So fragte er mich:
„Weite Strecke?“
„Wie meinen Sie: weite Strecke?“
„Na hier, mit dem Coupon. Ist ’ne etwas längere Fahrt …“
Na und ob das OK ist! 😀
Eine Ahnung davon, wie weit es gehen würde, hatte ich nicht, aber es war früh am Abend und ein Fuffi extra hätte umgehend Feierabend bedeutet. Der Name seines Dorfes sagte mir nichts, aber er nannte mir gleich mal die Autobahn, woraufhin ich losfuhr und beschloss, das Navi erst irgendwann unterwegs zu programmieren.
„Und wie weit ist das etwa?“
fragte ich, was ungewohnt war, weil ja meist ich den Kunden sage, wie weit ihr Weg ist.
„Das kann ich ihnen ziemlich genau sagen: Das sind so 125 Kilometer.“
Ja, fick doch die Henne! finde mal einen Satz ohne Ausdrücke für so einen Glücksfall!
Ich hab dann gleich eingewandt, dass ich bei so einer Distanz durchaus noch was auf den Taxameterpreis aufschlagen müsste, weil überhaupt und sowieso.
„Ja, das wird schon kein Problem sein. Da machen die nicht rum bei sowas. Personenunfall. Hab einen totgefahr’n.“
BÄM. Ich hatte schon viele Sätze im Taxi, die wie ein Schlag ins Gesicht waren, aber das war wirklich einer der ganz besonderen. Wobei ich das nicht negativ meine. Wie oft denkt man bei diesen Verspätungen wegen „Personenschaden“ über das nach, was passiert ist! Und wie sprichwörtlich ist der Lokführer, der dann am meisten darunter zu leiden hat, wenn man auf diese Art seinem Leben ein Ende setzt!
Und ich hatte einen im Auto, mit dem ich mich mehr als eine Stunde unterhalten konnte.
Ich habe viel gelernt dabei. Über die Bahn, über das südliche Berliner Umland und auch über das, was da wohl passiert ist. Ich werde nicht ins Detail gehen, das geht in diesem Fall nicht. Werther-Effekt* und so. Nicht wegen der Person meines Fahrgastes. Der hat das alles zumindest scheinbar gut weggesteckt. Ein Pragmatiker, wie ich es auch gerne mal bin.
„Der wollte das.“
„Hmm, da kann man nix machen, oder?“
„Ach was!“
Ich weiß bis jetzt nicht, ob ich mich mehr über das äußerst interessante Gespräch oder die Tatsache, dass die Schicht damit 300% des erwarteten Umsatzes gebracht hat, freue. Oder gar darüber, dass auch mein beim Verlassen des Hauses am Abend spontan beschlossenes Schichtziel unerwartet in Erfüllung gegangen ist. Da hatte ich nämlich festgestellt, dass es eine herrlich sternenklare Nacht werden würde und ich wollte unbedingt mal wieder einen nicht-Berliner Sternenhimmel betrachten. Also einen ohne (allzu viel) Lichtverschmutzung. Und ich bin ein paar Kilometer vom Fahrtziel entfernt dazu gekommen, bei einer Kippen- und Pinkelpause.
So traurig der Anlass der Fahrt und damit des Blogeintrages war, so angenehm war es für mich gestern. Selbst das, wenn sonst alles gut geht obligatorische, 20-minütige Frieren an der Bahnhaltestelle hat mir die Laune nicht verderben können.
Das Leben ist zu schön, um sich vor Züge zu schmeißen, ehrlich!
*Falls jemand jetzt nach dem Lesen das Gefühl hat, Suizid könnte eine Lösung sein: Ich bin mir sicher, dass es das nicht ist! Mal davon abgesehen, dass auch der o.g. zusammengerechnet ein Vierteljahr Lebenszeit anderer Menschen gekostet hat, die nichts damit zu tun hatten, gibt es doch andere Möglichkeiten. Hier findet sich ein reichhaltiges Angebot an Hilfe, noch dazu im lustigen 90er-Jahre-Webdesign. Sollte man sich schon deswegen mal angesehen haben. 😉
Lustig, dass ein solcher Effekt nach einem Buch benannt ist, dass wohl viele in der Schule lesen mussten.
Wobei so schlecht, dass man sich danach umbringen müsste, war’s jetzt auch nicht. Da fallen mir schlimmere ein.
Die Frage ist natürlich, ob er das zu Hause immer noch so pragmatisch sieht. Aber eigentlich ist das die richtige Einstellung.
Ist doch mal eine schöne „Auszeit“ gewesen vom sonst üblichen 5-Euro-Tour-Alltag.
Und zum Thema Suizid, da gibt es zwei Typen von Leuten: Die, die darüber reden, und die, die es machen. Wobei es bei zweiteren noch die zwei Unterkategorien gibt, einmal diejenigen, die es so machen, dass sie niemanden damit (wenn auch nur möglicherweise) ins Unglück stürzen, und dann diejenigen, denen das egal ist, oder die es damit auch noch möglicherweise irgend einem Wildfremden stellvertretend für den Rest der Welt heimzahlen wollen. Bei der letzten Kategorie fällt es schwer, nicht von einem starken Charakterschaden auszugehen, und die Gepflogenheit, nicht schlecht über Verstorbene zu reden, zu beachten.
Schön, dass der Lokführer es so relativ locker hingenommen hat.
Das ist doch nicht 90er. Eher 2000er. DAS ist 90er: www2.warnerbros.com/spacejam/movie/jam.htm
ich habe 18 jahre an einer nicht einsehbaren bahnkurve gelebt die immer wieder gern zum beenden des lebens genutzt wurde… abgesehen davon das es nicht wirklich schön aussieht wenn ein mensch in seinen einzelteilen rumfliegt finde ich es eins der egoistischsten handlungen die es gibt. das ist wirklich der flügelschlag des schmetterlings der zum sturm wird. prakmatismus ist eine variante damit umzugehen aber was es mit dem leben wirklich macht ist nicht zu ermessen.
aber wie deine schicht zeigt – alles hat eben zwei seiten – du hast in dem fall die gute erwischt
gruß katrin
Lieber Wahlberliner… es gibt auch genug Menschen die sagen!, dass sie es tun und die man dann trotzdem von den Schienen kratzt. Weil es „keiner ernst genommen hat“. „Der redet doch nur.“ Oder weil man zu langsam war. Möglicherweise möchte man sich auch einfach verabschieden… und sagt es deswegen mehr oder weniger kryptisch. Gerade wenn man einen Großteil des Freundes- und Bekanntenkreises aus dem Netz hat, kann man nicht jedem einen Brief hinterlassen, der sich erst nach dem Suizid findet…
Davon ab ist es natürlich die wohl beschissenste Lösung… der Schmetterling der zum Sturm wird ist hier wohl kein schlechtes Beispiel…
Ich hab mal gelesen oder in ner Doku gesehen, dass jedem Lokführer im Schnitt 8 Leute während der gesamten Arbeitsjahre vor die Lok springen…
@Svü: OK, das stimmt. Für diese Leute hatte ich in meinem bisherigen Gedankengebäude immer die dritte Kategorie „Verunglückte Hilferufe“ eingesetzt, das hatte ich oben aber vergessen.
Und bei 8 Leuten im Schnitt … spätestens nach dem Dritten oder Vierten *darf* man das nicht mehr an sich ran lassen, weil man ansonsten krank wird und/oder seinen Job nicht mehr durchführen kann.
Front Page 4.0 – waaaaah!!!
Bin selbst Lokführer und hab bis jetzt in 20 Dienstjahren immer Glück gehabt(manchmal war’s knapp). Wobei die Selbstmörder nicht das schlimmste sind. Wie der Kollege schon sagte:“Der wollte das so“. Viel schlimmer sind Unfälle aus Leichtsinn, Unachtsamkeit, Mutproben oder wenn Alkohol/Drogen im Spiel sind. Am schlimmsten natürlich wenn Kinder betroffen sind. Bitte mal dran denken, wenn wiedermal die Strecke gesperrt ist wegen „Personen im Gleis“.
Herr …: es ist vermutlich niemand sauer, dass die Bahn nicht fährt, um Leute aus dem Gleis zu holen, sondern sie sind sauer, weil ihr eigener Zeitplan durcheinander kommt. Und wenn man mindestens einmal die Woche nicht nach Hausekommt, weil die ewig gleichen Leute an der ewig gleichen Stelle über die Gleise zum Aldi abkürzen. Und jedes Mal ist ewig gesperrt, könnte ja auch n Kind sein oder n Selbstmörder… Ganz ehrlich, da will man schon mit der Spendendose rumgehen u d für einen Stromzaun sammeln, ehrlich
Ich hoffe mal das korreliert nur zeitlich und nicht ortlich, die REGA spricht für Schweiz/Süddeutschland-
Hier beschreibt ein Rettungsassistent, einen solchen Einsatz.
Bitte nur mit starken Nerven anklicken http://alltagimrettungsdienst.wordpress.com/2014/02/24/dunkles-loch
@Wahlberliner und Katrin:
Ich finde es zweifellos auch unschön, aber ich wäre ein bisschen vorsichtiger bei der Verurteilung von Leuten, die Gründe dafür sehen, ihr Leben zu beenden.
@Sebastian:
DAS ist ein Unglück. 😀
@Svü:
Die Zahlen decken sich nicht mit dem, was mein Fahrgast gesagt hat, aber ich kenne die Richtigkeit beider nicht.
@S-Bahnfahrer:
Würde ich unterschreiben.
@hrhrurur:
Sowas hab ich auch noch nicht erlebt. 0.0
Aber ich hab auch nie viel in Bahnnähe gewohnt.
@Feuerwehrmann:
Das ist nur eine zeitliche Übereinstimmung, das war ein anderer Fall. Aber ja, krasser Artikel!
@Sash: ja, ist halt ungünstig, wenn man sonst n halben Kilometer mehr laufen muss. Ist auch nicht bei mir in Wohnnähe, aber halt auf dem Weg dahin. In der Nähe eines Umschlagbahnhofs(Sichtweite), an einer Strecke mit viel Güterverkehr, dem ICE Richtung Berlin, diversen Interregios und halt ner S-Bahn im Zehnminutentakt. Irgendwer sieht da recht wahrscheinlich wen über die Gleise flitzen und dann wird halt gesperrt und der Strom abgeschaltet. Und dann stehste da – womöglich schon anderthalb Stationen vorm Aussteigen. Das nervt wahnsinnig! Zum Glück muss ich da nicht mehr lang. Mittlerweile haben sie aber alle gängigen Spaßvögel auch oft genug zusammengeschissen. Es soll deutlich nachgelassen haben. Das war echt ne unpraktische Geschichte.
@Feuerwehr: Das passiert häufiger mal, ist halt ne sichere Methode. Aber wird ja zum Glück nur bei Promis breitgetreten.
@wie kann man nur: wer verzweifelt genug ist sein Leben zu beenden, hat keinen Platz im Kopf für andere Menschen. Vielleicht noch „geliebte Personen sollen mich nicht zermatscht sehen“, aber der Rest wird ziemlich egal sein. Und viel Leid könnte da meines Erachtens mit der Freigabe aktiver Sterbehilfe gespart werden. Für mich steht die Würde über dem Leben und wenn sich jemand so entwürdigt, dass er sich zu Brei fahren lassen als Chance sieht, dann finde Ich DAS viel trauriger, als den Tod an sich.
@Sash: Ich verurteile ja nicht die sich selbst Tötenden generell – wenn sie es so machen, dass niemand dabei traumatisiert wird, indem er zum unfreiwilligen „Gehilfen“ wird, wie der Lokführer, sollen sie es doch tun. Aber es so zu tun, dass sie durch die Taten eines anderen sterben, ist in meinen Augen unterste Kanone.
Hier dann mal zum Ausgleich eine ähnliche Geschichte mit positivem Ausgang:
http://www.augsburger-allgemeine.de/bayern/scheiss-seo-immer-id28946082.html
Wie isn der Sternenhimmel da draußen?
Ha, guter Link, Wahlberliner 😀
@hrururur
Ich weis das das häufiger passiert. Bin selbst Pendler und die Nachbarwehr „darf“ putzen.