Die Sache mit dem Einschätzen von Menschen

Ich wollte eigentlich tanken, aber da winkte plötzlich einer. Mitten an der mehrspurigen Hauptstraße im Gewerbegebiet. Ein bereits älterer Mann, zotteliges langes Haar, einen Bart, der für mehrere Generationen ZZ-Top-Imitatoren gereicht hätte und einer Plastiktüte. Er roch nach Alkohol und fragte, ob er auch mit Karte zahlen könne. Ja? Na dann …

Er war wirklich nett, aber als er dann auch noch erzählte, dass er die Straßenbahnen verwechselt hätte … es war nicht schwer, sich dem Gedanken hinzugeben, dass das mit der Bezahlung vielleicht nicht klappen würde. Dann beim Arbeitsamt das Wiedererkennen der Gegend  mit dem Hinweis, dass er da ja jetzt auch oft sei, habe ja Rente beantragt etc. pp. Und wie zum Beweis streikte der Kartenleser am Ende. Allerdings schien das gar nicht an der Karte zu liegen. Er meldete nicht einmal einen Fehler und wechselte ins Menü zurück. WTF?

Mein Kunde nahm das ganz locker und sagte, dass wir dann halt zur Bank müssten, sei auch nur ums Eck. Das stimmte und da das alles noch unweit meines Zuhauses stattfand, kannte ich mich auch gut genug aus. Ich hab die Uhr trotzdem gleich gestoppt, denn zum einen lag der Fehler wohl beim Gerät und mir war das unangenehm, zum anderen fühlt man sich besser, wenn man nur eine 11€-Fehlfahrt hat und keine für 16. Was natürlich bescheuert ist, aber das menschliche Gehirn hat’s ja manchmal nicht so raus mit mathematischer Logik.

An der Bank ist der gute Kerl kurz raus, hat sein Hab und Gut als Pfand dagelassen, kam nach zwei Minuten ganz locker wieder raus und verkündete nur, dass er doch vorher schon gesagt hätte, er habe genug Geld auf dem Konto.

Und so standen wir dann kurz darauf ein zweites Mal vor seinem Plattenbau und er fragte mit ernstem Tonfall, was ich denn jetzt bekommen würde.

„Wie gesagt: Wir waren bei 11,50 €, als ich die Uhr ausgemacht hab.“

„11,50€? Nee, nee!“

Mir stellten sich umgehend wieder die Nackenhaare auf.

Der Alte zog einen Zwanni aus seinem Geldbeutel, drückte ihn mir mit väterlicher Geste in die Hand und meinte:

„Das stimmt so, für all die Mühe!“

„Äh, wow, vielen Dank!“

„Keine Sorge, ich gehör nicht zu den Ärmsten …“,

ließ er mich noch wissen und schien insgesamt sehr zufrieden mit dem an sich ja schon ziemlich verzwiebelten Heimweg zu sein. Was inzwischen selbstverständlich auch auf mich und den Schichtbeginn zutraf. 🙂

8 Kommentare bis “Die Sache mit dem Einschätzen von Menschen”

  1. Hach ja, sowas kenne ich 🙂 . In meiner Zeit als Computerfuzzi beim großen Elektrodiscounter zischte mir mein Chef einmal ins Ohr, ich solle den zerlumpten Typen da bei den Notebooks so schnell wie möglich rauswerfen statt den zu beraten. Ich probte den Aufstand und habe den Herrn trotz der Ansage beraten und sogar recht viel Zeit damit verbracht. Erneuter Auftritt Chef, jetzt schon etwas sauer – sofort raus mit dem Typen, der kauft doch eh nichts.

    Am Ende hat er doch etwas gekauft. 10 Notebooks und diverses Zubehör für insgesamt 15.000 Euro. Bezahlung war kein Problem, laut seiner Visitenkarte war der Herr mit seinem Unternehmen nicht wenig erfolgreich, man sah es ihm nur nicht an. „Absicht“ wie er dann bei einem späteren Besuch schmunzelnd zu mir meinte. So ließe es sich gut herausfinden, in welchem Laden vorurteilsfrei gearbeitet wird.

  2. Cliff McLane sagt:

    Bart, zotteliges Haar, und nachts nach Bier riechen … Könnte glatt ich sein. Nur bevorzuge ich als Transportbehältnis den Rucksack anstelle der Plastiktüte. Nicht wegen der Optik oder eventueller Vorurteile meiner Mitmenschen; die sind mir egal. Aber ich habe gerne beide Hände frei.

    Und das mit dem Kartenleser: Ich hab‘ hier um die Ecke einen Zigarettenautomaten, der liest mal meine Bankkarte, mal liest er sie nicht. Da glaube ich ja, dass es irgendwie temperatur-/witterungsabhängig ist. Aber bei deinem? Hm …

  3. Andrej sagt:

    Ach ja die Kartenleser. War bei mir dieses Wochenende eine richtige Lotterie ob das jetzt funktioniert oder nicht. Lässt sich ja meistens irgendwie regeln. Stellt sich jetzt dann raus ob ich den typen den ich auf Rechnung fahren liess richtig eingeschätzt habe.

  4. @Computerfuzzi:

    Nette Anekdote! 😀

    @Sash:

    Bei streikenden Karten hilft Händedesinfektionsmittel auf Chip. Kein Witz. Damit haben wir schon so manche streikende Krankenkassenkarte zur Mitarbeit überredet. 😉
    Ist das nicht zur Hand, hilft auch mal das Rubbeln an der Hose – meist ist es einfach nur ein wenig Dreck was den Leser irritiert.

  5. Sash sagt:

    @Computerfuzzi:
    Das ist die Hardcore-Variante davon. 🙂

    @Cliff McLane:
    Naja, „nachts“ war hier halt 19.30 Uhr.

    @Andrej:
    Na, dann wünsche ich mal viel Glück!

    @Die Unsoziale:
    Ich weiß aber echt nicht, was da los war. Eher sowas wie halb ausgeloggt oder so. Er hat halt gerade nicht „Karte nicht erkannt“ oder „Karte ungültig“ gemeldet.

  6. hrururur sagt:

    @Computerfuzzi:

    Meine Oma ist NIE verloddert unterwegs. Außer sie shoppt Schmuck. Dann denkt man, dass sie irgendwo vor langer Zeit ausgebrochen ist. Aber die Klunker sind dann auch sechsstellig wert.

    Aus ähnlichen Gründen. Diejenigen, die Geld investieren wollen, erkennt man gerade nicht an der Optik

  7. Cliff McLane sagt:

    @Sash,
    > „nachts“ war hier halt 19.30 Uhr.

    Seit wann fährst du so früh?

    Und, keine Sorge, „nachts“ war bei mir auch schon mal 10 Uhr morgens. Kennst ja, Nachtschicht, stressig, Frühstück mit zwei, drei Bier, Taxi, nach Hause, schlafen.

    Nach anstrengenden Nachtschichten ging mir in Berlin immer etwas ab, was ich in Bayern nie zu schätzen wusste: Frische Weißwürste mit einer ordentlichen Brezn und einem Weißbier zum Feierabend bzw. -morgen. Nun ja, jetzt könnte ich das jeden Morgen essen, habe aber keine Nachtschichten mehr. Irgendwas fehlt eben immer.

    @Unsoziale, Kontakte reinigen hilft bei fast allen Sachen, die offene Kontakte haben, aber es müssen ja nicht die Kontakte an der Karte sein, sondern es können auch die im Lesegerät sein. Die haben sich entweder leicht gebogen (Blattfederprinzip) oder haben so kleine Andruckfedern, und sowas leiert eben aus mit der Zeit. Deswegen lasse ich SD-Karten meistens in dem Gerät, in das sie gehören (Kamera, Handy) und tausche Daten nur per USB-Kabel aus. Die Kontakte halten etwas länger. Aber das Problem hat sich demnächst erledigt, für Bankkarten etc. ist RFID/NFC die Technik der Zukunft. Viele Sachen funktionieren ja bereits jetzt kontaktlos.

  8. Sash sagt:

    @Cliff McLane:
    Naja, es war eben der Schichtbeginn, den lege ich, wenn ich brav bin, schon so in die Zeit. Das morgens kenne ich auch. Vor allem zum Wochenendbeginn. 😀
    Und Frühschoppen ist sicher ein interessantes Konzept für Nachtarbeiter, sonst muss ich sagen, dass ich das immer etwas gruselig fand. Ich denke da gerne an das traditionelle Weißwurstfrühstück im Stammpub meiner Eltern zu Heilig Abend. Irgendwie cool, aber ich bin dann – obwohl ich inzwischen rhythmusbedingt auch mal morgens um 7 Uhr noch ein letztes Bier trinke – immer der Mensch gewesen, für den das eine ausschließliche Abendbeschäftigung ist.

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