Das Ende vom Anfang

Ich hatte schon geschrieben, dass das Besondere an der Silvesterschicht dieses Jahr war, dass ich das Auto pünktlich um 7 Uhr abstellen musste. Bisher waren die Taxis, die ich da gefahren hab, am ersten Januar tagsüber unbelegt. Ist ja auch nicht der typische Arbeitstag – was auch logisch ist, weil man davon ausgehen kann, dass ein Tagfahrer, der an Silvester nicht in den Abend reinfährt, wohl eher reinfeiert und … nun ja, die Sache mit dem Restalkohol und so.

Aber mein Eintags-Tagfahrer hatte schon zuvor verkündet, dass er weder fährt noch feiert:

„Oropax, fertig. Bin ja nich‘ bescheuert.“

Also pünktlich um sieben Feierabend, ich bin ja nicht alleine auf der Welt.

Die Schicht lief besser als alle Silvester davor. Nicht, dass je eines schlecht war, aber in den ersten Stunden nach 1 Uhr habe ich meinen letztjährigen Rekordschnitt nochmal um 10 – 20% übertroffen. Damit wären die drei Scheine dringewesen. Um 6.02 Uhr hatte ich 254€ beisammen und stand in Friedrichsfelde keine 300 Meter vom Abstellort entfernt, weil ich rangewunken wurde, und die beiden Fahrgäste sich erst einmal sammeln mussten. Ein völlig betrunkenes Pärchen, aber vom ersten Einschätzen her ganz nett. Vielleicht ein Jahrzehnt älter als ich und locker drauf. Nur Geld müssten sie vielleicht erst am Ziel aus der Wohnung holen.

Kein Problem, blieb ja eine Person als „Pfand“. 😉

„Wo soll’s denn hingehen?“

„Scharnweberstraße.“

„Welche denn?“

„Na, zeigen wir Dir. Alles kein Problem wegen der Nummer und so. Und ich bleib im Auto, wir haben ja Geld, mehr als genug …“

„Ich meinte …“

„Ja, fahr erst mal Richtung Reinickendorf!“

Och nö!

Also nicht falsch verstehen: Eine super 30€-Tour durch die halbe Stadt. Aber abgesehen von unerfüllbaren Umlandfahrten der Worst Case. Ich hatte keine Zeit und es war immer noch die Silvesterschicht. Mit etwas Glück hätte ich schneller dreimal eine 10€-Tour machen können, noch dazu nicht bis an den Arsch der Welt von hier aus gesehen. Es war klar, dass ich da mit ausgeschalteter Fackel schnell den Rückweg würde antreten müssen. In dieser einen Schicht schlicht verschenkte Zeit.

Aber es kam noch schlimmer. Erst verschworen sich alle Ampeln des noch jungen Jahres 2017 gegen mich, dann fing die Kundschaft plötzlich an zu planen, dass es danach noch weitergehen solle. Und nein, leider nicht einfach zurück, sondern zum Ku’damm. Völlig unmöglich. Ja, nochmal ein paar Euro mehr, aber einfach nicht zu schaffen, wollte ich wenigstens halbwegs pünktlich sein.

Ich halte nichts davon, an Silvester wegen der plötzlich überlegenen Position als Taxifahrer das Arschloch raushängen zu lassen oder die Beförderungspflicht zu ignorieren, aber ich hab ihnen deutlich machen müssen, dass das nun wirklich nicht passt und ich die Tour auch gar nicht noch angenommen hätte, wenn ich gewusst hätte, dass sie noch länger wird. Das mag eine sehr dunkelgraue Zone in Sachen Gesetzesauslegung sein, aber was soll man machen, wenn sich quasi Beförderungspflicht und betriebliche Arbeitsanweisung (im weitesten Sinne) widersprechen?

Und meine Begeisterung für die Kundschaft hatte zu dem Zeitpunkt auch schon schwer gelitten, nachdem sie mir inzwischen haarklein erzählen mussten, dass sie gerade locker ein Monatsgehalt von mir bei der Party verprasst, leider auch nur das dreifache meines Einkommens hätten und dass dieser unglaubliche gesellschaftliche Missstand natürlich an den Ausländern läge. Gut, sie waren auch Polen, „aber die richtigen Ausländer, Sie wissen schon!“.

Am Ende bin ich sie halbwegs freundlich am ursprünglichen Ziel losgeworden und hab bei meiner leeren Rückfahrt (die kaum zwei Drittel der Hinfahrtzeit kostete) bewusst ausgenutzt, dass ich in einem Auto sitze, das mit meiner Anwesenheit bis dato ohnehin nur eine unbedeutende fünfeinhalbstündige Nichtraucherpause eingelegt hatte, vermutlich die längste in 2017.

Am Ende war das alles noch sehr hektisch und trotz aufgesetzter Kollegialität hab ich meinem Tagfahrer auch nicht abgenommen, dass er mir die drei Minuten Verspätung nicht übel genommen hat. Zu der Chose sei echt nur ein „Fuck it!“ in den Raum geworfen, die Kiste unter den Umständen werde ich mir nicht noch einmal antun, auch nicht für diese besondere Schicht.

Ansonsten war Silvester toll, ganz ehrlich. Und ich bereue im Nachhinein auch nicht die Putzaktion oder sonstwas. Das haben der gute Umsatz in den paar Stunden und die sonst überwiegend sehr tollen Fahrgäste alles mehr als wettgemacht. Es war ein prima Start ins neue Jahr, nur am Ende etwas hektisch und nervig. Sollte das auch das Fazit fürs Jahr selbst werden: Meinetwegen gerne!

10 Kommentare bis “Das Ende vom Anfang”

  1. MsTaxi sagt:

    Herzlichen Glückwunsch zur tollen Schicht!

    Frage: Der Tagfahrer, der da so mit den Hufen scharrte, war einer von denen, die die Kiste sonst immer fahren? Falls ja, hätte der sich seine Beschwerde gepflegt dahin schieben können, wo die Sonne nie hin scheint. Oder aber ich hätte ihm sehr deutlich gemacht, er solle in Anbetracht des vortäglichen Sondereinsatzes froh sein, dass ich nicht erst um 10.00 erschienen wäre.

  2. SaltyCat sagt:

    MsTaxi yay… „hab die drei stunden fürs putzen drauf gerechnet“ *hihi*

  3. Anke sagt:

    Wer angeblich soviel verdient,der wohnt nicht in der scharnweberstr in Reinickendorf ?
    Ein frohes neues Jahr und entspanntere Arbeitstage als diesen!

  4. Rudi sagt:

    Wir danken für die Informationen und sachdienlichen Hinweise.

  5. Kein Problem, blieb ja eine Person als „Pfand“.
    Von der Person kannst Du Dir aber auch nichts kaufen, denn einerseits ist Menschenhandel in D wohl angeblich genauso verboten wie das Verlangen von (Aus-)Lösegeld für festgehaltene Personen… Und andererseits musst Du der Person, so Du sie für Dich arbeiten läßt, Mindestlohn zahlen und die Sozialversicherungen stemmen.

    Alles nicht so einfach heutzutage! 😉

  6. ednong sagt:

    Oh man,
    da putzt du ihm quasi sein Taxi und er ist missmutig wegen 3 (in Worten: drei) Minuten Verspätung? Oh man. Da kann ich wirklkich nur noch mit dem Kopf schütteln.

  7. @ednong
    Das ist wie mit Tee-Trinkern. Schrub denen mal die Tasse bzw. die Kanne sauber, dann ist das Tee-Lebensgefühl dahin. Und nun hat Sash demjenigen seinen Taxi-Lebensraum durchgeschrubbt und (fast) all die guten Taxiaromen entfernt… 😉

  8. Sash sagt:

    @MsTaxi:
    Du hast an und für sich recht, aber ich wollte mich unter keinen Umständen auf dieses Niveau herablassen.

    @SaltyCat:
    In den Fingern gejuckt hat es, aber wie ich MsTaxi geschrieben habe …

    @Anke:
    Mag sein. Ich kann wie immer nur berichten, was mir gesagt wird. 🙂

    @gedankenknick:
    Ja, das ist alles nicht so easy. Aber ich bin da im Großen und Ganzen von einer informellen Regelung ausgegangen. 😉

    @ednong:
    Nein, von den drei Minuten angepisst war er vermutlich eher weniger. Ich war halt überhaupt und sowieso ein Störfaktor, weil mal wieder alles anders gelaufen ist, als er es geplant hatte. Was immer das heißt.

  9. Hallo und ein frohes neues Jahr erstmal!
    Bei mir lief die Schicht auch sehr gut, aber ich möchte eher etwas zu den Polen, die mit sich über
    ihr Einkommen beschwert haben, sagen.
    Solche Kundschaft ist meiner Meinung nach die Beste. Man muss nicht immer allen Kunden
    zuhören und solchen Protzern erst recht nicht. Hier rein, da raus – so mache ich es. Jedoch kann
    man diesen Leuten meist ein sehr nettes Trinkgeld entlocken. Haben dir diese denn Trinkgeld
    gegeben?
    Beste Grüße aus Koblenz!

  10. Sash sagt:

    @Taxity Koblenz:
    Zum Teil hast Du recht, aber die haben ja nicht miteinander gesprochen, sondern eine halbe Stunde lang zu zweit auf mich eingeredet. Trinkgeld blieb am Ende bei 1,50€, war also alles in allem wirklich nur so mittel.

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