„Was war bisher ihre heftigste Taxifahrt?“
Sowas oder sowas ähnliches fragen mich Fahrgäste gerne, oft aber auch Journalisten. Und ich schlängele mich gerne um eine eindeutige Aussage herum, oft ist das ja eine Frage der Umstände und gerade Vokabeln wie heftig (aber auch krass, schlimm oder eindrucksvoll) lassen sich ja oft verschieden interpretieren. Was dann aber gestern Abend passiert ist … ich denke, ich hab jetzt einen Alltime-Favoriten als Antwort.
Ein paar Details muss ich bei der Fahrt weglassen; ich kann aber alle Fragenden beruhigen: Die alles entscheidende Frage hat mein Fahrgast auch nicht beantwortet, nämlich die danach, was eigentlich genau passiert ist.
Als Winker war er das ultimative Von-sehr-gut-auf-hammerscheißegeil-Event am noch sehr jungen Abend. Ich hatte davor nur eine einzige andere Tour, die jedoch hat mich mal schnell von der Frankfurter Allee bis zum ZOB gespült. War leider alles ein wenig eilig, ich konnte den guten Anfang kaum genießen, ein bisschen Ruhe tat gut, ich schlug gleich einen Weg gen Osten ein, scheiß auf die Leerkilometer! Und da stand er dann und wollte immerhin mal bis zum Hauptbahnhof. Bezahlte Rückfahrt, netter junger Kerl, alles easy.
Ja, nix da!
„Tut mir leid, mir geht’s heute nicht so gut.“
„Im Sinne von Ich-muss-vorsichtig-fahren?“
„Nein, passt schon. Aber ich bin, ich werd für lange Zeit in den Knast gehen. Sehr lange Zeit, fuck, mir ist übel!“
Die Blogbarkeit war da schon klar. Jetzt mal einfach für sich gesehen. Gefängnis ist eine harte Sache und ich muss ehrlich sagen, ich stehe dem Konzept durchaus kritisch gegenüber. Vor allem aber isses für mich natürlich ziemlich interessant, mit Leuten zu reden, die damit Erfahrungen machen (mussten). Und obwohl es natürlich seltsam ist, wenn jemand fremdes einem durch die Blume zu verstehen gibt, dass er irgendwas echt schlimmes gemacht hat: Sind nicht eigentlich die unheimlicher, von denen man gar nix weiß?
Aber gut, er saß da, wirkte reichlich mitgenommen und es sah alles danach aus, als ob er gerade irgendwie versucht, den letzten Tag vor dem Haftantritt noch schön zu gestalten. Das aber klappte nur so mittel.
„Weißte, vielleicht muss ich das gerade einfach erzählen, sorry. Aber sagt man nicht, dass Ihr Taxifahrer irgendwie wie Therapeuten seid?“
„Da ist schon was dran, aber ich sag’s gleich: Was uns von Therapeuten unterscheidet, ist: Wir können nicht so gut helfen.“
„Ich hab mein Leben ruiniert, ich werd‘ alles neu anfangen müssen, es ist alles vorbei!“
Wie gesagt: Obwohl er nicht ein Wort darüber verloren hat, was genau passiert ist, kann ich das Gespräch nicht in Gänze schildern. Ein paar Sachen aber doch. Das Überraschendste zuerst: Nix da mit Haftantritt! Was vor ihm lag, war das Stellen bei der Polizei. Aber ja, er sei kriminell, hätte Freunde in den Knast gebracht, die Familie zerstört und was das eigentlich schlimme war: Er war frisch verliebt und wollte eigentlich ein neues Leben beginnen, spießig, mit Kindern, der Druck mache ihn fertig, aber jetzt sei eh alles im Arsch, aus, vorbei, er bräuchte jetzt nur noch in seine Heimat fahren, die würden dort vermutlich schon am Bahnhof warten. Sieben, acht Jahre, wenn’s mal gut geht. Alles verloren, futsch, Ende. Er habe nur noch, was er am Leib trage.
Uff.
Und die Laune war entsprechend. Ihm war kotzübel wegen der bevorstehenden Ereignisse, er wusste nicht, ob er lieber noch zwei Stunden in einem Hotel schlafen oder was essen sollte, seine Tränen sind am Armaturenbrett meines Autos runtergeflossen, der Kerl hatte (was, wenn er die Wahrheit gesagt hat, verständlich war) einen vollständigen Nervenzusammenbruch.
Und auch wenn er was getan hat, wofür er zurecht eine hohe Strafe kriegen wird: So dreckig sollte es Menschen nicht gehen müssen. Der Typ war, wenn’s hoch kommt, 30 Jahre alt, er hat mich ein wenig an einen früheren Mitbewohner erinnert. Hätte er versucht, mich um einen Preisnachlass zu bitten, wäre ich skeptisch geworden, aber so wie er da ohne Grund jammerte, wirkte er glaubwürdig. Hat seine Fehler eingesehen, leider zu spät, und suchte einen Ausweg. Den aber natürlich weder er noch ich hatten.
Das war eine der längsten Viertelstunden meines Lebens. Und seinen Zustand hab ich ja auch hinreichend geschildert.
Ich hab ihn 800 Meter vor dem Bahnhof drauf hingewiesen, dass wir gleich da seien, einfach um ihm die Chance zu geben, sich den Rotz aus dem Gesicht zu wischen, bevor er aussteigt. Er bat mich, ihm ein Hotel zu suchen, oder nein, was zu Essen. Also nach dem Hotel, also vielleicht, aber …
„Mach Du mal, ich kann nicht mehr klar denken!“
Ich hab ihn an ein meines Wissens nach eher günstiges Hotel gefahren, mit Sichtkontakt zum Bahnhof.
„Hier. Sollte bezahlbar sein. Und Essen: Siehste den Eingang. Drinnen haste alles: Mac, Bäcker, Currywurst, keine 50 Meter entfernt.“
„OK, hey, danke. Scheiße, sorry für alles! Was kriegste’n?“
„16,30€.“
Er kramte ein bisschen in seinen Taschen und zog einen Beutel hervor. Einen kleinen schwarzen Müllbeutel.
„Drogengeld. Braucht keiner, den Dreck.“,
sagte er mit einer beachtlichen Empathielosigkeit. Er zauberte einen zerknitterten Zwanni aus dem Säckchen, reichte ihn mir und meinte, dass das schon ok wäre. Ich dankte höflich und wünschte ihm alles den Umständen entsprechend Gute. Und das war ernst gemeint. Beim Aussteigen fielen ihm ein paar Sachen runter, die ihm sichtbar unwichtig waren. Er hob sie dennoch auf und warf sie mir auf den Beifahrersitz:
„Ach da, kannste auch noch haben. War gut zu reden und is‘ ja egal jetzt.“
Da ist er dann durch eine Horde lachender und feixender Touris ins Hotel gegangen und ich hab die zwei Fünfziger eingesteckt. Warum auch nicht, jetzt, wo’s eh egal ist?
