Manche Umwege sind Fête!

Das letzte Wochenende hatte es in sich. Gerade am Sonntag schlug die Fête de la Musique voll zu und die Umsätze waren bombig. Zum einen natürlich, weil so viele Menschen auf der Straße waren. Zum anderen aber natürlich auch wegen der durch Straßensperrungen notwendigen Umwege. So auch bei einer meiner Lieblingstouren.

Kürzester Weg mal anders. Quelle: osrm.at

Kürzester Weg mal anders. Quelle: osrm.at („Zwischenziele“ sind nur aus technischen Gründen eingefügt)

Bei solchen Fahrten sind Kunden schon gerne mal genervt. Natürlich zu Unrecht, aber so sind wir Menschen halt. Diese jedoch … Fehlanzeige!

„Ach, kannst‘ ja nix dafür. So wär ick auch jefahren …“

Unterwegs haben sie mal eben eine Pizza nach Hause bestellt und mir am Ende fast 20% Trinkgeld gegeben. So dürfte sowas immer laufen.

PS: Sorry, dass ich gerade so wenig hier bei GNIT mache. Ich plane (und mache) nebenbei noch ein neues Projekt, das kostet etwas Zeit. Ich werde aber beizeiten berichten, keine Sorge! 🙂

Kollegenprobleme die x-te

Natürlich sind auch nicht alle Taxifahrer untereinander nett und kollegial. Da kann man auch mal Alarm machen, aber in aller Regel sind es ja entweder Mißverständnisse oder Kleinigkeiten. Manche aber entwickeln da einen Eifer …

So wunderte ich mich etwas über die zerrissene Taxischlange vor dem Sisyphos. Aber das lag, das sah ich dann alsbald, an einem Kollegen, der nicht am Auto war, und es mit abgeschalteter Fackel (ich weiß, die E-Klasse macht das automatisch) abgeschlossen mitten im „Nachrückebereich“ abgestellt hatte. Die davor waren nach vorne zum Ausgang aufgerückt und vor ihm war eine Lücke bis zum Clubeingang, vielleicht so 20 bis 25 Meter lang.
Als dann die letzten Taxis vor besagtem Kollegen weg sind, ist einer von hinter ihm vorgezogen. Das war eine Minute, nachdem ich angekommen war. Kaum dass das passiert war, kam der verschollene Kollege auch angerannt, schloss sein Auto auf und rannte statt zu diesem nun aber zu dem vorgefahrenen Fahrer und beschimpfte ihn, warum er an ihm vorbeigefahren sei.

Kann man machen, aber bei verlassenen Autos, bei denen die Fackel aus ist, zieht man vorbei. Punkt. Man muss am Stand (Ja, ist keine legale Halte dort, aber wenn man schon auf Regeln pocht …) einsatzbereit sein, also bereit zur Fahrgastaufnahme. Und wenn einen nicht einmal die Kollegen ausfindig machen können …
Und wenn man sich doch mal eben ausklinkt, dann riskiert man halt, dass die anderen vorziehen. Insbesondere an Halten, an denen es schnell vorangeht, oder man nichts vorher abklärt. Ich hab schon auf Kollegen gewartet, weil sie nur kurz am Ostbahnhof zum Pinkeln rein sind, bin aber auch schon oft genug an welchen vorbeigefahren, die gleich einen Kaffee trinken waren oder die Halte als Parkplatz für ihren Wocheneinkauf genutzt haben. Es ist meines Erachtens nach nicht viel dagegen einzuwenden, wenn man Kollegen den Freiraum gibt – aber einen Anspruch darauf, dass sie ihren Platz in der Schlange behalten, haben sie halt auch nicht.

Und schon gar nicht, wenn wie hier alle offenbar schon vier bis fünf Plätze weiter vorgerückt sind während der „kurzen“ Abwesenheit …

Der nunmehr erste Fahrer am Sisyphos ließ sich offenbar nicht aus der Ruhe bringen und blieb stehen. Der andere, der sich so übel betrogen fühlte, machte kurioserweise dasselbe. 20 Meter dahinter. Gut, die Schlange am Sisyphos verschiebt sich wirklich manchmal vom Ein- zum Ausgang hin und her, aber eigentlich ist das bescheuert. Warum sollten wir am Eingang warten? Am Ausgang kommen 95% aller Kunden raus (inkl. den nicht reingelassenen). Aber der schändlichst in seiner Würde gekränkte Fahrer tigerte die 20 Meter zwischen seinem Auto und dem des Kollegen unaufhaltsam auf und ab, sich sichtbar grämend, dass er diesem Irrsinn nicht Einhalt gebieten konnte. Ach Gottchen, mit der Einstellung würde ich nicht mehr so alt werden, wie der Kerl, also vielleicht 50 …

Als dann auch noch Kundschaft kommt, rastet er völlig aus und will sie zu sich ranwinken. Was schon alleine misslingt, weil die Kunden wenig Grund sehen, zu so einem wild gestikulierenden Spinner auch noch dreimal so weit zu laufen. Da hätte er mal besser aufgeschlossen zum verhassten Kollegen!

Ich, der ich hinter ihm stand, war so langsam auch genervt. Ich hätte mich gerne hinter den anderen (eben beim Ausgang) eingereiht. Aber dann wäre der Kollegenkasper wahrscheinlich einen flotten Herztod gestorben. Und so kam er, kaum dass der erste weg war, auch zu mir und krähte mich verzweifelt an:

„Schau Dir das an! Da klaut der mir die Fahrt! Sowas gibt’s ja wohl nicht, so eine Frechheit!!!“

Da hab dann selbst ich etwas pampig reagiert und gesagt:

„Ja, Kollege, dann denk mal drüber nach. Du stellst dein Auto mit ausgeschalteter Fackel 30 Meter entfernt ab, bist nicht aufzufinden und machst dann auch noch Radau. Was hätte der geschätzte Kollege denn bitte anderes machen sollen. Im Übrigen hast Du Kundschaft, also hopp!“

Und zwar hoffentlich nur bis zum Ostkreuz. Oder besser Rummelsburg, das ist nochmal ein Euro weniger.

Menschen …

-.-

Zwei Tage

„Nee nee, Du, Berlin ist schon toll. Sicher, es ändert sich viel, aber anderswo isses ja auch nicht unbedingt besser …“

meinte mein Fahrgast so völlig aus dem Nichts heraus.

„Als ich aus Polen weg bin – ich komme aus Polen – da hab ich nur kurz hier gehalten. Ich wollte ganz Europa sehen. Hab ich auch gemacht: Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Österreich … war eine tolle Zeit. Und bevor ich nach Polen zurück wollte, hab ich hier noch einen Zwischenstopp geplant. So für ein, zwei Tage.“

„Und wie lange ist das jetzt her?“

„Ach, lass mich rechnen … 19 Jahre!“

Da hat er gegrinst und seinen Hund gestreichelt.

Ich mag es, wenn es Menschen gut geht. 🙂

Es mit der Kurzstrecke (nicht) genau nehmen

Ob ich ihn für eine Kurzstrecke in die XY-Straße bringen könne, fragte der Fahrgast. Ich war mir nicht sicher, ob es bis ganz ans Ziel reichen würde, sagte aber grundsätzlich zu. Unterwegs erzählte er mir dann:

„Ich fahre zu meiner Freundin. Eigentlich wollte sie ja hierher kommen, aber der Taxifahrer wollte keine Kurzstrecke machen …“

„Ja, das gibt’s leider auch.“,

entschuldigte ich mich stellvertretend für die ehrlichen Kollegen. Im weiteren Verlauf hat sich das ganze aber dann doch etwas verschoben, denn er erzählte mir, dass seine Freundin doch ganz normal bestellt hätte. Da bin ich dann natürlich doch nochmal eingestiegen:

„Na, dann hat der Kollege aber absolut richtig gehandelt!“

„Wieso?“

„Naja, die Kurzstrecke ist ja eben genau eine Vergünstigung dafür, dass sie ein Taxi an der Straße anhalten. Dafür, dass Sie uns keine Anfahrt oder Wartezeit kosten. Das ist ja der Sinn des Ganzen.“

„Oh, das wussten wir nicht. Danke für die Erklärung, das ist ja logisch, das erklärt einiges!“

Seine Verwunderung hat mich nicht überrascht, die meisten merken sich irgendwie nur den günstigen Preis, nicht die Einschränkungen. Manchmal frage ich mich dann aber schon, ob die Leute glauben, sie dürften günstiger fahren, nur weil sie sich ein Wort merken konnten. 🙂

Es hat bis zum Ziel gereicht, er hat sich insbesondere für die Erklärung bedankt und ich hab am Ende der Sackgasse gewendet. Da kam er dann nochmal angesprintet und meinte:

„Ähm, das ist jetzt vielleicht blöd, aber mir ist gerade eingefallen: Würden Sie uns beide jetzt vielleicht für eine Kurzstrecke wieder zurückfahren?“

Ich hab mit einem Augenzwinkern geantwortet:

„Gewöhnen Sie sich das nicht an, da fühlt man sich schnell verarscht als Taxifahrer! Aber von der Sache her haben Sie mich natürlich völlig korrekt beim Fahren rangewunken, also warum sollte ich es nicht machen?“

Seine Freundin war auch umgehend da und er hat mich gleich als total tollen Taxifahrer vorgestellt und ihr auch gleich haarklein erzählt, wieso der Fahrer vorher das mit der Kurzstrecke nicht gemacht hätte. Auch sie nörgelte keineswegs rum, sondern stellte fest, dass das irgendwie ja gar nicht so unsinnig sei. Die hatten es einfach nicht besser gewusst und keineswegs irgendwelche Probleme mit Taxifahrern. Und für mich war die Sache mit 1,8 km hin, 1,8 km zurück und am Ende nach nicht einmal 10 Minuten mit 8+2 € wieder am Ausgangspunkt auch ein guter Deal.

Das einzige, was ich mich danach gefragt habe: Warum hat eigentlich der Kollege nicht einfach mit diesen paar Worten die Sache selbst geklärt? Wir, die wir in dem Job arbeiten, sind doch die besten Ansprechpartner bei sowas. Es sollte doch selbstverständlich sein, dass man seine eigene Dienstleistung und damit auch die Preise erklären kann. Es wird zwar immer Leute geben, die das eigentlich gar nicht wissen wollen, aber zu denen haben die beiden netten Charlottenburger definitiv nicht gehört.

Erbärmlichkeit in Reinkultur

Eigentlich habe ich es mir abgewöhnt, von Erbärmlichkeit zu reden, wenn es um die Lebensentwürfe anderer Menschen geht. Wir sind nunmal alle irgendwie verschieden, haben verschiedene Bedürfnisse und verschiedene Vorstellungen von Glück. Ich könnte auch keinem Extremsportler klarmachen, weswegen ich als unsportlicher Mensch glücklich bin; und keinem Weltreisenden vermitteln, warum ich es toll finde, meine direkten Erfahrungen meist nur aus der Stadt zu beziehen, in der ich lebe. Andererseits kann ich mir nur schwer vorstellen, wie Menschen Lesen als Zeitverschwendung empfinden können oder Politik uninteressant finden. Im Grunde ist es schon gut, dass es verschiedene Interessen gibt, denn während ich mir auch mal gerne tolle Parcours- oder Skatevideos ansehe, lesen manche Sportler gerne Blogs.

Aber die Typen, die mir ins Auto stiegen, waren wirklich erbärmlich. Zu einem Puff wollten sie. Das im Übrigen finde ich keineswegs irgendwie schlimm. Ich selbst bin vielleicht eher der Typ, der Sex gerne in einer Beziehung oder zumindest einer sympathiebegründeten Freundschaft hat, aber da Sexualität ein Grundbedürfnis ist und nicht alle zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Partner finden, ist Sexarbeit ein Geschäft, dem immer noch eher zu wenig als zuviel Anerkennung zuteil wird.

Aber die Typen, ey!

Landsmänner von mir, also Stuttgarter, altersmäßig kurz hinter dem Höhepunkt männlicher Sexualaktivität. Gutaussehend, partylaunig, erst einmal keine schlechten Kandidaten für schnellen und guten Sex. Und zunächst fand ich es fast schon gut, dass sie lieber in einen Puff gehen wollten, anstatt im Club minderjährigen Mädels was von der großen Liebe zu erzählen, um sie flachzulegen. Aber da hatte ich mich getäuscht.
Denn eigentlich war das wohl der Plan A gewesen. Zumindest ließen sie keine Gelegenheit aus, bei unseren Stopps Frauen auf der Straße anzusprechen.

Nun aber ein Bordell, ok. Zunächst einmal sollte es „billig“ sein. Was immer das heißen mag. Der erste Laden war mit „bis zu 200 €“ offenbar weit außerhalb jeder Toleranz. Sie hätten sich da eher was um die 30 bis 40 € fürs Ficken versprochen. Das gibt es natürlich auch in Berlin, also bin ich zum nächstbesten Laden gefahren, bei dem ich wusste, dass er ungefähr in der Preisklasse liegt. War aber auch nicht ok, denn da sollten es dann doch 50 € sein.
Beim wirklich günstigsten mir bekannten Laden war dann aber leider die Empfangsdame „schon so’n bisschen dick, geht gar nicht, Alter!“
Außerdem sollte ich natürlich nur Etablissements anfahren, bei denen ich mir sicher wäre, dass man sich nicht „alle Krankheiten auf einmal“ holt.

Mal abgesehen davon, dass das so langsam wirklich meine Kompetenz als Taxifahrer überschritten hat, mussten sie nun auch nochmal klarstellen, dass sie das alles ja nicht wirklich nötig hätten. Da wäre diese „Ische“ und jene „Schnecke“ vorher im Club gewesen. Außerdem ist es natürlich nicht so gewesen, dass sie das Geld nicht hätten, aber mehr als 30 oder 40 € wollten sie halt nicht ausgeben. Ja, schon klar … zumal man das schon auch für eine äußerst sportliche Wertschätzung der Dienstleisterinnen halten kann.

Am Ende hab ich sie ins Hotel gefahren. Die teuren Läden waren ihnen zu teuer, die billigen zu billig. Ach!

„Das macht dann 23,20 €.“

„Also sind 20 ok, oder Digger?“

„Äh, nein!? Ich muss 23 bei Cheffe abliefern.“

Also wurden mir 23,00 € gereicht.

„Da fehlen noch 20 Cent!“

„Ach, so pingelig biste, Digger?“

„Pingelig!? Mal im Ernst, Jungs: Jeder zahlt hier mindestens den Fahrpreis und 90% der Leute geben noch Trinkgeld!“

„Ja, ok, haste Recht, Digger!“

Sprach’s und schüttete mir 34 Cent in Rotgeld auf die Hand.

Nix gegen wenig Trinkgeld, aber im Nachhinein bin ich vor allem froh drum, dass die zwei nicht doch in irgendeinem Bordell gelandet sind. Die armen Frauen …

Aber, kleines Schmankerl zum Schluss:

„Schönen Abend noch, Jungs!“

„Danke, aber wie Digger, so ohne Puff?“

„Erbärmlich“ mag ein hartes Wort sein, ich finde es hier trotzdem angebracht.

Wer von Euch war das?

Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Versuch war, in den Blog zu kommen – aber der junge Mann in der Weserstraße hat mich in der vergangenen Sonntagnacht doch etwas irritiert zurückgelassen. Ich bin’s ja gewohnt, dass Menschen auch auf besetzte Taxis zurennen. Dass das Dachschild nachts leuchtet, wenn wir frei sind, ist auch nach all den Jahren noch zu unbekannt. Dementsprechend bin ich auch ein wenig aufmerksam und nehme es durchaus wahr, wenn – wie in dem Fall – auf dem Bürgersteig jemand Anstalten macht, in Richtung Fahrbahn zu rennen.

Wenn ich es aber richtig gesehen habe, wollte besagter Mensch gar kein Taxi, denn im dann doch recht flotten Vorbeifahren sah es so aus, als hielte er einfach beide Daumen nach oben, während er mich angrinste. Könnte so gesehen aber auch ein leicht missglückter Tramping-Versuch sein. Da ich den GPS-Tracker wie fast jede Arbeitsnacht anhatte, kann ich aber auch nicht ausschließen, dass einer von Euch da auf mich gewartet hat.

Also raus mit der Sprache: Wer von Euch war der Spaßvogel? 😀

Kauft das Buch!

Wie kam Sash eigentlich zum Taxifahren? Das beschreibt er in seinem ersten eBook "Papa, ich geh zum Zirkus!".

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Noch ein Blog?

Kleiner Tipp: Sash hat noch einen zweiten Blog, auf dem es auch gelegentlich was zu lesen gibt.

Die Irrfahrt der Woche

Der Freitag war ein Scheißtag. Ich war unausgeschlafen und früh in die Schicht gestartet, die Umsätze sollten später auch noch mies werden, aber mit Abstand am meisten hat mich die erste Tour geärgert. Ich hoffe, Ihr habt ein wenig Zeit mitgebracht an diesem Montagmorgen, denn die Fahrt war ziemlich lang …

Eingestiegen sind sie mir am Ostbahnhof noch auf der letzten Rücke. Bemerkt hatte ich das etwas ungleiche Paar genau in dem Moment, in dem der Mann mir versehentlich gegens Auto lief. Amtlicher Zustand für 20.30 Uhr, dachte ich mir. Er war jetzt allerdings keineswegs, wie die meisten vermuten werden, irgendein Spätpubertierender, der sich mit dem Alkohol maßlos verschätzt hatte, sondern ein Rentner, der die 70 auf der Lebensuhr ganz sicher schon voll hatte. Angetrunken war er zwar auch, aber man merkte auch deutlich, dass er insgesamt nicht mehr so fit war. Er wirkte in seiner fleckigen Hose etwas heruntergekommen, aber auch ganz nett, wie er sich da hinten auf der Rückbank zurechttüddelte.
Neben mir stieg eine Frau Mitte 50 ein. Breite Statur, kurzrasierte graue Haare, eher der rustikale Typ Mensch. Berliner Schnauze durch und durch und scheinbar auch ein wenig genervt von ihm. Naja, wo die Liebe halt so hinfällt.

Er machte reichlich ungelenk und in nur mäßig zusammenhängenden Sätzen klar, dass es erst einmal in die Köpenicker Straße gehen sollte, unweit des schlesischen Tores. Dort aber solle ich kurz warten. Er wolle was holen, dann zur Bank und zurück zum Bahnhof. Da wären sie gerade so nett am Trinken. Na gut. Als wir ankamen, konnte er kaum aussteigen, seine Begleiterin half ihm. Sie steckte mir ihren Ausweis zu, in zwei, drei Minuten wären sie wieder da. Ich wartete also. Eine Hausnummer weiter war ein Polizeieinsatz, ich stand also immerhin nicht alleine blöd in zweiter Reihe. Und ich stand eine ganze Weile da. Zwischenzeitlich hatte ich schon Sorge, dass sie nicht wiederkommen würden, aber in der Ausweishülle der Frau steckten auch noch ein aktuelles Monatsticket der BVG und ein paar weitere Sachen, die definitiv wert waren, wiederzukommen. Außerdem war die Polizei ja vor Ort …

Auf der Uhr waren zu den rund 6 € Fahrtkosten inzwischen weitere 6 € Wartezeittarif aufgelaufen, ein bisschen mehr als zwei, drei Minuten so kosten – aber dann kamen sie. Sie mit verdrehten Augen, er mit einer Gemütlichkeit, die ihresgleichen sucht. Den Arsch halb aus der Hose hängend zwängte er sich wieder ins Auto und verlangte, dass ich sie beide zum Kotti bringe, Berliner Sparkasse. Na jut.

Dort wurde es dann etwas seltsam. Er gab ihr eine Bankkarte nebst PIN und blieb selbst im Auto. Aber ok, er war halt nicht mehr so fit zu Fuß. Im Auto fing er an rumzuzetern, was sie denn so lange brauche, wobei ich ihn ein wenig beruhigen konnte. Mein Gott, Automaten nerven halt manchmal. In dem Fall aber kam sie zurück und sagte, die PIN wäre falsch. Und sie zitierte exakt die Nummer, die er ihr gegeben hat. Inzwischen erfuhr ich auch, dass es gar nicht seine Bankkarte war, sondern die seiner Frau. Aber OK, ist ja nicht mein Leben.

Er schimpfte ein bisschen vor sich hin, dass er dann ja auch gleich die 150 € aus der Wohnung hätte mitnehmen können. Sie verdrehte wieder nur die Augen und die Fahrt – inzwischen waren wir bei über 20 € – sollte wieder in seine Wohnung gehen. Natürlich hab ich mir zu dem Zeitpunkt so langsam Sorgen um meine Kohle gemacht, aber wenn man mal ehrlich ist, hab ich schon seltsamere Fahrten gehabt. Zurück in der Köpenicker hielt ich abermals ziemlich blöd, dieses mal als Einziger auf weiter Flur. Die nächsten 10 Minuten bekam ich folglich ein Best-of an Beleidigungen von Rad- und Autofahrern zu hören. Aber was willste machen, wenn die Kundschaft gehbehindert ist? Mal kurz ums Eck fahren?

Irgendwann kam die Begleiterin wieder raus und meinte:

„Er sucht noch seinen Ausweis.“

„Wozu?“

„Weeß ick do’nüscht!“

Ich kam mit ihr ein bisschen ins Gespräch, so langsam wollte ich auch wissen, was hier eigentlich abging. Er ließ sich kreuz und quer durch Kreuzberg fahren, sie beklagt, dass sie schon wieder nüchtern werden würde … und sie war nicht einmal seine Frau. Hä?

Von ihr hab ich dann erfahren, dass sie den Herrn nur flüchtig kennt, ein paarmal beim Trinken getroffen, so wie an dem Abend eben. Beim Trinken hätte sich der Kerl dann in die Hose gemacht („Gut, dass Sie Ledersitze haben!“)* und außerdem noch mehr Geld holen wollen. Seine Frau gab ihm dann die Bankkarte mit. Er hatte in die illustere Runde gefragt, wer ihn begleiten wolle – aber bis auf sie hätten alle abgelehnt. Sie wisse nun auch warum, meinte sie. So eine Odyssee wolle sie sich auch kein zweites Mal mehr antun. Sie war offenbar auch davon ausgegangen, dass es einfach kurz eine fünfminütige Fahrt ums Eck sein würde – und dann, zack: nächstes Bier!

Als sie das mit dem Ausweis nochmal anspricht, sage ich ihr, dass sie ihm das besser ausredet. Die Uhr laufe schließlich und wirklich brauchen sollte er den Ausweis bei ihrem Stammkiosk ja wohl nicht ernsthaft. Daraufhin hat sie zum einen entgegnet, dass sie ohnehin vermutet, er hätte den Ausweis dort gelassen, zum anderen bemängelte sie, dass ich die Uhr ja auch ausmachen könnte, weil: Da sitzt ja keener drin!

Ich hab sie noch kurz darüber aufgeklärt, was es mit dem Wartezeittarif auf sich hat und dass ich mir auch besseres vorstellen könnte, als darauf zu warten, dass jemand mal kurz seine Wohnung auf den Kopf stellt. Und, das sei positiv angemerkt: Das hat sie verstanden und dann beschlossen, den Typen rauszuholen. Die Uhr stand nun bei 30 €, mehr als eine Stunde war seit Beginn der Fahrt verstrichen – und wir waren keinen Kilometer Luftlinie vom Start- und Zielpunkt entfernt.

Natürlich machte ich mir inzwischen Sorgen, aber wenigstens sie schien mir trotz Alkoholisierung zurechnungsfähig und auf eine ihr ganz eigene Art auch sympathisch zu sein. Meine Begeisterung hielt sich trotzdem in Grenzen, als sie nach ein paar Minuten wieder alleine rauskam und sagte:

„Dit wird nüscht mehr!“

„Wie jetzt?“

„Na, der will ohne seen Ausweis nich‘ weg hier!“

„Das ist ja meinetwegen ok. Aber wer bezahlt mir jetzt bitte die Fahrt?“

„Na, ick sicher nich‘!“

Na dann ist ja alles geklärt! -.-

Sie drückte mir noch einen Zettel von ihm in die Hand, der – so mutmaße ich mal – irgendwie ein Versprechen für eine Rechnungsbegleichung sein sollte. Allerdings war das Dokument mit vier Zeilen „Text“ sowas von komplett unleserlich, da hätten sich Ärzte noch eine Scheibe von abschneiden können. Ehrlich: Ein Wort habe ich gefühlt als „Taxi“ entziffern können, der Rest war eine Aneinanderreihung von Kringeln. Hätte auch Steno oder Arabisch sein können. Bei allem Optimismus und gutem Willen war das Ding so wertvoll wie eine Kinderzeichnung.

Da sie aber selbst noch zum Ostbahnhof zurückwollte, hab ich sie kurzerhand eingeladen und ihr gesagt, dass wir dann eben zur Polizei fahren. Sie fand das nicht unbedingt toll, hat sich aber auch nur so mittelprächtig gewehrt. Ich hab ihr (der Wahrheit entsprechend) auch nochmal gesagt, dass das jetzt nichts persönliches ist und ich von ihr auch gar nicht erwarten würde, dass sie das Geld zahlt (obwohl sie gerne dürfe!) und ich sie nur als Zeugin bräuchte, weil sie den Typen kennt. Es war eine schmale Gratwanderung, denn gepasst hat ihr der Mist natürlich überhaupt nicht. Aber ich hab sie bei ihrem Unmut über den Typen gepackt und zudem einfach auf ihr Gerechtigkeitsempfinden gesetzt:

„Ist für Sie scheiße, ist für mich scheiße, schon klar. Aber ich hab jetzt anderthalb Stunden Zeit für sie geopfert, da nehmen Sie sich bitte jetzt auch die Zeit für mich!“

Und so saßen wir dann 5 Minuten später auf dem Polizeirevier und haben uns gemeinsam ein bisschen über den Abendverlauf geärgert. Und so ewig es uns auch vorkam: Eigentlich war die Wartezeit kurz. Im Büro der Beamtin erläuterte ich kurz, wie das alles verlaufen war, die Version meiner Begleiterin war genau gleich, nur angereichert durch Wiederholungen und Unwichtigkeiten. Ein kleines Problem war dann doch die Identität des Missetäters, denn sie kannte ihn nur als „Herbert“. Die Wohnadresse, zu der wir gefahren waren, war auch nicht seine, sondern die seiner „Frau“, die aber in Wirklichkeit nur sein Freundin war.

„Hilde Schuhmann, so stand’s ja auch auf der Karte vonner Bank!“

Ein nachnamenloser Herbert also. Na klasse.

Aber was wäre die Welt ohne herzerweichend bescheuerte Zufälle!

Während die Beamtin mit hochgezogenen Augenbrauen die Anzeige aufnahm, kam einer ihrer Kollegen rein und meinte, sie solle unbedingt mal auf Wache XY anrufen, das hätte vielleicht „mit der Geschichte hier“ zu tun. Während ich mit mir selbst Wetten abschloss, ob es dabei auch wirklich um „meine Geschichte“ gehen könnte, verschwand die Polizistin zum Telefonieren. Und siehe da: Ein gewisser Herbert hatte wohl seinen Ausweis an einem Bahnhofsimbiss liegen lassen und die Cops haben da aus zwei Halbsätzen mal eben flugs einen Zusammenhang erschlossen. Fast wie bei Tatort. Ja, scheiß doch die Wand an! 😀

Natürlich: Das kann trotzdem alles im Sand verlaufen. Von Hans Baecker hab ich auch nie wieder was gehört. Vielleicht ist der Kerl ja dement und mittellos, was weiß ich schon. Seine Bekannte wusste da jedenfalls auch nix. Aber mal davon ausgehend, dass er zahlen wollte und es irgendwie auch kann … vielleicht wird das ja noch was. Dann wären zwei Stunden Zeitaufwand für am Ende 37,40 € ja eigentlich doch ganz in Ordnung.

*Das war schon lange getrocknet und gerochen hat auch nix. Diesbezüglich hat mir die Fahrt genau null Ärger gemacht. Einmal abgewischt hab ich hinterher vorsichtshalber aber doch.