb eines Stadtteils geblieben. Ich war also auf der Suche nach Fahrgästen, die mir innerhalb der letzten anderthalb Stunden noch ordentlichen Umsatz in die Kasse spülen. In Hohenschönhausen. Nee, is klar… 😉

Ich war also auf dem Weg in die Stadt, als zwei alles andere als seriös wirkende junge Männer plötzlich auf der linken Fahrbahnseite aufkreuzten und mich heranwinkten. Gleich zu Beginn war ich skeptisch, da sie sich in bester Räuber-Manier verteilten: Einer setzte sich auf den Beifahrersitz, der andere stieg direkt hinter mir ein. Das hat natürlich nicht per se was zu sagen, aber die Kombination ist selten genug, um sich Gedanken zu machen…

Es waren zwei reichlich alkoholisierte Russen mit einem mordsmäßigen Akzent. Darüber hinaus wirkten sie so mittelprächtig harmlos.

„Fahrs duuns Schonfeld?“

„Schönefeld?“

„Da!“

Dann folgte erst einmal das obligatorische Preisgefeilsche. Ich hab gesagt, dass ich am liebsten die Uhr laufen lassen würde, ansonsten wären 35 € pauschal auch ok. Nach einigem hin und her – während wir allerdings schon gefahren sind – haben wir uns auf 30 € geeinigt. Die Uhr hab ich dennoch mitlaufen lassen. Zur Sicherheit. Wenn mir die beiden Spaßvögel verduften, möchte ich wenigstens was zum Vorzeigen haben.

„Anderes! Brings duuns ’nkstelle!“

„Tankstelle? Welche?“

„Egal, fahrsdu hier!“

Zwei Minuten später:

„Nein! Fahrsdu Schonfeld!“

Das ist ehrlich kein gutes Zeichen: Den beiden schien das Ziel eigentlich egal zu sein, und so ganz geheuer waren sie mir immer noch nicht. Ich hab dann gegenüber einer Tanke an der Rhinstraße angehalten und gefragt, ob sie jetzt dorthin wollten oder nicht. Es ging ihnen offenbar um einen weiteren Alk-Einkauf, und ich hab sie letztlich überredet, kurz zur Tanke zu gehen, und dann weiterzufahren. Das war tatsächlich eine strategische Entscheidung. Zum einen hab ich zu dem Zeitpunkt gehofft, dass sie vielleicht doch gleich endgültig aussteigen würden. Dann würde ich zwar kaum Kohle verdienen, mir allerdings viel Stress mit wechselnden Zielen ersparen und bräuchte mir gar keine Sorgen bezüglich eines Überfalls machen.
Sollten sie doch weiterfahren… naja, sagen wir es so: Ich hab sie direkt vor einer Videokamera an der Tanke aussteigen lassen und meine Tageseinnahmen sowie Handy und Kamera in den größten Tiefen meines Autos versteckt. Als sie dann erfolgreich mit Erdbeerlikör (!) wieder ankamen, hätten sie mir höchstens noch 40 € Wechselgeld abnehmen können 😉

Jetzt, da sie mit Lebenselexier ausgestattet waren, war die Stimmung aber gleich viel besser. Ja, es wurde tatsächlich sogar eine recht nette Fahrt. Der eine ist gleich eingeschlafen und der andere hat sich wie so viele Kunden interessiert am Taxifahren gezeigt. Er hat mir dann auch das Ziel genau definiert, und ich hab bei einem Blick aufs Navi feststellen können, dass die vereinbarten 30 € dafür völlig ok waren. Letztlich sollte ich die Uhr etwa einen Kilometer vor dem Ziel ausschalten.

Viel interessanter wurde allerdings die Situation der beiden. Denn sie sind nur mit dem Taxi unterwegs gewesen, weil sie sich mit mindestens einer ihrer Freundinnen gestritten hatten. Selbige war offenbar ein paar Stunden zuvor wutentbrannt mit dem Auto des einen davongeprescht – nach dem die beiden großkotzig verkündet hatten, sie würden eben heimlaufen. Die zwanzig Kilometer…

Als wir mehr oder weniger in der Einflugschneise zu ihrer Heimat waren und er inzwischen mit seiner Freundin „telefoniert“ hat (sie hätten sich wahrscheinlich bei der Lautstärke das Telefon sparen können), bekam ich noch ein paar unwesentliche Details zu hören.

1. Die Wohnlage:

„Is Plattenbau. Aber bessere. Nicht dass du denkst, hier Ghetto und so!“

2. Mein Geld:

„Haben wir nix Geld. Kriegsdu von Freundin! Keine Angst, klappt sicher!“

3. Verhaltenstipps:

„Vielleicht hälst besser bisschen weiter. Egal was passiert: Nicht wegfahren. Kriegst du Geld! Wird sicher nix schön. Wir kriegen große Ärger!“

Puh! Na heilige Scheiße! Bezahlen soll mich also ausgerechnet die Freundin, mit denen die beiden gerade den offensichtlich größten Streit ever haben. Konnte mir ja nix besseres passieren… 🙁

Am Ziel angekommen bekam ich erstmal eine Zigarette aufgedrängt. Der Schlaftrunkene wachte erst nach dem Herausziehen aus dem Auto durch seinen Freund langsam auf, selbiger war hochnervös und ermahnte mich immerzu, ich solle auf alles gefasst sein.
Dann öffnete sich die Tür und mit stampfenden Schritten stürmte eine schon reichlich abgeschminkt aussehende Freundin geradewegs auf mich zu. Für einen kurzen Moment hab ich mir echt überlegt, ob ich der Situation nicht besser bewaffnet hätte begegnen sollen. Die beiden Jungs würdigte sie keines Blickes, und entgegen der ersten Erwartungen stoppte sie vor mir. Sie holte ein Portemonnaie heraus und fragte mit echter Höflichkeit aber aufgesetzter Beherrschung:

„Was kriegen sie denn?“

„Wir haben 30 € ausgemacht.“

„Bitte.“

Das war es dann. Ich war sicher und ich hatte mein Geld. Die Freundin stampfte wutentbrannt und immer noch ohne die Jungs anzuschauen oder auf deren Beschwichtigungen, Vorwürfe, Begrüßungsfloskeln und Lallereien zu achten davon.

Die beiden Helden der Nacht schlichen gesenkten Hauptes hinterher und bereiteten sich seelisch auf „große Ärger“ vor.

Und ich? Nix wie weg! 😀

15 Kommentare bis “Beziehungskrise auf Russisch?”

  1. […] wie schön ist Plattenbau: Sash hat da mal ein paar russischstämmige Mitbürger mit dem Taxi zurück in ihr Nest […]

  2. cyberjoker sagt:

    Keine Sorge, Russen sind (meistens) laut aber harmlos!

  3. highwayfloh sagt:

    Jo, da würde mir an Deiner Stelle auch erst mal mulmig sein.

    Kommt ja leider immer wieder vor, dass Taxifahrer/innen ausgeraubt und auch ermordet werden.

    Wie ist das bei Euch! Habt Ihr einen Alarmknopf im Auto? Mir ist natürlich schon klar, dass der nichts mehr nützt, wenn dann der „Fahrgast“ urplötzlich einem ein Messer an die Kehle hält.

    Ich wünsche Dir (und natürlich auch allen anderen Taxifahrer/innen), dass Du niemals in eine solch brenzlige Situation gerätst.

  4. Jens sagt:

    Nach all den Postings, die einen neidisch auf Deinen Job machen könne, ist ein bisschen „Gegengift“ doch auch immer mal ganz gut. 😉

  5. Sash sagt:

    @cyberjoker:
    Das trifft auf fast alle Menschen – und die sprichwörtlichen Hunde – zu 🙂

    @highwayfloh:
    Ja, wir haben verpflichtend eine Alarmanlage eingebaut. Ansonsten: Ruhig Blut! Ich hab bei den beiden wegen verschiedenster Dinge über einen Überfall nachgedacht, ansonsten ist der Gedanke weit, sehr weit weg. Alles weitere ist Hoffen auf die Menschenkenntnis, Verhandlungsgeschick, Deeskalationsstrategie und das Wissen, dass die meisten eigentlich nur Geld wollen…
    Und danke für deinen Wunsch!

    @Jens:
    Das eine wie das andere gehört dazu. Ist nunmal so – wie überall sonst auch. So lange man im Nachhinein noch was zu lachen und zu bloggen hat, geht es ja noch 🙂

  6. Nihilistin sagt:

    ERDBEERLIKÖR? ERDBEERLIKÖR? ERDBEERLIKÖR?
    Das waren keine Russen. Das waren als Russen verkleidete 18jährige aus Delmenhorst-Süd oder Coswig-Nord, die das erste Mal in der Großstadt unterwegs waren und sich erst als Russen verkleidet getraut haben, statt Wodka und Rum lieber ihren geliebten Erdbeerlikör zu kaufen.
    🙂

  7. Christian sagt:

    Puh, also das hört sich ja schon ganz schön spannend bzw. (in Deiner Lage) zunächst etwas beängstigend an. Nur gut, dass nichts passiert ist. Ich kann Jens nur beipflichten, durch solche Stories wird dem Laien vor Augen geführt, dass der Taxifahrer-Job auch unschöne Seiten hat. Ich möchte auf jeden Fall nicht in Deiner Haut stecken, wenn man solche Typen aufnimmt und dann berechtigte Sorge wegen eines Überfalls hat.
    Ist Hohenschönhausen tatsächlich ein so mageres Auftragsgebiet? Ich weiß nämlich nur, dass ich morgen abend dort sein und irgendwann abends/nachts ’ne Taxe nach Mitte benötigen werde. Soweit ich das einschätzen kann, dürfte das keine allzu schlechte Tour sein. 🙂

  8. reasoner sagt:

    Manno. Einer vorne, einer hinter dir, das ist wirklich genau das, wovor alle warnen. Ich weiß nicht, ob das irgendwie belegt ist, aber da geht einem die Muffe. Bei mir wäre das jedenfalls so.

    Hoffentlich hat das Weibsstück den beiden noch ordentlich den Marsch geblasen.

  9. Sash sagt:

    @Nihilistin:
    Vielleicht will ich es gar nicht wissen. Aber sie haben glaubhaft gewirkt 🙂

    @Christian:
    So lange letztlich alles ok ist – am besten noch wie hier, wo ich die bösen Gedanken echt kurz nach der Tanke verwerfen konnte – dann passt das schon. Ich sag mir immer, dass Bankangestellte und Tankstellenmitarbeiter damit ja auch leben müssen.
    Zu Hohenschönhausen: Das kommt auf den Ort, die Uhrzeit, eigentlich auf alles an. Aber ich würde nicht speziell dorthin fahren, um nach Winkern zu suchen, das muss ich schon zugeben 🙂
    Und wenn du ein Taxi brauchst: Meine Nummer steht unter Kontakt. Ich kann zwar nicht versprechen, dass ich Zeit hab oder in der Nähe bin, ansonsten komme ich gerne vorbei 😉

    @reasoner:
    Naja, es ist die günstigste Kombination für einen Überfall. Man gewöhnt sich daran, rational zu bleiben…

  10. Erdbeerlikör… da dreht sich mir ja schon beim Lesen der Magen um.

    Kein Wunder, dass die Freundin bei solchen Schweinereien nicht mit macht.

  11. Christian sagt:

    Wow, danke für die Story – erst etwas erschreckend, dann doch ziemlich lustig :-). Übrigens, cooles Foto rechts oben!

  12. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Ja, ist doch auf Dauer etwas klebrig… 😉

    @Christian:
    Schön, wenn es gefällt 🙂
    War aber eigentlich halb so schlimm. Man härtet ab…
    Und wegen des Fotos: Äh, danke!? 🙂

  13. Christian sagt:

    Hi Sash!
    Sorry, dass ich Dich nicht gerufen habe, aber ein Kollege hat uns mit nach Mitte genommen. Habe mir Deine Nummer aber abgespeichert, denn ich werd sicherlich noch öfters in Berlin sein.
    Bis dahin les‘ ich fleißig beim Blog weiter, denn Deine Geschichten sind spannend und immer wieder unterhaltsam geschrieben.
    VG
    Christian

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