Vorurteile, mal wieder

Manchen gehe ich wohl ziemlich auf den Keks mit meiner vermeintlich „politisch korrekten“ Meinung. Ich ach so nerviger „Gutmensch“, der irgendwelche künstlichen Werte hochhält, weil: muss ja. Ich könnte das jetzt abkürzen und diejenigen Idioten nennen. Das mache ich gerne immer wieder, durchaus bewusst, und außerdem bin ich mir sicher, dass ich damit genau die Definition eines „Gutmenschen“ erfülle – nämlich ein guter Mensch versuchen zu sein und schlechten Menschen in den Arsch zu treten. So einfach könnte das sein.

Das Dumme ist: In gewisser Hinsicht verstehe ich die Schlechtmenschen (man beachte die hier nicht angebrachten Anführungszeichen!):

Denn ich bewerte Menschen auch nach ihrer Erscheinung.

Das tue ich nicht freiwillig, ich nehme mir immer wieder vor, da doch besser zu sein. Bin ich aber nicht. Ich hab auch meine Vorurteile, und noch dazu stelle ich fest, dass sie wie bei den meisten Idioten ebenso jeder Grundlage entbehren. Ich bewerte als Mann gerne attraktive Frauen höher als hässliche Kerle und stelle tatsächlich auch fest, dass mein Unterbewusstsein versucht, mich in ein rassistisches Arschloch zu verwandeln. Das tut es nicht ganz so normgerecht, ich fühle mich z.B. Menschen mit sehr dunkler Hautfarbe immer näher als Weißen. Was aber nicht minder blöd ist als andersrum.

Und ich bin vorsichtig bei „Osteuropäern“.

Was für eine Scheiße, mal ganz ehrlich!

Aber ja, liebe „Man wird ja wohl noch sagen“-Menschen: Ich weiß, wie das ist, xenophob zu sein. Ich kenne dieses Gefühl, daran glauben zu wollen,  dass man damit Recht hat. Aber glücklicherweise bin ich keiner von den Evolutionsverlierern, die dann nicht einmal logisch weiterdenken können.

Und so fehlbar, wie ich nun einmal bin, stand ich an der Ampel. Zwei etwas verwegen aussehende junge Kerle machten mir mit Gesten klar, dass sie mit mir fahren wollten. Hervorragend! Sie stiegen ein und nannten in sehr gebrochenem Deutsch eine Zieladresse. Ein wohlbekannter Platz in Lichtenberg, eine gute 10€-Tour, für mich die Freude pur. Und doch hab ich ein bisschen Zweifel gehabt. Einfach so, des Akzents wegen. Ich Idiot.

Aber gut: Der eine konnte wirklich nur sehr schlecht mit mir sprechen, der andere eigentlich ganz ordentlich. Und er war witzig, ehrlich. Untereinander haben sie sich in ihrer Heimatsprache unterhalten, wovon ich nichts verstanden habe. In der Ecke hab ich wirklich keine Anhaltspunkte. Englisch kann ich halbwegs, bei romanischen Sprachen schwingt noch ein bisschen Verständnis mit, im östlichen Bereich kann ich nicht einmal zwischen polnisch und russisch unterscheiden. Und das, obwohl ich in Ostberlin mehr als zehnmal näher an Polen als an England wohne.

Wir legten auf der Tour noch einen Zwischenstopp ein, all das kriegten wir geregelt, trotz Sprachschwierigkeiten. Kein Grund, die Tour schlechter zu bewerten als irgendeine andere. Im Wohngebiet der beiden kannte ich mich fast null aus. (obwohl ich da vor über fünf Jahren fast einmal Pakete ausgefahren hätte, siehe mein eBook). In lustiger Zusammenarbeit zeigten die beiden mir den Weg, am Ende standen wir dort, wo sie hinwollten. Die zwei hatten mich – den Taxifahrer – auf dem kürzesten Weg ganz gut gelotst.

Die Uhr zeigte nun haargenau 10,00 € an. Ich selbst war schon jetzt zufrieden, trotz runder Summe. Ich hatte von den beiden Touren zuvor schon gut Trinkgeld und als nächstes stand eine Lesertour an. Fast perfektes Timing, besser jedenfalls als ich zu hoffen gewagt hatte. Der Tag war super, auch ohne die beiden. Dann aber meinte just der mit den größten Sprachmängeln (zumindest was sein Deutsch angeht):

„Zehn? Mache fünfzehn!“

Fünfzehn!

„Und chabe gute Abend, viel Arbeit und so!“

50% Trinkgeld. Das ist hammerscheißeselten! Überhaupt ist schon ein Fünfer hammerscheißeselten! Und ich saß nun da und hab das angenommen. Von zwei Typen, die ich einfach, weil sie einen bestimmten Akzent hatten, eher negativ eingeschätzt hatte. Manchmal fühlt man sich selbst richtig blöd. In dem Fall zu Recht!

Ehrlich, Leute: Auch ich will nicht bestreiten, dass es Idioten gibt. Und ja, vielleicht gibt es sogar mehr russische Idioten als deutsche. Aber jedes Mal, wenn jemand „die Russen“ scheiße findet, schließt er damit diese beiden witzigen Kerle mit ein, die einfach mal so spontan 99% der Deutschen beim Trinkgeld übertroffen haben. Regt Euch über Arschlöcher auf, so viel Ihr wollt. Da mache ich gerne mit. Aber Rassismus ist und bleibt scheiße, weil er dumm und falsch ist.

25 Kommentare bis “Vorurteile, mal wieder”

  1. elder taxidriver sagt:

    Na , wenn sie ‚chabe gute Abend‘ statt ‚habe guten Abend‘ sagen , dann waren es Russen. Da könntest Du dann sagen:

    Spassiba = Danke .
    Oder balschoje spassiba= großen Dank.
    Oder in diesem außergewöhnlichen Trinkgeld-Fall:
    Otschen balschoje spassiba . Das ist noch eine Umdrehung mehr in Danke-sagen.

    Auf Polnisch heißt es: Dschinkuje bartzo= Vielen Dank.

    Und Türkisch: Teschekürleer
    Und Rumänisch sowie Persisch: Merci
    Und Holländisch: Bedankt ( jetzt wieder der Niederlande-Protest..)
    Hebräisch: Todda, glaube ich.
    Die wichtigsten hier zeitweise vorkommenden Sprachen hatte ich drauf, was danke-bitte oder verfluchte- Kacke-sagen
    betrifft. Das kam immer gut an . Albanisch , vergessen. Hindi oder Urdu: Shukria??
    Langsam fange ich an zu vergessen. Wenn ich noch mal fahren sollte, was ich mir immer vornehme und Finnen und besonders Finninnen im Taxi hätte, da wüsste ich schon nicht mehr wie ‚Danke‘ heißt. Immerhin könnte ich sagen:
    Hillalla Sillalla. Das heißt : Heute Nacht unter der Brücke.. Wurde auch immer sehr angetan aufgenommen..

  2. elder taxidriver sagt:

    Der schönste Abschiedswunsch beim Aussteigen der mir in Erinnerung ist kam von einem Oberschlesier, jetzt Polen oder Weißrussland vermutlich, der sagte nämlich:

    ‚Viel Spaß in Arbejt, – wenn iis meglich‘.

  3. Roichi sagt:

    Dein Vorteil ist eben, dass du dir deiner Vorurteile bewusst bist und, schöne Formulierung, evolutionär weiter als die meisten üblichen Idioten.
    Solange man sich immer selbst hinterfragt, ist man auf einem guten Weg, denke ich.
    Ich erlebe auch oft genug genau solche Situationen des Hinterfragens. Und dann denke ich immer: Wie gut, dass du wieder was gelernt hast.

    @ elder Taxidriver

    Finnisch: Kiitos

  4. SaltyCat sagt:

    ich schmeiss noch mal ein „Tack så mycket“ (gesprochen „tack so mü-ke“) rein. falls dir mal ein schwede viel trinkgeld gibt. oder nur tack, falls es nur ein bisschen ist 😀

  5. SaltyCat sagt:

    sorry für den doppelpost, aber @elder taxidriver: los, raus mit der sprache – wann und wie hast du das mit der brücke gebraucht? 😀 😛

  6. André sagt:

    Um es mit dem Kaberettisten Volker Pispers zu sagen:
    “ Es gibt A.löcher die an Allah glauben und es gibt A.löcher die an Gott glauben, Da können weder Allah noch Gott was für…!“
    Ähnlich ist es mit Nationalitäten.
    Wenn man sich aber auch die A-löcher konzentriert, entgehen einem die vielen Supernetten. Ist aber eine menschliche Eigenheit. Wenn man einmal einen miesen Taxifaher hatte oder Geschichten über miese Taxifahrer hört, schließt man gerne auf die gesamte Fahrerschaft. (Wobei es einem in Köln auch leicht gemacht wird…. 😉 )

  7. elder taxidriver sagt:

    @SaltyCat:

    Immer statt ‚danke‘ , also bis zum Abwinken..

  8. Schwarzmaler sagt:

    Dieses Gutmenschenreflektionsgedöns geht mir auf den Wecker. Wir sind im Kern alle Rassisten, wir haben unsere Vorurteile, wir halten die Gruppe, der wir duch Zufall angehören, angeboren und automatisch für besser als ‚die Anderen‘, und wir gehen normalerweise damit um. Genauso wie Du es schilderst. Und schön wenn Vorurteile widerlegt werden.

    Für mich ist das Gegenteil zum Gutmensch nicht der Schlechtmensch sondern der gute Mensch. Echte Gutmenschen sind Heuchler, die ihren Weltverbesserismus wie eine Monstranz vor sich hertragen. Gute Menschen tun Gutes, ohne groß darüber zu reden.

    Und richtige Rassisten und Nazis lacht man sowieso aus.

  9. Bernd K. sagt:

    In der Evolutionsgeschichte scheinen sich die Vorurteile offenbar bewährt zu haben, sonst hätten wir alle sie nicht. Aber wichtig ist halt auch, dass man das evolutionsgeschichtlich mitgewachsene Grosshirn nutzt, um aus Vorurteilen Urteile zu machen.

    @elder taxidriver: bulgarisch: Blagodarja

  10. Kraven sagt:

    Ich denke Vorurteile hat jeder, sowohl negative als auch positive. Positives Beispiel was mir einfällt, ist dass Menschen mit sehr dunkler Hautfarbe meist klasse Sänger sind (zumindest mal eines meiner Vorurteile).
    Der Unterschied ist denke ich, dass man jedem Menschen die Gelegenheit gibt, zu beweisen, dass er genau diese Ausnahme ist. Tja, und wenn man dann irgendwann feststellt, dass man mehr Ausnahmen kennenlernt als Leute die das Vorurteil bestätigen, kann man dann auch noch das Vorurteil überdenken.

  11. Dave sagt:

    Amen, Sash, genauso wie du denke und handle – zumindest bemühe ich mich – ich auch.

  12. ROW-Taxler sagt:

    Wie der Post wohl ausgesehen hätte wenn die Beiden die Türen aufgerissen hätten und abgehauen wären…….

  13. stone sagt:

    ROW Taxler: vielleicht in etwa, das es auch osteuropäische Arschlöcher gibt, aber da kann Osteuropa ja nichts für (danke @Andrè)

  14. ROW-Taxler sagt:

    @Kraven, so geht es aber auch umgekehrt

  15. Laura sagt:

    Hey Sash,
    der Artikel spricht mir aus dem Herzen, ist saugut geschrieben – wenn ich es irgendwann mal wieder nach Berlin schaffe (bin gerade 6000km weit weg und habe viel zu wenig Heimaturlaub 500km weit weg von Dir;-), dann flattr ich Dich persönlich…
    Weiter so!
    Laura

  16. Sash sagt:

    @elder taxidriver:
    Ich muss mich sehr bedanken für diese sowohl lehrreichen als auch unterhaltsamen Kommentare. Köstlich!

    @Roichi:
    Ja, stimmt schon. Aber ich wollte das unbedingt mal so schreiben – dass auch mir das nicht leicht fällt und man ein bisschen an sich arbeiten muss.

    @André:
    Klar, machen wir alle. Aber es wäre hilfreich, das öfter zu hinterfragen.

    @Schwazmaler:
    Da würde ich nicht zustimmen. „Gutmensch“ ist eine Vokabel, die sich im Grunde ausschließlich in zumindest rechts angehauchtem Zusammenhang finden lässt und im Gegensatz zu deiner Wahrnehmung durchaus auf jede Form linker Meinungsäußerung angewandt wird. Darüber hinaus: Der gute Mensch unterscheidet sich vom Gutmenschen dadurch, dass er die Klappe hält – hab ich das so richtig verstanden? Das klingt für mich ein bisschen arg nach „Lasst mich mit Eurer Meinung in Ruhe, ich komm damit nicht klar!“

    @ROW:-Taxler:
    Wahrscheinlich hätte ich dann geschrieben, dass mich zwei blöde Idioten abgezockt hätten.
    Mir ist schon bewusst, worauf Du hinauswillst, aber der Witz an Vorurteilen ist, dass sie nicht richtiger werden, bloß weil sie sich mal bestätigen. Deswegen steht in obigem Text z.B. auch nicht: „Russen sind alle supi lieb“, sondern „Vorurteile sind Scheiße“.

    @Rest:
    Danke. 😀

  17. […] ich mich über das gute Trinkgeld der beiden Russen so gefreut habe, ist denke ich verständlich. Es ist wirklich selten, dass die Menschen so viel […]

  18. AxelF sagt:

    Ich habe auch einige sehr nette Kunden, die aus Osteuropa abstammen. Mich selber interessiert Russland als Land sowieso sehr.

    Allerdings würde ich jetzt das „Osteuropäer sind doch toll“ nicht am Trinkgeld ausmachen…
    Sonst wären alle wenig-trinkgeld-geber Arschlöcher… 🙂

    Und um vollends Gutmensch zu sein, müsste man überlegen, der Kassiererin an der Supermarktkasse Trinkgeld zu geben wenn sie freundlich war…

    Trinkgelderwartung ist eh eine schwierige Sache…eigentlich eine Belohnung für korrekt ausgeführte Arbeit, die nur daher kommt, dass es auch welche gibt, die ihre Arbeit schlecht ausführen (= unfreundlich sind)

  19. Heiopei sagt:

    @ elder taxidriver und Roichi

    Finnisch:

    Kiitos = Danke! (wie ja schon richtig angemerkt.)
    Paljon kiitoksia = vielen Dank!

  20. Smilla sagt:

    Auf norwegisch heißt es takk, oder bei besonders viel Trinkgeld auch tusen takk („tüßen takk“, tausend dank). Allerdings ist Trinkgeldgeben hier nicht ganz so weit verbreitet, weil man davon ausgeht, das sowieso alle genug verdienen.

    Vorurteile ganz loszuwerden halte ich für sehr schwierig, es ist nur wichtig, zu wissen, das man sie hat, damit man sich nicht von ihnen leiten lässt.

  21. SaltyCat sagt:

    @elder taxidriver … och menno, ich dachte jetzt kommt ne story über brücken und blonde finninnen 😉

  22. elder taxidriver sagt:

    @SaltyCat:

    Sorry, aber da Berlin mehr blonde Brücken hat als Venedig Finninnen , wollte ich den Blog hier nicht finnlandisieren.

  23. Svü sagt:

    Und wegen so Artikeln freue ich mich noch mehr, dich zu kennen. 🙂

  24. Jens aus Tiflis sagt:

    nur so fürs Protokoll:
    georgisch:
    „danke“ = madloba
    „vielen(groß) Dank“ = didi madloba

  25. Sash sagt:

    @Jens aus Tiflis:
    Vielen Dank!
    (Aber ich will ehrlich sein: Vermutlich vergesse ich das wieder.)

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