Es gibt so Touren …
Ich hatte den Fahrgast in meinem Alter an der Tankstelle an der Holzmarktstraße rausgelassen, weil er mir vorgeschwärmt hatte, wie sehr er sich noch Wein zum Essen wünschen würde. Soweit mir mein eigentlich nicht sonderlich fokussierter Blick verriet, war daraus nun eine Flasche Wodka geworden. Sei es drum. Und dann sind wir weiter und er starrte mich mit Panik in den Augen an:
„Uh! Man! Did you want something?“
„No, no, it’s fine!“
„I’m sorry. It’s a cultural thing. I’m an arabic guy and I can’t go out somewhere without giving something to my friends.“
Milde ausgedrückt. Kennengelernt hatten wir uns eine knappe Viertelstunde zuvor, da war er aus dem Berghain spaziert und mir binnen einer Minute gestanden, dass er mich lieben würde. Vor allem aber plagte ihn der Hunger, er wollte unbedingt noch was essen. Da er selbst unter anderem McDonald’s vorschlug, hab ich gleich am Ostbahnhof gehalten. Das eigentliche Fahrtziel lag ein ordentliches Stück entfernt in Schöneberg: die Tour, auf die jeder Taxifahrer vor dem Berghain spekuliert.
Und beim McDonald’s ging es schon los:
„C’mon! I’ll buy you something!“
„No, thanks.“
„You had lunch?“
„Yes.“
„Doesn’t matter. You always have to take lunch twice when you work!“
„Sorry.“
Er hat mich eine Weile bearbeitet, bis ich zugestimmt habe, dass er mir einen Cheeseburger mitbringen kann. Schweren Herzens, immerhin versuche ich gerade mal wieder ein paar Pfunde runterzubekommen und ich hatte wirklich schon gegessen.
„A cheeseburger? Really? You mean that tiny little thing? No! I’ll make it a double cheeseburger. With fries. You like fries?“
„Yes …?“
„Great! I’ll be back! Wait here!“
Und wie zu erwarten kehrte er mit einer extra Tüte für den Taxifahrer zurück. Ohne undankbar wirken zu wollen: Mich hat mehr gefreut, dass inzwischen fast vier Euro mehr auf der Uhr standen. Solche Einladungen sind nett, aber um mein Essen kümmere ich mich sehr gerne selbst und vor allem bestimme ich gerne selbst, wann ich etwas esse. Aber natürlich weiß ich solche Gesten trotzdem zu schätzen.
Nach den Einkäufen sollte ich mich beeilen. Mein Fahrgast wollte gerne essen und obwohl ich ihm zusicherte, dass er gerne – so er denn aufpasst – im Auto essen könnte, bestand er darauf, mich damit nicht belästigen zu wollen. In dem Punkt könnten sich einige von dieser Kultur mal ein Scheibchen abschneiden. 😉
Als wir auf bestem Wege waren, fiel ihm dann auf, dass der Betrag auf der Uhr schon unerwartet hoch war:
„Will we do that for under 20 €?“
„No, sorry.“
„Well, maybe I have 22 … ah, yeah! Here: 22 Euro!“
„I think, in the end it’ll be something like 23 to 24.“
„…“
„If you don’t have enough …“
Ich bin in dem Moment über meinen Schatten gesprungen und hab gesagt, dass ich die Uhr gerne bei 22 ausmachen könnte. Hey, er hatte mit seinen Zwischenstops über 4 € mehr in die Kasse gespült – im Gegensatz zu manch anderen ohne auch nur darüber zu reden – hat mir Essen mitgebracht und am Ende würde ich einen Euro wegdrücken. Also bitte …
„No, no, no! Please don’t do that! I surely don’t want to …“
„Hey, after all that would be fine!“
„Ha! Here’s another one! 23 Euro! If, I mean, would you please, could you, maybe … stop the meter at 23?“
„Of course.“
So weit, so gut. Dann beschlich ihn erneut Panik:
„The tip! Fuck, I forgot the tip! I have to …“
Das ist mein Problem mit dieser Form der kulturellen Regeln. Es ist alles schön und gut, so lange man das von ganzem Herzen befolgt. Ich würde auch keinen hungernden Freund mit in ein Restaurant schleppen und nix ausgeben. Aber wenn das dann letztlich zu einem Zwang wird, den man auch befolgen muss, wenn die anderen das gar nicht wollen – oder man sich gar Schuldgefühle einredet …
Ich hab ihn davon überzeugen können, dass es eigentlich total bekloppt wäre, wenn er mich jetzt für 3 €, die er mal eben aus seinem Zimmer holen will, nochmal 5 Minuten unten warten lässt. Nicht wegen dem Betrag, rein so von der Verhältnismäßigkeit.
Und am Ende ging alles gut. Wider Erwarten standen dann doch „nur“ 22,20 € auf dem Taxameter und er konnte mir mit seinen 23 sogar noch Trinkgeld geben. Natürlich hat mich das gefreut. Allerdings war das dennoch das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, der Fahrgast hätte sich mehr über das Trinkgeld gefreut. Egal, sei es drum.
Ich hab während der nächsten Viertelstunde dann das getan, was sich der nette Kerl nicht getraut hatte: Burger und Pommes während der Fahrt essen. Mit sehr gutem Gefühl dabei. 🙂
