So, die Lokführer streiken seit heute auch wieder im Personenverkehr. Und weil so viele Leute persönlich betroffen sind, reicht das Meinungsspektrum natürlich wieder von 0 bis 100, selbst wenn der legale Rahmen nur 40 bis 60 umfassen würde.
In meiner Filterbubble hat sich das Blatt seit dem letzten Streik vor ein paar Wochen angenehm gewandelt – und zwar weg von einem GDL-Bashing. Dass das nicht ganz die Mehrheitsmeinung ist, lässt eine Umfrage auf tagesschau.de erahnen, bei der (bisher, 6 Uhr morgens) nur rund 22 % der Abstimmenden Verständnis für den erneuten Streik zeigen. Und ehrlich gesagt, ich verstehe das nicht mehr. Ich hab das letzte Jahr auch geschwankt, aber so langsam verstehe ich diesen plumpen Hass auf einen bösen bösen Weselsky einfach nicht mehr. Ja gut, dass man sich ärgert, wenn man keinen Zug kriegt oder wegen des Streiks Umwege oder Mehrkosten hat, dann ist das nicht schön – und in manchen Fällen sogar ganz extrem schlimm, das ist mir schon bewusst. Das erklärt bloß überhaupt nicht, warum daran nur die GDL schuld sein soll. Sicher, die legen letztlich fest, dass und wann sie streiken – aber das ist nunmal das Mittel, das ihnen dazu zur Verfügung steht. Und das ist schon ganz mit Absicht so gestaltet, dass es wehtun kann.
Hey, für die Lokführer geht es um das Gehalt am Monatsende – an jedem Monatsende. Und um die Zahl der Wochenarbeitsstunden – die Arbeitszeit jeder Woche. Das beeinflusst deren Leben ganz einschneidend, da geht’s schlicht um mehr als irgendeinen irgendwo ausgefallenen Zug. Und für die GDL als Ganzes ist die Situation ja noch mieser. Die führen seit Jahrzehnten legal und erfolgreich ihre Arbeitskämpfe und jetzt wird ihnen ein Gesetz vor die Nase geknallt, das sie entmachten soll. Wozu sollten die jetzt auch nur einen Zentimeter vom maximal Möglichen abweichen?
Wie man sieht, sind die Lokführer offenbar wichtig. Und zu Nicht-Streik-Zeiten habe ich noch von niemandem gehört, dass die ja ach so verhätschelt und überbezahlt sind. Ob sie das sind, darüber kann ich auch kaum urteilen, denn das ist eine Sache, die sie mit der Bahn aushandeln müssen – und das klappt offenbar nur so mittel.
Und alle, die sich persönlich benachteiligt fühlen, sollten mal darüber nachdenken, dass sie ihren Vertrag zur Personenbeförderung nicht mit einem Lokführer, sondern der DB gemacht haben. Und die wiederum haben richtig richtig gut bezahlte Leute, die dafür sorgen sollten, dass der Laden rund läuft. Inklusive Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit, Tarifverhandlungen etc.
Während ich im Taxi als Fahrer maßgeblich die Qualität der Dienstleistung mitbestimme, werden Lokführer zugeteilt und tun den Job, der ihnen zugeordnet wird. Und wenn sie unzufrieden sind, dürfen sie auch streiken und haben die gleichen Rechte, wie alle anderen auch. Dass sich das möglichst wenig auf die Kunden auswirkt, dafür ist dann trotzdem wieder die Bahn zuständig – was Streik eben zu einer recht wirksamen Waffe macht. Weselsky selbst spielt dabei die kleinste Rolle, denn der setzt eigentlich auch nur die Wünsche der Lokführer um, die ihm das Vertrauen ausgesprochen haben. Und eigentlich ist es erstaunlich, dass er das so zuverlässig tut, obwohl ihm so ein Hass entgegenschlägt.
Und der ist wirklich gewaltig. Während ein paar mahnende Stimmen an die Wichtigkeit des Streikrechts erinnern, verkündet z.B. ein deutscher Top-Youtuber (natürlich „ironisch“), dass man die GDLer ja in einen Sonderzug nach Auschwitz fahren könne – er würde auch selbst Lokführer spielen, selbstverständlich ohne dabei zu streiken. Das alles auf der Kindergartenlogik begründet, dass Lokführer natürlich dumm und ersetzbar sind und in ihrem Arbeitsvertrag schon hätten lesen können, was sie mal verdienen. Ich verlinke dieses Genie nicht, aber es hat über eine Million Follower, da schluckt man schon …
Sicher, ich hab gerade keine Bahnfahrt anstehen und eventuell kriege ich auch einen der begehrten Gutscheine während des Streiks ab. Das beeinflusst mich sicher auch ein bisschen. Ich versuche, das nicht in meine Bewertung einfließen zu lassen, aber wir sind ja alle nur Menschen. Deswegen lege ich das mal so offen.
Aber das hat eigentlich nix damit zu tun, dass die GDL einen Forderungskatalog vorgelegt hat, der zum einen nicht unbezahlbar ist in Anbetracht der bisher vergleichsweise wenigen Mitarbeiter – und zum anderen völlig verständlicherweise einfach versucht, die eigene Vernichtung noch irgendwie abzuwenden. Was würde man selbst in so einer Lage tun?
Außerdem sollte man nicht vergessen, dass der Streik nicht nur die Bahn Geld kostet, sondern auch die GDL und die Lokführer. Sowas zieht man nicht so lange durch, nur um ein bisschen rumzutrollen oder cool zu sein. Sowas macht man, wenn man von der Richtigkeit seines Anliegens überzeugt ist.
Insofern: Wendet Eure Beschwerden doch besser an die Bahn, fordert sie auf, Euch die Tickets zu ersetzen oder Euch Taxigutscheine zu geben – aber hackt nicht auf der GDL rum, die einfach nur von ihren Rechten Gebrauch macht!

PS: Das heißt nicht, dass ich jede Einzelentscheidung der GDL prinzipiell gut heiße – ich hab auch besseres zu tun, als mir da jeden Kommentar reinzuziehen. Aber grundsätzlich finde ich das Ansinnen verständlich und hab zudem eine durchaus solidarische Grundhaltung den Beförderungskollegen gegenüber, auch wenn sich unsere Jobs stark unterscheiden.