Wenn der Wochenendmodus Berufskraftfahrer trifft

Als er vor mir den Blinker links setzte, hab ich schon ein wenig die Augen verdreht. Immerhin ist von der Eberswalder Straße aus das Linksabbiegen in die Schönhauser Allee nicht erlaubt. Wobei mir jetzt nicht nach Prinzipienreiten war, ich ärgerte mich einfach, hinter ihm so lange festzusitzen, bis er durchgelassen wird.
Als er dann das Lenkrad einschlug, war er viel zu früh, ich war mir sicher, er würde wenden. Stattdessen hatte er aber gleich einfach alle Verkehrsschilder übersehen und wollte auf die Fahrspur der Schönhauser, die westlich der U-Bahn liegt – also entgegen der Einbahnstraße.

So langsam bedauerte ich es nicht mehr, erneut vor der roten Ampel zu stehen, das hab ich mir doch gerne noch angeguckt. Als er seinen Fehler bemerkt hat, hat er beim Zurücksetzen noch beinahe eine Ampel umgefahren, was ich in Anbetracht der inzwischen wirklich unübersichtlichen Lage fast noch hätte verstehen können.

Gut, er kam nicht aus Berlin, nicht einmal aus Deutschland, jeder macht mal Fehler. Ich hätte allerdings in dem Moment ungern so viele Fahrgäste gehabt wie der Kollege, er fuhr nämlich einen vollbesetzten Reisebus …

Und sowas höre ich JEDE NACHT!

Wenn es Leute interessiert, wie das Leben als Taxifahrer so ist, dann unterteilen sie sich ziemlich deutlich in zwei Gruppen:

Gruppe 1 fragt, ob das nicht ein total langweiliger Job sei, immer nur hin- und herfahren, kaputte Leute, scheiß Verkehr …

Gruppe 2 ist der festen Überzeugung, als Taxifahrer hätte man jeden Tag mit Spitzenpolitikern, Schwerkriminellen und vor allem natürlich mit Sex zu tun. Gerne auch alles auf einmal. Äh, vergesst den letzten Satz – niemand sollte sich schwerkriminelle Politiker beim Sex vorstellen müssen … 😉

Wen ich mag, das sind die Leute aus der völlig untergehenden Gruppe 3: Die absolvieren gerade eine nahezu durchschnittliche Taxifahrt, erkennen dabei ein oder zwei lustige Dinge und sind dann völlig gefesselt von der Vorstellung, sowas könne einem als Taxifahrer öfter passieren.

Dieses Mal war es eine tiefenentspannte und vor allem völlig müde Truppe aus dem Sisyphos. Seit 30 Stunden wollen sie gefeiert haben, und wer das Publikum dort kennt, weiß, dass das kein Witz war. Sie ließen sich an unterschiedlichen Punkten der Route aussetzen und dabei kam es zu einer wirklich unglaublich lächerlichen Begebenheit:

Person A versprach, sich morgen wegen einer ausgeliehenen Jacke nochmal zu melden und sie vorbeizubringen – und Person B entgegnete, dass sie das doch schon gestern getan hätten und sie die Jacke schon wieder hätte. Aber natürlich ist diese kleine Vergesslichkeit auf Drogen viel lustiger. Und so wandte sich Person B zu mir, stierte mich mit weit aufgerissenen Augen über den Innenspiegel an und meinte:

„O mein Gott, und sowas musst Du JEDE NACHT mit anhören!?“

Nein, nicht. Aber:

„Sagen wir’s mal so: Mir ist an der Fahrt bisher nichts besonderes aufgefallen.“

Und so isses halt: DIE großen Stories passieren selten, selbst uns Taxifahrern. Unsere Zielgruppe sind ja nicht nur Verhaltensauffällige. Aber man kriegt halt irgendwann alles mal mit. Und wirklich ungewöhnlich ist dann halt auch recht schnell nichts mehr – dazu muss man sich schon wie ich bemühen, auch kleine Dinge lustig zu finden.

PS: Das erste Mal hatte ich „Gruppe 3“ in Form von ein paar Mädels, die sich einfach nur darüber unterhalten haben, wie eine von ihnen ein neues Bett gekauft und aufgebaut hat. Wirklich unglaublich … ähm, spannend?

Eine der besten Fragen zu Beginn

Dank unzähligen Taxibloggern inklusive mir ist die Frage „Sind Sie frei?“ in einem begrenzten Kreis ja inzwischen zu einer eher lustig konnotierten Kontaktaufnahme mit dem Taxifahrer geworden. Schließlich sind nur die wenigsten Berufsgruppen mit einem eigenen Lichtzeichen für den Beschäftigungszustand ausgestattet.

Eine der selteneren Variationen hatte ich die Tage am Sisyphos. Ich stand da in froher Erwartung einer Tour von Clubheimkehrern. Natürlich gerne nicht nur für 6,80 € zum Ostkreuz, sondern lieber für einen Zwanni nach Prenzl’berg. Aber es war noch zu früh, es kamen nur Leute an. Schon wieder raus wollte keiner. Ich überlegte schon, ob ich wieder wegfahren sollte, da stoppte vor mir ein Auto und der Beifahrer stieg aus. Und er fragte mich:

„Na, haste Bock?“

Obwohl ich immer mal wieder die Befürchtung hab, damit irgendetwas zuzustimmen, auf das ich ganz sicher keinen Bock habe, hab ich ihn mit freundlicher Geste einsteigen lassen.

Es ging nicht zum Ostkreuz und auch nicht nach Prenzlauer Berg. Es ging nach Lankwitz, nochmal ein knapper Zehner mehr. Zumal mit einem ausgesucht freundlichen Fahrgast (im Übrigen Busfahrer bei der BVG, um einmal mehr ein Klischee zu zersägen), mit dem ich mich äußerst angenehm über unsere Jobs, Berlin und unsere jeweiligen Wohnlagen inklusive Themen wie Gentrifizierung und Löhne unterhalten habe. Die Fahrt endete mit einer von ihm ausgegebenen Zigarette vor seiner Wohnung und den bestmöglichen gegenseitigen Wünschen.

Wer bitte sollte auf sowas keinen Bock haben?

Wie es sein sollte

Der Mai rockt bislang. Das ist sicher den ungewöhnlichen Umständen geschuldet: Erst der erste Mai, dann der Bahnstreik, es sind diesen Monat fünf Wochenenden statt der eher normalen vier –und jetzt kommt auch noch der Herrentag dazu. Das kann alles zu guten Umsätzen führen – wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, muss es das aber nicht unbedingt – umso schöner also, wenn es klappt.

Heute Nacht habe ich nicht gearbeitet. Eigentlich.

Aber durch einen Zufall kam es dazu, dass mich einer meiner Mitfahrer auf der 2925 anrief und mir sagte, dass das Auto bereits ab 2 Uhr nachts ungefähr zur Verfügung stünde. Da meine Pläne sonst nicht sehr umfangreich waren und ich nach wie vor fast jeden einzelnen Euro dankbar begrüssen muss, der irgendwie den Weg in meinen Geldbeutel findet, hab ich beschlossen, „mal ganz kurz“ rauszufahren. Abgesehen vom eventuell anfallenden Umsatz in einer Nacht vor einem Feiertag war da zudem die Aussicht, das Auto ganz geruhsam in der Nacht abzuholen und das nicht vor der morgigen (also heutigen) Schicht tun zu müssen.

Ich hätte auf dieses Rausfahren keine Wetten abgeschlossen. Ich hatte ausnahmsweise mal keine Zeit- oder Umsatzziele, es war ja alles „Bonus“. Aber klar, ein Fuffi sollte es eigentlich dann doch sein, immerhin bin ich extra losgezogen zu einem Zeitpunkt, der für mich der Sonntagnachmittag ist.

Noch ehe ich wirklich gecheckt hatte, wie wirklich toll das alles lief, stand ich nach rund drei Stunden vor meiner Haustüre und hatte (Trinkgeld inklusive) einen glatten Hunni in der Tasche. Und das, ohne dass wie an Silvester haufenweise Menschen verzweifelt ein Taxi gesucht haben. Es hat einfach gepasst für alle Seiten – und es wäre verdammt schön, wenn das nicht ein seltener Ausnahmemoment bleiben würde.

Man könnte (vollkommen zu Recht) sagen, dass es dafür weniger Taxen geben müsste. Ich persönlich hoffe auf das zweite, bessere Szenario: Mehr Party in Berlin. 😀

Wie eine gute Schicht endet

Seit der Tour mit den spendablen SO36-Besuchern waren 15 Touren ins Land gezogen. Für einen Wochenendtag nicht sonderlich viele, aber sie waren länger als der Durchschnitt und so hatte ich meinen Schwan (200 €) voll. Ab Richtung Heimat!
Gut, die Fackel hab ich trotz Morgendämmerung angelassen. Wenn der Tag schon gut läuft …

Und so kam ich tatsächlich am Ostkreuz vorbei und wurde rangewunken.

„Ach ja, wo soll’s schon hingehen?“,

dachte ich einmal mehr.

Was Bullshit ist. Es mag gewisse Wahrscheinlichkeiten geben, nach denen Winker am Ostkreuz in östlicher Fahrtrichtung in Richtung Osten wollen – für eine einzelne Fahrt indes sagt das NICHTS aus!

„Regattastraße.“,

sagte mein Fahrgast.

Ich dachte nach: Grünau, eine lange Fahrt. Nicht direkt zielführend, aber immerhin in den Osten. In diesem Fall Südost statt Nordost – aber da kann man ja trotzdem schnell nach Hause cruisen! Passt also!

„Die in Reinickendorf!“,

warf mein Fahrgast dann ein.

BITTE, WAS?

Aber ja, auch dort gibt’s eine Regattastraße.

Nachtrag: NEIN, NICHT! Fehler meinerseits: Es war wohl nur ein Verhörer und ich hab nicht aufs Straßenschild geschaut. Der Fahrgast meinte die Ragazer Straße. Sorry an alle Kollegen, die jetzt am Suchen waren und danke an @taxijuergen auf Twitter, der mich zum Nachdenken gebracht hat!

Hab ich auch erst durch diesen Fahrgast erfahren. War richtungsmäßig eine mittlere Katastrophe, aber eben auch für gutes Geld. Diese kuriose Taxifahrer-Haltung vor Feierabend („Mist, falsche Richtung – aber immerhin schön weit!“) kam hier voll zum Tragen.

Ich hab es gemacht und dennoch (an angemessener Stelle!) dem Fahrgast mein Leid geklagt. In dem Fall hat sich das sogar gelohnt: Die 24,80 € hat er mit immerhin 28,00 € beglichen.

Dann war aber wirklich Ende. Fackel aus und Sturzflug in Richtung Marzahn! Ich war zwar umsatzmäßig zufrieden, aber eben spät dran …

Wie eine gute Schicht anfängt

„Bringst‘ uns zum SO36?“

„Sicher. Dafür sind wir ja da.“

Eine unspektakuläre Winkertour, knapp ein Zehner vielleicht von Friedrichshain aus, wo ich das Pärchen aufgegabelt hatte. Aber eben genau der Grund, weswegen ich nicht zielstrebig eine Halte ansteuere, sondern über jene Ecken fahre, die winkerträchtig sind.

Es war auch sonst eine 08/15-Fahrt: Nettes Gequatsche, wenig Besonderheiten, mittelprächtiger Verkehr zur frühen Abendzeit. In den meisten anderen Jobs würde man das „Dienst nach Vorschrift“ nennen.

Umso erstaunter war ich, als wir am Ende vor dem SO36 standen. Während der junge Kerl schnell das Auto verließ, drückte die Dame mir für die 9,40 € Fahrtkosten 15 € hin und meinte wie so viele ganz locker:

„Stimmt so.“

Man sollte Touren besser niemals vor dem Ende bewerten. 🙂

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Die Konkurrenz untereinander

oder 2:1

Es gibt zwar wahrlich aufregendere Themen am Taxistand, aber natürlich unterhält man sich über gute Fahrten, die Umsätze, das Geschäft. Und man neckt sich auch mal.

Da ist zum Beispiel Kollege Rolf, der unter uns Nachtfahrern einen Ruf wegen dauernder Fernfahrten weg hat. Er war es, der beim Sturm Niklas nach Hamburg weggekommen ist – und als ich einmal nach Cottbus gefahren bin, hatte er denselben Fahrgast am nächsten Abend auch nochmal.

Und dann bin ich am Samstag an den Ostbahnhof rangefahren und der Kollege steht da und erzählt einem anderen, dass er vorher eben vom Ostbahnhof bis nach Zehlendorf gekommen sei.

„Na Rolf“,

warf ich ein,

„Da biste heute aber nicht der mit der weitesten Tour gewesen. Ich komm‘ grad aus Fürstenwalde.“

Das war nicht gelogen. Ich hatte aus heiterem Himmel einen Bahn-Coupon bekommen. Letzter Abend des Streiks und so.

Nun ist die Glückspilzeritis bei Rolf aber derart akut, dass er 10 Minuten später vor meinem Auto steht, einen Bahncoupon hinhält, auf dem „Ostbhf – Fürstenwalde“ steht und meint:

„Na Kollege, haste so einen bekommen vorher?“

„Ja. Und äh … der jetzt?“

„Der is‘ von meinem Kunden. Der raucht gerade noch eine …“

Der Kerl ist nicht zu toppen! Keine Ahnung, wie er das macht.

Kaum dass Rolf weg war, kam ein anderer Kollege und fragte mich, wie’s an der Halte laufen würde. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass es so mittel sei, aber Coupons nach Fürstenwalde im Spiel seien. Also hat er sich angestellt und wir haben gequatscht. Er meinte, dass er so eine Fahrt auch noch brauchen könnte jetzt, der Umsatz war bis dato nicht so dolle; während ich darüber sinnierte, ob irgendwer schon mal zwei lange Umlandstouren in einer Schicht hatte. Und als den Kollegen ein potenzieller Fahrgast etwas fragt, erscheint wie aus dem Nichts plötzlich eine junge Frau neben mir, hält einen Coupon hoch und fragt:

„Fürstenwalde?“

Die Frau hat die einstündige Fahrt gemütlich schlafend auf dem Beifahrersitz verbracht und ich hab mich, so langsam kurz vor Feierabend, auf die dunklen Landstraßen im Wald konzentriert. Einmal musste ich allerdings grinsen – und das war, als Rolf mir entgegengefahren kam. Ich kann es kaum erwarten, ihn am Donnerstag wiederzusehen … 😀