Der Mike, der Sash und die Einsamkeit

Manchmal wird man wirklich auf eine harte Probe gestellt.

Ich hab sie mitten in Friedrichshain auf der Straße aufgegabelt. Auf dem Weg von nirgendwo nach irgendwo. Sie grinste ein wenig schief, fragte mich, ob es ok sei, dass sie nur eine Kurzstrecke fahren wollte und nannte ihr Fahrtziel. Es war nicht sonderlich weit, nur einmal abbiegen, rein technisch kein Thema.

Sie war schon etwas älter, blond, zierlich und hatte gewaltig einen im Tee.

Sie lallte ein wenig, holte mit den Augen weit aus, wenn sie einen neuen Satz begann, und das tat sie mit einer verblüffenden Frequenz. Aus irgendeinem nichtigen Grund sind wir auf meine 2 Meter Lebendgröße zu sprechen gekommen und da packte sie dann die Erinnerung.

„Weißt du, wissen sie, darf ich du sagen?“

„Klar, kein Thema!“

„“Naja, ich bin ja schon älter, da darf ich das. Du erinnerst mich an Mike.“

Das ist nicht gut, das ist gar nicht gut…

„Weisst du, Mike war ein Freund, den ich vor einem Jahr verloren hab.“

„Das tut mir leid!“

„Und naja, Mike war genau wie du. Der war auch so groß und kräftig und so gut gelaunt.“

Was antwortet man auf sowas? Mir ist nichts eingefallen. In was für einer Beziehung sie zu Mike genau stand, weiss ich bis heute noch nicht, aber getroffen hat es sie offenbar. Das Fahrtziel wurde nochmal ein paar hundert Meter verschoben, für einen letzten Drink in einer anderen Kneipe, und die letzten beiden Minuten wurden seit einiger Zeit die längsten zwei Minuten im Taxi für mich.

„Darf ich noch was sagen?“

fragte sie, als ich am Ziel anhielt.

„Aber selbstverständlich. Hektik lassen wir so spät nicht aufkommen. Ich bin auf der Arbeit, nicht auf der Flucht!“

Ich bin zu gutmütig, verdammt. Ich hab nen wichtigen Termin, ich muss weg, meine Frau ist schwanger, mein Kind stirbt. Aber nee, ich sage, ich habe Zeit 🙁

Und jetzt rast die Zeit bei allen bitte mal zurück zu all den peinlichen Situationen auf dem Pausenhof, im Klassenzimmer, im Schwimmbad, zu den Kindergeburtstagen in die Wohnzimmer von fremden Eltern. Zu jenen Momenten, in denen man man noch gar keine Ahnung hatte, was man eigentlich will, aber das jemand anders unbedingt mitteilen muss. Zu den Momenten, in denen man erstmals feststellt, dass Augen nicht nur zum Raus-, sondern auch zum Reinsehen da sind. Zu Momenten, die meist mit dahergestammelten Satzfragmenten à la „Du, weisst du, ich, ähm, du bist, ich, ich mag dich.“ enden. Oder mit dem anschließendem Wegrennen. Wenn ihr das vor Augen habt, dann könnt ihr euch vielleicht das Rumgedruckse von ihr vorstellen, die Kraft, die sie sichtbar angestrengt aufbringen musste, um folgendes zu sagen:

„Ich, ähm, ich wünsche mir schon lange mal wieder so einen Freund, wie Mike, wie dich!“

Ich glaube, es gibt keinen richtigen Satz in dem Moment. Meiner hat wenigstens funktioniert:

„Das glaube ich ihnen gerne. Wenn Mike so ein guter Mensch war. Aber glauben sie mir: Es gibt einen ganzen Haufen gute Menschen hier draußen.“

„Früher hatte ich viele Freunde wie dich, große, die mich beschützt haben. Es ist komisch. Ich bin jetzt 50, ich weiss ja, dass das nicht mehr so einfach geht.“

„Machen sie sich doch nicht ausgerechnet heute einen Kopf deswegen. Schlafen sie erstmal ihren Rausch aus, und dann sehen sie weiter!“

Ich bin eine Niete im Körbe austeilen. Aber dieses Mal ging es ja ganz gut aus… abgesehen davon, dass es kein Trinkgeld gab. Nach ein paar weiteren Halbsätzen ist sie dann nämlich ausgestiegen, nicht aber ohne ein letztes Kompliment:

„Du siehst wirklich gut aus!“

Jetzt wo ich das schreibe, geht es runter wie Öl, aber in der Erinnerung habe ich es kein bisschen genießen können. Ich war letztlich froh, als sie weg war. Um sie tat es mir leid, aber ja, es gibt sie, diese Momente, in denen es im Taxi einfach zu eng wird. Viel zu eng.

14 Kommentare bis “Der Mike, der Sash und die Einsamkeit”

  1. Der Maskierte sagt:

    Deswegen laufe ich nur noch mit Maske rum. 😉

    Aber die Situation hast du wirklich gut gemeistert.

  2. Nobody sagt:

    Ja du bist einfach nur gut aussehend, hast einen schönen Humor und dann bist du auch noch so kräftig. Hach. 🙂 Ne jetzt aber mal im Ernst.
    Kein Wunder das du von so vielen Frauen die Angebote bekommst doch alternative Zahlungsmöglichkeiten zu finden.

  3. ednong sagt:

    Tja, das Leben ist nicht immer einfach.

  4. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Wieso hast du ne Maske auf? 😀
    Oder hatten wir den schon?

    @Nobody:
    Hey, mach dir mal aus der einseitigen Meinung einer Kundin kein Bild…
    Und die wirklichen „alternativen“ Zahlungsangebote hatte ich bisher noch nicht.

    @ednong:
    Wie wahr, wie wahr…

  5. Aro sagt:

    Aber wahrscheinlich hattest du einfach deine sexy kurze Hose an, so wie heute Nacht. Da werden sie alle schwach 😉

  6. Sash sagt:

    @Aro:
    Da kommense wieder an, die Spione 😀

  7. Der Maskierte sagt:

    @Sash

    Warum liegt da Stroh in der Ecke? 😛

  8. Sash sagt:

    @Der Maskierte:
    Gelobet sei die unergründliche Flachheit des Netzes 🙂

  9. Aro sagt:

    @Sash
    Nö, ich bin aber gerade weggefahren, als (nicht weil!) du angekommen bist.

  10. Der Maskierte sagt:

    @Sash

    Es sinkt für Sie: Das Niveau!

  11. Sash sagt:

    @Aro:
    Na gut, kann ja mal passieren 🙂
    Verdammte Crux mit der nicht vorhandenen Anonymität

    @Der Maskierte:
    Das klingt nach hervorragender Unterhaltung.

  12. […] Man trifft ja nicht nur Leute in Feierlaune bei der Arbeit im Taxi. Ich versuche ja, die Quote recht hoch zu halten, aber man weiss ja nie, wie die Kunden so drauf sind. Manchmal trifft man auch auf ziemlich fertige Gestalten, die nicht nur Redebedarf haben, sondern auch sonst unter jeder Zuwendungsgrenze liegen und das wissen. Den wahrscheinlich schwierigsten dieser Fälle hatte ich Mitte letzten Jahres, das war die Geschichte mit Mike. […]

  13. alex sagt:

    …“dass Augen nicht nur zum Raus-, sondern auch zum Reinsehen da sind“ —> STARK!

  14. […] Ich war ehrlich froh, dass sie in ihre Planungen nicht noch den zufällig vorbeifahrenden Taxifahrer mit einbezog. Denn sowas ist mitunter deprimierender als alles andere. […]

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